Neuronale Netze für die Geisteswissenschaften

Assoziative neuronale Netze

Computerbasierte neuronale Netze bilden wichtige Strukturmerkmale realer neuronaler Systeme, allen voran des menschlichen Gehirns, ab. Aufgebaut sind sie aus vereinfachten mathematischen Modellen für Neuronen, die mit anderen Modell-Neuronen nach dem Vorbild der Verbindung von Nervenzellen über Synapsen in Kontakt stehen. Im Beispiel des neuronalen Netzes, das zur Arbeit an Schelling verwendet wird, bilden die Einheiten des Textes – aus praktischen Gründen wurden die Seiten der Werkausgabe als Einheiten gewählt – die Modell-Neuronen, die über alle in ihnen enthaltenen Worte mit anderen Seiten verknüpft sind. Die Worte entsprechen also den Synapsen im Gehirn. Wird ein Neuron im Modell „aktiviert“, so verteilt sich diese Erregung nach Maßgabe der Stärke der Verknüpfungen an andere Neuronen weiter und aktiviert diese ebenfalls. Verfolgt man diese Aktivitätsausbreitung im Netz, so kann man Texteinheiten über Begriffe miteinander verbinden, nach dem Modell der Verbindung von Neuronen über aktivitätsvermittelnde Synapsen. Die so gewonnenen Verbindungen entsprechen im Modell den assoziativen Verknüpfungen zwischen Nervenzellen.

Eine wichtige Eigenschaft dieses mathematischen Modells des Assoziationsvermögens ist ein Informationsmaß, das auf dem Logarithmus relativer Worthäufigkeiten basiert. Dies erlaubt es, für eine Netzwerkstruktur – in diesem Fall für die Vernetzung von Begriffen und Dokumenten – subjektive, d. h. aus den jeweiligen Kontexten und nicht durch äußerlich vorgegebene Bedingungen bestimmte Information zu definieren [1], [2]. Die Verknüpfung zweier Begriffe wird in diesem Modell als eine plastische Synapse abgebildet, die mit jedem neuen Text, der in das System eingegeben wird, eine Veränderung erfährt. Es sind somit auch Projektionen auf ausgewählte Textbereiche möglich, die – ähnlich einem Kaleidoskop – neue Assoziationen aufzeigen. Dies erfolgt ohne externe Vorgaben oder Regeln; insbesondere ist kein manuell erstellter Thesaurus erforderlich. Auch große Datenmengen können so, unter völligem Verzicht auf einschränkende Vorannahmen, in einer Weise strukturiert werden, die den Frageinteressen der geisteswissenschaftlichen Forschung entgegenkommt.