Ultraschnelle Ladungsträgerdynamik in Halbleiter-Nanostrukturen

03.08.2007 von Dr. Markus Betz
Experimente mit ultrakurzen Laserimpulsen geben direkten Einblick in Schaltprozesse an der Zeitgrenze der modernen Halbleiter-Elektronik.

Gordon Moore, Mitbegründer des Chipherstellers Intel, prophezeite 1965, dass sich die Zahl der Transistoren auf einem Silizium-Chip alle zwei Jahre verdoppeln wird. Die Integrationsdichte folgt seither erstaunlich genau dieser als Moore’s Law bekannten Regel. Ermöglicht wird diese Entwicklung primär durch eine Verkleinerung der Strukturen. So haben Leiterbahnen meist nur noch eine Breite von 65 Nanometern (1 Nanometer = 10-9 Meter; von griech. „Nanos“, der Zwerg). Die Siliziumoxid-Schichten, die als isolierende Trennschichten dienen, haben nur eine Dicke von 1,5 Nanometern, das sind etwa 6 Atomlagen. Die Entwicklung elektronischer Bauelemente hat damit seit dem ersten Halbleiter-Transistor im Jahre 1947 eine Miniaturisierung über etwa 5 Größenordnungen erreicht und ist bei nahezu atomaren Skalen angelangt (siehe folgende Abbildung und den dortigen Vergleich mit biologisch relevanten Längenskalen).

Längenskalen in biologischen Systemen und Festkörpern: Oben v. l. n. r. menschliche Eizelle, Salmonellenbakterien, DNA-Strang des zellulären Erbguts. Unten v. l. n. r. erstes Transistorbauelement (1947), Mikroskop-Aufnahme einer kommerziellen Audio-CD, Elektronenmikroskopaufnahme eines kurzkanaligen Feldeffekttransistors mit 30 Nanometer Strukturgröße. (Quelle: Bayerische Akademie der Wissenschaften)

Die ultrakurzen Längenskalen gehen einher mit einer stetig zunehmenden Geschwindigkeit der Bauelemente. So operieren die Prozessoren der derzeit kommerziell erhältlichen PC-Generation mit Taktraten von einigen Gigahertz, d.h. sie führen mehrere Milliarden Rechenoperationen in einer Sekunde durch. Einzelne, optimierte Bauelemente erreichen Taktraten von 1000 Gigahertz, d.h. für einen Schaltprozess steht ein Zeitfenster von unter einer Pikosekunde (10-12 Sekunden) zur Verfügung. Damit erhalten für die menschliche Vorstellungskraft unzugängliche ultrakurze Zeitskalen unmittelbare Relevanz für unseren Alltag.

Ultraschnelle Laserspektroskopie

Das detaillierte Verständnis und die zukünftige Weiterentwicklung der Halbleiter-Elektronik erfordern ein präzises Verständnis der Dynamik von Ladungsträgern in Halbleiter auf Zeitskalen von Piko- und Femtosekunden (1 Femtosekunde = 10-15 Sekunden). Solche Messungen sind mit elektronischen Methoden prinzipiell nicht möglich. Stattdessen bedient man sich optischer Methoden und Konzepte, die durch eine Analogie zur Fotografie verdeutlicht werden können: Will man ein fotografisches Abbild eines sich schnell bewegenden Objekts erzeugen, verwendet man ein Stroboskop. Dieses sendet Lichtblitze von typisch einigen Mikrosekunden (1 Mikrosekunde = 10-6 Sekunden) aus und „friert“ damit scheinbar einen kurzen Moment eines schnellen Ablaufs ein. Die Zeitauflösung ist durch die Dauer des Lichtblitzes bestimmt. In ähnlichem Sinne werden ultrakurze Lichtimpulse aus Femtosekunden-Lasern in der physikalischen Grundlagenforschung dazu verwendet, die schnellsten Prozesse in Halbleitern oder auch biologischen Systemen zu untersuchen. Folgende Abbildung stellt die historische Entwicklung der dabei im sichtbaren und nahinfraroten Spektralbereich erreichten Lichtimpulsdauern sowie Beispiele für ultraschnelle Prozesse in der Natur dar. Bereits wenige Jahre nach dem ersten Laser 1960 (der Begriff Laser wurde aus dem engl. „Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation“ geprägt) wurde es möglich, Lichtimpulse von unter 10-9 Sekunden Dauer zu erzeugen.

Historische Entwicklung der kürzesten realisierten Laserimpulse sowie ein Vergleich mit relevanten Zeitskalen in verschiedenen Bereichen der Physik. Von oben nach unten: Schaltzeit eines kommerziellen Halbleiter- Bauelements, Flüssigkeitstransport durch eine Zellmembran, Reaktionszeit der Retina im menschlichen Auge, Lichtschwingungsdauer im sichtbaren Spektralbereich. (Quelle: Bayerische Akademie der Wissenschaften)

In den 1970er Jahren wurden erstmals Experimente mit Femtosekunden-Lichtimpulsen demonstriert. Seit dieser Zeit ist die Zeitauflösung optischer Messmethoden der elektronischer Verfahren um einige Größenordnungen überlegen. Mit Hilfe von ultraschnellen Lichtimpulsen lassen sich auch biologisch relevante Prozesse direkt zeitaufgelöst untersuchen: So findet beispielsweise die erste Reaktion der Retina im menschlichen Auge auf einen Lichtreiz bereits nach einigen hundert Femtosekunden statt (siehe obige Abbildung).

Heutzutage sind Laserquellen mit Impulsdauern von wenigen Femtosekunden auch kommerziell erhältlich und haben verbreitet Anwendungen in der Grundlagenforschung und in angewandten Bereichen wie der Materialbearbeitung gefunden. Es ist instruktiv, die Zeitskala von Femtosekunden durch eine Umrechnung auf Längeneinheiten zu veranschaulichen: Während Licht für die Strecke vom Mond zur Erde (ca. 380.000 km) etwas mehr als eine Sekunde benötigt, legt es in einer Zeit von 10 Femtosekunden nur einen Weg von 3 Mikrometern zurück, also der typischen Ausdehnung einer menschlichen Zelle. Vergleicht man diese Länge mit der Wellenlänge sichtbaren Lichts (von 400 Nanometer für blaues bis zu 750 Nanometern für rotes Licht), so wird klar, dass diese ultrakurzen Lichtblitze nur noch wenige Lichtschwingungen enthalten. Die entsprechenden Lichtimpulse sind in ihrer Dauer damit nahe am theoretischen Limit eines Impulses, bestehend aus nur einer Lichtschwingung, und ermöglichen Messungen an der Zeitgrenze der Niederenergiephysik.

Im Folgenden werden zwei Beispiele zu aktuellen Untersuchungen ultraschneller Prozesse in Halbleitern näher erläutert.

Stoßionisation in Halbleiter-Bauelementen

Transportphänomene sind von größter Bedeutung für die technische Anwendung von Halbleitern. In aktuellen Bauelementen werden meist Betriebsspannungen von einigen Volt verwendet, die zu entsprechenden Potenzialdifferenzen auf Längenskalen im sub-Mikrometerbereich führen. Damit erreichen die internen elektrischen Felder Werte von hunderttausend Volt pro Zentimeter. Bei diesen Feldstärken weicht das physikalische Bild des Ladungstransportes drastisch vom konventionellen Bild beispielsweise des Ohm’schen Gesetzes ab. In hochreinen Kristallen können Elektronen ballistisch über Längenskalen von 100 Nanometern, d. h. im freien Flug über etwa 1.000 Gitterkonstanten, beschleunigt werden. Werden die angelegten Feldstärken weiter erhöht, so tritt bei rund 400 kV/cm ein völlig neues Phänomen auf: die Stoßionisation. Die beschleunigten Ladungsträger gewinnen eine so hohe Energie, dass sie die im Gitter gebundenen Ladungen zu freien Ladungsträgern umwandeln können. In anderen Worten: gebundene Ladungen werden aus dem Kristallverband herausgestoßen, so dass eine Ladungsträgervervielfachung entsteht. Diese sog. Lawinenmultiplikation ist einerseits von großem Nutzen bei der Detektion schwacher Lichtintensitäten in Photo-Detektoren. Andererseits erweist sie sich als überaus schädlich bei der Optimierung der Schaltzeiten moderner Transistoren.

Links: Schematische Bandstruktur einer GaAs- Photodiode mit einer Schichtdicke von 400 Nanometern. Bei sehr hohen elektrischen Feldern werden die durch Lichtabsorption erzeugten Ladungsträger durch Stoßionisation vervielfacht. Rechts: Zeitaufgelöste optische Analyse der Zahl der vorhandenen freien Ladungsträger für zwei verschiedene elektrische Felder. (Quelle: Bayerische Akademie der Wissenschaften)

Wie an der obigen Abbildung dargestellt, konnten wir diese Ladungsträgervervielfachung erstmals direkt zeitlich beobachten [1]. Die Untersuchung wurde an einer Photodiode aus GaAs, einem Standardmaterial der Optoelektronik, durchgeführt. Das Messprinzip beruht auf einer modifizierten Absorption durch vorhandene freie Ladungsträger, die durch einen kurzen Laserimpuls im Zeitraum ausgemessen wird. Während für Feldstärken von 220 kV/cm (blaue Linie) eine konstante Zahl von Ladungsträgern beobachtet wird, ist für ein Feld von 450 kV/cm (rote Linie) ein starker Anstieg der Ladungsträgerkonzentration innerhalb der ersten 10 bis 20 Pikosekunden sichtbar. Diese Ergebnisse sind besonders relevant für die Entwicklung moderner optoelektronischer Bauelemente.

Rein optische Generation ultraschneller Ströme in Silizium

Silizium ist das bei weitem bedeutendste Material der Elektronik. Die Integration optischer Funktionen in Silziumchips ist aber aufgrund der indirekten Bandlücke und der damit verbundenen schwachen Leuchtkraft erheblich erschwert. Insbesondere lassen sich Ladungen in Silizium nur mit Hilfe rein elektrischer Methoden wie dem Anlegen einer Spannung bewegen. Kürzlich konnten wir zeigen, dass die Verwendung der Kohärenzeigenschaften von Licht eine völlig neue optoelektronische Funktionalisierung von Silizium ermöglicht. Folgende Abbildung zeigt das experimentelle Schema, das die Erzeugung eines gerichteten elektrischen Stromes in Silizium mit rein optischen Methoden erlaubt [2]. Die Probe, ein Silizium-Kristall ohne angelegtes elektrisches Feld, wird gleichzeitig mit sehr kurzen Infrarotimpulsen der Wellenlängen 1550 nm und 775 nm beleuchtet. Es zeigt sich, dass bei dieser Anregung innerhalb von hundert Femtosekunden ein gerichteter Strom eingeschaltet wird. Die Richtung des Stromes ist dabei allein durch die relative Phasenlage der Lichtfelder bestimmt. Die Analyse des ultraschnellen Stromes in der Probe erfolgt über die Detektion der Ferninfrarot-Strahlung der beschleunigten Ladungsträger (siehe Abbildung), ein Prozess, der ähnlich zur Emission einer Röntgenröhre durch schnell abgebremste Elektronen verläuft („Bremsstrahlung“).

Elektromagnetische Emission eines Silizium-Kristalls: bei Anregung mit Femtosekunden- Lichtimpulsen der Wellenlängen 1550 nm sowie 775 nm für verschiedene relative Phasenlagen. Der rechte Teil des Bildes veranschaulicht das Prinzip der ultraschnellen Strominjektion. (Quelle: Bayerische Akademie der Wissenschaften)

Das physikalische Bild der Strominjektion lässt sich durch eine Analogie zu einem optischen Doppelspaltexperiment veranschaulichen: Wird Licht durch zwei eng benachbarte Spalte geschickt, so zeigen sich dahinter auf einem Schirm Interferenzstreifen, d.h. die Lichtintensität wird räumlich moduliert. Im vorliegenden Fall führt eine ähnliche Interferenz bevorzugt zu einer Generation von Ladungsträgern mit einer bestimmten Ausbreitungsrichtung [3]. Diese Ergebnisse deuten neuartige Möglichkeiten an, optische Funktionen in die bestehende Silizium-Technologie zu integrieren.

Zusammenfassung und Ausblick

Schließen möchte ich diesen Überblick mit einem Zitat des Nobelpreisträgers Richard Feynman über die Möglichkeiten, funktionale Strukturen quasi aus individuellen Atomen aufzubauen: „There is plenty of room at the bottom“. Die Weiterentwicklung der Nanotechnologie wird faszinierende Möglichkeiten eröffnen, neuartige elektronische Bauelemente zu schaffen. Die modernen Methoden der ultraschnellen Laserspektroskopie werden dabei ein wesentliches Analyseverfahren darstellen und neue Wege zu optoelektronischer Funktionalisierung aufzeigen.

Ich danke A. Laubereau, W. Kaiser, A. Leitenstorfer und H. M. Van Driel für die Unterstützung und die gewährte Freiheit. Darüber hinaus danke ich zahlreichen Studenten für ihre Beiträge zu den vorgestellten Arbeiten und C. Ruppert für die Hilfe bei der Erstellung dieses Artikels.

Diesen Beitrag haben wir aus der Zeitschrift Akademie Aktuell 01/2007 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften übernommen. Der Autor Dr. habil. Markus Betz ist Wissenschaftler an der TU München und an der University of Toronto. Er hat kürzlich seine Habilitation in Experimentalphysik an der Technischen Universität München abgeschlossen.

Literaturangaben

[1]

S. Trumm, M. Betz, et al., Appl. Phys. Lett. 88, 132113 (2006).

[2]

L. Costa, M. Betz, M. Spasenovic, A. D. Bristow und H. M. van Driel, eingereicht bei Nature Physics (2007).

[3]

R. Atanasov, et al., Phys. Rev. Lett. 76, 1703 (1996).

Arnold Sommerfeld-Preis für den Autoren diese Beitrags, Dr. habil. Markus Betz

Der Arnold Sommerfeld-Preis der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wird seit 1994 auf Vorschlag der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse für herausragende Forschungsleistungen verliehen. Er ist mit 4.000 Euro dotiert. Diesen Betrag stellt der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft aus zweckempfohlenen Mitteln der HypoVereinsbank zur Verfügung.

Arnold Sommerfeld (1868–1951): o. Professor für Physik an der Universität München, seit 1908 ao. und seit 1910 o. Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. (Quelle: Bayerische Akademie der Wissenschaften)

Mit dem Preis will die Akademie im Interesse der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses möglichst junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszeichnen. Vorschlagsberechtigt sind nur Mitglieder der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, eine Selbstbewerbung ist nicht möglich. Der Preis wird alljährlich im Rahmen der Feierlichen Jahressitzung der Akademie im Dezember verliehen.

Bisherige Träger des Arnold Sommerfeld-Preises

1994

Dr. Erwin Grill (Botanik)

1995

Dr. Ulrich Höfer (Physik)

1996

Dr. Ulrich Berger (Mathematik, Informatik)

1997

Prof. Dr. Christian Griesinger (Chemie, Physik)

1998

Dr. rer. silv. Dipl. Forstwirt Thomas Jung (Forstwissenschaften)

1999

PD Dr. rer. nat. Martin J. Müller (Pharmazie)

2000

Dr. rer. nat. Alfred Leitenstorfer (Physik)

2001

Prof. Dr. rer. nat. Kay Severin (Chemie)

2002

Prof. Dr. rer. nat. Frank Würthner (Chemie)

2003

PD Dr. Sabine Strahl (Botanik, Zellbiologie)

2004

PD Dr. Andreas Zumbusch (Biophysikalische Chemie)

2005

Dipl.-Biol. Dr. rer. nat. Johannes Herrmann (Zellbiologie) und PD Dr. rer. nat. Heinrich Schwoerer (Laserphysik)

2006

Dr. habil. Markus Betz (Nanotechnologie)