Deutschland verschläft die digitale Revolution

Unternehmen könnten Wettbewerbsvorteile verspielen

Geschätsmodelle dank Industrie 4.0

Dabei gibt es durchaus schon etliche Beispiele, in denen Unternehmen Produkte, Services und Industrie-4.0-Techniken kombinieren und so neue Geschäftsmodelle auf den Weg gebracht haben. So stattet Nutzmaschinenhersteller Claas seine landwirtschaftlichen Maschinen wie Mähdrescher und Traktoren mit Sensoren aus, die beispielsweise Position und Füllstände der Erntemaschinen registrieren und automatisch an einen Leitstand übermitteln. Auf diese Weise lässt sich der Einsatz der Maschinen wesentlich effizienter planen. Der schwäbische Werkzeugbauer Komet Group hat ein System entwickelt, das meldet, wann beispielsweise ein Bohrer zu brechen droht. Damit könne man heute viel präziser bestimmen, wann ein Werkzeugwechsel nötig sei, so das Unternehmen.

Um den Bruchzeitpunkt zu berechnen, misst die Komet-Technik die Belastung des Motors. Dabei habe das System allerdings erst lernen müssen, welche Zustände am Werkzeug mit welchen Belastungen des Motors einhergehen. Die dafür eingesetzten Rechner müssen riesige Datenmengen in Echtzeit auswerten. Vorteile des neuen Systems: Der Austausch eines verschlissenen Werkzeugteils lässt sich bis kurz vor den Verschleißzeitpunkt hinausschieben. Darüber hinaus können Drehgeschwindigkeit oder Bohrervortrieb präzise angepasst und die Belastungsgrenze des Werkzeugs besser ausgereizt werden.

General Electric baut zusammen mit dem Beratungsunternehmen Accenture im Rahmen des Joint Ventures Taleris an einem System, das den Zustand von Flugzeugturbinen mit Hilfe zahlreicher Sensoren ständig überwacht und die gesammelten Daten in Echtzeit an eine Zentrale durchgibt. Damit lassen sich der Wartungsbedarf noch während eines Fluges identifizieren und so die Stillstandszeiten der Flugzeuge verringern, sagen die Entwickler. Zudem verkürzen die Triebwerksdaten die Entwicklung neuer Antriebe.

Diese Beispiele belegen, dass sich Industrie 4.0-Szenarien bereits umsetzen lassen, zeigen aber auch, dass der Weg dorthin nicht trivial ist. Vieles dreht sich darum, Geschäftsmodelle und die damit verbundenen Prozesse hinsichtlich neuer Möglichkeiten abzuklopfen sowie dann die notwendigen IT-Hilfsmittel auszuwählen und richtig zum Einsatz zu bringen - beispielsweise Big Data, um große Datenmengen schnell auswerten zu können. Das muss - zumindest derzeit - jedes Unternehmen für sich individuell prüfen und gegebenenfalls auch umsetzen. Die von Experten geforderten Referenzbeispiele können punktuell helfen, lassen sich aber nur in den seltensten Fällen übertragen. Blaupausen, die Unternehmen für ihre Industrie-4.0-Transformation anlegen können, gibt es nicht.

Die Aufgaben, die Firmen im Zuge der Digitalisierung ihrer Fertigung und Produktion zu lösen haben, sind vielfältig, was ein Grund dafür sein mag, dass viele Manager noch zögern. Die verschiedenen Facetten spiegeln sich auch in den zahlreichen Workshops wider, die der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) ins Leben gerufen hat. Neben Forschung, Produktionsorganisation und Geschäftsmodellen geht es auch um Standards, Arbeitsmodelle und vor allem Sicherheit.

Insbesondere Security sehen Unternehmen für die Umsetzung von Industrie-4.0-Techniken als essenziell an. "Hoch vernetzte Anlagen müssen natürlich vor Missbrauch und unbefugtem Zugriff von außen geschützt sein, damit das enthaltene Know-how innerhalb des Betriebs bleibt", sagt KPMG-Partner Michael Bremicker. Ein stark vernetztes System mit diversen Schnittstellen und eine komplett integrierte Wertschöpfungskette mit vielen Akteuren böten eben massenhaft Angriffspunkte. Deshalb müsse sich Security-by-Design als grundsätzliches Entwurfsprinzip etablieren.