Drei Führungstypen

Visionär, Manager, Vorgesetzter

06.11.2015 von Georg Kraus
Jedes Unternehmen benötigt drei Typen von Führungskräften: Visionäre, Manager und Fachexperten für die Umsetzung. Entsteht hier ein zu starkes Ungleichgewicht, ist das Risiko zu scheitern groß.

Der Begriff "Leader" wird in der Management-Literatur oft verwendet, der Terminus "Führer" aus historischen Gründen kaum. Vom Leader wird in der Regel der "Manager" abgegrenzt. Seine Aufgabe ist es, im Alltagsgeschäft dafür zu sorgen, dass definierte Wege beschritten und so die Tagesaufgaben möglichst effizient und zielführend erledigt werden.

Was einen guten Manager ausmacht
3 Führungstypen ...
... unterscheidet Managementexperte und Unternehmensberater Georg Kraus. Hier skizziert er die Eigenschaften, die gute Manager auszeichnen.
Ein guter Manager ...
... löst Probleme.
Ein guter Manager ...
... plant und budgetiert.
Ein guter Manager ...
... organisiert und managt das Personal.
Ein guter Manager ...
... betreibt Controlling und Bewertung.
Ein guter Manager ...
... sichert den Prozess und die Qualität.

Vom Leader und vom Manager wird noch ein dritter Typ abgegrenzt, der "Fachexperte". Man könnte ihn als Edelsachbearbeiter bezeichnen, der aber dennoch mit dem klassischen Vorgesetzten gleichzusetzen ist. Seine Karriere lässt sich ungefähr so beschreiben: Als beste Fachkraft in seinem Bereich wurde er zur Führungskraft befördert, schaffte aber den Rollenwechsel nur bedingt.

In seinem Innersten blieb diese Person eine Fachkraft. Dem entspricht auch ihr Führungsverhalten. Sie sieht primär die Sachaufgaben, die im Alltag zu erledigen sind, und nicht die übergeordneten Zusammenhänge. Dieser klassische Vorgesetzte wird seinen ­Mitarbeitern kaum den Sinn ihres Tuns vermitteln. Eigentlich möchte er selber weiterhin die beste Fachkraft sein und Sachaufgaben erledigen - vor ­allem die herausfordernden und komplexen.

Unternehmen brauchen alle drei Führungstypen

Bei einer solchen Typisierung wird leicht übersehen, dass jedes Unternehmen alle drei Führungstypen braucht. Zumindest verbergen sich hinter diesen Typen Aufgaben, die in jeder Organisation zu erfüllen sind. Deshalb wäre es kontraproduktiv, die einzelnen Typen oder Führungsrollen gegeneinander auf- oder abzuwerten.

Jedes Unternehmen braucht Leader - also Personen, die für ihre Organisation eine Vision entwickeln, wohin die Reise gehen soll, und die Mitarbeiter für diese Idee entflammen. Ist diese Rolle nicht besetzt, stagniert die Organisation. Neben diesen Motoren für ein (quantitatives und qualitatives) Wachstum werden auch Manager benötigt. Sie leiten aus den Ideen der Leader Projekte ab und führen sie zum Erfolg. Außerdem sorgen sie im Betriebsalltag dafür, dass die Mitarbeiter die richtigen Prioritäten setzen und die erforderlichen Leistungen erbringen.

Jedes Unternehmen braucht schließlich auch die Fachleute mit Führungsaufgaben, die klassischen Vorgesetzten also, die sicherstellen, dass die Arbeitsqualität stimmt. Sie gewährleisten dies im Idealfall, indem sie

Im Betriebsalltag lässt sich meist nicht so klar wie in Management-Büchern oder -Seminaren zwischen den drei Führungstypen "Leader", "Manager" und "Fachexperte mit Führungs­aufgaben" unterscheiden. Faktisch muss jede Führungskraft diese Rollen in sich vereinen - wenn auch in einer je nach der Position verschieden starken Ausprägung. Sonst ist das Scheitern programmiert.

Was kann ein guter Vorgesetzter/ Fachexperte mit Führungsaufgaben?
Drei Führungstypen ...
... unterscheidet Managementexperte Georg Kraus. Hier skizziert er die Eigenschaften, die gute Vorgesetzte/ Fachexperten mit Führungsaufgaben auszeichnen.
Ein guter Vorgesetzter ...
... beherrscht sein Fachgebiet.
Ein guter Vorgesetzter ...
... ist in der Lage, sich fachlich mit dem Sachgebiet auseinanderzusetzen.
Ein guter Vorgesetzter ...
... wird als Experte von seinen Mitarbeitern befragt.
Ein guter Vorgesetzter ...
... trifft die meisten Entscheidungen selbst.
Ein guter Vorgesetzter ...
... erkennt fachliche Defizite in seinem Bereich schnell.

Was Gründer leicht vergessen

Das zeigen die Beispiele von Startups: An der Spitze mancher zunächst erfolgreichen Firmengründung, die in den vergangenen Jahren die Segel wieder streichen musste, standen Leader - also Personen mit Visionen, die andere Menschen begeistern und mobilisieren konnten. Teilweise hatten diese Gründer aber so viele Ideen, dass in ihren Unternehmen nur noch Baustellenschilder standen.

Sie vergaßen, dass es zum Bauen eines Hauses nicht genügt, eine Baugrube auszuheben. Man muss auch ein Fundament legen, Wände hochziehen, Fenster und Türen einbauen, auf den Rohbau ein Dach setzen, bevor schließlich der Innenausbau beginnen kann. Oder ­anders formuliert: Sie schufen nicht die Strukturen, mit denen sie ihre Ideen auch ­umsetzen und die Früchte der Arbeit hätten ernten können.

Deshalb regierte in diesen Unternehmen irgendwann das Chaos - weil die ordnende Hand fehlte oder weil alle Ansätze von Ordnung von den Leadern sofort wieder zerstört wurden. Oft verloren sie das Interesse an ihren (Bau-)Vorhaben wieder und initiierten auf halbem Weg neue Projekte.

Nicht selten wurde in diesen Startups der Versuch Einzelner, Strukturen zu schaffen, sogar lächerlich gemacht. Alle wollten und sollten Visionäre sein - ganz so wie die oberste Führung. Die tägliche Kärrnerarbeit eines Managers oder die vom täglichen Ringen um Qualität geprägte Arbeit von Fachexperten mit Führungsaufgaben wollte niemand übernehmen. Deshalb folgte auf den rasanten Aufstieg vieler Startups ein abrupter Fall. Die visionären Ideen der Gründer hatten in der Startphase zwar viel Energie freigesetzt, doch diese wurde nie kanalisiert und verpuffte schließlich.

Zu viele Visionäre ruinieren eine Firma

Solche Tendenzen sind übrigens auch in etablierten Unternehmen zu beobachten. Vor drei Jahren baten wir im Rahmen eines Management-Audits die 250 mittleren und oberen Führungskräfte eines Konzerns, eine Selbsteinschätzung vorzunehmen. Das Ergebnis: Fast 90 Prozent der Führungskräfte sahen sich primär als "Leader". Zudem betrachteten sie das Entwickeln von Zukunftsvisionen als zentrale Aufgabe und Fähigkeit einer guten Führungskraft. Angesichts dieses eindimensionalen Verständnisses war es kein Wunder, dass in diesen Unternehmen oft über gravierende Qualitätsprobleme geklagt wurde und darüber, dass Projekte die gesteckten Ziele oft nicht erreichten. Niemand fühlte sich dafür verantwortlich.

Die meisten Führungskräfte sehen sich selbst als Leader.
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Jedes Unternehmen braucht also neben Leadern und Managern auch klassische Vorgesetzte - und: Die wirklich guten Manager vereinigen alle drei Führungstypen in sich. Dies sei am Beispiel oberster Unternehmenslenker erklärt - ganz gleich, ob ihr Titel Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzender lautet. Als deren wichtigste Auf­gabe wird oft das Entwickeln der Visionen genannt, die dem Unternehmen den Weg in die Zukunft weisen.

Das trifft auch zu. Aber was nutzt einem Unternehmen die Vision "Wir wollen der Technologieführer in unserer Branche werden" oder "Wir wollen uns zum Systemanbieter entwickeln", wenn die oberste Führung nicht zugleich die Meilensteine auf dem Weg zum Ziel markiert? Visionen bleiben Tagträume, wenn es nicht gelingt, die nötigen Aufgaben abzuleiten und die Strukturen zu schaffen, damit die Visionen sich erfüllen können.

Auch ein Teamleiter braucht Visionen

Auch die obersten Unternehmensführer müssen Management-Fähigkeiten haben, und sie müssen sich im Bedarfsfall auch mit Fachaufgaben befassen. Sonst nehmen sie ihre Steuerungsfunktion nicht wahr. Am Ende werden sie ihre Ziele nicht erreichen und damit ihre eigene Position gefährden.

Ähnlich verhält es sich bei den Führungskräften am Fuß der Hierarchie. Ihre Kernaufgabe ist es zwar nicht, Visionen zu entwickeln. Sie müssen primär dafür sorgen, dass ihr Team seine Funktion in der Organisation erfüllt. Trotzdem müssen auch sie Manager-Qualitäten haben - damit sich ihre Teams ins Unternehmen einfügen und die übergreifenden Prozesse optimal gestaltet werden können.

Doch dies genügt nicht. Die unteren Vorgesetzten müssen auch allein oder im Dialog mit ihren Mitarbeitern eine Vision entwickeln können, die der gesamten Ausrichtung des Unternehmens entspricht. Zum Beispiel, indem sie sich fragen: Was folgt für uns daraus, dass unser Unternehmen Technologie- oder Qualitätsführer werden möchte? Das heißt also, auch ein Teamleiter muss die drei Führungstypen in sich vereinen - obwohl er ganz andere Aufgaben als ein Konzernlenker hat.

Auf Führungsbalance achten

Führungskräfte sollten sich keinesfalls auf eine der drei Rollen Leader, Manager oder Fachexperte mit Führungsaufgaben zurückziehen oder diese gar idealisieren. Wichtiger ist, sich zu fragen:

Eine solch nüchterne Betrachtung bringt Unternehmen und dem Management mehr, als einzelne Führungstypen oder -rollen zu idealisieren. Bleibt diese Selbstreflexion aus, kann das dazu führen, dass alle Führungskräfte einer Organisation - durchaus abhängig vom Zeitgeist - nur noch Manager oder Leader sein möchten und sich in Krisenzeiten wie hilflos autoritäre Vorgesetzte gebärden. Das zerstört die Führungsbalance in Unternehmen, die für das Bewältigen von Herausforderungen nötig ist.