First Look

Windows Phone 7 - Der erste Eindruck

04.08.2010 von Manfred Bremmer
Nur ein Android-Klon mit iPhone-Elementen oder etwas ganz Neues? Die Kollegen von Computerwoche hatten die Möglichkeit, sich einen tieferen Eindruck von Microsofts neuem Mobile-Betriebssystem zu verschaffen.

Windows Phone 7 hat seit der Vorstellung auf dem Mobile World Congress im Februar nicht gerade das beste Feedback erhalten. Kein Wunder: Bei der Bekanntgabe der wichtigsten Details beziehungsweise dem Fehlen einzelner Funktionen kamen sofort Vergleiche mit dem ersten iPhone-Modell und dem langen Weg von Apples Smartphone auf: kein Multitasking für Fremdanwendungen, kein Speicherkarteneinschub, kein Copy & Paste, Softwareverteilung ausschließlich über das App-Store-Pendant "Windows Marketplace for Mobile".

Höchste Zeit für Verstärkung: Windows Mobile hatte im 1. Quartal 2010 noch einen Marktanteil von 6,8 Prozent. Im 3. Quartal 2007 schaffte es Microsoft noch auf 12,8 Prozent.

Kritiker monierten, Microsoft habe sich bei seinem Fokus auf Endkundenfreundlichkeit stark an Apple und Google angelehnt und radikal die von Business-Nutzern geschätzten Eigenschaften von Windows Mobile über Bord geworfen. Nicht erst seit dem missglückten Markteintritt der für Jugendliche gedachten Kin-Handys sind daher die Befürchtungen groß, dass Microsoft auch Windows Phone 7 an seinen Kunden vorbei entwickelt hat. Knapp zwei Monate nach dem US-Verkaufsstart war Microsofts Handy-Experiment Kin bereits wieder am Ende. Der Konzern will nach eigenen Angaben das Kin-Team mit seinem Windows-Phone-7-Team zusammenführen. Somit sollen Ideen und Technologien aus Kin in zukünftige Windows-Phone-Releases einfließen.

Windows Phone 7
Windows Phone 7
Nachdem die mitunter äußerst lahme Performance am Ruf von Windows Mobile knabberte, macht Microsoft nun klare Vorgaben was CPU und andere Innereien betrifft.
Windows Phone 7
Eines der Devices, das die hohen Ansprüche erfüllt, ist das auf dem MWC präsentierte "Panther" von LG.
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Auf der Entwicklerkonferenz MIX10 zeigte Microsoft außerdem das "Slate Device" von Samsung.
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Das Konzept von Windows Phone 7 Series basiert auf thematischen Schwerpunkten (Hubs). Dazu zählt der People Hub...
Windows Phone 7
... das Pictures Hub...
Windows Phone 7
...das Music + Video-Hub...
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...sowie das Office-Hub.
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Für das neue Betriebssystem soll auch der Windows Marketplace for Mobile aufpoliert werden...
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So kann der Hintergrund zu Werbezwecken an eine App angepasst, hier demonstriert am Restaurant-Führer Urbanspoon.
Windows Phone 7
Erste Zusatz-App für Windows Phone 7 Series ist der Twitter-Client Twikini von Mist Labs. Gründer und Chef der Company ist ein ehemaliger Mitarbeiter von Microsoft.

Um solche Zweifel zu beseitigen, ist der Softwareriese derzeit bemüht, Entwicklern und Pressevertretern einen tieferen Eindruck von dem fast fertigen Betriebssystem zu geben. Computerwoche hatte im Rahmen eines Technological Preview die Gelegenheit, Windows Phone 7 genauer unter die Lupe zu nehmen. Greg Sullivan, Lead Product Manager von Microsofts Windows Unit, kam nach München, um das Betriebssystem auf einem Samsung i8910 ähnlichen Demo-Gerät ("Samsung Taylor") vorzuführen.

"Apps allein bieten noch keine User Experience"

Die Live Tiles auf dem Homescreen halten den Nutzer ständig auf dem Laufenden.

Microsofts Alternativkonzept beginnt mit den sogenannten Live Tiles auf dem Homescreen. Diese anpassbaren "Kacheln" stellen Informationen aus verschiedenen Quellen bereit und beleben so die Startseite ähnlich wie Widgets, ohne dass der Nutzer dazu eine Anwendung öffnet. Ein Beispiel ist das People Tile, das Neuigkeiten aus sozialen Netzwerken anzeigt. Um mehr als nur die Basisfunktionen nutzen zu können, muss der Nutzer allerdings - Google Android lässt grüßen - seine Windows Live ID angeben, beziehungsweise sich bei dem Dienst registrieren. So schick die Live-Tiles mit ihren via Push Notification bereitgestellten Updates sind - im Ausland können sie leicht zu einer Kostenfalle werden. So bestätigte Microsoft-Manager Sullivan, dass es in den Roaming-Einstellungen bislang noch keine Möglichkeit gibt, die Aktualisierung auf einzelne Dienste etwa E-Mail einzuschränken - ein Feature Request, den man allerdings auch an andere Hersteller weitergeben kann.

In Hubs werden Anwendungen und Informationen einer bestimmten Kategorie zusammengefasst.
Foto: Microsoft

Weiteres charakteristisches Merkmal von Windows Phone 7 sind die Hubs, die Funktionen verschiedener interagierender Apps themenspezifisch zusammenfügen. So werden im People Hub - anlehnend an Konzepte wie HTC Sense oder Motorola Blur - automatisch alle Informationen zu Kontakten zusammengestellt. Der Nutzer bekommt eine Sicht auf Kurzmitteilungen, E-Mails und Statusmeldungen - aber auch Videos und Bilder einer Person. Die Integration geht so weit, dass sich der Nutzer auch die Adresse eines Kontakts via Bing Maps auf einer Karte anzeigen lassen kann. Im Picture Hub findet der Nutzer Thumbnails die auf verschiedene Bildquellen verweisen - etwa Online-Dienste wie Flickr, den persönlichen Bereich in der Microsoft-Cloud (Skydrive), aber auch den lokalen Handy-Speicher.

Wie Sullivan erklärte, geht Microsoft damit einen anderen Weg als das bisherige Windows Mobile oder iPhone OS (iOS). "Apps sind notwendig, aber nicht ausreichend für das komplette Nutzererlebnis", so Sullivan. Anwender wollten integrierte Informationen und nicht von App zu App springen.

Hubs für alle Anlässe

Abgeschnittene Hintergrundbilder und Wörter verweisen auf weitere Funktionen nach dem Scrollen.

Optisch hat Microsoft für die verschiedenen Funktionen innerhalb eines Hubs eine etwas gewöhnungsbedürftige, jedoch nicht unattraktive Darstellung gewählt: Das Display stellt immer nur einen Teil des Menüs dar. Abgeschnittene Hintergrundbilder und Wörter deuten an, dass man beim Scrollen auf der rechten Seite weitere Funktionen findet.

Neben den bestehenden sechs Hubs (People, Picture, Games, Music & Video, Marketplace und Office) haben Microsofts Partner die Möglichkeit, eigene Hubs zu kreieren. Denkbar sind neben vertikalen Themenbereichen auch Inhouse-Hubs für Business-Smartphones, in denen Firmen etwa den Zugang zum Intranet, verschiedene Enterprise-Anwendungen und Ähnliches bündeln. Sullivan zufolge, prüft Microsoft derzeit noch Optionen, wie Firmen die Softwareverteilung bewerkstelligen können. Anders als bei Windows Mobile ist derzeit nur eine Bereitstellung von Apps über den Marketplace vorgesehen.

Von Anfang an dabei: Im Office-Hub findet der künftige WP7-Nutzer bekannte Business-Anwendungen.
Foto: Microsoft

Apropos Enterprise-Kunden: Die an Windows Mobile geschätzten Business-Features wie vollständige Verschlüsselung, Device Management oder VPN-Unterstützung fehlen beim Launch, sollen jedoch zu einem späteren Zeitpunkt nachgeliefert werden. Business-Funktionen seien nicht oberste Priorität von Windows Phone 7 und hätten das geplante Erscheinen bis Jahresende unmöglich gemacht, erklärte Sullivan: "Beim Vorgänger Windows Mobile haben wir nicht immer an die Endanwender gedacht, daher stehen diese bei dem neuen Release im Fokus."

Offensichtlich macht sich Microsoft hier Apple zum Vorbild: Auch das iPhone hatte zunächst bei Privatanwendern eine kritische Verbreitung gefunden, um dann Einzug in die Unternehmen zu finden. Zudem zählten zu Microsofts Assets bei Windows Phone 7 neben Outlook, Bing, Zune und Xbox live eben auch Office Mobile 2010 - die mobile Business-Anwendung schlechthin, warb Sullivan.

Fehlende Business-Funktionen werden nachgereicht

Beim Launch fehlende Enterprise-Funktionen will der Softwareriese sukzessive über Aktualisierungen nachliefern. Dabei beabsichtigt Microsoft, eine Upgrade-Experience wie Apple zu bieten und Aktualisierungen nicht wie bisher den OEMs und Mobilfunkfirmen zu überlassen. Die ursprüngliche Bezeichnung Windows Phone Series habe für eine Reihe aufeinander folgender Updates gestanden, erklärte Sullivan - wobei allerdings keine Aufteilung in viele verschiedene Versionen gemeint sei. Denkbar sei allerdings eine zweigeteilte Plattform.

Was die Hardware anbelangt, will Microsoft mit klaren Vorgaben an die OEMs einen Rückfall in Windows-Mobile-Zeiten vermeiden. Unter anderem sehen die Anforderungen mindestens einen 1-Gigahertz-Prozessor, eine Fünf-Megapixel-Kamera und eine Multitouch-fähiges Display mit 800 x 480 Pixel vor. Es soll nie wieder Klagen wegen schlechter Nutzererfahrung oder untermotorisierter Geräte geben, kündigte Sullivan an - ein Versprechen, das zumindest das Demo-Gerät einlösen konnte.

Microsoft sieht mit dem neuen Mobile-Betriebssystem Chancen, wieder in vorderster Reihe mitzumischen. So sei der Markt für Highend-Smartphones gerade mitten in der Entwicklung. Aktuellen Schätzungen zufolge kämen dabei in den nächsten zwei Jahren 250 Millionen neue Nutzer hinzu, die - so Sullivan - noch kein iPhone oder Blackberry-Gerät besitzen. Der Windows-Manager beteuerte im gleichen Atemzug, dass Microsoft um den Erfolg des neuen Mobile-Betriebssystems kämpfen werde. Firmenchef Steve Ballmer habe mehrmals betont, dass Mobile ein wichtiger Teil des Ökosystems sei, erklärte Sullivan und deutete an, dass der Softwarekonzern auch bei Anfangsschwierigkeiten an seinen Zielen festhalten wolle. Glaubt man den zynischen Kommentaren einiger Kritiker brauchen aber auch die Anwender einen langen Atem - so zeige die Erfahrung, dass bei Windows-Systemen erst die dritte Version voll funktionsfähig sei.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche.