Für viele Projektverantwortliche bei großen IT-Vorhaben stellt das Thema Komplexität die primäre Herausforderung dar. Die Koordination der Prozesse, Mitarbeiter, Dienstleister und Marktpartner stellt hohe Anforderungen an Projektbeteiligte und Führungskräfte.
Häufig werden die Herausforderungen großer IT-Projekte unterschätzt und nicht konsequent adressiert. Beispiele hierfür sind etwa das Stocken der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, die Verzögerungen bei der Einführung des nationalen Mautsystems oder die Kosten des kanadischen Systems zur Registrierung von Feuerwaffen, welches im Jahr 1997 gestartet, bis 2004 bei nur 140 Millionen Dollar Umsatz bereits eine Milliarde Dollar kostete und noch nicht abgeschlossen war.
Dem gegenüber stehen zum Beispiel mit Amadeus, dem erfolgreichen Reisebuchungssystem in Deutschland mit mehr als 600.000 angeschlossenen Clients, auch Beispiele für Projekte, die mit der entstehenden Komplexität erfolgreich umgehen können.
Die fünf Einflussfaktoren
Wenn Großprojekte scheitern, kennen meist weder die Experten noch die Projektleitung oder das Topmanagement die Ursachen für die entstandene Komplexität. Deshalb sind sie auch außerstande, sie zu verringern oder im Idealfall von vornherein zu vermeiden.
Im Wesentlichen beeinflussen fünf Faktoren die Komplexität von Projekten. Um sie in den Griff zu bekommen, lassen sich die typischen Aufgaben des Projekt-Managements, also Zieldefinition, Aufgabenplanung, Zeit-/Ressourcenplanung und Steuerung, als Stellhebel nutzen.
1. Zu großer Umfang
Problem: Oft soll ein Projekt zu viel auf einmal erreichen. Beispielsweise sind Systemumstellungen als "Big Bang" geplant, und gleichzeitig werden die organisatorischen oder prozessualen Rahmenbedingungen geändert. Die daraus resultierenden Probleme zeichnen sich schon in der ersten Planung ab. Sie schlagen sich in einer langen Dauer des Gesamtprojekts und seiner einzelnen Phasen nieder. Mit zunehmender Projektdauer wird es dann immer schwerer, den Gesamtüberblick zu bewahren. Die Projektdokumentation legt an Umfang zu, gleichzeitig wird sie uneinheitlicher.
Hinzu kommt, dass im Lauf der Zeit Know-how-Träger das Projekt verlassen oder aus unterschiedlichen Gründen ausfallen. Auch das trägt nicht eben dazu bei, die Motivation der Mitarbeiter hoch zu halten. Zu allem Überfluss ändern sich naturgemäß auch die Rahmenbedingungen und der Zielzustand des Projekts umso häufiger, je länger es dauert. Der erfolgreiche Abschluss wird damit zum "Moving Target", dem beweglichen Ziel, das bekanntlich schwer zu treffen ist.
Lösungsansatz: Der zentrale Stellhebel, um diese Art von Komplexität zu vermeiden, liegt in einer Verringerung des Zielumfangs. Man muss der Versuchung widerstehen, zu viel auf einmal zu wollen. Die Erfahrung zeigt, dass es mehr Erfolg verspricht, Ziele sequenziell anzustreben als sie alle auf einmal erreichen zu wollen.
2. Zu viele Abhängigkeiten
Problem: Komplexe Systeme mit zahlreichen internen Abhängigkeiten lassen sich schwer in Teilsysteme zerlegen, denn Einzelaspekte können nur unter Berücksichtigung des Ganzen bearbeitet werden. Je stärker die Abhängigkeiten zwischen den Aufgabenpaketen, desto schwieriger eine verlässliche Zeitplanung.
Sind die Abhängigkeiten besonders stark ausgebildet, so liegen fast alle Aktivitäten des Projekts auf dem "kritischen Pfad". Das heißt, jeder Mitarbeiter und jedes Team wartet dann ständig auf die für seine Aufgabe notwendigen Vorarbeiten. Jede kleine Verschiebung führt unweigerlich zu einer Verschiebung aller nachfolgenden Aufgaben. Daraus ergibt sich ein "Stop-and-go"-Betrieb - und das ist eine für alle Beteiligten nervzehrende und demotivierende Situation.
Lösungsansatz: Werden die Aufgabengebiete den Teilprojekten nicht überschneidungsfrei zugeordnet, entsteht Abstimmungsaufwand zwischen den Teilprojekten. Vermeiden lässt er sich folglich durch einen weitgehend unabhängigen Zuschnitt der Teilprojekte. Dazu sind Erfahrung, politische Neutralität und Fachwissen notwendig. Im Projektverlauf ist es ratsam, offene Enden mit gebündelten Ressourcen abzuschließen, anstatt an allen Themen gleichzeitig zu arbeiten.
3. Zu hoher Abstimmungsaufwand
Problem: Je mehr Menschen in ein Projekt involviert sind, desto stärker wächst der Aufwand für Kommunikation und Abstimmung - und zwar überproportional. Nun hängt die Zahl der erforderlichen Mitarbeiter selbstverständlich davon ab, wie viele Aufgaben gleichzeitig bewältigt werden müssen und wie viele unterschiedliche Kompetenzen hierfür gebraucht werden.
Soll ein Projektziel in der halben Zeit erreicht werden, werden (bei sonst gleich bleibenden Rahmenbedingungen) doppelt so viele Mitarbeiter gebraucht, so zumindest die einfache Rechnung. Aber sie stimmt nicht ganz, denn der Abstimmungsaufwand zwischen den Mitarbeitern wird sich mehr als verdoppeln. Ganz zu schweigen davon, dass es schwierig ist, größere Teams von bereits eingespielten Mitarbeitern zusammenzustellen.
Lösungsansatz: Um die Zahl der eingesetzten Mitarbeiter so weit wie möglich einzuschränken, sollten sie alle möglichst in Vollzeit für das Projekt tätig sein. Ein Glücksfall ist es, wenn Experten in der Lage sind, gleich mehrere Kompetenzfelder zu überblicken. Das erspart immensen Kommunikationsaufwand. Zur Unterstützung der Projektleitung lassen sich Kommunikationsspezialisten einsetzen, deren Aufgabe es ist, für Transparenz, also reibungslosen Informations- und Meinungsaustausch, zu sorgen.
4. Schlecht eingebundenes Spezialwissen
Problem: Die Leitung eines Kostensenkungsprojekts hat üblicherweise keine Schwierigkeiten, die Erfolg versprechenden Maßnahmen in allen erforderlichen Details zu verstehen. Und ein Bauherr ist auch ohne Detailkenntnisse der einzelnen Gewerke durchaus in der Lage, den Projektfortschritt sowie eventuelle Baufehler zu erkennen und zu bewerten.
Anders sieht es in IT-Projekten oder ähnlichen techniknahen Vorhaben aus. Hier ist Spezialwissen vorab erforderlich. Das aber erschwert die Kommunikation zwischen dem Management, der Projektleitung und den Experten, die letztlich die Projektarbeit machen.
Lösungsansatz: Wenn Spezialwissen notwendig ist, muss es auch in der Projektleitung vorhanden sein; Methodenwissen allein reicht in diesem Fall nicht. Wird dieser Grundsatz nicht beherzigt, so fehlt dem Management und der Projektleitung bereits in der Konzeptionsphase das Detailwissen, um realistische Ziele zu formulieren sowie ein dementsprechendes Vorgehen zu planen. Und in der Umsetzung fällt es der Projektleitung schwer, Status oder Risiken zu bewerten sowie adäquate inhaltliche Entscheidungen zur Steuerung zu treffen.
5. Politische Komplexität
Problem: Sind die Stakeholder und Akteure eines Projekts von den angestrebten Zielen individuell betroffen, entsteht neben der oben beschriebenen fachlichen und inhaltlichen eine nicht zu unterschätzende politische Komplexität. Potenzielle Verlierer eines Projekts werden ihre Interessen nicht kampflos aufgeben.
Lösungsansatz: Sensibilität für mögliche Widerstände ist hier wieder einmal das A und O. Kein Mitarbeiter sollte gezwungen werden, gegen seine eigenen Interessen zu arbeiten. Eine systematische Stakeholder-Analyse gibt wertvolle Hinweise auf mögliche Widerstände - und darauf, wie sie zu vermeiden sind. Sinnvoll ist es, die Mitarbeiterinteressen schon bei der Zieldefinition zu berücksichtigen, die Projektmitarbeiter im Hinblick auf deren individuelle Interessen auszuwählen sowie im Zweifelsfall offen und gemeinsam nach Kompromissen zu suchen.
Fazit:
Mit zunehmender Komplexität steigen die Anforderungen an das Projekt-Management. Die Führungskräfte sollten sich also mit den Ursachen der Komplexität vertraut machen und die möglichen Stellhebel kennen, mit denen sich die Hindernisse umgehen oder verkleinern lassen. Es gibt durchaus Ansätze, mit denen auch komplexe Projekte steuerbar zu machen sind. (mec)