United Linux - Sprungbrett ins Business?

03.06.2002 von Jörg Luther
Mit United Linux will das Distributoren-Quartett Caldera, Conectiva, SuSE und Turbolinux einen Industriestandard für das Opensource-OS setzen. Doch die Kooperations-Verträge lassen einige wichtige Fragen offen.

Nach neun Monaten zäher Verhandlungen produziert sich Ransom Love als erleichterter Vater. Sieben Kinder habe seine Frau ihm geschenkt, lässt der Caldera-Präsident auf der Pressekonferenz den illustren Zirkel von Fachjournalisten wissen, aber keine der Geburten sei so schwierig gewesen wie die von United Linux (UL).

Erst die fruchtbare Zusammenarbeit mit SuSE habe das Projekt ermöglicht, lobt Love. "Das macht Gerhard Burtscher praktisch zur Mutter", frotzelt er in Richtung des neben ihm sitzenden SuSE-CEO. Der lächelt leicht gequält - wohl vor allen Dingen deshalb, weil das Ehepaar Love-Burtscher trotz der langen Schwangerschaft noch kein Kind vorweisen kann.

Mehr als erste Lebenszeichen gibt der Embryo eines möglichen Linux-Industriestandards bislang noch nicht von sich. Während Ransom Love am letzten Maitag seine jüngste Vaterschaft feiert, trocknet noch die Tinte auf den Kooperationsverträgen. Zwar existiert schon eine United Linux LLC - doch die gemeinsame Company besteht bislang lediglich aus einem Board of Directors und zahlreichen Absichtserklärungen.

Die Caldera-Entwickler sind schon aus ihrem Erlanger Domizil in die SuSE-Softwareschmiede nach Nürnberg umgezogen - was aber Turbolinux und Conectiva in die Entwicklung einbringen und wie, darauf bleiben Papa Love und Mama Burtscher die Antwort schuldig. Fest steht nur, dass die Frucht der Verbindung nicht vor Weihnachten das Licht der Welt erblicken wird.

Das System

Noch einmal neun Monate Schwangerschaft stehen also an - selbst Elefanten sind da schneller. Dabei soll die Neuentwicklung weit weniger pompös ausfallen als ein juveniler Dickhäuter. "One CD" sei das Ziel der gemeinsamen Anstrengungen, erläutert Ransom Love.

Die Scheibe wird lediglich Kernel und Init-Routinen, die Libraries sowie einen einheitlichen Installer für ein Business-Linux umfassen. Als Codebasis für das Projekt dient SLES, der SuSE Linux Enterprise Server. Bei den unterstützten Plattformen beschränkt sich das UL-Projekt auf IA32- und IA64-Systeme mit CPUs von Intel oder AMD.

Das United-Linux-Basissystem orientiert sich an mehr oder weniger ausgereiften Implementationsstandards für Verzeichnishierarchie (Filesystem Hierarchy Standard FHS), grundlegende Systemfunktionen (Linux Standard Base LSB 1.1) und Lokalisierung (Li18nux). Als Bausteine sind Kernel 2.4.18, glibc 2.2.5, gcc 3.1 und XFree86 4.2 samt KDE- und GNOME-Minimalsystemen vorgesehen.

Als unterstützte Filesysteme nennt die Firmen-Quadriga ext3, ReiserFS und JFS. Drapieren soll das Ganze voraussichtlich Support für Technologien wie IPv6, SAN/NAS inklusive iSCSI, Raw I/O, Hyperthreading und NUMA. Genauere Absichtserklärungen dazu liefert ein United-Linux-Whitepaper.

Baustein-OS

Das angepeilte Basissystem soll jedoch nicht als eigenes Produkt der Firma United Linux vermarktet werden. Stattdessen bildet es den Grundstock für die Business-Suites der beteiligten Distributoren. Sie ergänzen die Systemdisk um eigene Zusatzscheiben und bringen das Ergebnis dann als "Powered-by-United-Linux"-Distribution von Caldera, SuSE, etc. an den Mann. Bis auf weiteres wird es nur eine Servervariante samt Applikationen wie Apache/Tomcat, Squid, PHP, Samba und OpenLDAP geben. Ein United-Linux-Desktop liegt dagegen in weiter Ferne, sofern es ihn überhaupt jemals geben sollte.

Bei der Release-Frequenz will sich das Konsortium an den klassischen Business-Erfordernissen orientieren. Für den Profi-Einsatz nicht akzeptable Versionssprünge im Quartalsrhythmus wird es bei UL nicht geben. Major Releases sollen etwa alle zwölf Monate erscheinen, bereits vorgeplant sind United Linux 1.0 für Q4/2002 und UL 2.0 für Q4/2003. Zwischen den Hauptversionen halten schnell implementierbare Update-Pakete die Systeme auf dem aktuellen Stand.

Die Konkurrenz

Als "coopetition", also als Mittelding zwischen Cooperation und Competition, beschreibt Ransom Love in Anlehnung an seinen Freund und Mentor Ray Noorda die geplante Vermarktungsstruktur. Die Vorteile für die beteiligten Hersteller liegen auf der Hand: Die Kooperation bei der Systementwicklung drückt Kosten und Zeiten drastisch, auch die Zertifizierung von Drittprodukten wird wesentlich erleichtert.

Davon verspricht sich das UL-Konsortium mehr und bessere Business-Anwendungen sowie eine breitere Hardware-Unterstützung. Beides soll dem Kunden die Entscheidung für den Einsatz von Linux im Business erleichtern.

Zudem ermöglicht die gemeinsame Systembasis gegebenenfalls einen koordinierten Einsatz von Personal und Material bei Consulting, Support und Marketing. "Dabei ist hilfreich, dass man sich nur teilweise überlappt", stellt SuSE-CEO Gerhard Burtscher klar. Der Zusammenschluss von Regionalgrößen - Caldera für Nordamerika, Conectiva für Südamerika, SuSE für EMEA und Turbolinux für APAC - birgt dabei durchaus das Potenzial, der Konkurrenz das Leben zu erschweren. "Das macht uns eine Flanke dicht: Globalisierung", pointiert Burtscher diesen Effekt.

Gewinner und Verlierer

Zwar schieben dabei alle Beteiligten als potenziellen Gegner lautstark Microsoft vor, doch könnte ein Erfolg der United-Linux-Initiative ganz offensichtlich vor allem dem schon jetzt auf Business Services fokussierten Konkurrenten Red Hat die Bilanzen verregnen. Der hält im Moment, vorsichtig gerechnet, allein den doppelten Marktanteil wie die vier Partner der UL-Allianz zusammen.

Geradezu drollig wirkt da die gebetsmühlenartig vorgetragene Beteuerung aller Beteiligten, natürlich stehe United Linux auch Red Hat zum Beitritt offen. Ebenso gut könnte man da gleich auch Microsoft eine Kooperation nahe legen. Wesentlich wahrscheinlicher ist das Szenario, dass im Zuge sichtbar werdender Erfolge der "Coopetition" auch andere lokale Distributionsgrößen der Initiative beitreten. Als heißer Kandidat wird von Insidern etwa Mandrake gehandelt, das als potenzielle Heimat eines UL-Desktopsystems in Frage käme.

Chancen und Reaktionen

Die Reaktionen der IT-Industrie auf die United-Linux-Ankündigung fallen durchweg positiv auf. So ziert die Homepage des Distributoren-Konsortiums schon weit vor der ersten Produktveröffentlichung eine wahre Jubelarie aus den Kehlen von Branchengrößen wie AMD, Computer Associates, Fujitsu/Siemens, Hewlett-Packard, IBM, NEC oder SAP. Das kann angesichts der Vorteile, die ein Industriestandard-Linux den Drittherstellern bietet, nur wenig verwundern.

Soft- wie Hardware-Anbieter sehen in United Linux eine Chance, ihre Entwicklungs- und Supportkosten drastisch zu reduzieren. Bislang musste jedes Produkt für vier oder mehr Distributionen entwickelt, portiert oder angepasst sowie getestet werden. Ein künftiges United Linux verspricht hier den Aufwand zu minimieren - nach Hoffnung des Distributoren-Quartetts zumindest auf die Varianten UL und Red Hat.

Enthusiastischer Beifall für UL

Hört man den UL-Exponenten genau zu, schwingt zwischen den Zeilen sogar die deutliche Hoffnung mit, Red Hat könnte sich durch eine dauerhafte UL-Verweigerung auf lange Sicht das Wasser selbst abgraben.

In jedem Fall verspricht sich die Industrie von United Linux auf Dauer eine breitere Popularität von Linux als Business-Alternative und damit eine deutlich erhöhte Nachfrage nach entsprechenden Soft- und Hardware-Lösungen. Gerade die Hersteller von Recheneisen aller Größen fallen durch enthusiastischen Beifall für das UL-Projekt auf.

Die einzig bedeutende Ausnahme bildet hier bezeichnenderweise Sun Microsystems, das in letzter Zeit mit spektakulären Propaganda-Ausfällen gegen Linux von sich reden machte.

Ein breiterer Business-Erfolg von Linux würde das ohnehin angegriffene Geschäft der Kalifornier mit ihrer Sparc/Solaris-Plattform mit Sicherheit weiter anknabbern. Auf den Kommentar von Scott McNealy zu United Linux darf man also schon gespannt sein.

Fragmentierung oder Vereinheitlichung

Es bleibt die Frage, was United Linux letztlich dem Anwender bringt. Hier operiert das Konsortium vorrangig mit der Behauptung, das neue System beuge einer Fragmentierung von Linux vor und schaffe damit Investitionssicherheit. Angesichts der vorgelegten Planungen muss man diese Behauptung allerdings in Frage stellen. Trotz United Linux bleiben faktisch verschiedene Distributionsvarianten erhalten.

Zusätzlich entsteht neben dem Community-Mainstream eine nebenläufige Business-Variante, zumindest bei Servern, langfristig möglicherweise auch auf dem Desktop. Statt einer Vereinheitlichung könnte hier also durchaus eine erste ernsthafte Spaltung des Opensource-Unix stattfinden. Tatsächlich werden alle beteiligten Hersteller neben dem United-Linux-basierten Server auch weiter das jeweils eigene Desktop-Linux verkaufen, das aus einer gänzlich anderen Codebase stammt.

So auch SuSE, in dessen Entwicklerschmiede das United Linux entstehen soll. Wünsche aus der Community flössen in die UL-Entwicklung sicherlich nicht ein, stellte ein SuSE-Developer auf Nachfrage klar, dazu gebe es auch "gar kein definiertes Verfahren". Man horche eher auf Wünsche aus dem Business-Klientel. Die Interaktion der SLES- mit der SuSE-Linux-Codebase halte sich in engen Grenzen, natürlich erledige man gewisse Fixes oft gemeinsam.

Code-Forking also schon beim einzelnen Hersteller? Mainstream-Linux für "Arme", United Linux für den dickeren Geldbeutel? Angesichts solcher Möglichkeiten hinterlässt die Initiative durchaus gemischte Gefühle.

Fazit

Grundsätzlich hat United Linux zwar das Potenzial, die schon lange geforderte Business-Linux-Variante endlich zu realisieren. Allerdings ist sich das UL-Quartett bislang an einer wesentlichen Stelle noch uneins, die über das Wahl und Wehe jedes industriefähigen Betriebssystems entscheidet: Bei der Schulung. Noch immer gibt es einen akuten Mangel an qualifizierten Administratoren für Unternehmenssysteme. In diesem Szenario muss jedes Unternehmen, das ein neues NOS disloziert, sich auch Gedanken um die Beschaffung der notwendigen Skills machen.

Als probater Maßstab zur Identifikation geeigneten Personals gelten Herstellerzertifizierungen wie MCSE, CNE oder CCIE. Eine United Linux Certified Engineer oder Ähnliches wird es vorerst jedoch nicht geben, entsprechende Vorarbeiten des Konsortiums stehen bislang völlig aus. Stattdessen führten die Ende Mai vorgelegten United-Linux-Papiere Training und Zertifikation in der Rubrik "Competition" auf. Hier will also jeder der Beteiligten weiterhin sein eigenes Süppchen kochen.

Man kann Caldera, Conectiva, SuSE und Turbolinux nur dringend raten, sich bis zum Release noch einmal um den runden Tisch zu versammeln. Ohne ein schlüssiges Schulungs- und Zertifizierungskonzept werden sich auch in Zukunft die Chancen eines Business-Linux in engen Grenzen halten. Zur professionellen IT-Strategie jedes Unternehmens gehört, die nötige Manpower für Administration und Maintenance sicherzustellen. Ohne verlässliche Zertifizierung bleibt dies jedoch ein frommer Wunsch. (jlu)