Virtueller TDM-Ring über Ethernet

08.11.2002
Ethernet-basierte Transportnetze gelten als das Sprach- und Datenübertragungsmedium der Zukunft. Die TDM-over-IP-Technologie von Rad Data Communications (RAD) eröffnet Unternehmen einen Migrationsweg, der die Möglichkeit bietet, bestehendes Equipment für die leitungsvermittelte Sprachübertragung weiter zu nutzen.

Von: Carsten Rossenhövel, Christoph Lange

Die Ethernet-Technologie bietet Betreibern von großen unternehmenseigenen Netzen mehrere Vorteile: Sie können hohe Übertragungsraten zu deutlich niedrigeren Kosten realisieren als mit den derzeit eingesetzten Backbone-Technologien ATM (Asynchroner Transfermodus) und SDH (Synchrone Digitale Hierarchie). Durchgängige Ethernet-Strukturen für sämtliche Sprach- und Datendienste (All-Ethernet) vereinfachen zudem die Netzwerkarchitektur. Und schließlich ermöglichen Ethernet-gestützte Transportnetze vielfältige Services wie Internet-Access, IP-Telefonie, LAN-Kopplung oder Breitband-VPN.

Trotz dieser Vorteile zögern viele Unternehmen, auf die nächste Netzwerkgeneration zu wechseln. Die Umstellung von herkömmlichen TDM-basierenden (Time Division Multiplexing, zum Beispiel ISDN) Telefonanlagen auf Voice over IP (VoIP) kommt aus betriebswirtschaftlichen oder technischen Erwägungen oft nicht in Frage.

VoIP lohnt sich für Anwender, die eine komplett neue Infrastruktur aufbauen oder deren Systeme den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Die meisten Unternehmen besitzen jedoch moderne Telefonanlagen, die alle benötigten Funktionalitäten bereitstellen und oft noch nicht abgeschrieben sind. Neben TDM-Netzen für die Sprachübertragung verfügen zahlreiche Unternehmen über weitere Legacy-Systeme für Echtzeitanwendungen. Bei einer Migration zu Ethernet muss auch eine Lösung für die älteren, nicht IP-fähigen Schnittstellen und Protokolle geschaffen werden.

TDM over IP

Eine gleichermaßen einfache und praktikable Lösung bietet die TDM-over-IP-Technologie (TDMoIP, Zeitmultiplex über Internetprotokoll) von RAD Data Communications. Hier fungieren TDMoIP-Gateways als Brücke zwischen der leitungsvermittelten TDM- und der paketvermittelten IP-Technologie und transportieren TDM-Anwendungen transparent über Ethernet/IP-Netze. Im Gegensatz zu VoIP werden die Sprachdaten bei TDMoIP nicht unmittelbar in IP-Pakete verpackt, sondern verbleiben zunächst im TDM-Datenstrom. Beim Übergang in das IP-Netz zerlegt ein TDMoIP-Gateway den synchronen Bitstrom in Pakete, fügt diesen Paketen IP-Header an und übergibt diese in der Regel über einen Ethernet-Switch dem IP-Transportnetz, das sie zum Empfänger routet. Dort stellt ein zweites Gateway den ursprünglichen Bitstrom wieder her.

Ein Vorteil dieser Lösung ist die Protokolltransparenz: TDMoIP unterstützt gängige Protokolle für Videoapplikationen sowie sämtliche Datenübertragungsprotokolle einschließlich SNA, X.25, Frame Relay, ATM und ISDN. Bei Sprachanwendungen überträgt TDMoIP Protokolle und Signalisierungsdaten einschließlich ISDN, SS7 und QSIG. Ferner lassen sich damit E1- und E3-Festverbindungen über IP realisieren. Allerdings ist die TDMoIP-Technik auf Punkt-zu-Punkt-Tunnel von TDM-Verbindungen beschränkt. Ein Interworking zwischen TDM- und Ethernet-gestützten Endgeräten wie bei VoIP ist nicht vorgesehen. Deshalb können Ethernet-Telefone nicht über TDMoIP mit herkömmlichen Telefonen kommunizieren.

Messequipment

Der "Megaplex 2100" von RAD ist ein flexibler, modularer Multiplexer mit nahezu unterbrechungsfreier Cross-Connect-Funktionalität. Das Gerät der Carrier-Klasse stellt dedizierte Kanäle für PSTN-, ISDN- und Datendienste wie Video und LAN über E1-Leitungen bereit und unterstützt bis zu vier E1-Leitungen.

Das Modul "ML-IP" mit integrierter TDMoIP-Funktion dient als Hauptverbindung zum IP-Netzwerk und sorgt für eine hohe Verfügbarkeit der Ethernetverbindungen in Ring- oder serieller Kettentopologie. Es ermöglicht die Kaskadierung von Megaplex-Geräten und ihren Einsatz als Gegenstelle zu den TDMoIP-Gateways der "IPmux"-Serie. Darüber hinaus verfügt das Modul mit der RAD-eigenen RFER-Technologie (Resilient Fast Ethernet Ring), die ähnlich dem RPR-Standard (Resilient Packet Ring) arbeitet, über eine selbstheilende Lösung mit Ausfallschutz, die in weniger als 50 Millisekunden umschaltet.

Durch die Kombination von RFER und TDMoIP lassen sich über Kupfer- oder Glasfaserleitungen virtuelle TDM-Ringe über Fast-Ethernet einrichten. Damit stellt diese Lösung wegen der höheren Flexibilität und der nativen Ethernet-Unterstützung eine attraktive Alternative zu 155-Mbit/s-SDH-Ringen dar, bei vergleichbarer Ausfallsicherheit. Transportnetze, die sowohl TDM als auch Ethernet unterstützen, ermöglichen vielfältige Services und können die Kosten für Beschaffung, Betrieb und Service deutlich senken. Um weit verteilte Standorte zu vernetzen, werden mehrere Ringe über Cross-Connect-Switches zu größeren Strukturen verbunden. Weil TDMoIP eine universelle Technik zum Tunneln leitungsvermittelter Daten durch IP-Netze ist, sind auch Anwendungen in Weitverkehrsnetzen über die unternehmenseigene Kommunikationsinfrastruktur hinaus möglich.

Test durch EANTC AG

Die oben beschriebenen Ziele der Megaplex-Fast-Ethernet-Architektur mit dem neuen ML-IP-Modul sind sehr anspruchsvoll. Ob die von RAD angekündigte Ausfallsicherheit, Leistung und vollständig protokolltransparente Sprachdatenübertragung tatsächlich erreicht werden kann, untersuchten wir im EANTC-Labor. RAD beauftragte EANTC mit diesem Test im Rahmen der externen Qualitätssicherung. Basierend auf den geplanten Anwendungsgebieten des Produktes entwarfen wir einen applikationsorientierten, von vorherigen internen Tests des Herstellers unabhängigen Testplan. Dadurch wird vermieden, dass das externe Testlabor die gleichen Fehler entdeckt oder übersieht wie die Qualitätssicherung des Herstellers.

Testaufbau: Alle Tests fanden in einer Ringkonfiguration mit fünf "RAD Megaplex 2100" statt, die per Fast-Ethernet-Leitungen zu einem Ring verbunden waren. Zusätzlich war ein "Ipmux Voice Gateway" angeschlossen, um die Zusammenarbeit mit den Megaplex 2100 zu demonstrieren. Die Messungen wurden mit insgesamt drei Analysatoren durchgeführt: "Spirent SMB6000B" für die Ethernet-Lasterzeugung, "Spirent Abacus" als ISDN-Lastgenerator und "Nettest Lite3000E" für Bitfehlermessungen auf E1-Leitungen.

Alle Messungen wurden mit einem Ring aus fünf Megaplex-Geräten mit ML-IP-Modul durchgeführt. Entsprechend der Standardanwendung in realen Netzen waren die Geräte direkt per Ethernet-Kabel (elektrisch oder optisch) miteinander verbunden. Nur so lässt sich garantieren, dass die Ringumschaltung reibungslos funktioniert. Weitere Ethernet-Switches zwischen den Megaplex-Geräten könnten das Verfahren negativ beeinflussen, weil die von RAD entwickelte Umschaltung mit herkömmlichen Spanning-Tree-Lösungen inkompatibel ist - sie wären viel zu langsam.

Die Umschaltzeit ermittelten wir getrennt für Sprach- und Datenanwendungen. Erstere wurden mit einem "Nettest Lite3000E" auf Rahmenfehler untersucht: Wie viele E1-Rahmen gehen verloren, wenn eine Ringverbindung unterbrochen wird? Die gemessenen Werte zeigten eine sehr kurze Umschaltzeit von minimal 8 ms bis maximal 27 ms. Innerhalb dieser Zeit hatten die Megaplex ML-IP-Module die physikalische Ringunterbrechung bemerkt, sich auf eine neue Ringtopologie geeinigt und alle MAC-Adresstabellen umgestellt. Der erste Schritt dauert bei allen vergleichbaren Technologien am längsten - eine zuverlässige, schnelle Fehlererkennung ist nicht trivial, vor allem, wenn die Verbindung nicht physikalisch unterbrochen wird, sondern einfach nicht mehr funktioniert. In solchen Fällen steigt die Umschaltzeit des Megaplex um bis zu 20 ms auf maximal 47 ms, bleibt also immer noch unterhalb der üblichen 50 ms.

Wie ist die Umschaltzeit für Ethernet-Daten, die durch den Ring transportiert werden? Diese Frage untersuchten wir mit einem Ethernet-Lastgenerator "Spirent SMB-6000B", der mit der "Smartflow"-Applikation bis zu 250 Endgeräte pro Port mit verschiedenen MAC-Adressen simulierte. Die Umschaltzeit betrug für Ethernet-Endgeräte unter Volllast (Worst Case: 100 Prozent Fast Ethernet Traffic) zwischen 7,6 und 12,5 Sekunden. Diese Zeit ist nicht spektakulär klein, aber immer noch besser als mit dem Spanning-Tree-Protokoll, das bis zu 30 Sekunden benötigt. Damit liegt RAD im guten Mittelfeld. Die deutlich kürzeren Umschaltzeiten, die viele Hersteller in ihren Datenblättern nennen, beziehen sich meist auf Mechanismen der IP-Schicht (HSRP, VRRP, OSPF). Sie sind nur dann maßgeblich, wenn ein rein geroutetes Netz ohne redundante Ethernet-Strukturen eingesetzt wird.

Priorisierung der Sprache

Da im Megaplex-Ethernet-Ring Sprach- und Datenpakete gemischt sind, ist die korrekte Priorisierung der Sprachverbindungen sehr wichtig. Wir untersuchten diese Priorisierung durch Qualitätsmessungen einer Sprachverbindung bei gleichzeitiger Ethernet-Vollast. Für die Ethernet-Lasterzeugung wurde wieder Smartflow von Spirent eingesetzt, die ISDN-Sprachverbindungen emulierte ein Lastgenerator "Spirent Abacus". Er ermittelte die psychoakustische Sprachqualität (Mean Opinion Score, MOS; siehe auch Artikelreihe "Voice over IP", NetworkWorld 18/2001), die ein Maß für die Verständlichkeit der Sprache darstellt.

In den Tests blieb die Qualität der Sprachverbindung stets beim bestmöglichen Wert (MOS über 4,5), unabhängig von der Ethernet-Hintergrundlast, und entsprach damit exakt der Verständlichkeit einer reinen ISDN-Leitung. Dies galt selbst noch bei der unrealistischen Situation mit Ethernet-Volllast. Dabei leitete der Ring neun Prozent der Ethernet-Pakete zu Gunsten der Sprachpakete nicht weiter.

Weitere Tests mit dem Spirent Abacus ergaben, dass Megaplex die E1-Anwendungsdaten tatsächlich transparent weiterleitete: Die ISDN-Signalisierung wurde nicht beeinflusst und zeigte die gleichen Leistungswerte (ISDN-Anrufe pro Sekunde) wie bei einer Loopback-Verbindung zwischen den Analysator-Anschlüssen. Ebenso unbeeinflusst von der Lastsituation blieb die Signallaufzeit (Latenz) der Sprachverbindung. Wir ermittelten 5 bis 10 Millisekunden je Richtung, ein sehr guter Wert.

Schließlich ermittelten wir noch die Ergebnisse der Pflichttests: Ist die Ethernet-Datenübertragung leistungsfähig und stabil, auch bei einer großen Anzahl emulierter Endgeräte? Zu diesem Zweck fluteten wir den Ring von vier Seiten mit Ethernet-Paketen - auch dies eine nicht ganz realistische Situation, aber eine gute Abschätzung des schlimmsten anzunehmenden Falles. In den ersten Tests zeigte sich eine Leistungsschwäche beim Einsatz von 4 mal 300 MAC-Adressen unter Vollast mit sehr kleinen Paketen und vollvermaschtem Verkehrsmuster - eine Situation, die sich nur mit dem Spirent SMB-6000B zeigte, nicht jedoch mit den bei RAD vorhandenen Lastgeneratoren. Der Ring erreichte in diesem Fall nur einen Bruchteil des möglichen Durchsatzes.

Solche Fehler bieten immer eine gute Gelegenheit, die Qualitätssicherungsprozesse des Herstellers zu beurteilen. RAD bestand diesen Test: Die Ingenieure in Israel hatten bereits eine Woche nach unserer Meldung den Fehler behoben und eine neue Softwareversion bereitgestellt. Mit ihr erreichte der Ring 94 Prozent Durchsatz mit 64-Byte-Paketen und 97 bis 98 Prozent mit größeren Paketen (siehe Grafik). Die fehlenden zwei Prozent werden für die Steuerungsprotokolle zur Redundanzumschaltung im Ring benötigt, erläuterte RAD.

Schließlich überprüften wir die Ethernet-Paketlaufzeiten (Latenz) des Megaplex 2100. Unter normaler Last (50 Prozent) maßen wir 0,056 ms bei 64-Byte-Paketen und 0,376 ms bei 1518 Byte langen Paketen. Bei Volllast führte das Puffermanagement im Ring zu relativ hohen Paketlaufzeiten, im Durchschnitt 0,511 ms für die kleinsten und 8,133 ms für die größten Pakete. Bei 64-Byte-Paketen erreichte der Megaplex-Ring 94 Prozent Durchsatz, mit größeren Paketen 97 bis 98 Prozent.

Fazit

Der RAD Megaplex 2100 mit ML-IP Modul bietet eine interessante Lösung für Unternehmen, die ein Metropolitan Area Network (MAN / WAN) mit eigenen Glasfaserleitungen (Dark Fiber) betreiben. Der Megaplex-Ring eignet sich durch seine hohe Verfügbarkeit, um Sprach- und Datenübertragung miteinander zu verbinden. Das Produkt bewährte sich in unseren Lasttests und zeigte vor allem bei der Sprachübertragung hervorragende Werte. Damit ist es für mittelständische und größere Unternehmen eine echte Alternative zu eingekauften SDH-Datendiensten.

Zur Person

Carsten Rossenhövel

ist Vorstandsmitglied der EANTC AG und leitet die Abteilung Research and Development.

Testergebnis

Megaplex 2100 mit ML-IP-Modul

Hersteller:

RAD Data Communications

http://www.rad.com/

Preis: auf Anfrage

Technische Daten:

TDM-over-IP-Lösung, die unter anderem E1- und E3-Festverbindungen über IP transportieren kann.

Testergebnis:

+ Sehr gute Sprachqualität und -verfügbarkeit

+ Stabile Ethernet-Redundanzumschaltung

- Nur für Netze mit direktem Dark-Fiber-Zugang geeignet

- Hohe Ethernet-Paketlaufzeit unter Volllast