Wachstumsmarkt Mobile Gaming

10.06.2006 von Markus Kassulke
Rasantes Wachstum, Myriaden von Endgeräten und extrem kurze Produktionszyklen: Wie behauptet man sich als Entwickler von Handyspielen? Der Geschäftsführer von HandyGames über Chancen und Risiken.

Mobile Gaming ist im Aufwärtstrend und wird auch von der PC- und Videospiel-Szene spätestens seit dem Markteintritt von Electronic Arts respektiert. Von einem Massenmarkt mit Milliarden-Umsätzen ist die Branche jedoch noch weit entfernt, und profitabel agieren weltweit nur wenige Mobile Game Developer und Publisher.

In den vergangenen fünf Jahren wurde viel experimentiert, diskutiert und prophezeit. Verschiedenste Businessmodelle, Entwicklungsumgebungen und Standards wurden eingeführt und getestet, doch nur wenige schafften den Durchbruch zur Marktreife. Im Bereich der mobilen Spiele hat sich weltweit Java (J2ME) als die führende Plattform etabliert; der Schritt zum Massenmarkt steht kurz bevor. Die Chancen sind dabei ebenso hoch wie die Risiken und Herausforderungen, die mit der Produktion von mobilen Applikationen verbunden sind.

Im Schnitt wuchs der Markt 2004 um 70 Prozent – für 2005 ist von einem ähnlichen Wachstum auszugehen. Wer also nicht selbst im gleichen Maße wächst, indem er jährlich 70 Prozent mehr Output, Manpower und dadurch mehr Umsatz generiert, der verliert wichtige Marktanteile. Viele Unternehmen scheitern an der Finanzierung dieser Anforderungen und an der Umstrukturierung ihrer internen Organisation und Produktion, was sich unter anderem in der momentanen Konsolidierungsphase widerspiegelt. Wer zukünftig weltweit eine wichtige Rolle im Mobile Gaming spielen möchte, muss ssein Unternehmen für den Massenmarkt fit machen – und das in allen Bereichen wie Planung, Produktion, Vertrieb und Controlling. Einige Probleme können durch eine größere Anzahl von Mitarbeitern gelöst werden, andere wiederum nur durch Prozess-Optimierung.

Die permanent wachsende Anzahl an Handys auf dem Markt, die erhöhte Nachfrage nach lokalisierten Versionen sowie die Einführung neuer technologischer Weiterentwicklungen und Testkriterien haben innerhalb eines Jahres zu einer Verdoppelung der Produktionskosten für Handyspiele geführt. Neue Trends wie 3D-Technologie und Multiplayer-Gaming werden den Aufwand weiter nach oben treiben.

Herausforderungen

Die steigende Anzahl an Endgeräten, die es bei der Produktion von Spielen zu unterstützen gilt, stellt derzeit eine der größten Herausforderungen dar. Waren es im Jahre 2003 lediglich vier Gerätetypen, mit denen man etwa 80 Prozent des europäischen Download-Marktes abdecken konnte, so stieg die Zahl 2004 auf etwa 30 und 2005 auf rund 80 kompatible Handys - lokalisierte Modelle oder unterschiedliche Software-Versionen nicht mit eingerechnet, da sonst die Zahl auf weit über 200 Einzelgeräte steigen würde.

Vor zwei Jahren war es noch möglich, dass ein kleines Team die Programmierung vom Start bis zum Release durchführen konnte. Seit 2004 ist dies aufgrund der Masse an Anpassungen der Spiele für einzelne Handys nicht mehr möglich. Pro Version müssen etwa 20 Prozent des Quell-Codes sowie Grafiken, Sounds und Daten angepasst werden. Der Aufwand beträgt je nach Gerätetyp und Komplexität des Spiels wenige Stunden bis einige Tage. Grund für die notwendigen Anpassungen sind die individuellen Eigenschaften von Hard- und Software der Zielplattformen. Unterschiede in Bezug auf Speicher (RAM und ROM), Display-Größe, Sound-Chip, Steuerung und Java-Implementierung sind nicht nur herstellerübergreifend ein Problem, sondern können auch innerhalb unterschiedlicher Softwareversionen eines einzigen Gerätes auftauchen.

Die Informationen über die Eigenheiten der Handys sind nicht frei verfügbar, und auch die in der Produktion verwendeten Emulatoren können das Verhalten nicht realistisch wiedergeben. Daher ist es unumgänglich, ein Arsenal an Testgeräten zu pflegen, die technischen Eigenschaften zu katalogisieren und die Ressource »Handy« vor allem in der Programmierung und im Testing optimal zu nutzen. In Szenekreisen spricht man von einer „Beschaffungskriminalität“, wenn es darum geht, möglichst vor Marktstart als einer der ersten Entwickler ein Seriengerät in Händen zu halten. Nur dann kann für den Vertrieb und somit auch für die Partner, wie Netzbetreiber und Portale, gewährleistet werden, dass dem Endkunden für sein nagelneues Handy auch spannende Spiele zum Download zur Verfügung stehen.

Bei einer mittelfristigen Produktionsplanung und Kostenoptimierung besteht die Kunst darin, festzulegen, welche Geräte zum Release eines Spieles vom Vertrieb wirklich benötigt werden. Dabei gilt es, vor allem durch Hilfe eines aufwendigen Controllings zu filtern, welche „älteren“ und aktuellen Handys ausreichend Downloads generieren, sowie durch permanente Kommunikation mit Netzbetreibern und Handyherstellern herauszufinden, welche Fokusgeräte in Kürze auf dem Massenmarkt gepusht werden.

Trennung der Programmierung

HandyGames mit seinem über 40 Personen starken Team arbeitet schon seit langem an Lösungen, die dem rasanten Wachstumsdruck der Branche und den damit verbundenen Herausforderungen standhalten. Wir legen dabei größten Wert auf gesundes Wachstum – unterstützt durch einen permanenten Optimierungsprozess. So begann das Unternehmen bereits 2004 mit der Umstrukturierung des Produktionsprozesses.

Im Mittelpunkt stand die Aufteilung der Programmierung in zwei getrennte Abteilungen, die es vorsah, die eigentliche Basis-Programmierung von der Konvertierung zu trennen. Ausschlaggebend waren die grundlegenden Unterschiede beider Arbeitsschritte. Während der Schwerpunkt in der Basis-Programmierung auf der eigentlichen Umsetzung des Spiels liegt, besteht die Konvertierung bzw. Portierung aus reiner „Fließbandarbeit“, die eine marktreife Applikation auf eine Vielzahl von Endgeräten bringt. Beide Prozesse werden parallel von der Qualitätssicherung begleitet, für die eigens ein neues Team ins Leben gerufen wurde.

Basis-Programmierung

Die Kunst der Handyspiele-Produktion besteht vor allem in der einheitlichen Umsetzung eines Konzepts in Bezug auf Gameplay, Features und Look & Feel auf den verschiedensten Plattformen. Der Spieler darf keine gravierenden Unterschiede zwischen verschiedenen Handy-Versionen eines Titels feststellen. Erst, wenn das gelingt, ist eine mobile Applikation als Ganzes in sich schlüssig und qualitativ hochwertig. Aufgrund der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen schwachen und starken Geräten gehen viele Entwickler dazu über, Inhalte auf verschiedenen Modellen zu differenzieren. Ein Spiel auf einem ressourcenarmen Handy enthält beispielsweise weniger Levels, Gegner oder Sounds als auf einem mächtigen High-End-Device.

Ein Basis-Spiel wird im Hause HandyGames aktuell auf sieben unterschiedlichen Handytypen umgesetzt, die grob das breite Spektrum an unterschiedlichsten Gerätetypen abbilden, unter anderem auf dem Nokia 7250 (Series 40). Dieses Gerät besitzt ein großes Display in Relation zum limitierten Speicherplatz (ROM: 64kB). Eine Ressourcen- und Code-Optimierung ist daher unumgänglich, will man Quell-Code, Grafik, Sound, Daten und Texte in dieses Limit pressen. Der Vorteil: Läuft ein Spiel auf diesem Gerät, so kann es später in der Konvertierung ohne schwerwiegende Probleme auf artverwandte Handys – auch anderer Hersteller – portiert werden. HandyGames erstellt und pflegt seit Jahren eigene Verfahren und Tools, um vor allem die Programmierung zu vereinfachen und zu beschleunigen. Build-, Versions- und Lokalisierungs-Management sind neben automatischer Einbindung von Emulatoren heute aus dem Programmierer-Alltag nicht mehr wegzudenken.

Konvertierung und Testing

Um die Einhaltung von Deadlines bzw. einem festen Erscheinungstermin zu gewährleisten, ist ein verzahntes und optimiertes Zusammenspiel der Konvertierungs- und der Test-Abteilung zwingend notwendig. Die Arbeit dieser beiden Teams kann jedoch bis kurz vor der Vermarktung eines Spiels nur grob geplant werden, da permanent Störfaktoren einen einwandfreien Ablauf unmöglich machen. So können in letzter Minute neue Geräte eintreffen, auf die das Spiel portiert werden muss, oder ein Vertrag mit einem neuen Geschäftspartner erfordert die zusätzliche Erstellung eines neuen Styles („virtuelle Verpackung“ und Datei-Benennung). Nur durch einen Geräte- und Style-Freeze etwa ein bis zwei Wochen vor Release können externe Einflüsse, die den festen Termin gefährden, minimiert werden.

Die inhaltliche Planung einer Konvertierung startet bereits weit vor der Basis-Programmierung. In dieser Phase werden konzeptionell die Weichen für eine einfache Portierung gestellt, indem das Team darauf achtet, möglichst ressourcenschonend und ordentlich dokumentiert zu programmieren. Es werden zusätzliche Schnittstellen definiert, die alle grafischen und akustischen Elemente sowie alle Story-Inhalte leicht auf die jeweiligen Gerätegruppen anpassen lassen.

Bei einer Portierung auf aktuell weit über 50 Geräte und im Durchschnitt fünf Sprachen spricht man im HandyGames-Team von Fließbandarbeit. Von den eher kreativen Abläufen in der Basis-Programmierung ist man hier meilenweit entfernt. Die Arbeitsweise ist eher mit einem industriellen Produktionsbetrieb als mit der Erstellung von PC- und Videospielen gleichzusetzen. Damit dieser verzahnte Arbeitsprozess permanent zeitlich gemessen, kontrolliert und verbessert werden kann, führte das Management in Zusammenarbeit mit den Abteilungsverantwortlichen detaillierte Standardabläufe und Protokolle ein. Nur so kann die Programmierung als Ganzes permanent optimiert werden – sei es durch Aufstockung von Manpower oder Verbesserungen am eigentlichen Prozess.

Trotz aller Optimierung und des Zeitdrucks darf die Qualität nicht leiden. Ein nachträgliches Patchen von Spielen ist auf dem mobilen Sektor technisch nicht möglich. Schwerwiegende Bugs können im schlimmsten Fall zur Folge haben, dass Partner den Titel aus dem Angebot nehmen und somit keine Umsätze generiert werden können. HandyGames rief aus diesem Grund Anfang des Jahres eine interne Testabteilung ins Leben, die zurzeit jede einzelne Version eines Spiels mit etwa 150 Test-Cases (inkl. der neuen Java Verified Kriterien) auf Herz und Nieren prüft. Dieser Vorgang kann je nach Komplexität zwischen vier und sechs Stunden pro Version in Anspruch nehmen.

Ein Outsourcing dieser beiden Abteilungen macht für HandyGames aktuell keinen Sinn, obwohl am Markt einige Unternehmen externe Services zu diesem Thema anbieten. Konvertierung und Testing sind keine abgeschlossenen Einheiten, sondern arbeiten ebenfalls verzahnt mit den Bereichen Basis-Programmierung, Marketing und Vertrieb zusammen. Eine externe Vergabe würde fixe Termine durch mögliche Verzögerungen in Bezug auf freie Kapazitäten sowie spontane Sprach- und Partner-Anpassungen in Gefahr bringen. Weiterhin würde man die Kontrolle über diese Prozesse sowie wichtiges Know-how verlieren – von den möglichen erhöhten Kosten ganz zu schweigen. Intern hat der Aufwand für Konvertierung, Lokalisierung und Style-Anpassung bei HandyGames die Kosten der eigentlichen Basis-Produktion weit überschritten. Dieser Trend wird sich mit steigender Anzahl von Handymodellen auf dem Markt fortsetzen.

Sprachanpassungen und Styles

Für einen Developer oder Publisher mit einem eigenen, weltweiten Vertriebsnetz ist es mittlerweile ein Muss, ein Minimum von 12 bis 20 Titeln jährlich zu produzieren und zu vermarkten, da sonst das wirtschaftliche Risiko unkalkulierbar wäre und Marktanteile schwinden würden. Dabei gilt es, seine Titel bei nahezu allen internationalen Netzbetreibern und Portalen zu platzieren, von denen fast jeder eigene Vorgaben bezüglich Marketingmaterial, Sprachen und Dateiformaten von Java-Applikationen vorgibt. In Fachkreisen spricht man hier von »Styles« bzw. partnerspezifischen Lokalisierungen, die kurz vor dem Release eines Spiels erstellt werden müssen.

Im Hause HandyGames arbeitet die Konvertierung zusammen mit der Marketingabteilung kurz vor »Goldmaster« mit Hochdruck an der Erstellung der individuellen Versionen eines Spiels. Auch hier erhöht sich tendenziell der Aufwand mit jedem weiteren geschlossen Vertrag, da neue Partner meist auch einen individualisierten Portalauftritt besitzen. Erfüllt beispielsweise das Marketingmaterial eines neuen Spiels bei Auslieferung nicht die von einem Netzbetreiber gewünschten Vorgaben, so wird mitunter der Titel nicht oder verspätet online gestellt. Umsatzverluste wären dadurch vorprogrammiert.

Fazit

Die Kosten für die Entwicklung von Handyspielen explodieren Jahr um Jahr. Mittelfristig werden nur Developer überleben, die ihre Prozesse im Griff haben und auch permanent daran arbeiten, diese zu optimieren. Vor allem die Finanzierung der Produktion stellt neue oder kleinere Studios vor eine große Herausforderung, denn es kann leicht neun bis zwölf Monate dauern, bis erste Rückflüsse aus einem Titel generiert werden können. Mobile Gaming ist erwachsen geworden. Vor kurzer Zeit ging es noch darum, Investoren von einer Idee zu überzeugen – heute sprechen wir von harter Arbeit mit kurzen Produktionszyklen.

Dennoch sind die Chancen im Mobile Gaming enorm! Besitzt ein junges Team das notwendige Know-how, Professionalität, ausreichend Durchhaltevermögen, finanzielles Geschick und die erforderlichen Kontakte in der Branche, so wird es sicherlich größere Publisher oder Studios wie HandyGames geben, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind. (mec)

HandyGames

Markus Kassulke ist Geschäftsführer von HandyGames, einem der führenden unabhängigen Entwickler von Handyspielen.

HandyGames wurde 2000 gegründet und beschäftigt derzeit rund 40 Mitarbeiter in Giebelstadt (bei Würzburg) sowie Bukarest (Rumänien). HandyGames entwickelt sowohl downloadbare als auch vorinstallierte Spiele und Anwendungen für Mobiltelefone. Zum Portfolio gehören außerdem Programme und Games fürs mobile Internet. Größter Erfolg ist bislang das Aufbauspiel Townsmen 2, zu dem es mittlerweile sogar Merchandise-Artikel wie Plüschtiere zu kaufen gibt.

/GameStar/dev

Dieser Artikel stammt von unserer Schwesterzeitschrift /Gamestar/dev, dem Magazin für Spiel-Entwicklung und Business-Development.

/Gamestar/dev gibt es nur im Direktversand für 6,90 Euro zuzüglich Versandkostenpauschale oder im Abo mit 30 Prozent Preisvorteil.

Der Markt erfordert immer größere Entwickler-Teams. Bei HandyGames arbeiten derzeit rund 40 Angestellte.