Zwitterwesen

16.10.1998
Bisher benötigte der Teilnehmer zwei Rufnummern und zwei Endgeräte, um sowohl in DECT- als auch in GSM-Netzen erreichbar zu sein. Mobiltelefone, die automatisch zwischen unterschiedlichen Netzmodi umschalten können, versprechen mehr Bedienungskomfort in der mobilen Telekommunikation.

Von: Jürgen Rogall

Die ständige Erreichbarkeit, die in einer zunehmend mobilen Gesellschaft nicht nur bei Geschäftsleuten, sondern auch bei Privatpersonen einen immer höheren Stellenwert einnimmt, ist bis heute nur mit einem gewissen Aufwand zu erzielen. So benötigt der mobile Nutzer in der Regel mindestens zwei verschiedene Endgeräte, die unterschiedliche Standards unterstützen: Es existieren zum einen im Heimbereich oder im Unternehmen DECT-Systeme, die einen schnurlosen Zugang zum Festnetz ermöglichen, zum anderen die Mobilfunknetze gemäß dem GSM-Standard, die mittlerweile fast weltweit Verbreitung gefunden haben. Zwei Endgeräte bedeuten auch, zwei Rufnummern zu besitzen - eine Festnetznummer und eine Mobilfunknummer. Ein Anrufer, der den derzeitigen Aufenthaltsort des Angerufenen nicht kennt, kommt also eventuell erst bei der zweiten Nummer zum Ziel. Eine Rufumleitung kann diese Problematik zwar entschärfen, ist aber oft nur unkomfortabel einzurichten und immer dann wirkungslos, wenn noch eine dritte Rufnummer, beispielsweise die Büronummer, hinzukommt. Dann müßte der Benutzer bei jedem Wechsel des Aufenthaltsortes die Rufumleitung neu programmieren. Um dies zu umgehen, benutzen viele Geschäftsleute nur noch ihr GSM-Handy - auch im Büro. Das führt dann dazu, daß interne Gespräche, die normalerweise über die DECT-TK-Anlage gebührenfrei geführt werden können, zu unnötigen Kosten führen.

Einen Ausweg aus dieser Problematik versprechen Dual-Mode-Telefone (Kombination eines DECT- und eines GSM-Handhelds), die in Kürze auf den Markt kommen werden. Diese Telefone bieten dem Kunden nicht nur ein kompaktes Handy für beide Standards, sondern sind in der Lage, automatisch stets das optimale System auszuwählen. Diese Funktionalität stellt ein Algorithmus sicher, der kontinuierlich die Empfangsverhältnisse auswertet und die Nutzeroptionen mit einfließen läßt.

Priorisiert der Nutzer die DECT-Betriebsart, um zum Beispiel den Festnetzzugang mit den - zumindest heute - geringeren Gesprächsgebühren zu nutzen, schaltet das Dual-Mode-Telefon automatisch in den DECT-Modus, sobald eine Basisstation mit ausreichender Empfangsqualität erkannt wird.

Darüber hinaus bieten Dual-Mode-Telefone eine Reihe weiterer Vorteile. Für den Besitzer eines solchen Gerätes erhöht sich im Vergleich zu einem reinen GSM-Nutzer die Wahrscheinlichkeit beträchtlich, für kommende und gehende Gespräche einen freien Funkkanal zu erhalten, wenn in sogenannten "Hot Spots", das heißt an Orten mit hoher Verkehrsdichte wie Flughäfen oder Messehallen, auch DECT-Basisstationen installiert sind. Dabei nutzt man die höhere Verkehrskapazität der DECT-Technologie gegenüber dem GSM-System aus. In Zukunft wird auch eine schnellere mobile Datenübertragung große Bedeutung erlangen. Dual-Mode-Telefone haben über ihre DECT-Komponente die Möglichkeit, Datenraten bis zu 552 kBit/s zu unterstützen.

Die Problematik der verschiedenen Rufnummern können die Dual-Mode-Telefone allein noch nicht lösen. Hier ist eine gewisse Intelligenz in den Netzen (Mobilfunk und Festnetz) notwendig, um die ankommenden Rufe direkt an die Rufnummer leiten können, unter denen der Teilnehmer aktuell erreichbar ist. Diese Intelligenten Netze (IN) sind bei mehreren Netzbetreibern bereits in der Erprobung beziehungsweise stehen kurz vor der kommerziellen Einführung.

Dual-Mode ohne IN-Technik

In den folgenden Abschnitten sollen einige Möglichkeiten für die Nutzung von Dual-Mode-Telefonen bei verschiedenen Netzausbaustufen vorgestellt werden.

Der erste Fall behandelt die "klassische" Anwendung von Dual-Mode-Telefonen: Hier sind die DECT-Basisstationen mit dem Festnetz verbunden, das noch nicht über eine intelligente Rufzustellung verfügt. Die DECT-Basisstationen können entweder Einzellensysteme für den Heimbereich beziehungsweise für kleine Büros sein oder Mehrzellensysteme zur Funkabdeckung von größeren Firmenarealen (siehe Bild 1). Die Systeme werden über ISDN oder eine analoge Anschaltung an das Festnetz gekoppelt. Da sowohl die DECT-Basisstationen als auch die Dual-Mode-Telefone konform zum GAP-Standard (Generic Access Profile) sind, lassen sich die Basisdienste (Verbindungsaufbau, -abbau et cetera) auch zwischen Komponenten verschiedener Hersteller realisieren.

Der Vorteil besteht für den Dual-Mode-Benutzer bei dieser Variante darin, daß er sowohl auf Reisen als auch zu Hause oder im Büro nur ein Handy benötigt. Das Dual-Mode-Telefon erkennt, welches Netz zur Zeit verfügbar ist und schaltet den entsprechenden Modus selbständig ein. Die Erreichbarkeit unter einer Rufnummer ist hier allerdings nur über das Einrichten einer bedingten Rufumleitung (Call Forwarding) möglich. Hier bieten sich zwei Alternativen an:

Zum einen kann man im GSM-Netz ein "Call Forwarding on not Reachable" einrichten. Das Rufumleitungsziel ist dann die Festnetzrufnummer der entsprechenden DECT-Basisstation. Die Alternative ist die Einrichtung eines "Call Forwarding on no Reply" im Festnetz. Hier entstehen allerdings lange Reaktionszeiten, bis der Anruf weitergeleitet ist (typisch sind 20 bis 30 Sekunden), da zunächst der Ruf an die Festnetznummer geleitet wird und der Benutzer die Chance hat, den Ruf dort entgegenzunehmen.

Im zweiten Fall ist eine Verbesserung der Prozedur möglich, wenn die Basisstation ein sogenanntes "Periodic Location Registration" unterstützt. Hierbei überprüft die Basis periodisch, ob sich das Dual-Mode-Handy im Versorgungsbereich befindet. Mit dieser Information kann die Anlage dann automatisch ein Call Forwarding im Festnetz einrichten. Verläßt zum Beispiel das Dual-Mode-Gerät den Versorgungsbereich einer DECT-Station, so wird die Rufumleitung aktiviert. Im anderen Fall meldet sich das Handy an der Basisstation an und desaktiviert automatisch die Rufumleitung. In Verbindung mit einer "intelligenten" DECT-Basisstation ist also bei der Verwendung eines Dual-Mode-Handhelds die Erreichbarkeit unter einer Rufnummer realisierbar.

Allerdings verursachen Rufumleitungen immer Kosten für den Angerufenen. Auch wenn mehr als zwei Festnetzstandorte - zum Beispiel der Heim- und der Büroanschluß - in das Erreichbarkeitsszenario eingeschlossen werden sollen, ist dieses nur mit einem sehr aufwendigen und unbequemen Verfahren möglich. Es bedeutet vor allem einen hohen Signalisierungsaufwand im Festnetz.

Einen Ausweg aus dieser Problematik zeigen die sogenannten Intelligenten Netze (siehe Bild 2). Dort wird eine Mobilität des Endgeräts wie in Mobilfunksystemen angeboten. Dafür wurde der Begriff "Cordless Terminal Mobility" (CTM) geprägt. CTM beinhaltet Mobilitätselemente wie das An- und Abmelden der Endgeräte im Netz, um dem Netz den aktuellen Aufenthaltsort bekanntzumachen. Dazu müssen die DECT-Basisstationen bestimmte Protokolle auf der Netzschnittstelle unterstützen. Im ISDN-Bereich wird zur Zeit eine Erweiterung des DSS1-Protokolls zur Realisierung der Mobilitätsfunktionen standardisiert, während im analogen Netz die relevanten Informationen per DTMF-Signalisierung (Tonwahlverfahren) übertragen werden müssen. Diese Variante ist allerdings nicht standardisiert, so daß hier die Implementation vom Netzbetreiber abhängig ist.

Der Nutzer selbst braucht nicht mehr selber aktiv werden, um seinen Aufenthaltsort bekanntzumachen. Er ist in mehreren DECT-Bereichen, auch in öffentlichen DECT-Inseln, unter seiner eigenen Telefonnummer erreichbar. Die Rufnummer dieser zusammenhängenden DECT-Versorgungsbereiche muß dem Kunden also gar nicht bekannt sein. Sollte sich der Dual-Mode-Nutzer in keiner DECT-Insel aufhalten, so richtet der SCP (Service Control Point) als Rufweiterleitungsziel das Standardziel ein, in diesem Fall die GSM-Rufnummer des Kunden. Damit ist er auch unterwegs unter einer einzigen Rufnummer erreichbar. Diese Technik wurde in Feldtests bereits erfolgreich erprobt und läßt sich voraussichtlich ab Ende 1998 kommerziell einsetzen (siehe Kasten "DECT-Pilot Berlin").

Diensteintegration geplant

In diesem Jahr wird der Dual-Mode-Standard vom europäischen Standardisierungsinstitut ETSI verabschiedet, so daß die ersten kommerziellen Geräte noch in diesem Jahr auf den Markt kommen. Die Technik der Dual-Mode-Geräte ist bereits in der Vergangenheit von Firmen wie der Hagenuk Telecom GmbH und der schwedischen Ericsson AG erprobt worden. Dabei konnten vor allem die Parameter für die automatische Modeauswahl sowohl zur Zufriedenheit des Benutzers als auch des Netzbetreibers optimiert werden. Marktforschungsinstitute schätzen, daß bis zum Jahr 2001 circa 10 Prozent aller GSM-Geräte Dual-Mode-Systeme sein werden. Dabei handelt es sich um eine Größenordnung von rund sechs Millionen Einheiten.

Für die weitere Zukunft erwartet man neben der Integration auf Chipebene auch eine Diensteintegration. So ist dann zum Beispiel auch im DECT-Modus der Empfang von SMS-Nachrichten möglich, vorausgesetzt, die Netze unterstützen diesen Service. Einen weiteren Schwerpunkt in der zukünftigen Entwicklung bildet der Übergang vom Dual-Mode-Telefon zum Multi-Mode-Telefon. Darunter versteht man zum Beispiel eine Kombination aus GSM900, GSM1800 und DECT. Dieses Handheld erlaubt dem Benutzer eine noch größere Flexibilität bezüglich der Netzauswahl, was wiederum zu einer Kostenersparnis und einer höheren Dienstequalität führt. Das vorläufige Ende dieser Entwicklung zeichnet sich in der Einführung von UMTS ab, dem universellen mobilen Telekommunikationssystem. Da neben der UMTS-Luftschnittstelle auch die existierenden Techniken wie GSM und DECT weiter in Betrieb sein werden, müssen die Endgeräte sehr flexibel sein und eine Vielzahl von unterschiedlichen Luftschnittstellen unterstützen. Es ist allerdings frühestens im Jahr 2002/2003 mit einer kommerziellen Einführung von UMTS zu rechnen. Die jetzt verfügbaren Dual-Mode-Telefone bilden dabei den ersten Schritt zur Verwirklichung des Ziels "eine Person, eine Nummer, ein Telefon".

(gob)

Jürgen Rogall

war nach Abschluß seines Studiums der Elektrotechnik - Schwerpunkt Nachrichtentechnik - von 1990 bis 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rundfunk- und Fernsehtechnik BUGH Wuppertal. Anschließend kam er zu Hagenuk Telecom, Kiel, wo

er in der Abteilung Vorentwicklung unter anderem auch an der Spezifikation und Realisierung eines Dual-Mode-Prototypen arbeitet.