Tungsten - Neue Profi-PDAs von Palm

28.10.2002 von ULRICH BANTLE 
Palm hat mit den ersten Tungsten-Modellen eine neue PDA-Familie vorgestellt. Die Taschen-PCs für mobile Business-Anwender sollen mit unterschiedlichen Features verlorene Marktanteile zurückerobern.

Der Markenname Tungsten, dem Palm nun erste Geräte zuordnet, ist Teil einer neuen Produktstrategie. Künftig sind bei Palm getrennte Linien für Business-Anwender und Consumer vorgesehen. Während Tungsten den professionellen und ambitionierten Benutzerkreis ansprechen soll, sind die bereits vorgestellten Zire-Modelle für den privaten Gebrauch gedacht.

Die Strategie schlägt sich auch in einem starken Preisgefälle nieder. Vobis hat, wie berichtet, den günstigsten Zire mit schlichter PIM-Funktionalität und Dragonball-CPU bereits für 99 Euro im Angebot. Der Tungsten liegt dagegen im Preissegment der Pocket PCs. Palm gibt die Preise für den Tungsten T mit 499 US-Dollar an, was der Vertrieb auf 599 Euro für Europa hochrechnet. Das Modell Tungsten W mit Telefoniefunktion soll 549 US-Dollar kosten. Der genaue Preis des GSM-Handhelds hängt aber auch von den Subventionen von Vertragsoptionen der Mobilfunk-Provider ab.

Palm muss für seine neuen Top-Produkte nicht allein die Konkurrenz aus der immer mächtiger werdenden Pocket-PC-Fraktion fürchten, der demnächst auch Dell beitreten will. Aus dem Lager der Palm-basierten Geräte droht ebenfalls Ungemach. Handspring hat in den USA zeitgleich zur Präsentation der Tungsten-Modelle Preissenkungen für die Treo-PDAs angekündigt. Diese warten wie der Tungsten W auch mit Telefonie-Funktionen auf. Als neuer Mitspieler auf dem Markt kommt nebenbei noch Microsoft mit dem kürzlich vorgestellten Smartphone-OS (Code-Name Stinger) ins Spiel. Microsoft hat mit dem Mobilfunkkonzern Orange bereits einen ersten Vertriebspartner gefunden und konnte erste Hardware zeigen.

Tungsten T - Premiere mit 144-MHz-ARM

Der Tungsten T ist schmaler und kompakter als bisherige Modelle von Palm. Sein Graffiti-Feld gibt er über einen Schiebemechanismus frei, den Palm "Dual Mode Slider" nennt. Ist der Slider geschlossen, ist der PDA nur 102 Millimeter hoch.

Die CPU des Tungsten T stammt von Texas Instruments. Der "OMAP 1510"-Chip taktet mit 144 MHz und basiert auf der Architektur von ARM. OMAP steht dabei für Open Multimedia Applications Platform. Gepaart mit einem DSP und dem neuen Palm OS 5 soll sie dem Palm-PDA die Multimedia-Fähigkeiten verleihen, die Palm bislang fast kampflos den Pocket PCs überlassen hat.

Äußeres Merkmal für die Multimedia-Tauglichkeit ist ein reflektives 16-Bit-Farb-Display mit einer Auflösung von 320 x 320 Pixel. Die vorangegangenen PDAs von Palm waren auf ein Display von 160 x 160 Pixel beschränkt. Palm selbst hatte bislang an der kleinen Auflösung festgehalten, obwohl Palm-Lizenznehmer wie Sony bereits Geräte mit Palm OS 5 und höherer Auflösung auf den Markt gebracht haben (wir berichteten).

Der Tungsten T kommt mit integriertem Bluetooth-Support und 16 MByte integriertem Speicher. Erweiterungen sind über einen SD-Slot möglich. Der Universal Connector nimmt weitere Peripherie auf, etwa Tastaturen oder Abspielgeräte. Für die Energiezufuhr sorgt ein Lithium-Polymer-Akku.

Der kompakten Bauform hat Palm eine neues Navigationskonzept zur Seite gestellt. Navigiert wird in den Anwendungen über eine Joystick-ähnliche 5-Wege-Navigation. Intuitiv soll der Benutzer damit in alle Richtungen steuern können, ein Druck auf die Mitte führt jeweils angepasste Befehle aus. Palm hat alle PIM-Anwendungen auf die neue Navigation abgestimmt und mit spezifischen Kommandos ausgerüstet, die per Knopfdruck ausgeführt werden.

Palm OS 5 - exklusiv für Tungsten T

Der Tungsten T ist der erste PDA aus dem Hause Palm, der das neue Palm OS 5 an Bord hat. Das neue Betriebssystem ermöglicht gemeinsam mit dem schnellen ARM-Prozessor das Abspielen von Video- und Audio-Dateien (16 Bit). Mit den neuen Audio-Funktionen können auch Sprachmitteilungen aufgenommen werden.

Das neue PDA-Betriebssystem kann zudem Schriften und Icons auf höhere Auflösungen trimmen. Die Benutzeroberfläche lässt sich zudem mit farbigen Mustern personalisieren. Entwickler finden für diese Funktionen Programmierschnittstellen.

Das OS benötigt teilweise speziell abgepasste Anwendungen. Nur etwa 80 Prozent der bestehenden Applikationen für Palm-OS sollen auf PDAs mit Version 5 laufen und dafür im Zweifelsfall einen Emulator in Anspruch nehmen. Ob der mit vielen nützlichen und oft selbst gebastelten Anwendungen verwöhnte Palm-Benutzer allerdings bereit ist, Abstriche in der Kompatibilität hinzunehmen, wird sich zeigen. Entwickler müssten ihre Applikationen zumindest für das neue OS optimieren. Palm mildert diese Not mit 16 Applikationen auf einer Software-Essentials-CD, die in der Packung des neuen Palm liegt. Eine Liste der Anwendungen finden Sie bei Palm.

Tungsten W - Palm mit GPRS

Der Tungsten W kommt mit GSM und GPRS-Unterstützung. Mit dem T-Modell hat er den neuen Navigationsknopf gemeinsam und das mit 320 x 320 Pixel auflösende reflektive Display mit 16 Bit Farbtiefe. Statt dem Schiebemechanismus setzt der Tungsten W auf ein Mini-Keyboard, das dem Treo von Handspring ähnelt. Bluetooth-Support ist ebenfalls an Bord. Auf weitere Neuerungen muss der Mobilfunk-Palm aber verzichten, stattdessen kommt Altbewährtes zum Einsatz.

Das Modell-W hat Palm OS 4 an Bord und wird von der langsameren 33-MHz-Dragonball-CPU aus dem Hause Motorola angetrieben. Damit setzt der Tungsten W mehr oder minder ausschließlich auf den Benutzerkreis, der sich unterwegs mit Daten versorgen will.

Multimediale Fähigkeiten sind durch die CPU ausgebremst. Palm verteidigt den Verzicht auf Palm OS 5 und ARM-CPU mit dem Hinweis, dass bei der Entwicklung der Fokus auf der drahtlosen Kommunikation gelegen habe. Was dem Tungsten T mit Palm OS 5 zum Nachteil gereicht, legt Palm dem Tungsten W als Vorteil in die Wiege: Mit Palm OS 4 sei der PDA kompatibel zu allen Applikationen.

Fazit

Die Nachfrageschwäche bei den Palm-Taschencomputern und der steigende Marktanteil der PDAs mit Pocket PCs hat in den vergangenen Monaten die Aktie von Palm nach unten getrieben. Seit dem Höchststand von über 95 US-Dollar im Frühjahr 2000 fiel der Kurs auf zuletzt 0,60 US-Dollar. Palm ist dennoch mit einem Marktanteil von schätzungsweise knapp 60 Prozent Marktführer bei den PDAs.

Die neuen Modelle sollen nun für einen Aufschwung sorgen. Palm trägt diesem Gedanken mit dem stark überarbeiteten Betriebssystem Palm OS 5 und 144 MHz-CPU beim Modell Tungsten T Rechnung. OS- und Prozessor-Upgrade waren überfällig. Lange hat sich Palm auf die inzwischen überholte 33-MHz-Dragonball-CPU verlassen, während die Pocket PCs in Sachen Multimedia davonzogen.

Dass im Tungsten W Palm OS 4 und die langsamere 33-MHz-CPU zum Einsatz kommen, mag als Tribut an die integrierte GSM-Funktion gelten. Allerdings fehlt dem Tungsten W damit das wirklich Neue. Handspring hat vergleichbare Treo-Geräte bereits am Markt. (uba)