Der Kunde im Mittelpunkt

Wie "Customer Centricity" den E-Commerce verändert

17.05.2015 von Nico Rehmann
B2C- und B2B-Unternehmen stehen gemeinsam vor einer großen Herausforderung: Der Stellenwert der Kundenbeziehungen zwingt viele Händler, sich strategisch neu aufzustellen. Die folgenden Faktoren helfen dabei, erfolgreich auf die geänderten Marktbedingungen zu reagieren.

"Customer Centricity" - dieses neue Buzzword macht derzeit im E-Business die Runde. "Den Kunden ins Zentrum stellen". Ist das nicht ein alter Hut? Dennoch hat dieser Ausdruck seine Berechtigung. Die Rolle, die die konsequente Ausrichtung eines Unternehmens auf seine Kunden spielt, hat nämlich eine neue Dimension erreicht. Interessenten und Käufer sind heute informierter denn je und verfügen über eine Macht zur Einflussnahme im Marktgeschehen wie noch niemals zuvor. Dadurch können sie nun das einfordern, was ihnen schon seit Jahren versprochen wird: wirklich der König zu sein und im Zentrum zu stehen.

Um den Kunden zum König zu machen, kommen auf den stationären und den Online-Handel viele Umstrukturierungen zu.
Foto: King_Ollyy - shutterstock.com

Damit unterstreicht der Begriff der "Customer Centricity" ein Phänomen, das der Marktforscher Forrester als das "Age of the Customer", das Zeitalter des Kunden, bezeichnet. Nur wenn Unternehmen ihre Kunden in den Mittelpunkt all ihrer Geschäftstätigkeit rücken - die Betonung liegt auf "all" -, bleiben sie wettbewerbsfähig. Für viele bedeutet das, sich strategisch neu auf geänderte Marktbedingungen einzustellen und ihre Prozesse vom Front- bis zum Backend anzupassen. Vier wesentliche Erfolgsfaktoren tragen dazu bei, den gestiegenen Ansprüchen und Erwartungen gerecht zu werden.

1. Datenanalysen liefern wertvolle Prognosen

Zum Ersten ermöglichen moderne Systeme heute eine Datenanalyse in Echtzeit. Damit lassen sich aus Vergangenheitswerten und Gegenwartsdaten wertvolle Prognosen erstellen. Das erleben Autofahrer beispielsweise bei ihrem Navigationssystem, das einen neuen Stau sofort berücksichtigt und die geplante Route entsprechend optimiert.
Analog dazu möchten auch Kunden beim Einkaufen immer mehr auf ihr vergangenes und aktuelles Verhalten, auf ihren Standort und ihre konkrete Situation bezogene Empfehlungen erhalten - was mithilfe neuester Technologien durchaus realisierbar ist.

So ermöglicht beispielsweise die Auswertung von Kundeninformationen im Zusammenhang mit in Echtzeit verarbeiteten Geolocation-Daten folgendes Szenario: Ein Kunde, der gerade in der Innenstadt unterwegs ist, erhält eine Nachricht auf sein Smartphone: Die Laufschuhe, nach denen er die letzten Tage im Internet bei einem bestimmten Anbieter gesucht hat, werden nun von der Filiale, an der er gerade vorbeigeht, in der passenden Schuhgröße zu einem Sonderpreis angeboten. Eine Gelegenheit, die er mit Sicherheit nicht ungenutzt lassen wird.

2. Information zur rechten Zeit am richtigen Ort

Der zweite Erfolgsfaktor - die Bereitstellung relevanter Informationen - ist eng mit diesem Thema verknüpft. Ein Verbraucher sieht sich heute von einer Vielzahl an Informationen überhäuft: Er erhält E-Mails, Newsletter, WhatsApp- und Facebook-Nachrichten, surft im Internet und wird von Fernseher und Radio beschallt.

Vor dem Hintergrund dieses "Information Overflows" möchte er einfach nur für ihn relevante Informationen erhalten beziehungsweise nimmt nur diese wirklich wahr. Überschüttet ein Unternehmen ihn mit pauschalen Angeboten, die mit seiner individuellen Lebenswirklichkeit nichts zu tun haben, wendet er sich unter Umständen irritiert und genervt ab. Deshalb ist es ganz entscheidend, nicht nur Daten zu erfassen und in Echtzeit zu analysieren, sondern sie so zu verarbeiten, dass am Ende ausschließlich relevante Informationen entstehen.

Im "Age of the Customer" entscheiden Relevanz und Kontext. Erreichen lässt sich das mithilfe geeigneter, integrierter Systeme für die Personalisierung und Marketingautomatisierung, die sämtliche Faktoren berücksichtigen - von Interessen über Kaufverhalten bis hin zu Kontexten und Zeitpunkten. Damit ermöglichen sie eine gezielte individuelle Ansprache, die weit über die übliche grobe Einteilung nach Zielgruppen wie Geschlecht, Alter oder Familienstand hinausgeht und Bedürfnisse prognostiziert. Hat ein Kunde beispielsweise ein Parfüm gekauft, wird es ihm im Nachgang nicht sofort erneut offeriert, sondern erst wieder nach zwei oder drei Monaten. Auch nach dem Erwerb einer Waschmaschine zum Beispiel möchte er nicht in den nächsten Monaten eine neue vorgeschlagen bekommen.

Mit welchen Spielen Unternehmen ihre Mitarbeiter und Kunden stimulieren
Props to you
Zeit, Kosten und den Einsatz von Personal planen: Projektmanagement gehört zu den unbeliebtesten Aufgaben von Führungskräften. Inszeniert als Punktejagd, steigt nicht nur die Bereitschaft, sich damit zu befassen - auch die Resultate werden besser.
Eterna
Spielen im Dienste der Wissenschaft: Freiwillige entwickeln Molekül-Varianten, die bei der Bekämpfung von Krankheiten helfen. Die besten Lösungen werden im Labor erzeugt und mit Punkten belohnt.
Pick n play
Jagd auf den Lieblingssnack: Wer mit seinem Smartphone auf einem riesigen Bildschirm in Stockholm digitales Pingpong spielt und gewinnt, erhält mehr als Punkte – nämlich einen Gutschein für den Lieblingssnack, einzulösen in der nächsten McDonald’s-Filiale.
Digitalkoot
Maulwürfe retten, um das nationale Kulturerbe zu wahren: Spieler bauen den Tieren Brücken aus Wörtern – und korrigieren damit wie nebenbei unentgeltlich Fehler im digitalen Archiv der Finnischen Nationalbibliothek.

3. Erlebnis anstatt Produkt

Die Unternehmen sollten ihre Kunden verstärkt auf einer emotionalen Ebene ansprechen. Diese möchten heute nämlich keine Produkte mehr kaufen, sondern Erlebnisse. Präsentieren die Unternehmen in ihren Online-Shops oder am Point of Sale aber lediglich die funktionalen Eigenschaften ihrer Angebote, können sie diesen Wunsch nicht erfüllen.

Eine optimale "Customer Experience" setzt die Verschmelzung der Produktdaten mit zielgruppengerechtem Content und ihre Einbettung in einen passenden Kontext voraus. Technisch realisieren lässt sich dies - bis hin zum "Customer Engagement" - durch eine Integration der Commerce-Plattform, wo die Unternehmen in aller Regel strukturierte Produktdaten vorhalten, mit dem Content-Management-System, auf dem sich die Kampagnen und redaktionellen Inhalte zum Bewerben der Angebote finden. Damit können Unternehmen die Produktdaten gezielt und durchgängig mit individuellen Texten, Bildern oder Videos anreichern und so ganzheitliche Kundenerlebnisse schaffen. Es entstehen nahtlose Marken- und Themenwelten, in denen Käufer die Produkte besser und persönlicher kanalübergreifend "erleben" können.

4. Neue Organisationsformen sind gefragt

Noch einmal: Unternehmen sollten den Kunden in den Mittelpunkt all ihrer Geschäftstätigkeiten stellen, wenn sie im "Age of the Customer" bestehen wollen. Dazu zählen auch die internen Prozesse. Sie sollten - Erfolgsfaktor Nummer vier - nicht von eigenen Strukturen, Abteilungsdenken oder Abläufen, sondern ebenfalls von den Erwartungen der Kunden bestimmt sein. Diese möchten heute keinen einzigen Gedanken mehr darauf verschwenden müssen, an welche Abteilung sie ihr Anliegen richten, und sehen es auch nicht mehr ein, einem Vertriebsmitarbeiter noch einmal genau dasselbe zu erklären, was sie bereits bei ihrem Anruf im Callcenter ausführlich erläutert haben.
Deshalb sind neue Organisationsformen gefragt, die sämtliche Aspekte der Kundenorientierung aus den klassischen Abteilungen wie Marketing, Vertrieb oder E-Commerce zusammenziehen und beispielsweise im Customer Relationship Management vereinen.

Zur Anpassung der internen Prozesse gehört es auch, die Kunden dort agieren zu lassen, wo sie möchten - und sie nicht zu zwingen, dort zu handeln, wo es dem Unternehmen am liebsten ist. Kaufen oder reservieren sie im Internet ein Produkt, möchten sie es vielleicht in einer Filiale abholen oder umtauschen. Um ihnen das zu ermöglichen und um den Kunden in der Filiale ergänzend zur Online-Bestellung individuell zu beraten, muss aber jederzeit bekannt sein, was im Internet bereits passiert ist, und umgekehrt.

E-Commerce - so vermeiden Sie Kaufabbrüche
Tipp 1 - Checkout überprüfen
Die meisten Käufe werden auf der Bezahlseite abgebrochen. Hier sollten Shop-Betreiber ansetzen.
Tipp 2 - Lieferangaben: So kurz wie möglich
Je weniger Daten potentielle Käufer eingeben müssen, umso geringer die Chance, dass sie abspringen.
Tipp 3 - Zahlungsoptionen prüfen
Findet ein Kunde das gewünschte Bezahlverfahren nicht, droht ein Kaufabbruch. Eine breite Auswahl an Bezahlverfahren kann dies verhindern.
Tipp 4 - Lieferzeit und Lieferkosten: bitte zum Nulltarif!
Sind die Versandkosten zu hoch, springen Kunden ab. Viele Kunden erwarten inzwischen sogar Versand zum Nulltarif.
Tipp 5 - Shops auf mobile Endgeräte optimieren
Immer mehr Kunden nutzen ihre mobilen Endgeräte zum Einkauf. Shop-Betreiber sollten ihre Webseiten darauf einstellen.


Unternehmen, die ihre Online- und Offline-Kanäle nicht nahtlos integrieren, verschenken Cross- und Up-Selling-Potenziale und werden deshalb bereits in naher Zukunft Schwierigkeiten bekommen. Dasselbe Schicksal blüht auch Händlern, die dem Wunsch der Kunden nicht entsprechen, ein online bestelltes Produkt so schnell wie möglich zu liefern. Aus diesem Grund implementieren immer mehr Unternehmen Kommissionier- und Logistikprozesse für eine "Same Day Delivery" - und das sogar im Lebensmittelhandel, wo eine durchgängige Kühlkette für Frischware gewährleistet sein muss.

Unternehmen stehen durch das "Age of the Customer" und die digitale Transformation also vor großen Herausforderungen. Sie sollten ihre Systeme rechtzeitig, konsequent und durchgängig auf die geänderten Erwartungen der Kunden umstellen. (bw)