Unausgereifte Technik

20.10.2000
Internet-Telefone können in Sachen Tonqualität mit den herkömmlichen Apparaten gut mithalten. Nur bei den Services müssen sie noch einiges dazulernen.

Von: Jon Kenton, Philippe Chevallier

Der Begriff "Voice over IP" (VoIP) bezeichnet eine Technik, mit der IP-Netzwerke Sprache übertragen - zum Teil besser als die herkömmlichen öffentlichen Telefonnetze. Die Sprachkommunikation in einem IP-Netz beruht dabei auf vier Komponenten, nämlich den Endgeräten, dem Gateway, dem "Gatekeeper" und der "Multi-Control-Unit".

Die Endgeräte

Ein VoIP-Endgerät oder "Client" ist das Element, von dem die Initiative zum Herstellen von Live-Kommunikationsverbindungen ausgeht. Der heute gebräuchlichste Endgerätetyp ist ein Softwarepaket wie "Netmeeting" von Microsoft, das auf einem PC läuft. Mit Hilfe dieser Schnittstelle können die Anwender Telefongespräche über das Internet führen. Im Hintergrund sorgt die Software für den Aufbau und das Trennen der Verbindungen sowie für das Kodieren und Dekodieren der übertragenen Sprache. Das Mikrofon und die Lautsprecher des PCs werden hierbei anstelle eines normalen Fernsprechers benutzt. Bei Gesprächen über das Internet mit einem an das öffentliche Netz angeschlossenen Telefon wird ein "virtuelles Endgerät" verwendet, ein Softwaremodul, das Teil eines vom Serviceprovider eingesetzten VoIP-Gateways ist. Es stellt die Schnittstellen sowie den Protokollendpunkt für die Kommunikation bereit.

Das Endgerät ermöglicht in Echtzeit eine bidirektionale Sprach-, Video- oder Datenkommunikation mit anderen VoIP-Endgeräten. Es kommuniziert mit den VoIP-Gateways über das ITU-Protokoll (ITU = International Telecommunications Union) H.245 für die Verbindungssteuerung und über die ETSI-Standards (ETSI = European Telecommunications Standards Institute) Q.931 für den Verbindungsaufbau und "Remote Access Service" (RAS) für die Registrierung und Administration im lokalen Gatekeeper. Dabei arbeitet es mit verschiedenen Elementen zusammen, beispielsweise mit einem regulären Telefonapparat (POTS = Plain Old Telephone System) oder dem Mikrofon/Lautsprecher auf der Audioseite beziehungsweise einer Kamera/Monitor-Kombination für die Videoübertragung.

Das Gateway

Das gesamte VoIP-Konzept hätte keinen großen praktischen Nutzen, wenn die Anwender der Internet-Telefonie nicht mit normalen Fernsprechapparaten kommunizieren könnten. Gateways stellen die Verbindung zwischen der traditionellen Technik und der digitalen Welt der Internet-Telefonie her, so dass die Benutzer beider Techniken miteinander kommunizieren können. Die Hauptfunktion des Gateways besteht darin, Übersetzerdienste für das "virtuelle" Endgerät und für die verschiedenen Übertragungsformate, Kommunikationsprozeduren und Audio-Codecs zu leisten.

Das Gateway ist eine Zweiwege-Schnittstelle zwischen dem Telefonnetz und dem IP-Netzwerk. Es kann daher entfallen, wenn keine Verbindung zum regulären Telefonnetz erforderlich ist; zum Beispiel in einem unternehmenseigenen LAN. Das Gateway ist für den Aufbau und Abbau der Sprachkanäle zwischen dem H.323- und dem PSTN-Netz zuständig und lässt sich in drei Komponenten auf drei verschiedenen Plattformen untergliedern:

- Das Media Gateway bewirkt die Umsetzung des Sprachverkehrs vom IP-Standard G.723 (ITU) mit 6,3 kBit/s auf die Norm G.711 mit 64 kBit/s. Es ist auf einer Seite mit einem lokalen Netzwerk verbunden, zum Beispiel Ethernet oder Fast-Ethernet, und stellt auf der anderen Seite den Kontakt zum Telefonnetz her, und zwar mit einer T1-Fernleitung oder einer ISDN-Leitung für die Videosignal-Kommunikation mit H.320-konformen Videoeinrichtungen. Diese Plattform muss ständig aktiv bleiben, um alle Unstimmigkeiten zwischen den beiden Endpunkten zu beseitigen. Daher ist eine High-Availability-Plattform mit minimaler Ausfallzeit erforderlich, die auch bei laufendem Systembetrieb gewartet werden kann. Dieser Systemknoten kontrolliert den Jitter-Puffer, die Laufzeit-Optimierung, die Echo-Unterdrückung und andere Verfahren zur Verbesserung der Quality-of-Service.

- Der Media Gateway Controller ist für die allgemeine Steuerung des Gateways zuständig. Vom Gatekeeper erfährt er, welche IP-Adresse zu welchem Telefonnetz gehört.

- Das Signalling Gateway stellt die Verbindung zwischen dem SS7-Signalisierungsnetz (Signalisierungssystem Nummer 7 vom American National Standards Institute ANSI) und der VoIP-Signalisierung her.

Der Gatekeeper

Call-Control-Funktionen spielen für jedes Netzwerk mit Sprachübertragung eine wichtige Rolle. Viele dieser Funktionen werden von komplexen Datenbank-Managementsystemen übernommen. Hierzu gehört unter anderem die Gesprächsabrechnung, die Adressumsetzung, das Routing und das Bandbreiten-Management. Der Gatekeeper ist ein Hochleistungsrechner mit High-Availability-Merkmalen. Mehrere Gatekeeper sind durch ein "Border Element" verknüpft, einen "Super-Gatekeeper", nach Maßgabe des Protokolls H.225 Annex G (ITU).

Der Gatekeeper hat folgende Funktionen:

- Die Adressumsetzung ordnet an jedem Endpunkt einer Alias-Adresse eine Netzwerkadresse zu und umgekehrt. In einem IP-Netzwerk wird hierdurch verhindert, dass die H.323-Endpunkte (Endgeräte, Gateways et cetera) die Umsetzung der Alias- in die IP-Adresse lokal vornehmen, was zu Verbindungsfehlern oder unbekannten IP-Adressfehlern führen könnte.

- Die Zugangskontrolle begrenzt den Zugang je nach verfügbarer Netzwerkbandbreite und den Zugriffsrechten der Anwender.

- Die Verwaltung der Bandbreite im Netz sorgt für eine optimale Kommunikationsqualität zwischen den Endpunkten.

- Das Zonenmanagement legt fest, welche H.323-Endpunkte von einem Gatekeeper jeweils kontrolliert werden. Jeder Endpunkt beantragt eine Registrierung bei diesem Modul und profitiert damit von allen Gatekeeper-Funktionen.

Die Multipoint-Control-Unit (MCU) ist diejenige Komponente der VoIP-Architektur, die den Benutzern erweiterte Möglichkeiten der Zusammenarbeit durch Telefon- oder Videokonferenzen bietet. Die MCU wirkt als Endpunkt im Netzwerk und ermöglicht Konferenzschaltungen mit drei oder mehr H.323-Endgeräten. Sie besteht aus einem Multipoint-Controller und enthält auf Wunsch einen Multipoint-Prozessor. Der Gatekeeper kann die MCU explizit aktivieren, wenn zwei oder mehr Endpunkte an der selben Konferenzschaltung teilnehmen.

Der Multipoint-Prozessor kombiniert und vermittelt alle Audio/Video- und Datensignale zwischen den H.323-Endpunkten. Er bietet die gleichen automatischen Audio/Video-Vocoder-Funktionen wie alle anderen H.323-Endgeräte oder -Gateways.

Fortschritte der IP-Telefonie

Damit die Internet-Telefonie Anklang findet, darf sie dem öffentlichen Telefonnetz in nichts nachstehen. Noch sind die Dienste Audio/Video-Konferenzen, Notruf, gebührenfreie Nummern und Auskunft jedoch bei den gängigen VoIP-Produkten nur eingeschränkt verfügbar. Damit Internet-Telefone künftig besser werden, arbeiten verschiedene Standardisierungsgremien an Normen, die solche Services vereinheitlichen. Die SIP-Arbeitsgruppe (SIP = Session Initiation Protocol) der Internet Engineering Task Force (IETF) entwickelt Funktionen auf der Grundlage der Call-Control-Spezifikation (Multiparty-Dienste und MIB-Unterstützung). Und auch die ITU brütet über der Definition von Services, die die Anforderungen an die IP-Telefonie erfüllen sollen. Für Audio-Vocoder (Vocoder = Voice-Coder, zu deutsch Sprachkodierer) werden neue DSP-Algorithmen (DSP = Digitaler Signalprozessor) eingeführt, die für hochwertige Sprachübertragungen sorgen sollen. (kpl)

Zur Person

Jon Kenton

ist Telecom Market Development Manager der Motorola Computer.

Philippe Chevallier

ist System Architect für Telekommunikationsplattformen bei Motorola Computer.