Generationswechsel steht vor der Tür

Vier Protokolle für die Anrufsteuerung

Für die Anrufsteuerung kommen mehrere Verfahren infrage, die miteinander konkurrieren: Call-Server (H.323), das Session Initiation Protocol (SIP) und Bearer Independent Call Control (BICC). Damit nicht genug: Zusätzlich hat sich das Stream Control Transmission Protocol (SCTP) eingebürgert, das zeitgetaktete Anrufsteuerung und IN-Protokolle (Intelligent Network) über ein IP-Netz transportiert.

H.323 zählt schon zu den Oldtimern. Ursprünglich entwickelte die israelische Firma Radvision dieses Protokoll für Multimediakonferenzen. Während sich der Standard bei den Internettelefonie-Service-Providern (ITSP) weitgehend durchgesetzt hat, gibt es Stimmen, die das Regelwerk für zu komplex halten, um neue Anwendungen in einem Netz einzurichten.

Von der Internet Engineering Task Force (IETF) stammt der Vorschlag des Session Initiation Protocol (SIP). Als die MMUSIC-Arbeitsgruppe (Multiparty Multimedia Session Control) die Technik konzipierte, standen das Hypertextprotokoll HTTP und die E-Mail-Norm Simple Mail Transport Protocol (SMTP) Pate. Zusätzlich kümmerte sich eine eigene SIP-Arbeitsgruppe um die Telefonie. Das Verfahren funktioniert ähnlich wie Centrex, bei dem Telefonservices ohne Nebenstellenanlage (PBX) bereitgestellt werden. Dies ist allerdings eher in den USA populär, vor allem bei ASP und CSP, die mithilfe von Centrex zusätzliche Dienste bereitstellen.

Eine Spielart des NGN ist die Bearer Independent Call Control (BICC). Sie übernimmt die Anrufsteuerung zwischen den einzelnen NGN-Elementen, beispielsweise von einem Softswitch zu einem anderen. Das Ziel war, die Parameter für diese netzbezogene Rufsteuerung in einheitliche Formate überzuführen, und das unabhängig von der Transporttechnik, also ATM, reinem IP oder Multiprotocol Label Switching (MPLS). Die NSPs verwenden BICC, um unterschiedliche Dienstklassen (Class 4 und 5) abzubilden.

Als Ersatz für das verbindungsorientierte Transmission Control Protocol (TCP) entwickelte das IETF das Stream Control Transmission Protocol (SCTP). Es war ursprünglich dafür vorgesehen, SS7-Informationen aus dem Telefonnetz in IP-Netze zu übermitteln. Mittlerweile erwuchs daraus unter der Leitung der Signaling-Transport-Arbeitsgruppe (Sigtran) ein Protokoll für die Übertragung von Signalisierungsprotokollen aller Art über IP-Netze.

Die Elemente des NGN lassen sich flexibel für Steuerungsaufgaben einsetzen. So übernimmt ein Feature-Server die Kontrolle über das IN. Er verwaltet die Third-Party-Rufsteuerung sowie die Rufnummernzuordnung in einer Datenbank und ermittelt die Informationen für die Abrechnung (Billing). Für die Kontrolle der Media-Gateways lässt sich ein Softswitch einsetzen, der den Auf- oder Abbau einer Verbindung zwischen zeitgetakteten oder paketgestützten Netzen veranlasst. Neben der Transcoder-Funktion liefert der Softswitch Statistiken. Unter einem Transcoder verstehen Fachleute die Umsetzung der verschiedenen Sprachcodecs, beispielsweise G.711 in G.729.

Dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Gateways gibt, hat folgenden Hintergrund: Signalisierungs- und Media-Gateways sowie die dazugehörigen Controller sollen es Anbietern einfacher machen, für ihre Produkte Abnehmer zu finden. Darüber hinaus lässt sich die Infrastruktur besser skalieren. Für die Steuerung der Gateways haben sich zwei Normen etabliert: das Media Gateway Control Protocol (MGCP) als De-facto-Standard sowie H.248/Megaco. Beide bevorzugen einen Ansatz mit Master-Slave-Verbindungen.

Eine wichtige Rolle im NGN spielt die Steuerung der Media-Server. Spezielle Media-Controller sind für die Kontrolle der Messaging-Anwendungen zuständig, stellen eine Sprachsteuerung zur Verfügung und wandeln Faxe in andere Formate um. Vor allem die ASP-Fraktion scheint großen Druck ausüben, um die Weiterentwicklung von Voice-XML (vXML) weiterzutreiben. Diese Schnittstelle soll die Rufsteuerung mittels First-Party und Spracherkennung übernehmen.

Insgesamt lässt sich bereits heute sagen, dass NGN an die Stelle der "alten" Telekommunikations-Infrastrukturen treten werden. Zudem entwickeln sich die Netze der nächsten Generation zu einem Antriebsmoment für offene Systeme. Das heißt: Linux statt der bisherigen Unix-Derivate von Hewlett-Packard oder Sun im Softwarebereich, und PCI, Compact-PCI und Infiniband im Hardwarebereich.

Die ersten Nutznießer dieser Technik werden die Serviceprovider sein. Sie müssen sich entscheiden, ob sie eine reinrassige neue Infrastruktur aufbauen wollen oder auf hybride Netze setzen. (re)

Zur Person

Hans-Jörg Schilder

ist freier IT-Fachjournalist.