Zwei Standards kämpfen um die Krone

03.05.2002
Mit IEEE 802.11g wird Anfang kommenden Jahres ein weiterer Standard für Wireless LANs auf den Plan treten. Er stellt ebenso wie 802.11a Bruttodatenraten von bis zu 54 MBit/s bereit, arbeitet jedoch nicht im 5-GHz-Frequenzband, sondern im Bereich 2,4 GHz. Noch offen ist, welche Norm das Rennen macht.

Von: Bernd Reder

Funkgestützte lokale Netze, die auf dem Standard 802.11b des Institute of Electrical and Electronis Engineers (IEEE) beruhen, stellen Bruttodatenraten von maximal 11 MBit/s zur Verfügung. Wer höhere Geschwindigkeiten benötigt, war bislang auf herstellerspezifische Systeme angewiesen, etwa die von Proxim. Der Nachteil: In einem solchen Wireless LAN dürfen nur Komponenten desselben Herstellers zum Einsatz kommen. Mit IEEE 802.11a haben die Mitglieder des Normierungsgremiums eine Technik entwickelt, die bis zu 54 MBit/s bereitstellt. Dieses WLAN nutzt das 5-GHz-Frequenzband, während 802.11b im Bereich 2,4 GHz arbeitet.

Einen einfacheren Migrationspfad zu schnellen Funknetzen will IEEE 802.11g eröffnen. Im Juli 2000 formierte sich innerhalb des IEEE-802.11-Gremiums die Task Group G, die bis Anfang 2003 eine Spezifikation erarbeiten will. Sie sieht ebenfalls Datenraten bis 54 MBit/s vor; in der Praxis dürften etwa 25 bis 30 MBit/s erzielt werden. Der wichtigste Unterschied zu 802.11a besteht darin, dass die g-Version - ebenso wie IEEE 802.11b - auf das so genannte ISM-Band (Industrial, Scientific, Medical) zurückgreift. In den meisten Ländern ist es frei verfügbar, so auch in Deutschland.

Ein Streitpunkt bei IEEE 802.11g war das Verfahren, mit dem die Signale kodiert werden. Texas Instruments, ein Hersteller von Halbleiterbausteinen, schlug PBCC-22 vor (Packet Binary Convolutional Code), das Datenraten von 22 und 33 MBit/s unterstützt. Konkurrent Intersil setzte auf CCK-OFDM (Complementary Code Keying - Orthogonal Frequency Division Multiplexing). OFDM ist ein Modulationsverfahren, das auch bei 802.11a Verwendung findet. Es unterstützt mehrere Trägerfrequenzen und erlaubt Übertragungsraten bis 54 MBit/s. Inzwischen haben sich die Mitglieder der Task Group auf einen Kompromiss verständigt. Im aktuellen Normentwurf (Draft) von IEEE 802.11g ist OFDM als Standardverfahren festgelegt; CCK-OFDM und PBCC-22 werden zusätzlich unterstützt.

Bis 54 MBit/s über 100 Meter

Der Normentwurf sieht vor, dass die Rohdatenrate von 54 MBit/s über Entfernungen von bis zu 100 Metern zur Verfügung stehen soll. Dies entspricht in etwa den Werten, die auch für 802.11a und Dual-Band-Netze mit 802.11a/b-Komponenten gelten. Die Signale beanspruchen bei 802.11g eine Bandbreite von etwa 30 MHz. Damit ist die Zahl der Access Points, die sich überlappen dürfen, wie bei 802.11b auf maximal drei beschränkt. Das heißt, den Anwender erwarten bei der Zuteilung von Kanälen bei "g" ähnliche Schwierigkeiten wie bei "b", wenn ein WLAN eine große Fläche abdeckt und viele User angemeldet sind. Ein Ausweg besteht darin, die Sendeleistung der Access Points herunterzusetzen, was wiederum bedeutet, dass pro WLAN mehrere dieser Zugangspunkte notwendig sind. Der Anwender wird somit in den meisten Fällen nicht umhin kommen, ein vorhandenes 802.11b-Funknetz umzustrukturieren, will er 802.11g einsetzen.

Als einen der größten Vorteile von 802.11g führen dessen Fürsprecher ins Feld, dass die Technik im Gegensatz zum 802.11a-Standard "rückwärtskompatibel" ist. Komponenten für Funk-LANs auf Basis von 802.11b sollen sich auch in 802.11g-Netzen einsetzen lassen. Dafür spricht, dass beide Techniken denselben Frequenzbereich von 2,4 GHz verwenden. Allerdings arbeiten beide Techniken, wie bereits erwähnt, mit unterschiedlichen Modulationsverfahren. Deshalb sind Protokolle notwendig, die das "Umschalten" zwischen Complementary Code Keying und OFDM sowie gegebenenfalls PBCC regeln. So müssen beispielsweise Verfahren definiert werden, mit deren Hilfe die Protokolle identifiziert werden können.

Ein weiteres Plus von 802.11g ist nach Ansicht der Task Group, dass der Frequenzbereich von 2,4 GHz kommerziell weitgehend frei nutzbar ist. Bei 5 GHz ist das nicht der Fall, weil diesen Bereich unter anderem Radargeräte des Militärs und Satellitenübertragungssysteme nutzen. Ein weiterer "Störfaktor" bei 802.11a ist, dass mit Hiperlan 2 ein europäischer Wireless-LAN-Standard vorliegt, der ebenfalls das 5-GHz-Band verwendet. Derzeit arbeiten das IEEE und das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) an einer einheitlichen Version beider Normen. Sie dürfte bis Ende des Jahres vorliegen. Dennoch zeigten Hersteller wie Proxim auf der CeBIT bereits erste 801.11a-Produkte.

Doch auch beim 2,4-Gigahertz-Band lauern technische "Falltüren". Eben weil es frei verfügbar ist, verwenden viele Geräte dieses Frequenzfenster, etwa Mikrowellenherde, schnurlose Telefone oder die Kurzstrecken-Funktechnik Bluetooth. Somit besteht die Gefahr, dass es zu Interferenzen zwischen Wireless LANs und diesen Systemen kommt. Noch nicht untersucht wurde zudem, wie sich die OFDM-Modulation und die hohe Sendeleistung von 802.11g-Systemen auf 802.11b-WLAN-Komponenten in diesem "dicht bevölkerten" Frequenzband auswirken. Fachleute gehen davon aus, dass zumindest Leistungseinbußen in 802.11b-Netzen zu erwarten sind.

Eine weitere Aufgabe für die 802.11g-Task-Group besteht darin, die Auswirkungen der Technik auf die Media-Access-Controller von 802.11-Netzen zu untersuchen. Das gilt vor allem für die MAC-Erweiterungen, die gegenwärtig unter der Bezeichnung 802.11e entwickelt werden und in Funk-LANs Quality-of-Service-Funktionen zur Verfügung stellen sollen. Unklar ist insbesondere, wie sich eine garantierte Dienstgüte über 802.11g-Access-Points bereitstellen lässt, die mehrere Modulationsverfahren unterstützen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass beim Umschalten zwischen diesen Verfahren Verzögerungen auftreten, die für zeitkritische Übertragungen nicht akzeptabel sind.

Anwender in der Zwickmühle

Für Anwender und Hersteller von WLANs stellt sich nun die Frage, auf welche "schnelle" Technik sie setzen sollen: 802.11a oder 802.11g. Mehrere Wireless-LAN-Anbieter bieten mittlerweile Gateways und Access Points an, die sowohl das herkömmliche 802.11b als auch 802.11a unterstützen - oder sich zumindest auf die 54-MBit/s-Technik umstellen lassen. Noch einen Schritt weiter geht Cisco Systems: Die Firma will Produkte für alle drei Verfahren anbieten. Zusammen mit dem Halbleiter-Spezialisten Intersil kündigte Cisco Ende März ein Referenzmodell für Funk-LANs nach IEEE 802.11g an. Auch Texas Instruments hat bereits Chips entwickelt.

Angesichts dieser Situation gibt es für den Anwender keinen Königsweg, vor allem für User in Europa. Auf der sicheren Seite ist, wer, zumindest vorläufig, auf WLANs gemäß 802.11b setzt. Wer bereits über eine große installierte Basis von 802.11b-Komponenten verfügt und nun höhere Datenraten benötigt, kann entweder auf herstellerspezifische Lösungen zurückgreifen, oder er muss warten, bis sich die Fronten geklärt haben und feststeht, ob nun 802.11a oder g das Rennen macht. Nötigenfalls sollte er bei seinem Systemlieferanten nachfragen, ob der im Zweifelsfalle vorhandene Geräte gegen standardkonforme Komponenten austauschen kann.