Neuronale Netze für die Geisteswissenschaften

Klassische Editorik und innovative Informationstechnologie

Für die Philosophie Schellings stellen sich die eingangs genannten Fragen in besonderer Schärfe: So hat Schelling 1802/3 im Kritischen Journal der Philosophie eine ganze Reihe von Texten gemeinsam mit Hegel verfasst, ohne dass die Autorschaft für alle Texte nach dem Kriterium, ob diese eher zum sonstigen Werk Schellings oder zu dem Hegels passen, eindeutig festgestellt werden könnte; Schellings Philosophie scheint so viele Wandlungen durchzumachen, dass man ihn als „Proteus“ der Philosophie bezeichnet hat, was die Frage nach dem Ausmaß solcher Wandlungen und dem Grad des Zusammenhangs seines OEuvres in voller Schärfe akut werden lässt; eine Reihe zentraler Texte Schellings sind nur als nicht datierte Nachlasstexte verfügbar bzw. wurden von späteren Herausgebern in nicht kontrollierbarer Weise zu größeren Werkkomplexen zusammengefügt: Hier wäre es dringlich, über gut begründete Kriterien zur Ordnung dieses Textcorpus zu verfügen.

Zur Klärung solcher Fragen nutzt die Schelling-Kommission seit Ende 2006 im Rahmen eines von der Akademie geförderten Drittmittelprojekts mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung der Wissenschaften in Bayern, der an dieser Stelle ausdrücklich gedankt sei, eine innovative Computertechnologie: Zum Einsatz kommt eine Content Network Technology (CNT), die von der Dr. Holthausen GmbH in Bocholt entwickelt wurde und auf der Anwendung assoziativer neuronaler Netze beruht. Grundlage dieser Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ist der Versuch, die in anderen Bereichen, etwa für komplexe Suchaufgaben, gut erprobte CNT-Technologie für Fragestellungen der klassischen Editorik und Textinterpretation einzusetzen und damit in ein Forschungsszenario einzubinden, das aus einer langen Tradition heraus eigene hochdifferenzierte Methoden zum Umgang mit historisch überlieferten Texten entwickelt hat. Resultate der Computer-Analysen können damit in ihrer Relevanz unmittelbar kritisch bewertet werden, was für beide Seiten zu einer Vertiefung des Verständnisses der Möglichkeiten und Grenzen ihrer jeweiligen Verfahren führen kann.