Mitarbeiterführung allein reicht nicht aus

Warum die Führung der eigenen Person wichtig ist

12.04.2014 von Renate Oettinger
Führungskräfte sollen ihren Mitarbeitern Orientierung und Halt geben. Außerdem sollen sie Vorbilder für sie sein. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, müssen sie selbst reife Persönlichkeiten sein, sagt Ralph Guttenberger.

Welche Eigenschaften zeichnen eine gute Führungskraft aus? Hierüber wurden schon zahlreiche Bücher und Artikel geschrieben, auch auf Kongressen wird hierüber immer wieder diskutiert. Zu Recht! Denn es macht einen Unterschied, ob eine Führungskraft angelernte Hilfskräfte oder hoch qualifizierte Fachkräfte führt. Ebenso macht es einen Unterschied, ob sie ihre Mannschaft in Boom- oder Krisenzeiten führt.

Ungeachtet solcher speziellen Rahmenbedingungen gibt es jedoch bestimmte Eigenschaften, über die eine Führungskraft verfügen muss, wenn sie ihren Job auf Dauer gut machen möchte. Sie muss zum Beispiel außer anderen Menschen auch sich selbst führen können. Denn nur dann kann sie für ihre Mitarbeiter ein Vorbild sein. Folgende Eigenschaften zeichnen eine Führungskraft unter anderem aus, die eine starke Persönlichkeit ist und eine hohe Wirkung erzielt.

Merkmal 1: Eine Führungspersönlichkeit hat ein klares Wertesystem

Nichts verunsichert Mitarbeiter so sehr, wie wenn sie nicht wissen, von welchen Werten sich ihr Vorgesetzter leiten lässt - also was ihm wichtig ist. Denn dann ist er für sie unberechenbar. Mal kritisiert er sie scharf für den kleinsten Fehler, mal schaut er großzügig über echte Fauxpas hinweg. Mal verkündet er "Nur der Umsatz am Monatsende zählt", mal "Wir müssen unser Geschäft von morgen im Blick haben."

In einem solchen Umfeld kann kein Mitarbeiter auf Dauer gute Leistungen bringen. Denn ständig plagt ihn die Angst: Hoffentlich mache ich nichts falsch, denn dann staucht mich mein Chef zusammen. Die Folge: Die Mitarbeiter arbeiten mit angezogener Handbremse. Und niemand traut sich, Risiken einzugehen - aus Angst vor den Reaktionen des Chefs.

Deshalb müssen Führungskräfte sich ihrer Werte bewusst sein. Doch nicht nur dies! Die Mitarbeiter sollten die Werte, an denen ihr Vorgesetzter sein Handeln orientiert, auch spüren. Denn sonst wird er für sie schnell unglaubwürdig. Und die Mitarbeiter können sich nur schwer mit ihrem Chef und somit dem Unternehmen identifizieren. Also sind sie auch nicht bereit, sich für diese zu engagieren.

Merkmal 2: Eine Führungspersönlichkeit hat klare Ziele

Oft klagen Mitarbeiter über ihre Vorgesetzten: "Der Müller weiß nicht, was er will. Mal heißt es hü, mal heißt es hott." Das heißt, die Mitarbeiter sind verunsichert - entweder weil ihr Chef ihnen für ihre Arbeit keine klaren Vorgaben macht. Oder weil er mal verkündet "Hauptsache, ihr holt viele Aufträge rein" und mal: "Hauptsache, die Kunden sind mit unserer Leistung zufrieden. Denn dann bleiben sie uns treu." Also wissen sie nicht, welche Ziele sie bei ihrer Arbeit verfolgen sollen. Die Folge hiervon ist eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Und eine geringe Effizienz - was auch zu Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern führt.

Führungspersönlichkeiten wissen, was sie wollen. Deshalb können sie ihren Mitarbeitern klar mitteilen, was sie von ihnen erwarten. Und wenn sie aufgrund geänderter Rahmenbedingungen mal die Vorgaben ändern? Dann legen sie dies ihren Mitarbeitern dar und begründen dies. Deshalb beginnen diese nicht an ihrem Chef zu zweifeln.

Merkmal 3: Eine Führungspersönlichkeit weiß, was sie kann und was andere besser können

Manch Führungskraft ist der irrigen Auffassung "Ich kann alles besser als meine Mitarbeiter." Oder: "Ich muss alles besser als meine Mitarbeiter können." Die Folge: Die Führungskraft kann keine Aufgaben loslassen und delegieren - weshalb sie auch unter einer permanenten Überlastung leidet. Und außerdem fällt es ihr extrem schwer, Mitarbeiter mal zu loben. Stattdessen krittelt sie stets an allem herum.

Das demotiviert die Mitarbeiter, und mit der Zeit wird die Einschätzung der Führungskraft "Ich kann alles besser und muss alles selbst machen" zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Denn weil ihnen ihr Chef nichts zutraut, trauen sich auch die Mitarbeiter immer weniger zu. Und weil sie zunehmend verunsichert sind, begehen sie mehr Fehler, was wiederum ihren Chef in der Auffassung bestärkt: Letztlich muss ich alles selbst machen.

Anders agiert eine Führungspersönlichkeit. Sie weiß genau, was sie gut kann und was andere besser können. Und sie freut sich, wenn ein Mitarbeiter gewisse Aufgaben besser als sie selbst erledigt. Denn dann kann sie die Aufgabe an ihn delegieren. Deshalb versucht sie ihre Mitarbeiter nicht klein zu halten, sondern diese in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Denn sie weiß: Hiervon profitieren ich und das Unternehmen.

Disziplin und Ehrgeiz

Merkmal 4: Eine Führungspersönlichkeit ist selbstdiszipliniert

"Dazu habe ich jetzt keine Lust" - dieses Gefühl kennt jeder. Doch gute Führungskräfte handeln nicht nach dem Lust-Prinzip. Denn sie haben das Credo verinnerlicht: Die Arbeit macht nicht immer Spaß. Trotzdem müssen gewisse Aufgaben erledigt werden. Entsprechend selbstdiszipliniert sind sie - was auch ihre Mitarbeiter registrieren.

Führungspersönlichkeiten beherrschen außerdem die Kunst, sich selbst zu motivieren und ihren Gefühlshaushalt zu regulieren. Sie strahlen deshalb, selbst wenn sie mal einen schlechten Tag haben, Tatkraft und eine innere Ruhe aus. Sie können das, weil sie die Ziele, die sie erreichen möchten, klar vor Augen haben. Und im Erreichen dieser Ziele sehen sie ihren Erfolg. Das gibt ihnen Selbstsicherheit und Zuversicht. Auch wenn ihnen mal etwas völlig zuwider läuft? Dann sehen sie immer ihr Zielfoto und wissen, an welcher Stelle des Weges dorthin sie stehen.

Merkmal 5: Eine Führungspersönlichkeit reflektiert ihr Verhalten

Führungskräfte erwarten von ihren Mitarbeitern, dass sie offen für eine kritische Rückmeldung sind und im Bedarfsfall ihr Verhalten überdenken. Hierzu sollen die Führungskräfte auch selbst bereit sein. Sie sollten sich regelmäßig fragen: Was kann ich wie besser machen? Sie sollten außerdem, wenn Mitarbeiter direkt oder indirekt ihr Verhalten kritisieren, nicht gleich eine Verteidigungshaltung einnehmen oder gar denken: Was maßt sich der Mitarbeiter an?

Führungspersönlichkeiten rufen sich stattdessen stets in Erinnerung, dass es den meisten Mitarbeitern schwer fällt, ihren Chef offen zu kritisieren - auch weil sie teilweise von ihm abhängig sind. Deshalb sind Führungspersönlichkeiten für jede offene Kritik ihrer Mitarbeiter dankbar, denn sie bietet ihnen die Chance, ihr Verhalten zu reflektieren und gegebenenfalls zu korrigieren.

Merkmal 6: Eine Führungspersönlichkeit ist ehrgeizig und lernbereit

Top-Führungskräfte wollen eine möglichst hohe Wirkung erzielen. Deshalb hinterfragen sie regelmäßig ihr Tun und arbeiten gezielt an ihrer Persönlichkeit. Denn sie wissen: Eine Top-Performance - auch im Bereich Führung - kann auf Dauer nur erzielen, wer eine positive Ausstrahlung hat und kontinuierlich nach Verbesserung strebt. Entsprechend lern- und veränderungsbereit sind sie, insbesondere wenn sich gewisse Denk- und Verhaltensweisen im Bereich Führung nicht mehr als zielführend erweisen - zum Beispiel, weil sich die Mitarbeiterstruktur geändert hat und die jungen Mitarbeiter andere Erwartungen an ihren Chef als ihre älteren Kollegen haben.

Motivation und Gesundheit

Merkmal 7: Eine Führungspersönlichkeit kann sich und andere motivieren

Im Unternehmensalltag gibt es immer wieder Herausforderungen, bei denen man zunächst denkt: "Das geht nicht". Oder: "Das schaffen wir nicht." Dann werfen Führungspersönlichkeiten nicht die Flinte ins Korn. Sie überlegen sich vielmehr: Wie kann ich das Ziel dennoch erreichen, obwohl dies im Moment unmöglich erscheint?

Diese zuversichtliche Grundhaltung vermitteln sie auch ihren Mitarbeitern und ermutigen sie so, auch scheinbar unlösbare Aufgaben anzugehen. Auch weil die Mitarbeiter wissen: Wenn ich Unterstützung brauche, dann lässt mich mein Chef nicht im Regen stehen. Und wenn der erste Versuch scheitert? Dann stellt er mich nicht an den Pranger. Er lobt mich vielmehr dafür, dass ich einen Versuch unternommen und daraus gelernt habe.

Merkmal 8: Eine Führungspersönlichkeit achtet auf ihre Gesundheit

Top-Führungskräfte wissen: Das Erreichen herausfordernder Ziele erfordert meist einen langen Atem. Und nur wer körperlich fit ist, ist auf Dauer voller Leistungskraft. Deshalb achten sie auf ihre Gesund-heit - zum Beispiel indem sie regelmäßig Sport treiben und auf ihre Ernährung achten.

Was für Führungskräfte gilt, gilt auch für ihre Mitarbeiter. Deshalb achten Führungspersönlichkeiten darauf, dass ihre Mitarbeiter zwar "brennen", aber nicht "ausbrennen". Das heißt, sie bürden ihnen nicht permanent zusätzlich neue Aufgabe auf, wenn diese bereits am Limit arbeiten - ohne für eine Kompensation zu sorgen. Außerdem vereinbaren sie mit ihnen zwar herausfordernde, aber keine unrealistischen Ziele, bei denen ein Scheitern vorprogrammiert ist.

Merkmal 9: Eine Führungspersönlichkeit sorgt für die nötige Lebensbalance

Im Unternehmens- und Führungsalltag gibt es immer wieder Stressphasen. Also brauchen Führungskräfte Felder, wo sie ihre Batterien auftanken können. Deshalb achten Führungspersönlichkeiten sorgsam darauf, dass in ihrem privaten Umfeld möglichst alles im Reinen ist. Sie vernachlässigen ihre Familie und Freunde nicht und achten darauf, dass sie am kulturellen und sozialen Leben in ihrem Umfeld teilhaben. Denn sie wissen: Ich brauche einen Ausgleich. Sonst schlägt mein "Gefordert-Sein" schnell in ein "Überfordert-Sein" um.

Führungspersönlichkeiten fragen sich auch regelmäßig: Ist mein Leben in Balance? Oder deuten erste Anzeichen darauf hin, dass ich auf eine Krise zusteuere? Denn nun können sie noch korrigierend eingreifen. Anders ist es, wenn sie zum Beispiel bereits in einer Sinn- oder Beziehungskrise stecken. Dann sackt auch ihre Leistung ab. Dem beugen Führungspersönlichkeiten vor.

Weitere Informationen: Ralph Guttenberger ist geschäftsführender Gesellschafter des auf den technischen Vertrieb spezialisierten Beratungsunternehmens Kaltenbach Training. Der Diplom-Ingenieur für Luftfahrttechnik war vor seiner Beratertätigkeit Jet-Pilot und Kommandant einer Fliegerstaffel. Danach war er zwei Jahrzehnte in geschäftsführenden Positionen für verschiedene (Franchise-)Unternehmen tätig.
Kontakt: Tel.: 07173 6039, E-Mail: info@kaltenbach-training.de, Internet: www.kaltenbach-training.de

Hinweis: Ab 2014 bietet Kaltenbach Training ein offenes Führungspersönlichkeiten-Entwicklungsprogramm mit dem Titel "Persönliche Führungsfähigkeit" an. In diesem sich über sechs Monate erstreckenden, be-rufsbegleitenden Programm arbeiten Führungskräfte gemeinsam daran, ihre Ausstrahlung und Wirk-samkeit im Führungsalltag zu erhöhen. Nähere Infos finden Interessierte auf der Webseite www.kaltenbach-training.de in der Rubrik "Kurse".