Open Source und Usability

Usability ist einfach?

In einem sehr kontrovers diskutierten Aufsatz lässt sich der wichtige OSS-Vorkämpfer Raymond (2004) über die mangelhafte Benutzbarkeit der CUPS-Druckerkonfiguration aus, die es selbst ihm sehr schwer machte, einen Netzwerkdrucker in Betrieb zu nehmen. Raymond greift die Entwickler für ihre Nachlässigkeit an und resümiert, sie müssten nur „Tante Tillie“ {3} vor Augen haben, dann würden sie die Software schon so gestalten, dass erstere sie leicht bedienen kann: Usability sei einfach.

Diese Einstellung ist sehr weit verbreitet, auch in der kommerziellen Softwareentwicklung. Tatsächlich wird dabei ein grundsätzliches Missverständnis darüber, was Usability bedeutet, sichtbar, denn: Woher weiß ich, was Tante Tillie braucht? Habe ich sie gefragt? Habe ich sie dabei beobachtet, wie sie eine Software einsetzt? Weiß ich, warum sie etwas so und so tut und nicht anders? Weiß ich, wie sie welche Begriffe versteht? Vermutlich nicht. Stattdessen wird eine Vorstellung von der Nutzungswelt einer fiktiven Tante erstellt, die zudem das „untere Ende“ aller gewünschten Nutzer darstellen soll. Gruber (2004) weist vollkommen zu Recht auf die Geringschätzung für die „dumb users“ hin, die daraus spricht. OSS scheint für eine solche Haltung empfänglicher zu sein, weil sie ihren Erfolg im Zweifelsfall nicht von einem „Markt“ abhängig machen muss, wie dies für kommerzielle Software der Fall ist.

Usability ist (leider) nicht so trivial, als dass man nur an den richtigen Nutzer denken müsste. Wäre das der Fall, dann würden wir vermutlich in einer Welt leben, in der Software „verschwindet“, weil sie sich so nahtlos in unsere Bedürfnisse einfügt, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Usability ist aber ein durchaus aufwändiger Prozess, im Verlauf dessen die Software so an die Nutzer angepasst wird, dass sie intuitiv, erfolgreich, effizient und angenehm anzuwenden ist. In der klassischen Softwareentwicklung wird dieses Ziel dadurch zu erreichen versucht, dass man die Anforderungen der zukünftigen Nutzer erhebt und bestimmt (Requirements), dann schrittweise die Software entwickelt und z. B. durch Prototypen wiederholt an der „Wirklichkeit“, also Nutzern, überprüft. Dieses Verfahren ist aufwändig und teuer, benötigt Usability-Spezialisten und muss nicht zuletzt vom Projektmanagement gewollt sein. Andernfalls ist es auch in kommerzieller Softwareentwicklung lediglich ein Lippenbekenntnis. OSS-Projekte können für sich entscheiden, ob sie für durchschnittliche Nutzer geeignet sein sollen oder nicht. Entscheiden sie sich dafür, müssen sie genauso Verfahren entwickeln und Ressourcen aufbauen, um dieses Ziel zu erreichen.

{3} Gemeint ist der berühmte „dümmste anzunehmende User“ kurz DAU.