Steuern und Analysieren von Realtime-Abläufen

Echtzeitdaten für die Vollbremsung

Echtzeit ist relativ

Hier beginnt die zweite große Aufgabe auf dem Weg zu einer Echtzeitwirtschaft: die Vernetzung der Daten. Daran sind verschiedene Ebenen der IT- und Kommunikationsinfrastruktur beteiligt, wie Rüdiger Spies, Industry Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC), erläutert: "Wenn Prozesse in Echtzeit laufen sollen, muss auch die Übertragung der Daten in Echtzeit erfolgen. Dabei spielt die Entfernung zwischen Komponenten, die am laufenden Prozess beteiligt sind, immer noch eine wesentliche Rolle."

Ein weiterer Einflussfaktor sei die Art der Übertragung. Je nachdem, ob per Funk oder Kabel, unterscheiden sich die Verbindungen nicht nur in der Bandbreite, sondern auch in ihrer Ausfallsicherheit. Darüber hinaus gilt es zu beachten: Echtzeit ist nicht gleich Echtzeit. So gelten die bei einer Suchmaschinenanfrage üblichen Antwortzeiten von einer halben Sekunde den meis-ten Benutzern als Echtzeit, während dieser Begriff bei Mikrobohrungen in der Fertigung von Einspritzdüsen für Verbrennungsmotoren eine Spanne von wenigen Nano-sekunden bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund werden auch die Unterschiede in der Nutzung von Echtzeitanalysen durch Unternehmen verständlich, so Spies: "In der Fertigung fungiert die Echtzeitanalytik hauptsächlich als Werkzeug für die Überwachung der Prozesse. Anders in der Bank: Hier werden bereits heute Daten in Echtzeit auf Unregelmäßigkeiten hin analysiert, um potenziell missbräuchliche Nutzung von Kreditkarten zu unterbinden."

Was übrigens Daten "big" macht, ist nicht ihre Menge, sondern der Nutzen für den jeweiligen Prozess. So etwa im Straßenverkehr der Zukunft, wie Wolfgang Martin ihn sieht: "Da kommunizieren die Autos als intelligente Produkte untereinander und tauschen Informationen so aus, dass etwa beim Bremsen nachfolgende Autos automatisch mit abgebremst werden - ohne dass sich der Abstand verringert."

Ein weiteres Problem der Echtzeitwirtschaft besteht in der Menge unterschiedlicher Datentypen im Unternehmen. Insbesondere die Verknüpfung von strukturierten und unstrukturierten Daten spielt hier eine Rolle. Mit herkömmlicher Datenbanktechnik ist dies nicht zu bewerkstelligen - vielmehr ist dafür In-Memory-Technik erforderlich, die den Einsatz von 64-Bit-Prozessoren voraussetzt. In Anwendungsunternehmen gehört diese Technik noch nicht zum Standard.

Mit Industrie 4.0 vor dem Umbruch

In-Memory-Technik ist auch deshalb noch wenig verbreitet, weil viele Firmen vor der Anschaffung neuer Hardware alternativ über den Bezug von Infrastructure as a Service nachdenken. Aus Sicherheitsbedenken verzögern sie dann Investitionen, die sie auf dem Weg zum Realtime Enterprise voranbringen könnten.

Dieter Spath, seit 1. Oktober Vorstandsvorsitzender der Wittenstein AG, hatte als Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) die Chancen eines Realtime Enterprise so beschrieben: "Mit Industrie 4.0 stehen wir vor einem Umbruch: dem flächendeckenden Einzug von Informations- und Kommunikationstechnik sowie deren Vernetzung zu einem Internet der Dinge, Dienste und Daten.

Dies ermöglicht eine Echtzeitfähigkeit der Produktion." Autonome Objekte, mobile Kommunikation und Echtzeitsensorik würden neue Paradigmen der dezentralen Steuerung und Ad-hoc-Gestaltung von Prozessen erlauben. Spath: "Die Fähigkeit, schnell und flexibel auf Kundenanforderungen zu reagieren und hohe Variantenzahlen bei niedrigen Losgrößen wirtschaftlich zu produzieren, wird zunehmen und die Wettbewerbsfähigkeit weiter erhöhen." (mhr)