Vom Chaos der Freiheit

16.10.1998
Knapp zwei Wochen nach der endgültigen Liberalisierung des deutschen TK-Marktes war es sicherlich zu früh, bahnbrechende neue Erkenntnisse auf einer Tagung der IIR Mitte Januar in Köln zu erwarten. Ein Stimmungsbild über die ersten hektischen Tage sowie einige nähere Einblicke in die Positionierung einzelner Unternehmen konnte die Veranstaltung allerdings vermitteln.

Von: Achim Born

Das Minimalziel ist erreicht worden", zog Bernd Kraft vom VTM (Verband für Telekommunikation und Mehrwertdienste - inzwischen mit dem Verband der Anbieter von TK-Diensten VAT zum VATM fusioniert) ein mageres Zwischenfazit auf der IIR-Tagung "Trends in der Telekommunikation" in Köln. Er zollte der Politik der Deutschen Telekom (DTAG) gegenüber der neuen Konkurrenz Anerkennung: "Die Taktik der Verzögerung ist perfekt aufgegangen." Mittelfristig werde sich die DTAG hierdurch allerdings eher Nachteile einhandeln.

Kraft zählte all die Punkte auf, die nach seiner Meinung zu einem Investitionsstau wegen der (noch) fehlenden Rendite-Sicherheit führen: das Verhandlungskonzept der DTAG, die Einschaltung der Gerichte, die umständlichen administrativen Prozesse für den Wechsel der Teilnehmeranschlußleitung, die zu spät veröffentlichten Verordnungen und hieraus resultierenden Pflichten zum Telekommunikationsgesetz und schließlich die riesige Regulierungsbehörde mit betriebswirtschaftlichen Know-how-Lücken.

Ein kleines Chaos registrierte Kraft in den ersten Tagen nach der Freigabe des Telefonverkehrs, bedingt auch durch die Versuche der neuen Anbieter, den eigenen Namen und "Preselection" über Kampfpreise bekannt zu machen. Die Preis-Erosion würde den Druck auf Newcomer erheblich erhöhen. Die Strategie des "Me too" und die Konzentration zu vieler Firmen mit nahezu identischen Angeboten für die Geschäftskunden machte der VTM-Sprecher als weitere Problemfelder aus. Gleichwohl gab er sich verhalten optimistisch bezüglich der künftigen Entwicklung.

Schnelles Wachstum

mit Problemen

An Krafts Vortrag schlossen sich auf der IIR-Tagung Referate über Strategie und Angebot neuer und bekannter Anbieter an. Unter anderem stellte Jürgen Pfitzner, Geschäftsführer der Netnet Deutschland GmbH, marketingträchtig sein Unternehmen vor. Als Broker von Telco-Leistungen nutzt die Firma durch geschicktes Billing die Kostenunterschiede ihrer Lieferanten DTAG, Conos, Viag Interkom und von City-Carriern.

Bislang scheint die Rechnung aufzugehen. Denn bei Jahresumsätzen von 18 Millionen Mark im Mobilfunk sowie 100 Millionen Mark im Festnetz mit Leistungen für mittelständische Kunden habe man laut Pfitzner den Break-even schon überschritten. Das Umschalten zwischen den einzelnen Verbindungsvarianten geschah dabei in jüngster Vergangenheit wohl nicht immer ganz reibungslos, und auch die avisierten Einsparungen stellten sich nicht zwangsläufig ein, wie ein Teilnehmer verlauten ließ. Dies beruhe, versuchte Pfitzer zu beruhigen, aber in erster Linie auf frühen Wachstums- und Regulierungsproblemen.

Auch Thyssen-Telecom-Vorstand Dr. Hans-Peter Kohlhammer nutzte die Tagung zur strategischen Standortbestimmung. Das Unternehmen wird häufig als der Verlierer unter den neuen Telcos gehandelt, da man bei dem Feilschen um die DBKom bekanntlich den kürzeren zog und die Muttergesellschaft in der Zwischenzeit aus E-Plus ausstieg. Kohlhammer setzt weiterhin auf das Argument Service, speziell für Multimedia- und Mehrwertdienste. Der Thyssen-Manager: "Hier liegt mit knapp 40 Prozent pro Jahr das größte Wachstumspotential - im Vergleich zu nur zwei Prozent bei der Basistelefonie und 15 Prozent im Mobilfunk."

IP-Telefonie-Versuch

Als Beispiele nannte Kohlhammer ein PC-gestütztes Video-Conferencing-System der Thyssen-Telecom-Tochter IS Internet Services sowie einen Busineß-TV-Dienst für die derzeit 700 (im Laufe des Jahres 1200) Filialen der Bayerischen Vereinsbank. Aber auch die Telefonie besitzt bei Thyssen ihren Stellenwert. Für Plusnet, die zum Jahresende fast 1000 mittelständische Kunden mit Corporate Networks bediente, deutete Kohlhammer die Teilnahme am Privatkundenmarkt im Herbst 98 an.

Im unteren Preissegment setzt man bei dem Stahl-Konzern auf IP-basierte Telefonie. In einem Feldversuch wickeln 100 ausgewählte Teilnehmer Fern- und internationale Gespräche mit Thyssen Telecom Internet-basiert ab. Der Internet-Protokoll-Telefonie gemeinsam mit Satellitenfunk billigt Kohlhammmer das Potential zu, "die gewöhnliche Telefonie zu verändern". Gegen das riesige Produktpotential der Telekom könne man nicht mit einem Schlag konkurrieren, meinte er außerdem.

Im Gegensatz zu Thyssen verfügen die zumeist aus stadtnahen Gesellschaften entstandenen City-Carrier über eigene Kabelstrecken. Klaus Dorpringter, Geschäftsführer der Citykom Münster, ist überzeugt, daß ohne diese Art von Anbietern eine Liberalisierung des deutschen Marktes nicht zustande käme. Er deutete an, daß in nächster Zeit mit einem Verbund der City-Carrier zu rechnen ist.

Die Vorträge der Konferenz - weitere gab es unter anderem von Mannesmann Arcor, Spaceline, P2 Deutschland und der DTAG - zeigten, wie umfangreich und chaotisch sich das Angebot entwickelt. Oder wie meinte noch VTM-Sprecher Kraft in seinem Vortrag: "Der Kunde hat den größten Vorteil, muß sich aber erst an seine neue Freiheit gewöhnen."

(cep)