Linux Grundlagen

Zorin-OS 9: Das kann der irische Ubuntu-Ableger

26.03.2015 von Hermann Apfelböck
Auf der Suche nach umsteigerfreundlichen Linux-Distributionen trifft man neuerdings häufiger auf das bislang kaum bekannte Zorin-OS. Wir haben uns angesehen, ob das System als ernste Alternative zu Ubuntu oder Linux Mint taugt.

Das System aus dem irischen Dublin will Windows-Anwender für sich gewinnen und lässt sich am Desktop einiges einfallen, um ein Windows-ähnliches Benutzererlebnis anzubieten. Neben einer sorgfältigen bis detailverliebten Kombination von Desktop-Komponenten, die im Prinzip allgemein für Gnome- oder KDE-Oberflächen verfügbar sind, gibt es auch ergänzende Eigenentwicklungen. Trotz allem bleibt die unverkennbare Basis ein Ubuntu 14.04 LTS mit bewährtem Installer, Ubuntu Software Center und typischer Gnome-Software wie der Systemüberwachung (gnomesystem-monitor), den Systemeinstellungen (unity-control-center) oder dem Terminal (gnome-terminal).

„Core“-Edition und der Vorwurf der Abzocke

Mit dem Fokus auf „Oberflächliches“ muss sich Zorin-OS Kritik gefallen lassen, zumal es unter http://zorin-os.com („Get it“) eine Option „Premium“ gibt, worunter dann „Ultimate“- und „Business“-Editionen für knapp zehn Euro angeboten werden.

Das hat der Distribution einen „Abzocker“-Vorwurf eingebracht, denn diese Premium-Editionen bringen kaum zusätzliche exklusive Eigenentwicklungen mit („Zorin Background Plus“) und unterscheiden sich sonst nur durch zusätzliche Software-Pakete, die sich jeder kompetente Nutzer auch selbst zusammensuchen kann. Da es aber auch die Option „Free“ gibt mit den Varianten „Core“, „Lite“ und „Educational“, ist es die freie Entscheidung des Nutzers, für Zorin zu bezahlen oder eben nicht. Außerdem raten die Zorin-Entwickler ausdrücklich, erst mit der kostenlosen „Core“-Edition die Kompatibilität des Rechners zu testen, bevor man für eine Premium-Edition tatsächlich Geld ausgibt.

Dieser Beitrag bezieht sich auf das kostenlose Zorin-OS 9 „Core“. Die „Lite“-Version mit LXDE-Desktop ist nicht annähernd so attraktiv, und Attraktivität ist nun mal ein wesentlicher Aspekt bei Zorin. Wer für schwächere Hardware ein „Lite“-System sucht, ist mit einer offiziellen Ubuntu-Variante wie Xubuntu oder Lubuntu besser beraten. Die kostenlosen Varianten finden Sie unter http://zorin-os.com/free.html. Der Download der „Core“-Edition umfasst 1,3 bis 1,4 GB (32 und 64 Bit).

Benutzung – Bedienung – Anpassung

Das Live-System startet erst gar nicht auf den Desktop, sondern bietet sofort den Install-Dialog, den Sie aber mit „Try Zorin“ (oder nach Umstellung auf Deutsch „Zorin ausprobieren“) auch übergehen können, um erst das System zu begutachten. Das Setup erfolgt mit Ubuntus Ubiquity-Installer und verläuft identisch mit einer Ubuntu-Installation. Das installierte Zorin bietet beim Start einen schick angepassten Grub-2-Startbildschirm, der schon beim Booten andeutet, dass hier nicht an Farbe gespart wird.

Wesentliches Element am Desktop ist das Dock am unteren Bildschirmrand, das sich auch oben anbringen lässt, rechts und links nur theoretisch, weil sich das wichtige Indicator-3-Applet mit Sitzungsmenü, Netzwerk, Lautstärke nur horizontal sinnvoll nutzen lässt. Bei diesem Dock handelt es sich um den Avant Window Navigator (AWN): Es vereint Taskleiste und pinnbare Favoriten ähnlich wie Windows 7, zeigt die Indikatoren vergleichbar mit dem Windows-Systray, bietet ein Programmmenü und weitere optionale Applets wie einen Desktop-Switcher. Die Anpassung von AWN erfolgt durch das Tool awn-settings, das am einfachsten durch Rechtsklick auf das Startmenü und „Dock Preferences“ geladen wird. Unter „Applets“ können Sie Plug-ins per Drag & Drop nach unten in die Zeile „Aktive Applets“ ziehen, die dann sofort an der betreffenden Stelle im Dock erscheinen. Umgekehrt ziehen Sie unnötige Applets mit der Maus einfach aus den „Aktiven Applets“ heraus.

Zorin-Menü: Der Nutzer kann für das zentrale Dock diverse Menüs wählen. Das Zorin-Menü orientiert sich an Windows 7.

Ein wichtiges Standard-Plug-in nennt sich Dockbar X, das als Taskleiste ähnliche Effekte bietet wie jene von Windows 7 – mit Aero-mäßiger Thumbnail-Vorschau laufender Tasks. Als Startmenü gibt es unter den „Applets“ einige Auswahl. Ganz klar am nächsten bei Windows ist hier das Zorin-Menü mit Programmkategorien, den wichtigsten Medienordnern (Dokumente, Musik etc.), dem Kontrollzentrum („Systemsteuerung“) und einer Instant-Search zur Programmsuche. Optik und Animationen zeugen von Liebe zum Detail: Selbst die Standardbilder für Benutzerkonten sind jenen von Windows nachempfunden. Und während Windows 8 den 3D-Taskswitcher mit der Tastenkombination Super-Tab (Win-Tab) abgeschafft hat, ist er hier wieder vertreten.

Der Compiz-Fenstermanager erlaubt über das bekannte Tool CCSM (Compizconfig-Settings Manager) zahlreiche weitere Animationseffekte und Fenstereinstellungen wie etwa das Einrasten von Fenstern, die an den Bildschirmrand gezogen werden.

Hardware-Voraussetzungen und Leistung

Für Zorin-OS 9 „Core“ mit angepasstem Gnome-Desktop 3.10.4 nennen die Entwickler als Mindestvoraussetzungen: Ein-GHz-CPU, 512 MB RAM, fünf GB auf Festplatte. Das 64-Bit-System, das übrigens auch EFI-Firmware unterstützt, nimmt sich aber ab Start etwa 460 MB RAM, so dass hier ein GB, besser zwei GB als realistischere Voraussetzung gelten dürfen. Der Speicherbedarf liegt damit in etwa bei jenem eines Standard-Ubuntu, während etwa ein Linux Mint mit 320 MB deutlich sparsamer ist. Die Bootzeiten von Zorin-OS sind nicht überragend, aber etwas schneller als bei Ubuntu 14.04 und Linux Mint 17. Das System arbeitet trotz mancher verspielter, aber insgesamt wohldosierter Animationen jederzeit reaktionsschnell und produziert keine unnötige CPU-Last.

Software und Eigenentwicklungen

Zorin bringt drei eigene Werkzeuge mit, die Sie im Menü unter „Systemwerkzeuge“ sowie „Internet“ finden: Der „Zorin Web Browser Manager“ unter „Internet“ installiert mit einem Klick den gewünschten Browser nach. Vorinstalliert ist Firefox mit Flash, nachinstallierbar sind Chrome, Opera und Midori.

Der „Zorin Look Changer“ wechselt in der laufenden Sitzung zwischen den drei verschiedenen Themes „Windows 7“, „Windows XP“ und „Gnome 2“. Es empfiehlt sich, diese Entscheidung vor einer Anpassung des AWN-Docks zu treffen, da eine Theme-Umstellung das Dock wieder auf Standardeinstellungen zurücksetzt.

Der „Zorin Theme Changer“ bietet die Farbschemata „Light“ (hell), „Blue“ und „Dark“, wobei „Blue“ und „Dark“ mehr oder weniger identisch ausfallen.

Schon beim Booten wird’s bunt: Zorin-OS hat sich die Mühe gemacht, dem Bootloader ein freundliches Outfit zu verpassen.

Die Software-Ausstattung ist üppig und bringt unter anderem mit Libre Office, Empathy, Firefox, Thunderbird, Gimp, Shotwell, Gnome-Screenshot, Brasero, Openshot, Rhythmbox die üblichen Kandidaten mit. Als Dateimanager arbeitet Nautilus. Wine und sein Frontend Playonlinux sind ebenfalls Standard.

Das „Kontrollzentrum“ entspricht nahezu vollständig den Systemeinstellungen von Ubuntu. Lediglich das Tool Gufw zur „Firewall-Konfiguration“ ist hier zusätzlich an Bord.

Fazit: Ubuntu bleibt Ubuntu

Über das Bemühen, einem Linux einen Windows-Look zu verpassen, kann man geteilter Meinung sein. Sobald der Windows-Umsteiger den Dateimanager oder das Kontrollzentrum braucht, hat er ein Linux-Dateisystem statt Laufwerkbuchstaben und reduzierte Systemeinstellungen statt einer ausufernden Systemsteuerung vor sich. Insofern bleibt Zorin-OS „oberflächlich“. Es ist kein Windows-ähnliches Linux, sondern ein ansehnliches Ubuntu mit gelungenem Bedienkonzept: Es ist anpassungsfähiger als das Ubuntu-Original und deutlich frischer als das konservative Linux Mint.