Verunsicherung im Markt

Scheinselbständig: IT-Freiberufler im Visier der Rentenversicherung?

Daimler etwa unterzieht "alle Beauftragungen einer gründlichen Überprüfung. Das betrifft auch das Thema Scheinselbständigkeit. Unternehmen oder Dienstleister, die wir beauftragen, müssen nach unseren sozialen Standards zur Vergabe von Werk- und Dienstverträgen erklären, dass eventuelle Fälle von Scheinselbständigkeit geprüft und dadurch verhindert werden", so das Statement aus der Daimler-Kommunikation.

Missbrauch im Niedriglohnsektor

Auch die Vermittlungsagenturen haben das Thema auf dem Radar: "Wir haben unseren Kunden und Freelancern gegenüber die Pflicht, ihnen maximale Sicherheit beim Thema Scheinselbständigkeit zu gewährleisten", betont Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo. Der IT-Personaldienstleister klärt darüber auf, dass die Freelancer augenfällig von den Angestellten unterscheidbar sein müssen. "Sie haben keinen Anspruch auf freien Kaffee und subventioniertes Mittagessen und sollten idealerweise in getrennten Büros sitzen", so Reuter. Freelancer werden nur vermittelt, wenn ihr Stundensatz mindestens bei 40 Euro liegt. Nach zwei Jahren im Projekt bietet Etengo einen Freiberuflertausch an."Allerdings ist jemand noch lange nicht scheinselbständig, weil er zwei Jahre lang in einem Projekt gearbeitet hat. Architekten auf Großbaustellen wird nach so einem Zeitraum doch auch nicht vorgeworfen, dass sie scheinselbständig sind", sagt Reuter.

Nikolaus Reuter, Etengo: Jemand ist noch lange nicht scheinselbständig, weil er zwei Jahre lang in einem Projekt gearbeitet hat. Architekten auf Großbaustellen wird nach so einem Zeitraum auch nicht vorgeworfen, dass sie scheinselbständig sind.
Nikolaus Reuter, Etengo: Jemand ist noch lange nicht scheinselbständig, weil er zwei Jahre lang in einem Projekt gearbeitet hat. Architekten auf Großbaustellen wird nach so einem Zeitraum auch nicht vorgeworfen, dass sie scheinselbständig sind.
Foto: Privat

Er fordert eine Unterscheidung "zwischen Hype und Realität. Das Thema ist in den Medien präsent und wird auch immer wieder von unseren Kunden angesprochen. Doch wir hatten seit fünf Jahren bei mehreren tausend Einsätzen keinen Fall von Scheinselbständigkeit", sagt er. Die Fälle, die in den Medien viel Aufmerksamkeit bekommen, seien hochgekocht, weil die Freelancer sich individuelle Vorteile verschaffen wollten, etwa eine Festanstellung im chronischen Krankheitsfall, behauptet Reuter. Er könne nicht bestätigen, dass die Rentenversicherung verstärkt auf IT-Freelancer zugeht. Reuter fordert, die Frage nach der Selbständigkeit am Geld festzumachen: "Kann jemand von dem Umsatz, den er erwirtschaftet, leben und hat genug Geld für Kranken- und Altersvorsorge, sollte die Diskussion um Scheinselbständigkeit aufhören."

Auch Andreas Lutz, Vorstand des Verbandes der Gründer und Selbständigen (VGSD), wünscht sich eine stärkere Konzentration auf Geringverdiener: "Im Niedriglohnsektor müssen Menschen mit extrem niedrigen Honoraren Kredite aufnehmen, um auch noch ein Auto stellen zu können. Die Rentenversicherung sollte sich lieber auf den Bereich konzentrieren, in dem Missbrauch mit Selbständigkeit wirklich stattfindet. Stattdessen hat sie die ITler im Visier, um ihre hohen Beiträge einzuheimsen." Nachdem Pläne zur Rentenpflicht für Selbständige erst mal vom Tisch seien, scheint Lutz, als wolle die Rentenversicherung mit aller Macht Selbständige über den Verwaltungsweg zwingen, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.

Aktuelle Gerichtsentscheidungen hätten große Auftraggeber verunsichert, so Lutz: "Unsere Mitglieder erzählen, dass sie wegen dieser Unsicherheit Aufträgeverlieren. Selbst wenn die Beauftragung über einen Vermittler läuft, haben Firmen Angst davor - obwohl sie nicht direkt Auftraggeber sind und nichts zu fürchten haben." Das habe zur Folge, dass Einzelkämpfer Aufträge verlieren und Unternehmen nicht mehr die Spezialisten finden, die sie benötigen.

Zeitarbeit ist keine Option

Auch der Freelancer, der anonym bleiben möchte, hat erlebt, dass er Aufträge nur über Arbeitnehmerüberlassung erhalten hätte. "Ich werde versuchen, so lange wie möglich selbständig zu bleiben. Aber nicht unter allen Umständen. Arbeitnehmerüberlassung ist für mich keine Option", sagt er. Trotz Verunsicherung, nervenzehrenden Auseinandersetzungen mit der Rentenversicherung und Alltagsschikanen wie der gekappten Kommunikation zwischen Freelancern und Endkunde - Freiberufler wie er sind gern selbständig und möchten es auch bleiben. Die Forderung nach einer sinnvollen und klaren gesetzlichen Regelung kommt in den Gesprächen immer wieder auf - damit die IT-Freiberufler endlich wieder unbeschwerter arbeiten können.

So prüft die Rentenversicherung

Im ersten Schritt prüft die Rentenversicherung, ob jemand sozialversicherungspflichtig ist oder nicht. Falls ja, muss der Auftraggeber für maximal vier Jahre rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge bezahlen.

Ergibt sich bei der Prüfung, dass jemand selbständig ist, wird im zweiten Schritt geprüft, ob eine Rentenversicherungspflicht besteht, also ob derjenige ein arbeitnehmerähnlicher Selbständiger ist.

Ergibt die Prüfung, dass eine Rentenversicherungspflicht besteht, muss der Selbständige selbst Rentenversicherungsbeiträge für maximal vier Jahre nachzahlen. (So erläutert von Benno Grunewald)

Statusfeststellungsverfahren

Rechtsanwalt Michael Felser: "Man muss genau analysieren, ob man ein Statusfeststellungsverfahren anstoßen sollte. Gerade bei ITlern ist es fast unmöglich, dies durchzuführen und von der Rentenversicherung als selbständig anerkannt zu werden. In vielen Fällen kann das ein Schuss ins Knie sein. Sinnvoll kann das Statusfeststellungsverfahren dann sein, wenn bei einem ITler die arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit festgestellt wird. In dem Fall muss man für die vergangenen fünf Jahre die Beiträge für die Rentenversicherung nachzahlen. Dann sollte man darüber nachdenken, ob eventuell sogar eine Scheinselbständigkeit vorliegt. Dann müsste der Auftraggeber zahlen, und man selbst ist raus aus der Geschichte."