Visueller Kontakt stärkt das Wir-Gefühl

19.05.2000
Der Speicherspezialist Ixos setzt seit kurzem eine Videokonferenz-Lösung von Picture Tel ein. Das System soll künftig den weltweit rund 900 Mitarbeitern eine neue Art der Kommunikation eröffnen.

Von: Dr. Jörg Schröper

Unter dem Stichwort Video-Conferencing stellen sich selbst die meisten Fachleute die unterschiedlichsten Lösungen vor. So verwundert es wenig, dass die Einführung eines solchen Systems beim Speicherspezialisten Ixos in Grasbrunn bei München zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil aus Psychologie bestand. "Die wichtigste Arbeit bei dem Projekt lag darin, die bestehende Neugier der Kollegen und Mitarbeiter gegenüber dem Thema auszunutzen und damit die Akzeptanz schon in der Einführungsphase zu steigern", erklärt Daniela Duda, verantwortlich für die Einführung des Video-Konferenzsystems von Picture Tel. Rund 900 Ixos-Mitarbeiter sollen künftig weltweit mit Hilfe dieser Technik kommunizieren. Auch im Zeitalter von elektronischer Post und Voice Mail sei ein Austausch immer wesentlich fruchtbarer, wenn Gegen-über mit Blickkontakt zueinander sprechen können, kommentiert Duda weiter.

Ixos kann in den letzten Jahren ein beachtliches Wachstum vorweisen, was dazu führte, dass sich nicht nur die Zahl der Mitarbeiter, sondern auch die der Standorte in verschiedenen Ländern erhöhte. Ein wichtiges Argument für den Einsatz einer Streaming-Lösung war die gleichzeitige Erreichbarkeit aller Kollegen. "Früher gab es Treffen in der Cafeteria oder Meetings im Bürgerhaus der Gemeinde. Bei 17 Standorten in 15 Ländern ist diese Art der Informationsverbreitung einfach nicht mehr praktikabel", trauert Duda den vergangenen Zeiten nicht mehr nach. Sie stuft die Notwendigkeit eines gleichen Wissensstands über das gesamte Unternehmen hinweg äußerst hoch ein. "Vor ein paar Jahren genügte es, von Kollegen zu erfahren, welche Leitlinien der Chef im Bürgerhaus-Meeting ausgegeben hat. Heute müssen alle zur gleichen Zeit erreicht werden können. Dies stärkt auch das Wir-Gefühl innerhalb der Belegschaft."

Wenn Mitarbeiter Informationen untereinander ausschließlich über Telefon oder E-Mail austauschen, geht nach Ansicht von Duda ein wichtiges Merkmal der Kommunikation verloren. "Man verliert das Gesicht des anderen", bringt die Projektleiterin die Gefahr der Schmalspurgespräche auf den Punkt. Diese Einsicht ließe sich unter Kollegen sehr gut vermitteln und damit sei es einfach, eine gewisse Begeisterung für eine Videokonferenz-Lösung zu schüren.

Mittelgroßes Projekt

Das Vorhaben, die Belegschaft komplett an eine über IP arbeitende Konferenzlösung anzuschließen, nahm im Dezember des letzten Jahres konkrete Formen an und sollte - wie immer - möglichst schnell realisiert werden. "Live" gingen die ersten Verbindungen Ende Januar dieses Jahres. Picture Tel hatte eine Beta-Version zur Verfügung gestellt, mit der ausgiebige Tests unternommen wurden. "Richtig groß war das Projekt für Ixos nicht", markiert Duda den Stellenwert innerhalb des Unternehmens, "eher mittelgroß - aber dadurch nicht weniger bedeutend."

Relativ überraschend erscheint eines der Kriterien, das die Aufmerksamkeit der Ixos-Fachleute auf die Lösung von Picture Tel lenkte: "Dies war mit weitem Abstand das am besten im Internet dokumentierte System." Den Web-Auftritt der Konkurrenz bezeichnet Duda als geradezu beschämend. "Wenn sich jemand für technische Lösungen im Conferencing-Bereich interessiert, schaut er doch heutzutage zunächst auf die Web-Seiten der Anbieter. Warum sich manche Firmen dort so unbrauchbar präsentieren, ist schlicht unverständlich."

Zu den Argumenten, die schließlich zu einer Zusammenarbeit mit dem Anbieter aus Massachusetts führten, gehören jedoch auch ganz traditionelle Punkte. "Techniker aus dem Unternehmen sind bei Problemen relativ schnell am Einsatzort. Die Niederlassung ist nicht zu weit entfernt."

Haupteinsatzgebiet von "E-Video" und "Star Cast" ist bei Ixos zunächst das Training der Mitarbeiter. Dazu stehen schon drei Abteilungen in Warteposition. "Die Initiative kommt aus den einzelnen Unternehmensbereichen selbst", freut sich Duda über das Interesse an ihrem Projekt. Ausbildung und Training böte sich auch deshalb als erster Arbeitsbereich bei einer Neueinführung an, da sich dort das Return of Investment am besten in harte Zahlen fassen ließe. Man könne durch Vergleiche mit herkömmlichen Videosystemen recht schnell untermauern, dass eine IP-basierende Lösung effektiv ist.

Vorteile gegenüber Einbahn-Kommunikation

"Wenn Anwender zum ersten Mal mit dem System arbeiten, kommt schnell die Einsicht, dass es mehr leistet als die schlichte Übertragung eines Vortrages oder einer Rede", setzen die Ixos-Verantwortlichen auf den Mehrwert der Konferenzlösung. "Wenn der Vortragende seine Charts zusammen mit seinen Erklärungen über das Netz sendet, wenn es eine moderierte Diskussion im Anschluss gibt, dann überzeugt das System ohne weitere große Argumente", heißt es recht zufrieden zur Akzeptanz bei den Mitarbeitern.

Die technischen Anforderungen des Systems lesen sich nach den Erfahrungen des Ixos-Teams relativ moderat: Im Client-Rechner reicht ein Pentium-Prozessor mit 133 MHz "so gerade" aus, Mindesttaktraten von 200 bis 233 MHz sind aber zu empfehlen. Typischerweise kommen Notebooks zum Einsatz. Desktop-Computer fungieren nur in Ausnahmefällen als Client. Dies wird teilweise dadurch erschwert, dass nicht alle Modelle mit einer Sound-Karte ausgerüstet sind. Die Anwender mussten sich nicht in neue Software einarbeiten: "Da auf dem Client nur mit einem gängigen Browser hantiert werden muss, hält sich der Lernaufwand in Grenzen. Dies war für uns ein weiteres ausschlaggebendes Kriterium", erläutert Daniela Duda in diesem Zusammenhang. Wichtig sei in jedem Fall die Prozessorleistung auf dem Client-System: "Eine lahme CPU geht sonst schon mal in die Knie und das Bild kommt nur ruckelnd an."

Die Lösung von Picture Tel erlaubt es, verschiedene Auflösungs-Level des Multimedia-Datenstroms zu verschicken, abhängig von der zur Verfügung stehenden Bandbreite. "Wir setzen auf der Server-Seite für jedes Bandbreiten-Level eine separate Maschine ein. Dies ist aber nur deswegen nötig, weil Windows NT seine Mühe mit einer zweiten Sound-Karte hat", heißt es bei Ixos weiter.

Als eigentliche Motivation für den Einsatz eines visuellen Systems sehen die Verantwortlichen den internen "Druck zur Kommunikation". Dieser erscheine in manchen Branchen besonders hoch, dazu gehörten zum Beispiel die Automobilindustrie und das Banken- und Versicherungswesen. Neben dem Willen zur Innovation sei dort auch das nötige Geld vorhanden.

Marktforscher: Boom in den nächsten Jahren

Rückendeckung erhalten die Aussagen durch eine aktuelle Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Frost & Sullivan. Für die kommenden Jahre sehen die Fachleute einen stark wachsenden Markt für Video-Konferenzsysteme der unteren Preisklasse voraus. In der Studie vom April dieses Jahres prognostizieren sie für Europa ein Umsatzwachstum in diesem Marktsegment auf 3,2 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2006. 1999 hatte der Wert noch bei 452 Millionen Dollar gelegen. Wichtigste Argumente der Experten sind dabei fallende ISDN-Gebühren und die Einführung kostengünstiger Systeme. Den Untersuchungen der Forscher zufolge werden etwa Set-Top-Boxen als Endgeräte besonders von kleinen und mittleren Unternehmen nachgefragt. Der Bedarf an preiswerten Web-Kameras soll den Markt in der zweiten Hälfte des Prognosezeitraums weiter ankurbeln.

Auch für den privaten Bereich und kleine Büros erwarten die Experten von Frost & Sullivan einen wachsenden Einsatz von Videokonferenzlösungen. Hier spielt das Aufkommen neuer Übertragungsnetze (zum Beispiel ADSL = Asymmetrical Digital Subscriber Line ) zu erschwinglichen Tarifen eine wichtige Rolle.

Zur Zeit bilden die Netzwerke selbst den größten Sektor im Markt für Konferenzsysteme. Das Verhältnis der Anteile soll sich bis ins Jahr 2006 zugunsten der Geräte verschieben. Teure Installationen sind spätestens dann out: Ihr Marktanteil soll von derzeit (1999) 54,4 Prozent auf 4,3 Prozent im Jahr 2006 schrumpfen.

Frost & Sullivan sieht neben Picture Tel auch Sony, VTel, Polycom und Tandberg als wichtige Anbieter in Europa. Picture Tel habe seine Position durch Vertriebs- und Marketingvereinbarungen mit Intel stärken können. Sony präsentiere sich derzeit durch die Einführung innovativer Produkte, heißt es in der Studie weiter.

Die Technik: Streaming Video

Beim E-Video-Applikations-Server handelt es sich um eine Web-Anwendung, mit deren Hilfe sich Videodaten, "Powerpoint"-Grafiken und interaktive Chats zu Übertragungen zusammenstellen lassen. Die Sendung kann live über das Netz gehen oder als so genanntes On-Demand-Broadcast vom Anwender angefordert werden.

Als Basis dient der Management-Server unter Windows NT, mit dem sich die Bandbreitenverteilung, das Event-Handling und mehrstufige Sicherheitsmechanismen regulieren lassen. Der E-Video-Server unterstützt die Streaming-Plattformen "G2" von Real Networks, "Net Show" von Microsoft und das Picture-Tel-eigene "Starlight". Zu den Merkmalen von E-Video gehört das IP-Multicasting, mit dem sich parallele Übertragungsraten von 28,8 kBit/s bis 1,5 MBit/s realisieren lassen. Beim Video-on-Demand können die auf einem Daten-Server gespeicherten Sequenzen so vom Anwender in verschiedener Auflösung abgerufen werden. Dies bietet vor allem dann Vorteile, wenn Zugriffe sowohl aus dem internen LAN als auch von außerhalb nötig sind, etwa über ein analoges Modem aus einem Hotelzimmer.

Organisation durch Abteilungen

Die Installation bei Ixos kommt nach Angaben der Projektleiterin ohne ein spezielles Team von Verwaltern oder Moderatoren aus. Das Aufnehmen und das Senden der Vorführungen übernehmen die Mitarbeiter in den einzelnen Abteilungen selbst. "Beim Testen der Umgebungen haben wir aber relativ harte Kriterien angelegt", heißt es weiter. Da keine speziellen Werkzeuge zur Überprüfung des Systemverhaltens unter Last zur Verfügung standen, wurde einfach am lebenden Objekt geprobt: "Dann mussten eben ein paar Mitarbeiter in den Raum mit der Kamera gehen und andere über den Browser zusehen. Da alle Kollegen von Anfang an involviert waren, hat diese Arbeit sogar Spaß gemacht." Dass man als Hintergrund für eine Übertragung nicht gerade eine weiße Wand auswählen sollte, ist nur eine der praktischen Erfahrungen, die dabei gewonnen wurden.