Türöffner für Datendienste

08.11.2002
Die Betreiber von Metronetzen haben ein Problem: Die vorhandenen Transportnetze auf Basis der Synchronen Digitalen Hierarchie eignen sich nur bedingt für datenorientierte Applikationen, etwa Breitbandzugänge für Firmen und Privatleute, Sprache über IP oder räumlich verteilte Storage Area Networks. Als Lösung bieten sich photonische Transportnetze in Verbindung mit Dense Wavelength Division Multiplexing (DWDM) an.

Von: Robert Bschorr, Bernd Reder

Die Transportinfrastruktur, die heute in Metronetzen vorherrscht, stützt sich auf die Synchrone Digitale Hierarchie. SDH bietet eine Reihe von Vorteilen, etwa ein ausgereiftes Management, die Interoperabilität der Netzknoten, eine weit gehende Standardisierung und hohe Zuverlässigkeit. Ursprünglich wurde die Technik als digitales Zeitmultiplexverfahren für die Sprachübertragung entwickelt, sie eignet sich aber auch für Datenformate. Einfach ausgedrückt, verarbeitet SDH die Signale elektrisch und nutzt anschließend für deren Übertragung einen einzigen optischen Kanal. Zu den Nachteilen zählen die starre hierarchische Multiplexstruktur und der Mangel an statistischen Funktionen, etwa der dynamischen Zuordnung von Bandbreite.

Deshalb eignen sich SDH-Netze nicht sonderlich gut für Datenapplikationen. Zwar beseitigen neue Ansätze, die unter dem Begriff "Next Generation SDH" firmieren, einige Unzulänglichkeiten. Aber auch sie können keine zusätzliche Bandbreite herbeizaubern, und der stetig wachsende Markt der Storage Area Networks (SAN) wird ebenfalls nicht bedient. Als Alternative bietet sich Dense Wave Division Multiplexing an. DWDM ist eine Analogtechnik, die mehrere Wellenlängen beziehungsweise Farben im Lichtspektrum parallel überträgt. Einer der größten Vorzüge von DWDM ist, dass sich unterschiedliche Dienste mit verschiedenen Bitraten über eine einzelne Faser transportieren lassen. Alle eingehenden Signale können unabhängig vom Protokoll verarbeitet werden, Stichwort "Protokolltransparenz".

Bei DWDM findet im Prinzip eine reine Punkt-zu-Punkt-Übertragung statt. In einem Metronetz müssen sich jedoch auch andere Strukturen aufbauen lassen. Welche Topologie physikalisch machbar ist, hängt von der Architektur der DWDM-Knoten ab. Oft schränkt diese das Verschalten von Wellenlängen ein. Das bedeutet, theoretisch ist zwar eine bestimmte Bandbreite vorhanden, doch die lässt sich in der Praxis nicht nutzen.

Um statische Metronetze dynamisch zu verschalten, sind fernsteuerbare optische Schalter notwendig, so genannte optische Cross-Connects oder photonische Switches. Sie ordnen einer Lichtfarbe am Eingang X einen beliebigen Ausgang Y zu. Für den Aufbau einer Verbindung sind Signalisierungs- und Steuerprotokolle zuständig. Um die Lichtstrahlen umzulenken, gibt es unterschiedliche Verfahren, etwa Gasblasen, Flüssigkristalle oder justierbare Spiegel. Allen Techniken ist jedoch eines gemeinsam: Sie sind teuer und ihre Zuverlässigkeit wurde noch nicht ausreichend getestet. Das erklärt auch, warum die Netzbetreiber optischen Cross-Connects reserviert gegenüber stehen. Sowohl aus wirtschaftlichen als auch technologischen Überlegungen heraus ist deshalb eine sanfte und langfristig angelegte Migration zu rein photonischen Netzen sinnvoll.

Die richtige Architektur für die "Carrier Class"

Ein DWDM-System, das "Carrier-Class-Anforderungen" gerecht werden soll, muss diverse Anforderungen in Bezug auf die Architektur und den Funktionsumfang erfüllen. Wichtig ist beispielsweise eine Parallelarchitektur: Durch die parallele Anordnung von Band- und Kanalmultiplexern erfährt jede Wellenlänge im DWDM-Knoten die gleiche Dämpfung. Die Durchgangsdämpfung des optischen Add/Drop-Multiplexers (OADM) hat, wie die Übertragungsstrecke selbst, einen konstanten Wert. Die einzelnen Lichtpfade werden von der ersten bis zur letzten Wellenlänge unabhängig voneinander übertragen. Das Resultat ist ein stabiles und vorhersagbares Verhalten des Netzes beim Aufschalten weiterer Verbindungen. Außerdem lässt sich die Beschaltung im laufenden Betrieb ändern.

Ein wichtiger Faktor in optischen Netzen ist die Überwachung und Fehlererkennung. Um Messwerte zu erhalten, ist es gängige Praxis, an wichtigen Knoten ein Optical Time Domain Reflectometer (OTDR) zu installieren. Bei DWDM-Systemen ist das nicht nötig, weil bereits auf dem gesamten optischen Signalweg Messaufnehmer integriert sind. Jeder Lichtpfad wird durchgängig überwacht, inklusive der Durchgangspunkte. Die Analyse erfolgt zentral und erlaubt es, Fehler schnell und zielgerichtet zu beseitigen.

Flexibel durch separate Add/Drop-Multiplexer

Auch die Bauformen von DWDM-Komponenten haben erhebliche Auswirkungen auf die Struktur und Flexibilität eines Netzes. So werden ankommende und abgehende Wellenlängen, etwa in Ost-West-Richtung, häufig in einem Gehäuse des OADM untergebracht. Deshalb lassen sich nur Ringtopologien aufbauen. Ein Auftrennen in mehr als zwei Richtungen ist nicht vorgesehen. Vermaschte Verkehrsbeziehungen werden als logische Verschaltung im physikalischen Ring abgebildet. Doch das hat Einschränkungen bei der Verwendung von Farben zur Folge. Nötigenfalls müssen mehrere Glasfaserringe überlagert werden. Außerdem ist es nicht möglich, auf die innerhalb von Knoten verschalteten Lichtpfade zuzugreifen.

Anders sieht es aus, wenn ein OADM in zwei separate Ost-/West-Netzelemente aufgeteilt wird ist. Das erlaubt eine "echte" physikalische Vermaschung von Lichtpfaden mit Redundanz. Alle Strukturen, ob Punkt zu Punkt oder Ring, lassen sich nachbilden. Das Konzept ermöglicht außerdem den Zugriff auf jeden einzelnen Lichtpfad, der zwischen den Knoten optisch durchgeschaltet wird. Die bisher notwendige elektrische Rückkonvertierung von Durchgangsverkehr beim Übergang zwischen Netzsegmenten entfällt.

Neue Dienste durch optische Metronetze

Eine optische Netzinfrastruktur ist kein Selbstzweck, sondern soll dem Carrier und dem Anwender Vorteile bringen, vor allem

- niedrigere Kosten durch ein besseres Ausnutzen der Bandbreite und die Möglichkeit, mithilfe vermaschter Netzstrukturen redundante Pfade aufzubauen, sowie

- neue Einnahmequellen durch neue Dienste.

Besonders attraktiv ist es beispielsweise, Verbindungen automatisch bereitzustellen: Per Mausklick wird eine Ende-zu-Ende-Verbindung über alle Protokollebenen des Transportnetzwerkes geschaltet. Auch die Applikation eines Kunden kann diesen Vorgang starten. Eine weitere Anwendung ist eine Ersatzschaltung. Während eine SDH-Ersatzschaltung die Hälfte der zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität dafür bereithält, lassen sich in DWDM-Netze flexible Schutzmechanismen einsetzen. Dies erfolgt zwar auf Kosten der Umschaltzeit und ist kompliziert, reicht aber für Datenverbindungen normalerweise aus.

Vom Bestandsmanagement versprechen sich die Netzbetreiber Informationen darüber, welche Leitungen ausgelastet sind und welche noch freie Kapazitäten haben. Diese Informationen sollen automatisch ermittelt werden und in Echtzeit zur Verfügung stehen. Heute ist es noch teilweise Usus, die Daten von Hand aus den Managementsystemen "herauszuziehen". Bei der dynamischen Bandbreitenzuteilung signalisiert der Kernnetz-Router (Core Router), welche Verkehrsbeziehungen sich verändert haben. Daraufhin stellt die Transportschicht Bandbreite bereit oder gibt sie wieder frei. Die Netzlast entspricht somit immer dem tatsächlichen Nutzungsgrad und passt sich dynamisch den Erfordernissen an.

Dies sind nur einige der Applikationen, für die G.ASTN (Generalized Automatic Switched Transport Networks) ausgelegt sein sollen, welche die herkömmlichen Transportnetze ablösen werden. Doch zuvor müssen bestehende Protokolle und Signalisierungsverfahren angepasst und neue Techniken entwickelt werden. Diese Aufgabe haben diverse Gremien übernommen, darunter das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), die International Telecommunication Union (ITU), die Internet Engineering Task Force (IETF) oder das Optical Internetworking Forum (OIF).

Je nach ihrem "Hintergrund" orientieren sich die Ansätze dieser Organisationen an Standards aus der Daten- oder Sprachwelt. Allerdings sind die Entwürfe noch nicht fertig und außerdem nicht kompatibel zueinander. Welche sich letztlich durchsetzen, bleibt abzuwarten. Hinzu kommt, dass es noch unklar ist, welche Services der Endnutzer nachfragen wird und wie viel er dafür auszugeben bereit ist. Diese Punkte verzögern die Einführung neuer Techniken im Metronetz.

Die Entscheidung für oder gegen eine Metro-DWDM-Lösung sollte sich vor diesem Hintergrund weniger an Visionen oder proprietären Funktionen orientieren, sondern sich auf die grundlegenden Eigenschaften der Knoten- und Systemarchitektur stützen. Deshalb sind langfristige Investitionssicherung, Carrier-Class-Verfügbarkeit, bedarfsgerechte Skalierbarkeit, flexible Erweiterungsmöglichkeiten und die Lebenszykluskosten einer universell einsetzbaren Plattform die kritischen Erfolgsfaktoren für Metro-WDM-Netze.

Zur person

Robert Bschorr

ist Systemingenieur bei der Tellabs Deutschland GmbH und berät Netzbetreiber beim Aufbau von Transportinfrastrukturen.