Kampf der Normen

Schwächen des H.323-Modells

Eines der größten Mankos der H.323-Norm ist, dass sie bereits für sich alleine genommen sehr umfangreich ist. Sie wird durch weitere Empfehlungen ergänzt, etwa für die Codierung von Audio- und Video-Informationen oder Daten. Hinzu kommen Regelungen für Zusatzdienste (H.450.x) und Sicherheit (H.235). Deshalb ist es für Hersteller sehr aufwändig, Produkte für H.323 zu entwickeln. Ein weiteres Problem ist, dass die ergänzenden Empfehlungen und Standards nicht deutlich voneinander abgegrenzt sind, so dass ähnliche Funktionen in unterschiedlichen Protokollen spezifiziert sind.

Damit nicht genug: Bauen Endpunkte ein Gespräch auf, können unterschiedliche H.323-Prozeduren ablaufen - das Standardverfahren, Fast Start oder Tunneling. Um alle zu unterstützen, sind komplizierte Implementierungsarbeiten in H.323-Terminals, Gateways, Gatekeepern und Firewalls notwendig. Außerdem müssen diese Geräte mit dynamischen Ports ausgestattet sein, was den Entwicklungsaufwand weiter in die Höhe treibt.

Soll zwischen zwei Endpunkten eine einfache Punkt-zu-Punkt-Verbindung aufgebaut werden, ohne dass ein Gatekeeper mit im Spiel ist, sind viele Round-Trips notwendig. Bei komplexeren Verbindungen über Gatekeeper und Gateways in Multipoint-Konferenzen steigt deren Zahl rapide an und verursacht zusätzliche Verzögerungen. Weitere Problempunkt sind:

- die Interoperabilität: Weil H.323 mehrere Protokolle umfasst, haben Entwickler die Möglichkeit, spezielle Funktionen hinzufügen. Die Folge ist, dass Produkte dann zwar den H.323-Empfehlungen entsprechen, jedoch nicht zwingend mit anderen H.323-Produkten zusammenarbeiten.

- Erweiterbarkeit: H.323 räumt Anwendungsentwicklern die Möglichkeit ein, zusätzliche Funktionen in Systeme zu integrieren. Allerdings sieht die Norm kein Verfahren vor, mit dessen Hilfe ein Terminal anderen Geräten mitteilen kann, über welche Erweiterungen es im Einzelnen verfügt. Hinzu kommt, dass wegen der Forderung nach Abwärtskompatibilität den Ausbaumöglichkeiten enge Grenzen gesetzt sind.

- Skalierbarkeit: Wegen der komplexen Domain-Struktur treten Probleme mit der Skalierbarkeit auf. Ein Gatekeeper mit einem bestimmten Domain-Namen muss beispielsweise nicht zwingend über eine physikalische Transportschnittstelle mit einer eigenen IP-Adresse verfügen, die im Domain Name Service (DNS) registriert ist. Das erschwert seine Lokalisierung.

- Mehrpunktkommunikation: Multipoint-Controller sind nur ein optionales Element innerhalb der H.323-Spezifikation. Deshalb lassen sich bestehende Verbindungen zwischen zwei Endpunkten nicht zu Multipoint-Konferenzen erweitern, wenn ein MC fehlt. Auch werden Multipoint-Konferenzen plötzlich beendet, wenn das einzige Terminal, das über einen MC verfügt, die Konferenz verlässt.

- Performance: Multipoint-Konferenzen können Server erheblich belasten, weil jeder Gesprächsteilnehmer eine TCP-Verbindung benötigt und die Signalisierungsnachrichten jeder Verbindung zu verarbeiten sind. Bei steigender Teilnehmerzahl ist es daher geboten, das Routing und die Signalverarbeitung der Belastung anzupassen und zu verteilen.

- Adressierung: Ursprünglich war H.323 für den Einsatz in lokalen Netzwerken gedacht. Das Konzept stößt daher an Grenzen, wenn es auf das Internet erweitert wird. Zudem arbeiten H.323-Gateways auch mit dem öffentlichen Telefonnetz zusammen, was wiederum eine Reihe von Fragen hinsichtlich der Adressierung von Endpunkten, Gatekeepern und Gateways aufwirft.

Einige der genannten Schwachpunkte lassen sich ausmerzen. Die Adressierung beispielsweise könnte mit Hilfe von Verzeichnisdiensten auf Basis des Lightweight Directory Address Protocol (LDAP) "entschärft" werden. Dazu sind jedoch zentrale Datenbanken notwendig, die Adressinformationen von Anwendern, Gatekeepern und Gateways enthalten. Ferner müssen diese Daten regelmäßig aktualisiert werden, um auch Informationen über H.323-Komponenten mit dynamischen Adressen bereitzustellen, etwa Terminals mobiler Benutzer oder Gatekeeper ohne feste IP-Adresse. Als Suchkriterien könnten Attribute wie Vor- und Nachname, Ländercode, E-Mail-Adressen oder E.164-Nummern dienen.