Vom Wissen älterer Fachkräfte profitieren

Trainerjob statt Abfindung

20.05.2015 von Reiner Voss
Unternehmen sehen ältere Mitarbeiter oft als Ballast, statt ihre berufliche Kompetenz in eine Win-win-Situation umzumünzen. Für "Alte" könnte der Einsatz als Mentor oder die Ausbildung zum firmeninternen Coach sowie Berater Motivation und berufliche Perspektive sein. Der Betrieb und die "Jungen" würden in Zeiten des Fachkräftemangels wiederum von Berufserfahrung und Know-how-Transfer der "Oldies" profitieren.

Bis 2020 steigt der Anteil der über 50-Jährigen unter den Erwerbstätigen in der Europäischen Union auf über 35 Prozent. Die Belegschaften der Betriebe werden also immer älter. Vor diesem Hintergrund wird die Personalstrategie fragwürdig, die viele Unternehmen heute oft noch hinsichtlich ihrer älteren Mitarbeiter praktizieren:

• Sie lassen diese in den letzten zehn bis 15 Jahren ihrer Berufstätigkeit nur noch "mitlaufen", ohne weiter in ihre Entwicklung zu investieren, oder

• sie unterbreiten älteren Angestellten das Angebot, sich mit einer Abfindung in den vorgezogenen Ruhestand zu verabschieden.

Dieses Verhalten und diesen Luxus können sich Betriebe künftig aber nicht mehr leisten. Denn mit jungen Mitarbeitern allein ist der Bedarf an Arbeitskräften nicht mehr zu decken - speziell in den technischen Berufen, in denen ohnehin ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften herrscht.

Oldies but goldies

Unternehmen müssen sich also darauf einstellen, dass ihre Belegschaften künftig einen höheren Altersschnitt aufweisen. Damit gewinnen auch andere Personalthemen an Bedeutung, zum Beispiel der Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit. Doch auch die geistige Vitalität und Schaffenskraft der Mitarbeiter sowie deren Identifikation mit der Firma gilt es zu bewahren. Deshalb denken immer mehr Betriebe neben speziellen Weiterbildungsprogrammen für ihre berufserfahrenen Mitarbeiter auch darüber nach, welche Entwicklungsperspektiven sie ihnen bieten können, wenn sie noch mehrere Jahre Berufstätigkeit vor sich haben.

Langsam, aber sicher setzt sich deshalb die Erkenntnis durch, dass es ein Fehler ist, 50-jährige und zuweilen sogar schon 45-jährige Fachkräfte und Spezialisten als "altes Eisen" abzutun und Investitionen in diese Altersgruppe als unrentabel zu erachten. Zunehmend wird den Unternehmen bewusst, dass ihre langjährigen Mitarbeiter im Verlauf ihrer Tätigkeit berufliche und soziale Kompetenzen erworben haben, die ein wertvolles Kapital bilden - insbesondere in einem beruflichen Umfeld, das von einer starken Veränderung geprägt ist. Ein Beispiel: Ältere Arbeitnehmer gehen aufgrund ihrer Erfahrung Probleme und Herausforderungen meist strukturierter und gelassener an als junge Kollegen. Sie geraten in der Regel auch nicht so schnell in Panik und erkennen schneller, welcher Lösungsweg zielführend ist. Ferner haben sie mehr das große Ganze vor Augen. Und weil das Thema "Karriere machen" für sie nicht mehr im Fokus steht, geben sie ihr Fach- und Erfahrungswissen auch bereitwilliger weiter , im Gegensatz zu so manchem Youngster, der nach oben möchte.

Die Stärken der "alten Hasen" nutzen

Was liegt also näher, als dieses Potenzial für den Erfolg zu nutzen? Das tun einige Firmen bereits mit Mentoren. Im Zuge dieser Programme stehen erfahrene Mitarbeiter jüngeren Kollegen als persönliche Ansprechpartner mit Rat und Tat zur Seite. Eine wachsende Zahl von Unternehmen geht zudem dazu über, ältere Mitarbeiter als firmeninterne Trainer, Berater oder Coaches für ihre Kollegen in Voll- und Teilzeitbeschäftigung einzusetzen. Der Grund: Wegen des sich immer schneller ändernden Unternehmensumfelds und des rasanten technischen Fortschritts ist der Veränderungs- und Lernbedarf in den Unternehmen enorm gestiegen. Außerdem wird der Lern- und Entwicklungsbedarf immer individueller. So benötigt zum Beispiel nicht jeder Büroarbeiter eine Excel-Schulung, nicht jeder Spezialist eine Ausbildung im Projekt-Management und nicht jeder Verkäufer eine Fortbildung in Sachen Projektverkauf. Und falls doch, dann ist das Vorwissen meist sehr unterschiedlich.

Gemeinsam ist den Mitarbeitern jedoch, dass sie aufgrund des kontinuierlichen Veränderungs- und Verbesserungsbedarfs, der in ihrer Organisation besteht, zunehmend folgende Kompetenz erwerben müssen:

• Selbst zu erkennen, wo ein Lern- und Entwicklungsbedarf besteht oder entsteht und

• diesen Bedarf entweder selbst oder mit selbstorganisierter Unterstützung zu decken.

Bei der Entwicklung dieser Kompetenz benötigen sie aber Hilfe, weshalb eine wachsende Zahl von Unternehmen berufserfahrene Mitarbeiter als Trainer, Coach oder Lernbegleiter ausbildet.

Grundvoraussetzungen für Trainer, Berater oder Coach

Es ist jedoch zu beachten, dass sich nicht jeder routinierte Firmenangehörige als Trainer, Coach oder Lernbegleiter eignet. Denn sowohl angehende firmeninterne Trainer als auch Coaches müssen Lust auf den Umgang mit Menschen und ein Gespür für sie haben. So sollte ein Trainer während einer Schulung auf verschiedene Personentypen zu- und eingehen können, unabhängig davon, ob diese in einem Seminarraum oder am Arbeitsplatz stattfindet.

Noch mehr sind Coaches oder Change-Begleiter gefordert. Sie müssen zu ihren Schützlingen eine so vertrauenswürdige Beziehung aufbauen können, dass diese auch über berufliche Probleme und Barrieren sprechen, die ihre Wurzeln in ihrer Persönlichkeit haben. Voraussetzung hierfür ist eine wertschätzende Haltung gegenüber Menschen. Denn wenn ein Coach andere Wertvorstellungen und Einstellungen nicht akzeptiert, kann er auch keine von Vertrauen geprägte Beziehung zu seinem Gegenüber aufbauen. Folglich kann er ihn auch nicht zu einer Einstellungs- oder Verhaltensänderung motivieren.

Eine weitere Grundanforderung an den Trainer, Coach, Wissensmultiplikator oder Change-Begleiter - alles Bezeichnungen für firmeninterne Unterstützer - ist, dass sie sich als Person zurücknehmen können müssen. Es liegt nämlich nicht in ihrer Aufgabe, sich selbst zu profilieren, sondern andere Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu begleiten.

Sind diese Grundvoraussetzungen erfüllt, gilt es den angehenden Mentoren die Kompetenzen zu vermitteln, die sie für ihre künftigen Aufgaben qualifizieren. Ein Trainer muss wissen, wie Lernprozesse bei Menschen ablaufen und wie sie zu gestalten und zu strukturieren sind. Außerdem benötigt er gruppendynamisches Know-how. Er sollte zum Beispiel einen genauen Plan davon haben, wie er Menschen zum Lernen motivieren kann und wie er mit Konflikten in Gruppen umgeht. Ähnlich verhält es sich bei einem Coach. Da er jedoch primär mit Einzelpersonen arbeitet und mit ihnen auch über Themen spricht, die deren Persönlichkeit tangieren, benötigt er auch ein hohes Einfühlungsvermögen und einen fundierten, psychologischen Erfahrungsschatz.

Interne Trainer ergänzen externe Berater

In vielen Unternehmen ist der Change- und Lernbedarf heute so groß, dass er mit externen Trainern, Beratern und Coaches allein nicht mehr gedeckt werden kann - auch, weil diese gegenüber firmeninternen Unterstützern folgende Nachteile haben:

• Sie kennen die Kultur, "Historie" und Arbeitsabläufe in der Organisation nicht und müssen erst eingearbeitet werden.

• Sie sind in der Organisation nicht verankert und verfügen über kein firmeninternes Netzwerk.

• Sie sind bei akuten Problemen oder Bedarf oft nicht sofort erreich- und ansprechbar, und

• sie sind "Externe", zu denen die Betroffenen meist weniger Vertrauen als zu Kollegen haben.

Deshalb empfiehlt sich - gerade, wenn es um die Strategieumsetzung auf der operativen oder Shopfloor-Ebene geht - oft der (ergänzende) Einsatz berufserfahrener Mitarbeiter. Diese Funktion könnten zwar auch jüngere Angestellte übernehmen, doch vieles spricht für ihre älteren Kollegen - beispielsweise ihre in der Regel größere Gelassenheit, wenn Probleme und Widerstände auftauchen. Außerdem ihre aus Erfahrung resultierende Fähigkeit, das Wesentliche oder Erfolgsrelevante schneller zu erkennen und nicht vorschnell irgendwelchen Management- oder Techniktrends hinterherzulaufen. Hinzu kommt: Mit einer Ausbildung zum firmeninternen Berater, Coach, Trainer oder Lernbegleiter zeigen die Unternehmen ihren älteren Mitarbeitern eine Entwicklungsperspektive jenseits der Führungslaufbahn auf. Das motiviert, auch weiterhin einen wertvollen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens zu leisten.

Lernende Organisation durch Wissenstransfer

Der Einsatz älterer Mitarbeiter stellt zudem sicher, dass wertvolles Know-how an die jüngere Generation weitergegeben wird. Dadurch macht das Unternehmen einen Schritt in Richtung lernende Organisation. Das heißt, dass sich nach und nach eine Kultur des generationenübergreifenden Lernens sowie der Veränderung etabliert, die Grundvoraussetzung dafür ist, in einem dynamischen Umfeld auch mittel- und langfristig erfolgreich zu agieren. (pg)

Reiner Voss ist Geschäftsführer des Trainings- und Beratungsunternehmens Voss+Partner in Hamburg, (www.voss-training.de), das unter anderem firmeninterne Trainer und Wissensvermittler ausbildet.