Torvalds: Durchbruch für Linux im Desktop-Bereich

19.01.2004 von RODNEY GEDDA 
Dieses Jahr wird Linux endgültig den Desktop-Markt knacken, behauptet Kultfigur und Linux-Begründer Linus Torvalds. Auch sonst soll sich im Linux-Sektor in nächster Zeit einiges bewegen.

Linus Torvalds gilt als Vater des freien Unix. Rodney Gedda von unserer Partner-Site Computerworld Today sprach Mitte Januar 2004 mit dem Guru der Pinguin-Power auf der Linux.Conf.au in Adelaide, Australien.

Rodney Gedda: Wie beurteilen Sie die Fortschritte von Linux im Desktop-Bereich?

Linus Torvalds: Letztes Jahr lief es gut, doch das Ganze wird erst in diesem Jahr so richtig Aufsehen erregen. Jedes Betriebssystem tut sich anfangs im Server-Bereich leichter, da es hier an spezifische Aufgaben angepasst werden kann, wie etwa den Maildienst. Sich im Desktop-Markt zu behaupten ist schwieriger.

Aber jetzt werden der Kernel und andere Teile zusammengefasst, einschließlich Office-Anwendungen, Computerspielen und Webbrowsern. Und das macht den Linux-Desktop für den kommerziellen Markt interessant. Kommerzielle Anwender tendieren dazu, nur einen Desktop einzusetzen, KDE oder GNOME (GNU Network Object Model Environment), und dann daran festzuhalten. Bislang gab es einige Verwirrungen und Rivalitäten, die aber letztlich der Entwicklung beider Interfaces nur genützt haben. Momentan scheint es, als bewegten sie sich aufeinander zu, wie beim Red Hat Bluecurve-Interface.

Ich glaube aber nicht, dass X verschwindet. Es hat eine leistungsfähige Infrastruktur, und es wäre ziemlich dumm, es einfach so wegzuwerfen. Außerdem ist seine Netzwerk-Transparenz gut. Wahrscheinlich wird X zum 2D-Interface eines weniger komplex ausgelegten Grafiksystems, das auf OpenGL basiert. Der Linux-Desktop braucht eine 3D-Basis und X als das Interface für 2D.

Dass X und die Kernel-Entwicklung getrennt voneinander liefen, ist gut. So konnte sich das eine ohne das andere herausbilden, und dennoch hat DRI (Direct Rendering Infrastructure) dafür gesorgt, dass sie nicht völlig unabhängig voneinander sind. Für die Entwickler ist es gut, dass die beiden getrennt voneinander sind, denn es ist immer gut, wenn unterschiedliche Leute an den jeweiligen Entwicklungen beteiligt sind.

Pläne für 2004

Rodney Gedda: Gibt es irgendwelche Pläne für 2004?

Linus Torvalds: Ich habe nie groß Pläne gemacht, wohin es mit Linux gehen soll. Ich reagiere eher auf Druck von außen. Dieses Jahr wird es eine Menge neuer Desktop-Nutzer geben, was wiederum Einfluss auf die Kernel-Entwickler nehmen wird.

Erst mal werde ich an der Stabilisierung des Kernel 2.6 arbeiten. In ein, zwei Monaten rechne ich dann mit einem auf 2.6 basierenden Fedora-Release (der Core von Red Hat Linux) und erwarte, daraufhin vermehrt Bug-Reports zu bekommen.

Rodney Gedda: Wäre ein integriertes Hardware- und Software-System gut für Linux?

Linus Torvalds: Rein theoretisch hat es technische Nachteile, wenn ein Betriebssystem eine große Bandbreite an Hardware unterstützt. Eine Vielzahl von Hardware zu bedienen, bedeutet eine große Herausforderung, da Linux dann Tausende von Treibern benötigt.

Doch ein von Hardware-Anforderungen unabhängiges Betriebssystem ist für den Nutzer besonders vorteilhaft, weil es für große wie kleine Computer grundsätzlich das Gleiche ist. Außerdem hat eine breite Hardware-Basis den großen Vorteil, dass das Betriebssystem flexibler ist. Ein Grund dafür, warum Linux im Embedded-Bereich solche Anstrengungen unternimmt. Ein Betriebssystem ist ein komplexes Gebilde und hat es ziemlich in sich; daher ist es entscheidend, eines zu besitzen, das an die jeweiligen Hardware-Anforderungen angepasst werden kann. Bei ein paar Hardware-Firmen gibt es zwar noch Probleme mit dem Treiber-Support für Linux, und Wireless ist eins davon. Doch wenn die Hardware besser wird, ist auch das gelöst.

Linux im Unternehmen

Rodney Gedda: Wie steht es mit dem Einsatz von Linux in Unternehmen?

Linus Torvalds: Welche Richtung der Einsatz von Linux dort einschlägt, hängt davon ab, welche Ressourcen die Unternehmen hineinstecken. Das ist entscheidend und kann Linux in den Highend-Bereich katapultieren.

IBM ist hier das beste Beispiel. Doch auch wenn es faszinierend ist, Linux auf Highend-Hardware laufen zu sehen, so haben doch die wenigsten Leute, die mit Linux arbeiten, Zugriff darauf. Das Hauptaugenmerk der Programmierer liegt ganz klar auf dem normalen Desktop-Nutzer.

Rodney Gedda: Und wie steht es mit der Nutzung von Open-Source-Code in Produkten kommerzieller Software-Firmen?

Linus Torvalds: Das ist in der Regel in Ordnung, speziell mit dem BSD-Code (Berkeley Software / Standard Distribution) funktioniert es gut. Aber ich bevorzuge die GPL (General Public License), denn ich möchte, dass die Leute Code zurückgeben. Wenn die Hersteller von Hardware-Appliances keinen Code zurückgeben, dann ist das ein Problem. Die Rückgabe von Code sollte eigentlich kein Problem sein, und der Kernel muss meist gar nicht modifiziert werden.

Freie vs. kommerzielle Software

Rodney Gedda: Wie schätzen Sie die Beziehung zwischen freier und kommerzieller Software ein?

Linus Torvalds: Software ist nie frei, sie ist immer ein Erzeugnis. Und wenn Sie ein solches Erzeugnis haben, dann verdienen Sie Ihr Geld mit den Dienstleistungen und der Hardware, die um es herum gruppiert sind. Nehmen Sie zum Beispiel die Handys, der Wert dieser Produkte liegt nicht in der Software.

Gesonderte Software-Verkäufe sind hier die Ausnahme, nicht die Regel. Es gibt nur sehr wenige reine Software-Firmen in diesem Bereich, da Handys meist im Paket verkauft werden.

Für Desktop-Anwendungen lässt sich heute schwer vorhersagen, wie der kommerzielle Markt aussehen wird, weil er noch kaum in den Startlöchern steht. Im Server-Bereich gibt es bereits Firmen, Oracle beispielsweise, die völlig problemlos kommerzielle Anwendungen verkaufen.

Open Source eignet sich gut für allgemeine Software wie den Kernel und Entwicklungstools, kommerzielle Software dagegen eignet sich gut für Spezial-Software.

MySQL zum Beispiel macht sich gut im allgemeinen Webserver-Bereich, wogegen Oracle sich gut macht als spezielle Datenbank für Geschäftskunden.

SCO und die Folgen

Rodney Gedda: Was halten Sie von den jüngsten Entwicklungen rund um SCO?

Linus Torvalds: Diese Woche war eine gute Woche, und ich bin froh, dass Novell in einem Brief öffentlich gemacht hat, dass SCO Novells Verträge verletzt. Außerdem musste SCO den Vorgang IBM zugänglich machen. Das bestätigt, dass es hier eigentlich nicht um Copyrights geht, sondern um den Vertrag mit IBM.

Das Ganze war zeitweise höchst ärgerlich, mit all diesen grotesken, unbegründeten Ansprüchen von SCO. Einige Medien haben den SCO-Fall leider aufgegriffen, ohne ihn weiter kritisch zu analysieren. Doch in letzter Zeit werden die Pressemitteilungen von SCO wieder einer genaueren Überprüfung unterzogen. Außerhalb der USA hat SCO seine Sache nicht sonderlich gut vorangebracht. Ich habe keine PR-Abteilung, und solange mich die Journalisten nicht ansprechen, habe ich auch keine Möglichkeit, den SCO-Fall zu kommentieren.

Prozesse spielen im Geschäftsleben der USA eine große Rolle. Es ist gut, dass dieser Fall allen Linux-Entwicklern noch einmal die Bedeutung von Code vor Augen geführt hat. Aber es war auch schlimm, weil das Ganze so ärgerlich ist. Unter keinen Umständen möchte ich so was noch einmal erleben.

Alle Linux-Entwickler nehmen das Copyright sehr ernst. Schließlich sind sie Entwickler und wollen also Code schreiben, nicht ihn kopieren. Daher glaube ich auch, dass die Code-Qualität von Linux sogar besser ist als die der kommerziellen Unix-Betriebssysteme. Wegen der Copyrights mache ich mir zwar grundsätzlich keine Sorgen, die Linux-Gemeinde hat aber auch nicht allzu viele Anwälte oder PR- und Marketing-Möglichkeiten.

(Übersetzt von Britta Mümmler)