Kanban erobert die IT-Branche

Nach Scrum kommt nun Kanban

Was tun, wenn sich der Fluss staut?

Bildet sich trotz ausreichend kleiner Skalierung und strikter Begrenzung des Work in Progress doch mal ein Rückstau, muss das Team entscheiden, was zu tun ist: Darf und soll die Aufgabe fallen gelassen werden, oder gibt es eine alternative Lösung? Muss man sie noch einmal unterteilen? Sind mehr Mitarbeiter für diese Aufgabe notwendig? Letzteres ist laut Kaak selten eine gute Idee. Schon Fred Brooks habe in "The Mythical Man-Month" nachgewiesen, dass mehr Leute im Projekt auch mehr Reibungsverluste bedeuten.

Als praktikable Lösung sieht der Blizzard-CIO hingegen die Automatisierung bestimmter Prozesse und - einmal mehr - die bessere Qualifizierung der Mitarbeiter. "Lean bedeutet ja nicht, dass das Unternehmen Kosten um jeden Preis spart, sondern dass die Organisation in der Lage ist, sich kontinuierlich zu verbessern." Kanban sei quasi die organisatorische Umsetzung des japanischen "Kaizen"-Prinzips (das so viel wie "kontinuierliche Verbesserung" bedeutet).

Software-Kanban nach David Anderson

Eines der Grundprinzipien von Kanban lautet: Der Arbeitsfluss wird sichtbar. Auf dem Kanban-Board lässt sich die gesamte Wertschöpfungskette mit ihren Prozessschritten für alle Beteiligten visualisieren. Die Menge der angefangenen Arbeit („Tickets“) ist begrenzt. In einem Kanban-System wird die Arbeit nach dem Pull-Prinzip verteilt: Anstatt fertige Aufgaben an die nächste Station zu übergeben, holt sich diese aktiv das nächste Ticket, sobald sie Kapazität frei hat. Und das ist nur der Fall, solange sie eine definierte Maximalzahl paralleler Aufgaben nicht überschritten hat. Der Durchfluss wird gemessen und gesteuert.

Typische Mess- größen sind die Länge von Warteschlangen, die Zykluszeit und der Durchsatz. Die Mitglieder des Prozesses messen und melden diese Werte. So wird ein etwaiger Verbesserungsbedarf erkennbar –und die Planung erleichtert. Alle Regeln für den Prozess sind für alle Beteiligten explizit; dazu gehört beispielsweise eine Definition von „fertig“. Jeder fühlt sich für den Erfolg verantwortlich: Nur wenn sich alle Ebenen der Organisation beteiligen, lassen sich tatsächlich Verbesserungen erzielen.

Kanban digital - nur im Notfall?

Seit dem Buch von Anderson hat sich einiges getan. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Softwarewerkzeugen, die sich anheischig machen, die "Zettelwirtschaft" abzulösen. Dazu zählen beispielsweise "Jira", "LeanKit", "Kanbanery" oder "Projectplace". Kaak sieht darin nicht unbedingt einen Fortschritt. Nur bei unternehmensübergreifenden und geografisch verteilten Projekten, beispielsweise der gruppenweiten ERP-Einführung, sei der Einsatz eines solchen Tools sinnvoll.

In den meisten Fällen bringe ein physisches Board jedoch mehr, beteuert der Blizzard-CIO: "In den ersten sechs Monaten habe ich meinen Mitarbeitern untersagt, nach einem Tool zu suchen. Wir wollten ja erst mal schauen, ob das überhaupt funktioniert. Und dann haben die Leute gesehen, wie gut es ist, tatsächlich vor einem Board zu stehen und zu diskutieren." Danach sei Softwareunterstützung kein Thema mehr gewesen. Einem digitalen Tool fehlten die Haptik und der kommunikative Faktor.

Auch bei FriendScout24 schätzen die Mitarbeiter die physischen Boards, die sie phantasievoll ausgestalten - teilweise mit Avataren und verdeutlichenden Graffiti. Aber die Methode lässt sich ja auch für externe Mitarbeiter nutzen, beispielsweise im Nearshore-Bereich. Für sie greift FriendScout24 auf eine Software zu, die Kanban-Abläufe abbilden kann: Jira mit dem Add-on "Agile" (ehemals "Greenhopper"). Wie Maretzke einräumt, ist das Tool "nahe am Original, aber lange nicht so kommunikativ".