Weg mit der Steckdose

20.06.2003
Das Institute of Electrical and Electronics Engineers wird demnächst "IEEE 802.11af" als Standard anerkennen. Nach der Spezifikation erhalten IP-Telefone, Kameras und andere Geräte ihren Strom über das Datenkabel.

Von: Bernd Reder

Die Idee, die Datenverkabelung dazu zu nutzen, um Kommunikationsgeräte mit Strom zu versorgen, ist nicht neu. Die Hersteller von IP-Telefonen schauten diese Idee den Anbietern von "normalen" Telefonanlagen ab und entwickelten Systeme mit so genannter "In-Line Power". Der Haken dabei war, dass es sich in der Regel um proprietäre Verfahren handelt, das bedeutete, der Anwender musste sich auf Systeme einer Firma festlegen, wollte er In-Line Power nutzen.

Mit IEEE 802.3af soll das anders werden. Die Arbeiten an dieser Norm sind abgeschlossen, sodass in Kürze standardkonforme Power-over-Ethernet-Produkte zu erwarten sind. Wie üblich haben diverse Hersteller bereits im Vorfeld entsprechende Komponenten herausgebracht, von Switches bis hin zu Wireless-LAN-Access-Points und "Wireless Switches".

Generell kommen folgende Systeme für die Stromversorgung via Datenleitung in Frage:

- WLAN- und Bluetooth-Access-Points,

- IP-Telefone,

- kleine Ethernet-Switches oder Printserver,

- Desktop-PCs,

- Webkameras,

- Personal Digital Assistants,

- IP-gestützte Sicherheitssysteme,

- Geräte und Sensoren, die in der Industrieautomation eingesetzt werden, sowie

- Multimedia-Kioske.

IEEE 802.3af nutzt die Tatsache, dass Ethernet (10Base-T) und Fast-Ethernet (100Base-T) jeweils zwei Leitungspaare dazu verwenden, um Daten zu senden und zu empfangen. Kabel der Kategorien 5, 5e und 6 verfügen allerdings über acht Leitungen: Vier sind für den Signaltransport erforderlich, die anderen zwei Paare stehen zur freien Verfügung, lassen sich also für die Stromübertragung nutzen. Nach Angaben von 3Com sind das die Pins 4 und 5 sowie 7 und 8.

Ein wenig anders funktioniert die "Fernversorgung" mit Strom in älteren Netzen mit Kategorie-3-Kabeln. Sie bestehen nur aus vier Drähten. Gleiches gilt für Gigabit-Ethernet, denn bei 1000Base-T werden alle vier Leitungspaare für die Signalübermittlung verwendet. Deshalb wurde ein ergänzendes Verfahren entwickelt, die so genannte "Phantom"-Einspeisung über die Datenleitungen. Sie greift auf die Kabelpaare zurück, die eigentlich für den Signaltransport vorgesehen sind, als 1 und 2 sowie 3 und 6.

Ein PoE-System besteht zum einen aus einer Komponente, die für das Einspeisen der Versorgungsspannung zuständig ist, dem "Power Sourcing Equipment" (PSE), zum anderen aus den entsprechenden Endgeräten, den "Powered Devices" (PD). Jedes PD ist mit dem PSE verbunden, das heißt es wird eine Sterntopologie aufgebaut. Bei Bedarf, so der israelische Power-over-Ethernet-Spezialist Powerdsine, lassen sich die Endgeräte, etwa IP-Telefone, zudem mit einem Splitter ausrüsten. Er trennt Ethernet-Datensignal und Spannung.

Es empfiehlt sich, eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) in eine solche Struktur zu integrieren. Sie wird normalerweise an das Power Sourcing Equipment angeschlossen. Die USV stellt sicher, dass bei Ausfall des Stromnetzes oder Spannungsschwankungen die Endgeräte weiterhin funktionieren. Ein Vorteil von IEEE 802.3af ist, dass eine einzige USV ausreicht, um das Netz abzusichern. Es ist nicht erforderlich, für jedes Endgerät eine eigene unterbrechungsfreie Stromversorgung bereitzustellen.

Eine Kategorie-5-Verkabelung verkraftet in der Regel einen Gleichstrom in Höhe von ein bis zwei Ampere. Um Qualitätsschwankungen der Kabel aufzufangen und auf der sicheren Seite zu sein, sieht der IEEE-Standard einen Wert von maximal 350 Milliampere pro Netzwerkknoten vor. PSE stellen 15,4 Watt über 48 Volt Gleichspannung bereit. Einen kleinen Teil der Leistung absorbiert das Kabel, sodass jedem Endgerät im Endeffekt bis zu 12,95 Watt zur Verfügung stehen. Die maximal zulässige Entfernung zwischen Verbraucher und Spannungsquelle beträgt laut Norm 100 Meter.

Rund 13 Watt über 100 Meter Entfernung

Die rund 13 Watt bieten genügend Sicherheitsreserven. Powerdsine zufolge kommen IP-Telefone, Wireless-LAN-Access-Points oder Überwachungskameras normalerweise mit 3,5 bis 9 Watt aus.

In 802.3af sind zwei Arten von PSE-Systemen beschrieben:

- End-Span- oder End-Point-Geräte und

- Mid-Span-Komponenten.

Bei End-Span-Systemen handelt es sich um Switches, welche die angeschlossenen Endgeräte über die Ethernet-Ports mit Strom versorgen. Die meisten Switch-Hersteller bieten mittlerweile solche Geräte an, etwa Hewlett-Packard mit dem Procurve 2650, 2626 und 5300xl oder Avaya mit dem P333T-PWR, aber auch Foundry, Cisco, Nortel und Avaya. Die Switches sind in Versionen für 10-, 100- und 1000Base-T verfügbar.

Der Vorteil bei End-Span besteht darin, dass der Switch die Funktion einer "Stromversorgungs-Einheit" mit übernimmt und somit kein separates Gerät erforderlich ist. Ein Nachteil ist, dass sich dadurch der Strombedarf des Switches mehr als verdoppelt. Nach Angaben von Powerdsine benötigt ein Switch mit 48 Ports eine zusätzliche Stromversorgungseinheit von 720 Watt (48 Volt).

Eine Alternative sind nach Angaben der Firma Power-over-LAN-Prozessoren in Verbindung mit einer Management-software. Sie regeln die Stromversorgung für jeden Port, wobei sie die Priorität einzelner Kanäle berücksichtigen. Dadurch, so das Unternehmen, lässt sich die Belastung der Stromversorgung verringern.

Mid-Span-Versorgung in bestehenden Netzen

Bei der Mid-Span-Einspeisung wird zwischen dem Ethernet-Switch und den Powered Devices ein so genannter Power Hub oder "Mid-Span Insertion Panel" platziert. Diese Systeme ähneln Patch Panels und haben typischerweise zwischen 6 und 24 Kanäle. Jeder Power Hub verfügt über einen RJ-45-Steckverbinder für die hereinkommenden Daten und einen kombinierten RJ-45-Ausgang für Daten und die Stromversorgung.

Enterasys Networks zufolge sind Power Hubs eine kostengünstige Alternative zu PoE-Switches, wenn ein bestehendes Netz auf Power over Ethernet umgerüstet werden soll. So mache es beispielsweise keinen Sinn, einen Edge-Switch mit 256 Ports auszutauschen, nur um ein Dutzend Access Points mit Strom zu versorgen. Dagegen sollte der Anwender in Erwägung ziehen, einen Switch anzuschaffen, wenn er ein neues Netzsegment einrichtet oder eine größere Abteilung auf IP-Telefonie umstellt.

Nach Angaben von Enterasys sind Mid-Span-Systeme auf 10Base-TX- und 100Base-TX-Netze beschränkt, während der 802.3af-Standard für End-Point-Geräte zusätzlich 1000Base-T mit einschließt. Auch das gilt es bei der Wahl der PoE-Technik zu berücksichtigen, ebenso die Mehrkosten, die bei PoE-tauglichen Switches anfallen. Marktforschern zufolge ist ein solches System gegenwärtig um zirka 20 Prozent teurer als ein konventionelles System. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass sich Kosten einsparen lassen, wenn eine separate Stromversorgung von Netzwerkendgeräten entfällt. Hinzu kommt, dass die Preise für PoE-Switches sinken dürften, wenn die Nachfrage nach diesen Geräten steigt.

Normale Geräte von PoE-Systemen unterscheiden

In Installationen, in denen sowohl "normale" Ethernet-Komponenten als auch PoE-Geräte zum Einsatz kommen, sind Verfahren erforderlich, die beide voneinander unterscheiden. Anderenfalls können an den Systemen, die nicht für Strom über die Datenverkabelung ausgelegt sind, Schäden auftreten. Das IEEE hat deshalb ein Identifizierungsverfahren namens "Resistive Power Discovery" entwickelt.

Es sieht vor, dass in jedes Powered Device ein Widerstand von 25 Ohm eingebaut wird. Bevor ein Power Sourcing Equipment die 48 Volt Gleichstrom in die Netzwerkverkabelung einspeist, sendet es ein Prüfsignal von geringer Spannung an die Geräte, die an seine PoE-Ports angeschlossen sind. Anschließend folgt ein zweiter Test mit einer etwas höheren Spannung. Beide Werte sind so niedrig, dass ein Gerät auch dann keinen Schaden nimmt, wenn es keinen 25-Ohm-Widerstand besitzt.

Diese Prüfroutine dauert etwa eine Sekunde. Nach ihrem Abschluss verfügt das PSE über genügend Informationen, um zwischen PoE-Komponenten und anderen Geräten unterscheiden zu können. Schließt ein Netzwerktechniker aus Versehen eine normale Ethernet-Komponente an einen PoE-Switch-Port an, bleibt das somit ohne Folgen. Ergänzend dazu sieht der Standard einen "Disconnect"-Schutzmechanismus vor. Er stellt sicher, dass der Port eines PSE von der Stromversorgung abgekoppelt wird, sobald ein Powered Device nicht mehr an das LAN angeschlossen ist.

Der IEEE-802.3af-Standard definiert "nur" die Anforderungen, welche die Hardware von PoE-Komponenten erfüllen muss, nicht aber eine Schnittstelle, über die sich solche Systeme verwalten lassen. Deshalb hat die Internet Engineering Task Force (IETF) ein SNMP-MIB-Modul (Simple Network Management Protocol, Management Information Base) entwickelt, das PoE-Systeme mit einbezieht. Enterasys zufolge arbeitet die IETF außerdem zusammen mit dem IEEE an einem PoE-MIB-Modul, das in Kürze fertig sein soll.

Noch nicht weit gediehen sind dagegen die Versuche, das Zusammenwirken von POE-Komponenten der einzelnen Anbieter sicherzustellen, Stichwort Interoperabilität. Immerhin hat sich mit dem POE Consortium ein Gremium formiert, das entsprechende Tests durchführt. Bei der ersten Session, die das Konsortium im April durchführte, fehlte allerdings mit Cisco einer der wichtigsten Hersteller von Netzwerkkomponenten.

Hinzu kommt, dass das POE Consortium derzeit nicht die Absicht hat, sich als unabhängige Test-Instanz zu etablieren, die entsprechende Zertifikate ausstellt - so wie das beispielsweise die WiFi Alliance im Bereich Wireless LANs mit großem Erfolg getan hat. Dieses Gremium wiederum hat nach Angaben ihres Marketingdirektors Brian C. Grimm keine Ambitionen, die Zertifizierung von Access Points vorzunehmen, die Power-over-Ethernet-tauglich sind.

Chancen in der Haustechnik

Trotz der noch offenen Frage der Interoperabilität räumen so gut wie alle Experten Power-over-Ethernet-Produkten gute Marktchancen ein. Ein Grund sind die niedrigeren Kosten, weil viele Netzwerkgeräte keinen separaten Stromanschluss mehr benötigen, ein weiterer die höhere Flexibilität. So lassen sich WLAN-Access-Points dort montieren, wo sie die größte Fläche abdecken. Das kann ein Netzwerkfachmann erledigen; es ist nicht notwendig, einen Elektriker zu rufen, der parallel dazu eine Stromleitung legt.

Ein Einsatzgebiet, das ebenfalls stark an Bedeutung gewinnen wird, sind IP-gestützte Überwachungskameras in und außerhalb von Gebäuden, aber auch auf öffentlichen Plätzen. Weitere Anwendungsfelder sind Anlagen, die für die Steuerung von Heizungen, Jalousien oder Beleuchtungseinrichtungen zuständig sind. Denn auch die werden künftig über Ethernet-LANs kommunizieren, so Steven Carlson, Vorsitzender der IEEE-802.3af-Task-Force.