Enterprise 2.0 und Social Software

Wie Social Media Unternehmen voranbringt

15.05.2013 von Robert Szilinski
Trotz aller potenziellen Vorteile von Social Software und Social Media verzichten noch immer viele Unternehmen darauf. Dabei könnten gerade auch kleine und mittlere Betriebe vom Konzept des Enterprise 2.0 profitieren.

Der Begriff Enterprise 2.0 ist wie alle Schlagworte vage und ungenau. Klar ist, dass er sich vom Begriff Web 2.0 ableitet und damit auf Social-Media-Ansätze abzielt wie Wikis, Blogs und soziale Netzwerke. Der Begriff suggeriert eine starke Veränderung in Unternehmen durch Technologien und Tools. Produktkategorien wie Social CRM, Social Intranet, Social Collaboration und Social Software stehen dafür, dass altbekannte Tools nun um Vernetzung und Austausch erweitert werden. Eng damit verknüpft ist auch eine neue Unternehmenskultur, geprägt von Transparenz, Dialogbereitschaft und flachen Hierarchien. Zu den oft genannten Zielen gehören die Bindung und Gewinnung von Kunden und Mitarbeitern. Es geht also darum, Social-Media-Ansätze intern zur Erhöhung der Produktivität anzuwenden und sowohl extern als auch intern für eine bessere Kommunikation zu nutzen. Davon können nicht nur Großunternehmen und Konzerne profitieren sondern auch kleine und mittelständische Firmen.

Soweit die Vision. Die Realität in deutschen Unternehmen heißt dagegen schlicht: E-Mail. Trotz aller Klagen über die E-Mail-Flut ist sie weiterhin als De-Facto-Standard für formelle Kommunikation gesetzt – und das nicht nur in der Kommunikation nach außen, sondern auch nach innen.

Enterprise 2.0 - Geringes Marktvolumen, aber hohes Wachstum

Belastbare Zahlen zur Verwendung von Enterprise-2.0-Technolgien sind rar: Studien des Analystenhauses Forrester sagten 2011 für den Gesamtmarkt der „Enterprise Collaboration Software“ eine jährliche Wachstumsrate von 61 Prozent bis 2016 voraus. Zu diesem Zeitpunkt werde ein Gesamtmarktvolumen von 6,4 Milliarden US-Dollar erreicht (Quelle: „Social Enterprise Apps Redefine Collaboration”. Forrester, Dezember 2011). Lynn-Kristin Thorenz, Director Research & Consulting, IDC, ging im gleichen Jahr für den deutschen Markt für Social Plattformen von einem noch geringen Marktvolumen, aber überproportionalem Wachstum aus.

Praktische Erfahrungen beim Consulting und in der Prozessoptimierung in mittleren und großen Unternehmen zeigen, dass sich kaum die Hälfte der Organisationen reif für Social Business fühlt. Die Akzeptanz des Enterprise 2.0 ist in Deutschland schleppend, die neue Technik oft nicht willkommen. Es gibt große Vorbehalte in den Organisationen gegen die kulturellen Veränderungen, die damit einhergehen, wenn jeder Berechtigte auf gleicher Augenhöhe an netzwerkartiger Kommunikation teilhaben kann. Die etablierten Strukturen und Denkweisen geraten in Gefahr. Vor allem auf dem C-Level und im Management herrscht Unsicherheit über mögliche Risiken, wenn Hierarchien auf diese Weise aufgebrochen werden.

Viele Manager scheuen die Verantwortung für einen Schwenk auf die neuen Kommunikationstechnologien. Sie haben Sorgen, ob sie die Bewegung, die damit in ein Unternehmen kommt, auch kontrollieren können. Andere haben die mit dem Begriff Enterprise 2.0 beschriebenen Themen noch überhaupt nicht auf der Agenda. Die Art, wie Digital Natives miteinander arbeiten und die entsprechenden Tools sind ihnen unbekannt. Wieder andere Führungskräfte übersehen den geschäftlichen Nutzen und verbinden Social Media eher mit Mitarbeitern, die Arbeitszeit auf Facebook verschwenden, statt an die Chancen zu denken, die eine stärkere Interaktion mit Kunden oder bessere Online-Rezensionen bedeuten könnten.

Laut einer nicht-repräsentativen Online-Umfrage unter Unternehmen der Branchen ITK und Neue Medien des Bitkom setzen 71 Prozent der befragten Unternehmen Social Software ein (Studie „Einsatz und Potenziale von Social Business für ITK-Unternehmen“, 2013). Diese Zahlen lassen sich jedoch nicht auf den Gesamtmarkt hochrechnen: ITK- und Digital-Branche gehören zu den Branchen mit der stärksten Social-Media-Affinität. Und zur Teilnahme dürften sich vor allem diejenigen berufen gefühlt haben, die sich für das Thema der Befragung interessieren. Bei den Interviewten, die laut der Bitkom-Studie bereits auf Social-Software-Lösungen setzen, dominieren klar Wikis und Intranets. Darauf folgen Blogs, Instant Messaging, DMS und Wissensdatenbanken. Weit abgeschlagen liegen die Tools, die wirklich geeignet wären, vernetzte Kommunikation in den Arbeitsalltag zu bringen: interne Social Networks, Social Software Suites und Collaborative Virtual Workspaces.

Atos, BASF und ABB profilieren sich mit Social Networks

Es gibt ein paar Leuchtturmprojekte von großen Firmen, die ihre interne Kommunikation auf die neuen Möglichkeiten einstellen: Atos will mit einem hauseigenen Social Network die interne E-Mail komplett abschaffen. BASF hat mit Connect ebenfalls ein internes soziales Netzwerk in Betrieb. Aktuell wird das von Microsofts gekaufte Social Network Yammer bei ABB eingeführt. Es entdecken also durchaus auch Konzerne das Thema für sich. Typisch und überhaupt nicht verwerflich ist dabei, dass sie es auch für die eigene Imagebildung nutzen, um sich bei Kunden und Mitarbeitern als modernes Unternehmen in Position zu bringen. Einem Bewerber sagt der Einsatz moderner Kommunikationstechnologien viel über die Offenheit eines Unternehmens. Dies gilt nur natürlich genauso für KMUs.

Für externe Maßnahmen nutzen vor allem die Abteilungen Marketing, PR/Kommunikation, HR oder Vertrieb öffentliche soziale Medien. Sie sprechen damit Kunden oder potenzielle Kunden sowie Bewerber an. Doch dies sind typischerweise nur eigene Accounts auf Facebook oder Twitter, also Maßnahmen die weit davon entfernt sind, ein Unternehmen zu transformieren. Sehr selten ist laut Bitkom-Studie eine solche Verknüpfung interner Prozesse mit Social-Web-Aktivitäten bei Produktentwicklung, Forschung & Entwicklung oder Service und Support, obwohl diese Bereiche ebenfalls vom Kontakt mit Kunden und Interessenten profitieren könnten.

Die Enterprise 2.0-Avantgarde: Kleine Unternehmen der Marketing- und Digitalbranche

Wer dachte, Enterprise 2.0 könnte auch nur annähernd so schnell prosperieren wie Social Media im Privatbereich, sieht sich also enttäuscht. Wie so oft kommt der Wandel schleichender und anders als erwartet. Es sind eher kleine Unternehmen, die die Avantgarde des Enterprise 2.0 ausmachen. Meist handelt es sich dabei um junge, dynamische Unternehmen mit einem IT-Hintergrund oder mit einer inhaltlichen Nähe zu Social Media, zum Beispiel in der Digitalwirtschaft und im Marketing. Einige Startups richten ihre Prozesse komplett auf Social Software aus. Denn es ist auch ein Generationenthema: Die viel zitierte Generation Y ist es gewohnt, über soziale Netzwerke zu kommunizieren. Dabei zeigt sich auch, dass der kulturelle Wandel der wichtigere und schwierigere ist als der technologische.

Tipps für das Enterprise 2.0
Unternehmensinterne Social-Media-Plattformen bringen Teamarbeit und Wissens-Management auf ein neues Niveau. So gelingt das Enterprise 2.0.
Klein und früh anfangen:
Wer schon zum Start den großen Wurf plant, wird ewig planen und wenig einführen.
Pilotprojekte in Social-Media-affinen Teams:
Geeignet sind insbesondere verteilte Gruppen mit viel Projektarbeit. Sie haben einen hohen Abstimmungsbedarf und sind zugänglich für neue Kommunikationsformen.
Multiplikatoren identifizieren:
Mitarbeiter, die andere Kollegen begeistern können, sind Gold wert. Das Social Business funktioniert nur mit einer kritischen Masse.
Portale sind besser als Einzellösungen:
Wenn sich Mitarbeiter für Wikis, Foren und soziale Netze getrennt anmelden müssen, verlieren sie schnell die Lust.
Arbeitsprozesse abbilden:
Wenn Abläufe wie Urlaubsübergabe und Dokumentenbearbeitung vom sozialen Netz unterstützt werden, erschließt sich den Mitarbeitern ein Nutzen. Das fördert die Akzeptanz.
Klarnamen vorschreiben:
Wer den Umgangston in öffentlichen Diskussionsforen im Internet kennt, wird ihn sich nicht im eigenen Unternehmen wünschen. Anonymität fördert Beleidigungen und Mobbing, Klarnamen schützen davor.
Guidelines formulieren:
Wenn Geschäftsabläufe abgebildet werden, sollte klar sein, wo welche Inhalte gepostet werden sollen und dürfen.
Betriebsrat einbinden:
Social Business schafft Transparenz im Unternehmen und sollte daher mit der Arbeitnehmervertretung abgesprochen werden.
Datenschutz beachten:
Soll sich das soziale Netz auf ausländische Niederlassungen erstrecken, müssen zuvor Datenschutzbestimmungen abgeklärt werden.

Vor allem jüngere Mitarbeiter haben heute veränderte Erwartungen an Kommunikation und Zusammenarbeit. Diese sind stark von den Möglichkeiten sozialer Netzwerke geprägt, die sie sowohl privat als auch beruflich nutzen. Top-Down-Kommunikation verliert gegenüber vernetzter Kommunikation an Reputation und Gewicht. Zusätzlich prägen Dezentralisierung und Mobilität die Zusammenarbeit in der heutigen Arbeitswelt. Beim Enterprise 2.0 verschwimmen die Grenzen zwischen Kunden, Interessenten und Auftraggebern. Diese Offenheit ist für Digital Natives eine Selbstverständlichkeit, für andere bedeutet es Kontrollverlust.

Es geht aber nicht nur um die Frage, welche Unternehmen Enterprise-2.0-Technologien nutzen, sondern auch darum: Wie viele Mitarbeiter nutzen sie? Hier zeigt die Praxis, dass die Nutzung sozialer Tools meistens in kleineren Teams oder allenfalls Abteilungen anfängt. Wenn eine Führungskraft die Vorbildrolle übernimmt, die aus vorangegangen Erfahrungen weiß, dass sie ihre Ziele mit vernetzter Kommunikation besser erreicht und die Tools selbst aktiv nutzt, stellt sich der Erfolg ein. Die Technologien sind somit zwar in Unternehmen angekommen, aber es handelt sich um Insellösungen oder punktuelle Maßnahmen, oft am eigenen Unternehmen und der eigenen IT vorbei. Kaum ein größeres Unternehmen nutzt sie heute bereits – entsprechend der anfangs dargestellten Vision – konsequent als Hebel, um Prozesse zu verbessern.

Wissensmanagement und Kommunikation mit Social Media-Software optimieren

Diejenigen Firmen aber, die Social Software probiert haben, sind in der Regel begeistert und weiten die Nutzung aus. Diese Beobachtung aus der Praxis schlägt sich auch in der Bitkom-Studie eindeutig nieder: 73 Prozent derjenigen, die Social Software im Einsatz haben, stellen ein besseres internes Wissensmanagement fest, 72 Prozent sehen einen positiven Effekt für die interne Kommunikation, 58 Prozent haben ihre Kommunikation zwischen Unternehmensstandorten verbessert. Auch das Projektmanagement haben 50 Prozent der Unternehmen verbessern können.

Der Markt für Social Software ist vielfältig. Etablierte IT Konzerne, wie Microsoft, Oracle, SAP oder IBM mischen mit oder kaufen zu. Unzählige Startups sind auf den Zug aufgesprungen. Der Funktionsumfang der meisten Enterprise Social Networks ähnelt sich sehr. Selbst bei steiler Marktentwicklung ist daher zu erwarten, dass nur ein Teil der heute verfügbaren Lösungen überleben wird. Der Markt könnte sich auf vier bis fünf universell einsetzbare Plattformen reduzieren, die wahrscheinlich in den Händen großer IT-Firmen sein werden, und wird ansonsten Platz bieten für standardbasierte Branchen- und Speziallösungen zum Beispiel mit Fokus auf Zeiterfassung oder Social Project Management.

Unternehmensfähige Enterprise 2.0-Lösungen: Rollen, Rechte und Standards

Es gibt heute unternehmensfähige Lösungen, die auf Industriestandards basieren, Datensicherheit bieten, ein ausgefeiltes Rollen- und Rechtekonzept haben und Compliance-Anforderungen genügen. Es gibt aber auch noch viel zu tun, um von Herstellerseite den Unternehmen das Enterprise 2.0 schmackhaft zu machen. Lernen müssen viele Hersteller, dass sie Lösungen auch on-premise verfügbar machen müssen, nicht nur in der Cloud, um in Deutschland Erfolg zu haben. Weitere Themen sind die Offline-Nutzung auf mobilen Geräten und die Vernetzung von Social Networks untereinander.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist ihre Integration mit Applikationen: ERP und CRM müssen mehr "Social"-Features bekommen, so wie es beispielsweise auch Oracle angekündigt hat. Mit dem Ziel eine optimale und fachübergreifende Kundenbetreuung zu erreichen, dient das Oracle Social Network künftig als Bindeglied zwischen den einzelnen Fusion Applications, um zum Beispiel Mitarbeiter aus Vertrieb und Vertragswesen besser miteinander zu vernetzen.

Teams wollen Effizienz durch Social Media steigern – zur Not mit öffentlichen Netzwerken

Es kann gut und gerne weitere zehn Jahre dauern, bis eine maßgebliche Zahl an mittleren und großen Unternehmen den Wandel vollzieht und die interne Organisation an Enterprise-2.0-Idealen ausrichtet. Die Veränderungen werden sich dennoch durchsetzen, denn Aspekte wie ein schnellerer Informationsfluss, ständiger Know-How-Transfer, höhere Innovationsfähigkeit und standortübergreifende Zusammenarbeit sind grundlegend für die weitere Unternehmensentwicklung.

Bereits heute organisieren sich viele Teams mit öffentlichen sozialen Netzwerken an der IT vorbei, um ihre Effizienz zu erhöhen. Laut Bitkom-Studie tun dies 53 Prozent – für IT- und Rechtsabteilung ein Albtraum. Über kurz oder lang wird sich daher professionell implementierte vernetzte Kommunikation durchsetzen. Der Nutzen einer Transformation in ein Social Business reicht von besserer interner Kommunikation, schnellerer Anpassung an Marktanforderungen, höherer Transparenz für Kunden, über die Einführung von Social Project Management und Wissensmanagement bis hin zur leichteren Rekrutierung von Nachwuchs. Das spricht sich herum und wird dafür sorgen, dass immer mehr Teams den Schritt zu mehr Enterprise 2.0 wagen und damit ihre Motivation und Produktivität erhöhen. Die Technologie ist da. Gefragt ist der Mut, eine neue Unternehmenskultur zu denken.

Klar ist aber: Ein Unternehmen wird nicht automatisch zu einem Enterprise 2.0, sobald eine Social Software zum Einsatz kommt. Vielmehr handelt es sich beim Schlagwort Enterprise 2.0 um einen gelebten Wandel der Unternehmenskultur hin zu einer selbstverantwortlichen Wissensgesellschaft innerhalb und außerhalb der eigenen Büroräume.