Valentinstag-Spezial: Die Logik der Liebe

14.02.2005 von Rolf Froböse
Das Gehirn ist nur ein gigantisches Kabelnetzwerk mit 100 Milliarden Nervenzellen. Über die Nase steuern Pheromone unsere Lust auf Liebe und Sexualität. Und selbst für Gefühle ist maßgeblich die Chemie verantwortlich.

Aufgeregt beobachtet Michael, wie sich die Tür im Ankunftsbereich des Flughafens in kurzen Abständen öffnet und schließt. Urlauber und Geschäftsleute hasten an ihm vorbei - doch ähnlich wie in einem Film registriert Michael dies nur ganz am Rande. Plötzlich entspannt sich sein Gesichtsausdruck - Bianca kommt aus der Tür. Sie erkennt ihn sofort, lässt den Wagen mit dem Koffer kurz stehen und läuft auf ihn zu. Als sie sich küssen und beide den vertrauten Geruch des Partners wahrnehmen, hat auch die Chemie heimlich von ihnen Besitz ergriffen.

Diese kurze Szene aus dem Leben zweier junger Menschen dürfte vielen von uns bekannt vorkommen. Die innere Unruhe, Anspannung, Aufregung, gepaart mit Sehnsucht und dann das schier unendliche Glücksempfinden nach der Begegnung - wer hat dieses Wechselbad der Gefühle in ähnlichen Situationen nicht bereits selber durchlebt?

Auch wenn die beiden den Eindruck haben, das Zentrum ihrer Liebe sitze im Herzen, so ist es in Wahrheit doch ausschließlich ihr Gehirn, das für das Herzklopfen und die "Schmetterlinge im Bauch" verantwortlich ist. "Nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Gehirn denken wir", so hatte es der griechische Arzt Hippokrates, der auf der Insel Kos lebte, bereits um 400 v. Chr. formuliert, womit er seiner Zeit allerdings hoffnungslos voraus war. Denn obwohl das Organ, dem die antiken Griechen den Namen "en kephale" ("im Kopf gelegen") gegeben hatten, die Menschen von jeher faszinierte, war es ein langer Weg bis man verstand, dass allein das Gehirn der Entstehungsort unserer Gedanken, Gefühle, Empfindungen und letztendlich auch des Bewusstseins ist.

Das Gehirn: Zahlen und Fakten

Unser Gehirn wäre aber arbeitslos, wenn es mit dem menschlichen Körper nicht durch ein unvorstellbares Netzwerk von Befehlsleitungen verkabelt wäre. Ein Geflecht aus rund 380.000 km Nervenfasern, das aneinandergereiht die Entfernung von der Erde bis zum Mond überbrücken würde, sorgt für den einwandfreien Informationsfluss zwischen der Kommandozentrale und allen Bereichen des menschlichen Körpers.

So unglaublich es klingt: Die "Hardware" dieser Kommandozentrale im Kopf besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen - das entspricht der Anzahl der Sterne in unserer Milchstraße. Wollten wir die Anzahl der theoretisch möglichen Verbindungen zwischen diesen Zellen berechnen, wäre das Ergebnis ganz und gar unvorstellbar, denn es gibt mehr mögliche Verbindungen zwischen all diesen Zellen, als Atome im gesamten Universum!

Der Wissenschaftler Prof. Dr. Werner Stangl vom Institut für Pädagogik und Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz setzt noch eins drauf und veranschaulicht diese unvorstellbar hohe Zahl wie folgt: "Wenn das Gehirn mindestens 15 Milliarden Gehirnzellen enthält, so können durch die verschiedenen Verbindungsmöglichkeiten insgesamt zwei hoch 10 Milliarden Informationen gespeichert werden. Wenn wir diese Zahl niederschreiben wollten und jede Sekunde eine Null notierten, bräuchten wir hierfür sage und schreibe 90 Jahre."

Das Gehirn ist also im Prinzip ein gigantisches Kabelnetzwerk von mehreren 100 000 Kilometern Länge. Und wie in einem Stromkabel fließt auch entlang der Nervenbahnen Strom. Wird eine Nervenzelle durch einen ankommenden Reiz stimuliert, dann verändert sie innerhalb kürzester Zeit ihren Zustand: Entweder sie wird erregt oder sie wird gehemmt. Wenn eine Zelle erregt wird, dann werden in einer Art Kettenreaktion über Botenstoffe auch die nächsten und übernächsten Nervenzellen angeregt.

Die Chemie der Liebe

Um jene Vorgänge nachzuweisen, die für die Chemie der Liebe verantwortlich sind, hat sich der Hamburger Hormonforscher Professor Richard Ivell im tiefsten Innern des Gehirns umgesehen. Dort fand er einen Mikrokosmos vor, in dem ausgewählte Moleküle wie winzige U-Boote durch die Blutbahn gleiten und an genau definierten Plätzen "vor Anker" gehen, um ihre Wirkung zu entfalten. Diese Chemie steuert laut Ivell nicht nur unsere Lebensfunktionen, sondern auch unsere ureigensten Gedanken und Gefühle.

Nicht nur Hormone, sondern auch Sexuallockstoffe sind neueren Erkenntnissen zufolge auch beim Menschen an dem Chemiecocktail beteiligt. Hierfür gibt es einen plausiblen Grund: "Am Anfang allen Lebens stand die molekulare Erkennung", argumentiert Prof. Dr. Wittko Francke vom Institut für organische Chemie der Universität Hamburg. So habe es die chemische Kommunikation schon zu einer Zeit gegeben, als es noch gar keine höheren Lebewesen, geschweige denn Säugetiere oder überhaupt Organe gab. Pheromone sind demnach nichts anderes als die chemischen Wörter im Dialog der Düfte.

Diese von der Chemie ausgelöste Lust auf Sexualität gelangt über die Nase ins Gehirn. "Früher war es üblich, dass junge Männer vor dem Tanzen ihre Ziertaschentücher eine Weile unter der Achselhöhle trugen", berichtet Francke. Dies habe die jungen Damen stimuliert. Von Napoleon Bonaparte wiederum sei ein "verräterisches" Zitat bekannt, unterstreicht der Forscher. "Nicht waschen, komme in drei Tagen", soll er seiner Frau einmal geschrieben haben. "Es hat auch schon Versuche mit präparierten Textilien gegeben", führt Francke weiter aus. Geringe Mengen des männlichen Sexualhormons Adrostenon im Gewebe hätten ein größeres Kaufinteresse geweckt als die unpräparierten Stücke. Selbst vor Zahnarztpraxen seien die Hormonforscher nicht zurückgeschreckt: Immer dann, wenn den Patienten zwei unterschiedliche Stühle zur Auswahl standen, sei eine Mehrzahl der Patientinnen der chemischen Spur gefolgt.

Für die Tiefe der Beziehung ist der Wunsch nach Zärtlichkeit, Geborgenheit, sowie körperlicher und geistiger Nähe des Partners von nicht minder großer Bedeutung: Gefühle also, die über das rein körperliche Begehren hinausgehen. Auch für diese Gefühlsebene, so ernüchternd es zunächst klingen mag, ist maßgeblich die Chemie verantwortlich. Forscher haben im Tierversuch herausgefunden, dass chemische Substanzen im Gehirn das Gefühl der Zuneigung - was sich auch bei Ratten und Mäusen beispielsweise durch gegenseitiges Anschmiegen oder Kuscheln artikuliert - ausmachen. "Auch für die Beziehung von Menschen untereinander scheint es einen ähnlich gelagerten molekularen Zusammenhang zu geben", ergänzt Hormonforscher Ivell. Alle bisherigen Versuche deuteten darauf hin, dass es sich vorrangig um das Oxytocin handele, ein Hormon, das in den USA seit kurzem auch als "Schmusehormon" bezeichnet wird. (ala)

Dieser Beitrag stammt aus dem Buch "Lust und Liebe - alles nur Chemie? " von Gabriele und Rolf Froböse, erschienen im Wiley-VCH-Verlag. Gabriele und Rolf Froböse lassen in ihrem Buch keinen Zweifel darüber, dass alles, was wir als Lust und Liebe bezeichnen, nur Chemie ist und auf Botenstoffen, Hormonen und anderen körpereigenen Chemikalien beruht.