BPMN 2.0

Was sind die aktuellen Trends im BPM?

24.07.2013 von Jakob Freund
Viele Business-Process-Management-Suiten sind mit großen Erwartungen angeschafft und bald wieder abgelöst worden. Sie sind Fremdkörper in den IT-Landschaften geblieben. Open-Source-Ansätze können ein Ausweg sein.

Business-Process-Management, kurz BPM, ist keine Erfindung dieses Jahrzehnts. Doch die Disziplin entwickelt sich ständig weiter. Was ist neu, was Stand der Technik, was müssen die Unternehmen beachten, wenn sie die Vorteile des BPM nutzen wollen?

Zunehmende Automatisierung

Die Globalisierung und das Internet führen besonders im Dienstleistungsbereich zu massiven Veränderungen der Geschäftsmodelle. Gleichzeitig entstehen völlig neue Geschäftsideen und mit ihnen neue Unternehmen. Nahezu alle diese Veränderungen gehen mit einer zunehmenden Automatisierung betrieblicher Abläufe einher, denn nur dadurch lassen sich die erwünschten Skaleneffekte in wachsenden Geschäftsfeldern tatsächlich erzielen.

Diese Entwicklung hat in den vergangenen fünf Jahren rapide zugenommen. So hat das Business-Process-Management vor allem im Kontext der "Prozessautomatisierung" eine rasante Verbreitung und Weiterentwicklung erfahren. Im deutschsprachigen Raum setzen inzwischen etablierte Unternehmen wie die VHV Versicherungen oder die österreichische Wüstenrot Bausparkasse, aber auch schnell wachsende Startups wie MyToys.de oder Zalando auf BPM.

Das prominenteste Beispiel für diese Weiterentwicklung ist sicher BPMN 2.0: Dabei handelt es sich um eine von der Object Management Group (OMG) standardisierte grafische Notation zur Prozessmodellierung, also eigentlich eine Sammlung von Symbolen.

BPMN 2.0 hat sich durchgesetzt

Das Besondere an BPMN 2.0 ist, dass sich die visualisierten Geschäftsprozesse aus der Notation auch sofort ausführen lassen. Dazu dienen "Process Engines". Die Grafik "Beispielprozess Bestelleingang" auf der Seite 13 zeigt die - stark vereinfachte - Modellierung eines so abbildbaren Prozesses:

Das Beispiel deckt selbstverständlich nur einen Bruchteil der Möglichkeiten von BPMN 2.0 ab. Trotzdem wird der Nutzen der neuen Notation schnell ersichtlich. Das hat auch Marko Lehn, Teamleiter Software Engineering bei Zalando, festgestellt: "Unsere in BPMN 2.0 modellierten Prozesse werden direkt ausgeführt, was die Verständigung zwischen Fachabteilungen und Entwicklung erleichtert und die Entwicklungszyklen verkürzt."

Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes: Die vergleichsweise leicht verständlichen BPMN-Diagramme lassen sich im Betrieb nutzen, um Laufzeitinformationen auszuwerten. Damit können sie zum Beispiel den aktuellen Stand und Fortschritt eines Geschäftsvorgangs oder die aufgetretenen Fehler sichtbar machen.

BPMN 2.0 eignet sich gleichzeitig, die betrieblichen Abläufe unabhängig von IT-Umsetzungen zu dokumentieren. Auch deshalb hat sich der Standard in den letzten fünf Jahren weltweit durchgesetzt und wird heute für alle Aspekte des Geschäftsprozess-Managements erfolgreich eingesetzt.

Beispielprozess Bestelleingang (stark vereinfacht):

Der Markt für BPM-Suiten

Generell macht der Markt für kommerzielle BPM-Suiten eine fortschreitende Konsolidierung durch. Das belegen die in jüngerer Zeit abgeschlossenen Übernahmen von Lombardi durch IBM oder von Inubit durch Bosch Software Innovations.

BPMN-2.0-konforme Process Engines sind mittlerweile in vielen BPM-Produkten enthalten, so beispielsweise in denen von IBM, Oracle und SAP. Allerdings ist der Einsatz solcher BPM-Suiten auch mit einer Herausforderung verbunden, die viele Unternehmen in der Vergangenheit nicht vollständig meistern konnten: Die Automatisierung von Geschäftsprozessen stellt schlussendlich eine Art Softwareentwicklungsprojekt dar. So gesehen ist eine BPM-Suite vor allem eine Plattform, auf deren Grundlage sich die eigentlich Mehrwert stiftenden Prozess-anwendungen erstellen lassen.

Die Wahrheit über Zero-Coding

Im Kontext der allgemeinen Überlegungen zur modellgetriebenen Softwareentwicklung versuchten vor einigen Jahren die meisten BPM-Suite-Hersteller, eine Umsetzung ohne Programmierung ("Zero-Coding" genannt) zu ermöglichen. Damit verbunden war das Versprechen an die Fachbereiche, dass sie eigene Geschäftsprozesse ohne die vermeintlich lästige, langsame und teure hausinterne IT umsetzen können. Das hat auf der Anwenderseite selbstverständlich erst einmal für viel Begeisterung gesorgt.

Allerdings konnte dieses Versprechen nicht gehalten werden - was im Rückblick auch nicht überrascht: Eine Prozessanwendung besteht neben dem reinen Prozessmodell aus einer Vielzahl von Komponenten, zum Beispiel Benutzeroberflächen, Schnittstellenaufrufen etc. Diese lassen sich aber nicht in BPMN modellieren. Wer eine BPM-Suite nutzt, muss diese Komponenten also in einer ganzen Armada aus zunehmend komplexen Formularen, Wizards und Ähnlichem konfigurieren.

Am Ende wird doch wieder programmiert, allerdings nicht in einer gängigen Programmiersprache, sondern eben auf genau die Art und Weise, die der Hersteller der BPM-Suite vorgesehen hat. Und in der Konsequenz ist es nicht - wie erhofft - die Fachabteilung, sondern die hausinterne IT, die diese Umsetzung leistet. Und das unter erschwerten Bedingungen:

Die Kollegen müssen hierfür die herstellerspezifische Lernkurve zur Bedienung der Formulare oder Wizards durchlaufen, bis sie überhaupt produktiv arbeiten können, und sie müssen dieses Know-how auch aufrechterhalten. Sollte das nicht möglich sein, werden externe Entwickler hinzugezogen, die im Regelfall nur beim Hersteller selbst zu bekommen sind. In den meisten Fällen sind sie über die Maßen teuer oder zum benötigten Zeitpunkt nicht verfügbar.

Was geht mit Open Source ?

Es dürfte nicht überraschen, dass viele BPM-Suiten, die mit großen Erwartungen eingeführt wurden, nach einigen Jahren wieder abgeschafft werden mussten. Sie bildeten einen Fremdkörper in der hausinternen IT - sowohl im Rahmen der Infrastruktur als auch hinsichtlich des Know-hows - und waren einfach nicht tragfähig.

Nicht zuletzt deshalb zeichnet sich ein interessanter neuer Trend im BPM-Softwaremarkt ab: Immer mehr Unternehmen setzen auch für geschäftskritische Kernprozesse auf Open-Source-Projekte. Diese Entscheidung erscheint auf den ersten Blick sehr gewagt. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass die Schadensregulierung in einer Versicherung oder der Vertrieb eines Online-Händlers möglicherweise stillstehen, wenn die BPM-Software nicht richtig funktioniert.

Tatsächlich gibt es dafür aber gute Gründe: Gerade Unternehmen, deren Geschäftsmodell maßgeblich in IT umgesetzt wird, verfügen in der Regel über eigene Programmierer. Die mit zehn Millionen Anwendern weltweit am weitesten verbreitete Programmiersprache ist Java, und in dieser Sprache werden auch die meisten frei verfügbaren BPM-Plattformen veröffentlicht.

Übersicht: Aktuelle Open-Source-BPM-Plattformen

Name

Website

Hersteller / Sitz

Exemplarische Anwender laut Website

Activiti

www.activiti.org

Alfresco / Großbritannien

Keine Angaben

Bonita Open Solution

www.bonitasoft.org

Bonitasoft / Frankreich

Comops, Egyptian Exchange, Old Dominion University

Camunda BPM

www.camunda.org

Camunda / Deutschland

Freenet, Wüstenrot Bausparkasse, Zalando

JBoss jBPM

www.jboss.org/jBPM

Red Hat / USA

EnerNOC, Swedish Railways, Vilogia

Quelle: Camunda Services

Weniger abhängig vom Anbieter

Damit hat die hausinterne IT die BPM-Plattform besser im Griff, ohne herstellerspezifisches Know-how aufzubauen. Die Abhängigkeit vom Anbieter wird geringer, die Entwicklung von Prozessanwendungen beschleunigt sich, und die Flexibilität bei der Umsetzung wird gesteigert. Das macht sich gerade bei Kernprozessen bemerkbar und kann zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen führen.

Knackpunkt Flexibilität

Für den Softwareingenieur Lehn vom Online-Händler Zalando ist genau diese Flexibilität der Knackpunkt: "Eine BPM-Plattform, deren Quellcode verfügbar ist, erlaubt uns die Abbildung unserer individuellen Anforderungen mit einer Konsequenz, die geschlossene BPM-Suiten unmöglich erreichen können."

Aber taugen solche Plattformen auch für Prozessanwendungen, die eine große Last bewältigen müssen? Ein Blick auf die Freenet AG vermittelt zumindest eine erste Vorstellung. Dort wickelt eine Open-Source- BPM-Plattform bis zu 1600 Vorgänge pro Stunde ab. Die dafür notwendige Hardware besteht lediglich aus einem kleinen Cluster, drei Servern mit je zwei CPU-Cores.

Erfolgsfaktoren für BPM

Auch wenn BPM potenziell große Chancen bietet, tun sich viele Unternehmen schwer, diese tatsächlich zu nutzen. Das liegt wohl auch daran, dass das Thema sehr vielschichtig und entsprechend weit gefasst ist: Man kann von der unternehmensweiten Prozessdokumentation bis zur Implementierung technischer Workflows alles Mögliche darunter verstehen.

Auch deshalb sind leider viele Initiativen der vergangenen Jahre im Sande verlaufen oder mit zweifelhaften Ergebnissen "erfolgreich" abgeschlossen worden. Was ist zu tun? Es lassen sich drei Faktoren identifizieren, die den Erfolg einer BPM-Initiative maßgeblich beeinflussen:

1: Modellierungskompetenz

BPMN 2.0 ist ein komplexer Standard. Wer ihn gut beherrscht, kann aussagekräftige und technisch verwertbare Diagramme erstellen, die trotzdem auch für Fachanwender leicht verständlich sind.

Doch diese Kompetenz lässt sich nicht ohne Mühe erwerben. Sie muss systematisch aufgebaut und durch "Learning by Doing" perfektioniert werden. Das bestätigt Karl Brandner, Chefarchitekt IT bei der DAB Bank: "Der BPMN-2.0-Ansatz bietet viele Chancen, erfordert aber einen stabilen methodischen Rahmen und eine gute Abstimmung der eingesetzten Werkzeuge."

Ein solcher "methodischer Rahmen" drückt sich beispielsweise in sinnvollen Modellierungskonventionen aus. Mit den "eingesetzten Werkzeugen" sind die Tools gemeint, die zum einen für die fachliche Modellierung und zum anderen für die technische Ausführung vorgesehen sind.

Diese Werkzeuge müssen übrigens nicht immer aus einer Hand stammen. BPMN-2.0-Modelle sind dank der Standardisierung zwischen den Produkten austauschbar, wodurch sich regelrechte Tool-Ketten aufbauen lassen.

2: Iterative Einführung

"Erst werden alle Prozesse im Ist-Zustand erhoben und dokumentiert, im Anschluss widmen wir uns der Optimierung." Dieses häufig zu hörende Konzept hat in der Vergangenheit zu vielen gescheiterten BPM-Initiativen geführt.

In der Praxis hat es sich bewährt, stattdessen den BPM-Lebenszyklus von der Erhebung über die Verbesserung bis zum Betrieb zunächst an wenigen ausgewählten Prozessen zu erproben. Die damit gewonnen Erfahrungen lassen sich dann für die nächste Iteration, sprich: den nächsten Prozess, verwenden.

3: Business-IT-Kollaboration

Da die Umsetzung von Prozessanwendungen auf Basis einer BPM-Plattform immer auch gewisse Programmierarbeiten erfordert, hat die Zusammenarbeit zwischen den Fachabteilungen und der IT eine hohe Bedeutung. Der Fachbegriff hierfür ist "Business-IT-Alignment". Das bedeutet, alle beteiligten Partner "auf Linie zu bringen". Hierzu kann BPMN 2.0 einen entscheidenden Beitrag leisten.

Aber die neue Notation wird kein Allheilmittel für alle auftretenden Probleme sein können. Hier spielen noch andere Faktoren mit. Ein adäquates IT-Projektvorgehen ist ebenso wichtig wie eine allgemein konstruktive Unternehmenskultur, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Partner auf Augenhöhe fördert.

Völlig falsch wäre es, wenn eine Fachabteilung sich selbst als den alleinigen "Eigentümer" eines Prozesses verstünde. Wenn sie also in umfangreichen Lastenheften vorschriebe, was sie gerne hätte, damit diese Wünsche dann unbesehen ausprogrammiert werden. Für eine derart veraltete Mentalität hat die IT in modernen Geschäftsmodellen bereits eine viel zu große - und noch immer rasant zunehmende - Relevanz. (qua)

(COMPUTERWOCHE/ad)