Cloud Lock-in

Was SaaS-Kunden beachten sollten

18.11.2014
Skeptiker argumentieren häufig, dass bei Cloud-Diensten eine zu hohe Abhängigkeit zum Provider bestehe. Doch der “Vendor Lock-in” bringt nicht nur Nachteile mit sich – und ist in der Cloud eigentlich nicht riskanter als bei klassischen On-Premise-Lösungen.

Wenn es um die Akzeptanz von Cloud Computing und SaaS geht, beschweren sich Unternehmen häufig darüber, dass hier eine zu große Abhängigkeit zum Provider bestehe. Das nennt man "Vendor Lock-in". Im Allgemeinen bezieht sich der Lock-in auf die Situation, in der es für ein Anwenderunternehmen schwierig oder unwirtschaftlich ist, vor allem aufgrund hoher Wechselkosten beziehungsweise eines erheblichen Migrationsaufwands, einen Anbieter zu wechseln. Die Diskussion ist sicherlich berechtigt. Schließlich ist es kein leichtes Unterfangen, Daten aus einer Cloud-Anwendung wieder heraus zu bekommen. Doch ist der Lock-in-Effekt im Bereich Cloud Computing wirklich so kritisch beziehungsweise kritischer als bei klassischen On-Premise-Lösungen?

Effizientes Kundenbindungsinstrument

Einen Lock-In zu kreieren stellt eigentlich ein klassisches Strategieinstrument von Anbietern dar, das in allen Branchen genutzt wird, um Kunden ans Unternehmen zu binden. Apple dient dabei als Paradebeispiel. Die Jobs-Company macht es ihren Kunden nämlich möglichst schwer, auf einen anderen Anbieter zu wechseln. Dies erfolgt allerdings nicht auf Basis von Knebelverträgen, sondern durch ein gutes Preisleistungsverhältnis, Innovation und die exzellente Benutzererfahrung, für die Apple bekannt ist. iPhone-Besitzer, die beispielweise einen Wechsel auf Android in Betracht ziehen, müssen unter anderem bedenken, dass sie sämtliche Apps, die sie auf ihr iPhone installiert, alle Songs, die sie über iTunes erworben, alle E-Bücher, die sie iniBooks Storegekauft haben, etc. gegebenenfalls erneut kaufen müssten. Mit Features wie der in der neuesten Version von Mac OS X, Yosemite, und iOS 8 eingeführten Funktion "Handoff" versucht die Jobs-Company, diesen Lockin-Effekt noch weiter zu stärken. Dank dieses innovativen Feature können Nutzer eine Aktivität auf einem Gerät anfangen und auf einem Anderen nahtlos fortführen. Und dies funktioniert selbstverständlich ausschließlich mit Apple-Geräten - man benötigt sogar einen iCloud-Account.

Lock-in bringt nicht nur Nachteile

Nach Ansicht des Cloud-ExpertenRené Büst, der als Senior Analyst und Cloud Practice Lead beim AnalystenhausCrisp Researchaus Kassel tätig ist, sei ein Lock-in zwangsläufig nichts Schlechtes. "Eigentlich lieben wir ihn. Uns ist es meistens nur nicht bewusst. Darüber hinaus leben wir seit Jahrzehnten und jeder von uns sogar tagtäglich damit",schreibt Büst im Crisp-Blog. Ein Lock-in sei nicht zu umgehen, er sei immer vorhanden, betont der Experte. Wie im Apples Beispiel kann er sogar einige entscheidende Vorteile bieten, etwa "Innovationen schaffen, von denen man als vermeintlicher 'Sklave' partizipiert". Die Anbieter würden zudem ständig Verbesserungen ausrollen, von denen die Kunden profitieren können. "Der Lock-in ist gut, solange er genau den Zweck erfüllt, der erwartet wird", bringt es der Crisp-Analyst auf den Punkt.

Wie John Zanni, Vice-President Service-Provider-Marketing and -Alliances bei Parallels,erklärt, entscheiden sich viele Unternehmen für ein Service-Paket von einem einzigen Cloud-Dienstleister, weil sie auf wichtige Vorteile wie etwa Single-Sign-on, eine Gesamtrechnung, integrierte Services, ein einheitlicher Support oder eine einheitliche Benutzeroberfläche nicht verzichten wollen. Für solche Extras nehmen Unternehmen gerne einen Vendor-Lock-in - und die damit verbundenen hohen Kosten im Falle eines Anbieterwechsels - in Kauf. "Als Unternehmen lässt man sich nach der Entscheidung für einen Anbieter bewusst auf den Lock-in ein", ergänzt Büst.

Wann der Lock-in zum Problem wird

Ein Vendor-Lock-in würde nach den Experteneinschätzungen erst dann ein Nachteil darstellen, wenn er das Geschäft des Kunden tatsächlich schädigt. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn auf Daten nicht mehr korrekt zugegriffen werden kann, Dienste unsicher oder nicht aktuell sind, der Anbieter sich nicht den flexiblen Bedürfnissen des Kunden anpassen kann oder seine Preise nicht mehr wettbewerbsgerecht sind.

Stef Brunner, Marketing Manager bei der Easysys AG aus der Schweiz: “Kunden sollen sich selber durch die Qualität und die Innovationskraft von Anbietern binden lassen und keine Knebelverträge eingehen”
Foto: Stef Brunner

Der Wechsel zwischen Cloud-Lösungen sei jedochauf keinen Fall komplexerals erstmals bei On-Premise-Systemen - darüber scheinen sich die Experten einig zu sein. Im Gegenteil: Denn bei den Lösungen, die in die Cloud verlagert werden, handelt es sich primär um stark standardisierte Systeme. Dadurch, dass Cloud-Tools überwiegend standardisiert und relativ wenig anpassbar sind, ist der Grad des Lock-Ins tendenziell auch nicht so hoch wie bei traditionellen Business-Anwendungen, die über Jahre an die individuellen Anforderungen des Unternehmens angepasst wurden. "Wir sind der Meinung, dass die Zeiten eines ausgeprägten Vendor Lock-in vorbei sind beziehungsweise vorbei sein sollten. Im Gegensatz zu On-Premise-Produkten sind SaaS-Anwendungen heute weitgehend offen und von massiven Anbindungsstrategien befreit" kommentiert Stef Brunner, Marketing Manager bei derEasysys AGaus der Schweiz. "Kunden sollen sich selber durch die Qualität und die Innovationskraft von Anbietern binden lassen und keine Knebelverträge eingehen", empfiehlt er.

Es kommt auf die Professionalität des Anbieters an

Wie der Parallels-Experteerläutert, sollte sich ein Unternehmen allgemein fragen, ob der Anbieter für die nächsten drei bis fünf Jahre als zuverlässiger Partner in Frage kommt und gegebenenfalls mit den eigenen Ansprüchen wachsen kann. Für den Ernstfall eines Provider-Wechsels müsse sich das Unternehmen im Vorfeld über Tools oder Systemintegratoren für die Migration Gedanken machen. Wie bekomme ich meine Daten zurück, wenn ich den Dienst kündigen möchte? Was passiert, wenn der Anbieter pleite geht? Und was tun man, wenn der Service infolge einer Übernahme geschlossen wird, was in der heutigen Startup-Wirtschaft ja nicht unüblich ist?

Das sind wichtige Fragen, die sich Unternehmen bei derAuswahl der richtigen SaaS-Lösungstellen und vor der Kaufentscheidung klären sollten. Erst dann, wenn es Standards gibt, die den Wechsel von einem Anbieter zum einem weiteren Provider ermöglichen, sinkt die Abhängigkeit zum Dienstleister und damit das Risiko eines negativen Lock-in-Effekts. Eines sollte man dabei allerdings beachten. "Hat ein anderer Anbieter großes Interesse daran, ein Unternehmen von einem bestehenden Anbieter loszureißen, wird er alles mögliche in Bewegung setzen, um diesen Weg zu ermöglichen", erklärt Büst. "Bevor man sich also zu viele Gedanken über einen Lock-in macht, sollte man lieber zunächst schauen, wie zukunftssicher die Services und der Cloud-Anbieter selbst sind und das in eine mögliche Exit-Strategie mit einbeziehen".

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Expertenblogs toolsmag