Treffen im Zeichen der Chip-Giganten

15.12.2000
Die Projektgruppe 802 des "Institute of Elec- trical and Electronics Engineers", verantwortlich für LAN-, MAN- und WAN-Standards, traf sich im November in Tampa (Florida). Mehr als 900 Netzwerkspezialisten diskutierten über Themen wie 10-Gigabit-Ethernet, die "Resilient-Ring"-Technik und neue Einsatzgebiete für Ethernet auf der "letzten Meile".

Von: Thomas Schramm

Das 68. Meeting der IEEE-Arbeitsgruppe 802 war in erster Linie ein Stelldichein der großen Halbleiterhersteller. Firmen wie Intel, Lucent, Agilent Technologies, Broadcom und Infineon schickten bis zu 15 Spezialisten aus ihren Entwicklungsabteilungen nach Florida. Fast alle waren in den Diskussionsgruppen zu finden, die sich mit der Norm für 10-Gigabit-Ethernet beschäftigten. Offenbar sollen bei 10GE nun die noch fehlenden Details der Übertragungsverfahren "festgeklopft" werden.

Bereits beim letzten Treffen des IEEE im Juli stellten die Fachleute ein "Blue Book" zu 10-Gigabit-Ethernet vor. Es enthält auf über 100 Seiten eine Zusammenfassung der Definitionen und Techniken zur Realisierung von 10GE. Das "Blue Book" löste heftige Diskussion aus, weil es im IEEE nicht üblich ist, Vorschläge aus verschiedenen Sitzungen der Untergruppen als QuasiStandard auszugeben. Allerdings beschleunigten diese Vorarbeiten den Standardisierungsprozess erheblich. Bei der Sitzung in Tampa legten die Teilnehmer noch Details fest, etwa Kodierungstechniken, Steuersignale, Zähler und Testverfahren. Insgesamt ist davon auszugehen, dass es sich bei 10GE nun um eine stabile Technik handelt.

Interessant war, wie die Mitarbeiter der Halbleiterfirmen in den Sitzungspausen quasi "online" die Ergebnisse der Abstimmungen an die Entwicklungslabors zu Hause weitergaben. Dies zeigt, dass die Anbieter kurz davor stehen, die ersten 10-Gigabit-Ethernet-Chips fertig zu stellen. In Gesprächen räumten die Fachleute jedoch ein, dass ihnen die Switching-ICs wesentlich größere Probleme bereiten, als noch Anfang des Jahres erwartet. So war es notwendig, die Entwicklungswerkzeuge zu erweitern. Nun sind die Änderungen einzuarbeiten, die das aktuelle Meeting ergab, vor allem am PHY-Layer. Größere Redesigns sind zudem an den I/O-Bausteinen erforderlich. Nach Aussagen der Chiphersteller sind die ersten 10GE-ICs für das erste Quartal 2001 zu erwarten.

Physikalische Schnittstellen für 10GE fixiert

In Florida wurden auch die physikalischen Schnittstellen von 10-Gigabit-Ethernet definiert. Da es zwei Versionen geben wird, eine mit exakt 10 GBit/s für lokale Netze und eine mit 9,58464 GBit/s für WANs, sind sechs unterschiedliche Interfaces für Lichtwellenleiter vorgesehen. In der Frage des Steckverbinders kamen keine neuen Vorschläge, so dass es vorläufig beim Duplex-SC-Stecker bleibt. Dieses Thema dürfte jedoch wieder auf der Tagesordnung stehen, wenn die Übertragungstechnik fixiert ist.

Jonathan Thatcher von World Wide Packets, der die Working Group 802.3ae 10-Gigabit-Ethernet leitet, räumte ein, dass noch einige Fragen zu 10GE offen sind, allerdings keine grundlegenden. Daher wird die zweite Version des Draft im Dezember 2000 den Mitgliedern zugänglich gemacht. Der Standard soll wie geplant im März 2002 verabschiedet werden.

Neben 10GE war der "Resilient Packet Ring" (RPR) eines der dominierenden Themen des IEEE-Meetings. Die "Resilient Packet Ring Study Group" (RPRSG) beschäftigt sich mit dem Problem, dass es oft sehr lange dauert, bis sich Netzwerkverbindungen neu konfigurieren - etwa nach Ausfall einer Komponente. Häufig sind dafür 40 Sekunden zu veranschlagen. Auf Drängen von Herstellern und Anwendern soll ein Verfahren zur Datenübertragung normiert werden, das Fehler in extrem kurzer Zeit behebt. Vor dem Hintergrund immer höherer Datenraten im LAN, MAN und WAN ist das unverzichtbar.

RPR erinnert stark an FDDI mit der Topologie eines Doppelrings bei gegenläufigen Datenrichtungen. Der Resilient Packet Ring reagiert im Fehlerfall ähnlich: Der innere Ring wird in diesem Fall mit dem äußeren "kurzgeschlossen", um den Datenfluss wieder herzustellen. Ein wesentlicher Unterschied zu FDDI ist, dass der Empfänger, nicht der Sender die Datenpakete vom Ring entfernt. Nur dann, wenn es sich um Broadcasts handelt oder kein Empfänger verfügbar ist, übernimmt das der Sender.

Die RPRSG plant, das Protokoll unabhängig von der Übertragungsebene zu gestalten. Es soll für Geschwindigkeiten ausgelegt sein, die deutlich über der von FDDI liegen, also 1 GBit/s, 10 GBit/s sowie diverse Sonet-Datenraten. Die Gruppe will zudem einen Mechanismus für die Verteilung von Bandbreite definieren. Die Technik ist primär für das MAN und WAN ausgelegt, kann aber auch in Hochleistungs-LANs zum Einsatz kommen.

Bereits auf den vergangenen IEEE-802-Tagungen wurde darüber diskutiert, der RPRSG offiziell den Status einer "Working Group" mit der Bezeichnung 802.17 zuzuerkennen. In Tampa versuchte nun die Resilient Packet Ring Study Group, sich der Ethernet-Gruppe 802.3 anzuschließen, um am Erfolg von Ethernet mit teilzuhaben. Dies lehnten deren Mitglieder jedoch ab, weil RPR zu Ethernet inkompatibel ist. So unterscheiden sich beide Verfahren in Bezug auf die Frame-Größe und den PHY-Layer; außerdem verwendet RPR nicht CSMA/CD. Interessanterweise fanden sich in der Resilient Packet Ring Study Group wieder die Mitglieder aus der Token-Ring-Gruppe, die beim letzten Treffen in den "Winterschlaf" versetzt wurde.

Das RPR-Verfahren soll folgende Eigenschaften aufweisen:

- Unterstützung von Ringen mit einer Ausdehnung im MAN und WAN bis weit über 100 Kilometer,

- Rekonfigurieren der Verbindung im Fehlerfall innerhalb von 50 µs,

- Rekonfiguration auch bei Ausfall eines Ringes,

- Filterfunktionen,

- Quality of Service mit dynamischer Broadcast- und Multicast-Steuerung,

- kurze Verzögerungszeiten, die auch Sprach- und Videoapplikationen unterstützen,

- Support für Multicast-Anwendungen und Accounting-Mechanismen sowie

- dynamische Bandbreitensteuerung.

Noch während des Meetings überarbeiteten die Mitglieder der RPRSG ihren Antrag, eine Working Group 802.17 einzurichten. Die anschließende Abstimmung ergab 71 Ja-Stimmen bei 18 Gegenstimmen und 42 Enthaltungen. Das Vorstandskomitee des IEEE wird daher aller Voraussicht nach dieses Resultat akzeptieren und die Arbeiten an einem neuen Standard IEEE 802.17 absegnen.

Am zweiten Tage des IEEE-Meetings formierte sich ein neue Gruppe um Howard Frazier von Dominet Systems, der bereits vor einiger Zeit die Arbeitsgruppe 802.3u (Fast Ethernet) gegen die 100VG-AnyLAN-Fraktion zum Erfolg führte. Auf einer Abendveranstaltung versuchte die Gruppe, die Tagungsteilnehmer von der neuen Idee "Ethernet to the Last Mile" zu überzeugen. Firmen wie Intel, World Wide Packet, Cisco, Alloptic, Worldcom, Yipes und HSP Design stellten in Vorträgen die Vorzüge dieser Technologie dar. Speziell Anwendungen aus dem Unterhaltungssektor, wie etwa Video on Demand, sind auf Verbindungen mit hoher Bandbreite angewiesen.

Ethernet auf der letzten Meile

Ethernet soll nach den Vorstellungen der genannten Unternehmen die vorhandenen Zugangsverfahren für die "Letzte Meile" ersetzen, darunter ISDN, Modems, xDSL, Kabelmodems, Satelliten oder Funkanbindung. Im Gespräch sind Ethernet mit 10 MBit/s über zweipaarige Twisted-Pair-Kabel der Kategorie 3 oder besser 100-MBit/s-Ethernet über vierpaarige Kategorie-5-Leitungen über eine Entfernung von bis zu einem Kilometer.

Bereits in diesem frühen Stadium begannen Diskussion darüber, wie Ethernet auf der letzten Meile in die Praxis umgesetzt werden könnte. Themen waren unter anderem Verfahren für die Priorisierung von Datenpaketen und Virtuelle LANs (VLANs). Ein Resultat war, dass die im Standard 802.3 festgeschriebene Zahl von 4098 VLANs für den Einsatz in Metropolitan Area Networks oder Weitverkehrsnetzen bei weitem nicht ausreicht. Daher ist eine Erweiterung auf 16 000 virtuelle LANs vorgesehen. Es ist zu erwarten, dass diese Änderung zu ähnlich lebhaften Debatten führen wird wie bei der Erweiterung der Ethernet-Paketgröße um ein 4 Byte großes Tag-Feld auf 1522 Byte.

Die Protagonisten von Ethernet to the Last Mile, kurz ELM, vertraten die Meinung, dass der Weg zu einem Standard relativ schnell beschritten werden könne. Ihren Optimismus begründeten sie zum einen damit, dass Kabel- oder xDSL-Modems bereits über Ethernet-Ausgänge verfügen. Zum anderen seien Anwendungen in Sicht, etwa die Übertragung von Videos in Krankenhäusern, Hotels oder Unternehmen.

Eine endlose Diskussion setzte ein, als es um den Namen der Gruppe ging. Um sich gegenüber anderen Technologien abzugrenzen, fiel die Wahl schließlich auf "Ethernet to the First Mile". Ein weiteres Argument für diese Bezeichnung war, dass aus Sicht des Anwenders die 100 Meter von der Datendose zum Hauptverteiler nun einmal die "First Mile" sei.

Weiter Informationen zum Meeting, speziell zur Stromversorgung von Netzwerkgeräten über Twisted-Pair-Kabel und die Aktivitäten im Bereich Funk-LANs, sind auf der NetworkWorld-Website zu finden. (re)

Zur Person

Thomas Schramm

leitet die Abteilung Projekt-Consulting des Geschäftsbereiches Automation and Network Solutions der Hirschmann Electronic GmbH & Co. KG. Schramm ist einer der wenigen deutschen Vertreter, die im IEEE an der Weiterentwicklung von Ethernet mitwirken.