Probleme an der Firmenspitze

Top-Manager sind Alpha-Tiere

03.03.2015 von Renate Oettinger
An die Spitze von Großunternehmen gelangen nur Personen, die bewiesen haben, dass sie leistungsfähiger und -bereiter sowie durchsetzungsstärker sind als ihre Mitbewerber. Entsprechend selbstbewusst sind sie – und damit resistenter gegen Änderungen, sagt Georg Kraus.

Wer wird Vorstandsmitglied oder gar -vorsitzender eines multinationalen Konzerns? Nur ein brillanter Kopf. Personen also, die extrem schnell im Aufnehmen, Strukturieren, Analysieren und Verarbeiten von Informationen sind und entschlossen entscheiden; Männer und Frauen zudem, die sich anspruchsvollen Aufgaben stellen und in ihrer beruflichen Biografie schon oft bewiesen haben, dass sie Außergewöhnliches leisten können.

Nach ganz oben schaffen es nur Leute mit Durchsetzungskraft.
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Entsprechend selbstbewusst sind die Top-Entscheider in den Unternehmen. Meist zu Recht! Trotzdem scheitern zum Beispiel Vorstände immer häufiger. Das heißt, sie müssen entweder vorzeitig ihren Hut nehmen oder ihr Kontrakt wird nicht verlängert. Nur etwa die Hälfte der Vorstandsvorsitzenden erreicht heute noch das Ende ihrer zweiten Amtszeit. Und immer öfter werden aus Top-Managern, die vor kurzem noch von den Wirtschaftsmagazinen und Aktionären gefeiert wurden, scheinbar über Nacht "Versager". Warum?

Top-Karrieren erfordern Durchsetzungskraft

Die Aufgaben der Top Executives in den Unternehmen sind heute aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft und Internationalisierung der Kapitalmärkte so komplex und vielfältig, dass sie nur noch bedingt "gemanagt" werden können. Die Top-Entscheider können häufig nur noch eine Risikominimierung betreiben, indem sie die Dilemmata, vor denen sie bei ihrer Arbeit stehen, stets neu auszubalancieren. Dasselbe gilt für die oft widersprüchlichen Interessen der Stakeholder wie Anteilseigner und Banken, Kunden und Mitarbeiter.

Hierfür müssen die Top-Entscheider sicherstellen, dass in ihrer Organisation die richtigen Leute in den richtigen Führungspositionen sitzen. Außerdem müssen sie mit ihren Kollegen im Top Team sowie den Leitern der Unternehmenseinheiten ein Hochleistungsteam bilden. Denn allein können sie die Erwartungen der Stakeholder nicht erfüllen.

Und hier beginnt oft das Problem. In die Top-Etagen zumindest der großen Kapitalgesellschaften gelangen in der Regel nur "Alpha-Tiere" - Menschen also, die

Das prägt ihr Selbstbild, ihre Sicht auf Menschen, Situationen und Konstellationen sowie ihr Verhalten.

Alpha-Männer und -Frauen lieben Zahlen, Daten und Fakten. Die "weichen Faktoren" im Management hingegen lenken, so ihre innere Überzeugung, nur vom Wesentlichen, dem Geschäftserfolg, ab. Und als brillante Analytiker haben sie oft schon ihre Lösung für ein Problem parat, während ihr Mitstreiter dieses noch "studieren". Entsprechend ungeduldig reagieren sie zuweilen. Und entsprechend einschüchternd ist oft ihr Auftritt.

Top-Manager sind "Alpha-Tiere"

Doch dann befinden sie sich an der Spitze. Und ihre engsten Mitstreiter sind plötzlich wie sie "Alpha-Tiere". Das heißt, sie verfügen weitgehend über dieselben Persönlichkeitsmerkmale und zeigen dieselben Leitwolf-Attitüden. Und mit diesen Männern und Frauen müssen sie kooperieren und ein High-Performance-Team bilden, um die Erwartungen der Stakeholder zu erfüllen.

Das erfordert von den Top Executives teils andere Fähigkeiten, als diejenigen, die sie auf dem Weg nach oben zeigten. Denn statt wie bisher primär dafür zu sorgen, dass die aus dem Tagesgeschäft sich ergebenden Aufgaben erfüllt werden, müssen sie nun andere Menschen inspirieren. Und statt wie bisher weitgehend das Erreichen der operativen Ziele zu überwachen, müssen sie nun andere Men-schen dazu motivieren, sofern nötig, gewohnte Pfade zu verlassen, damit Quantensprünge möglich sind.

Das haben die Top Executives zwar auch in der Vergangenheit getan - zum Beispiel als Leiter einer Unternehmenseinheit. Doch nun ist dies eine ihrer Kernaufgaben. Und ihre Gegenüber sind wie sie "Alpha-Tiere", die ihnen nicht vorbehaltlos folgen. Entsprechend vielfältig sind die Reibungspunkte auf der Top-Ebene von Unternehmen - auch weil sich die Mitglieder der Top-Teams oft ähnlich misstrau-isch beäugen wie konkurrierende Rüden in einem Wolfsrudel. Trotzdem müssen sie im Unterneh-mensalltag kooperieren, obwohl die meisten Alpha-Tiere eher Einzelkämpfer als Teamplayer sind.

Ziel: die Performance des Top-Teams erhöhen

Das erschwert es Top Executives oft, (gemeinsam) die Wirkung zu entfalten, die zum Erfüllen der Erwartungen der Stakeholder und speziell Shareholder nötig wäre. Doch das ist ihnen häufig nicht bewusst. Entsprechend selten kontaktieren sie externe Berater mit Anfragen wie: "Können Sie mich (und meine Kollegen) dabei unterstützen, einen stärkeren Teamspirit zu entfalten?" Der offizielle Anlass für die Kontaktaufnahme ist vielmehr stets ein betriebliches Problem - zum Beispiel: "In unserer Organisation kooperieren die Bereiche nicht wie gewünscht. Deshalb ...". Nach entsprechenden Kriterien erfolgt auch die Auswahl der Berater. Die Top Executives müssen ihnen zutrauen, dass sie

Diese Kompetenz schreiben Top-Manager meist nur Männern und Frauen zu, die ähnliche Biografien wie sie haben. Das heißt: Die Biografie von Beratern, die zum Beispiel auf der CEO-Ebene von multi-nationalen Konzernen agieren möchten, muss eine gewisse Internationalität aufweisen. Ihr Curriculum Vitae muss zudem "Stationen" enthalten, die aus Sicht der Top-Entscheider für "Excellence" stehen. Die Top-Entscheider wollen sozusagen, dass sich in der Biografie der Berater ihre eigene Biografie widerspiegelt. Egal ist ihnen hingegen, ob der externe Unterstützer eine Coach- oder Beraterausbil-dung absolviert hat. Hauptsache, er hat von ihrem und seinem Geschäft eine Ahnung.

Alpha-Tiere wollen gefordert werden

Eine solche Biografie sorgt aber nur dafür, dass das Alpha-Tier an der Unternehmensspitze dem Berater fünf oder zehn Minuten Aufmerksamkeit schenkt. In dieser Zeit muss der Consultant dem Top-Entscheider das Gefühl vermitteln:

Dies gelingt Beratern nicht, indem sie einem Top-Manager nach dem Mund reden. Im Gegenteil! Top-Entscheider wollen spüren: Hier steht mir eine Person mit Rückgrat gegenüber, die (wie ich) bereit ist, Risiken einzugehen. Denn nur dann entsteht bei ihnen das Gefühl: Dieser Berater kann mich und meine Kollegen (heraus-)fordern und die gewünschte Entwicklung auslösen.

Nur wenn ein Top Executive diesen Eindruck hat, schenkt er einem Berater mehr als fünf Minuten sei-ner wertvollen Zeit. Denn Alpha-Tiere wollen von Alpha-Tieren beraten (und gecoacht) werden. Nur Menschen mit einer solchen Ausstrahlung sind für sie akzeptable Sparringpartner, deren Aussagen sie Bedeutung beimessen. Und das tun sie, wenn dies der Fall ist, auch. Denn Alpha-Tiere wollen etwas bewegen. Sie wollen Spuren hinterlassen. Deshalb sind sie an einer klaren Rückmeldung interessiert, wie sie ihre Wirksamkeit erhöhen könnten. Sie akzeptieren jedoch nur Personen als Feedbackgeber, die sie entweder als gleichrangig oder als Autoritäten auf ihrem Themengebiet erachten.

Ziel: die Wirksamkeit erhöhen

Beim Beraten und Coachen von oberen Führungskräften geht es selten darum, individuelle Schwächen zu beseitigen. Denn als Individuen sind die Top Executives bereits spitze - sonst hätten sie ihre Position nicht erreicht. Das Ziel lautet vielmehr: ihre Wirksamkeit (in der Organisation) erhöhen. Und das ist nur möglich, wenn klar ist:

Deshalb sollte, wenn es darum geht, die Wirksamkeit eines Top Executives zu erhöhen, stets das Feedback seiner Kooperationspartner eingeholt werden. Doch nicht nur dies. Den Kooperationspart-nern sollte auch mitgeteilt werden, an welchen Punkten sowie mit welchem Ziel die betreffende Person ihr Verhalten ändern möchte. Denn nichts verunsichert Kollegen und Mitarbeiter so sehr, wie wenn zum Beispiel ein CEO plötzlich, scheinbar unmotiviert sein Verhalten ändert. Hierdurch wird er für sie unbe-rechenbar.

Ähnlich verhält es sich, wenn das Ziel lautet, die Wirksamkeit eines Top Teams zu erhöhen. Auch dann muss den Teammitgliedern schnell vermittelt werden: Wir machen das nicht zum Vergnügen. Vielmehr soll ihre Wirksamkeit als Team so erhöht werden, dass zum Beispiel die von den Kapitalgebern vorgegebene Umsatzrendite von 15 Prozent erreicht wird.

Im Fokus steht die "Business Challenge"

Der Anlass, initiativ zu werden, ist also eine "Business Challenge". Und das Ziel des Prozesses ist es, die Dynamiken zu durchbrechen, die ihrer Bewältigung im Weg stehen. Und hierfür ist es auch nötig, die individuellen und kollektiven Verhaltensweisen und -muster der Top Team-Mitglieder zu thematisieren, die die Performance schmälern.

Hierzu sind die meisten Top-Manager auch bereit - selbst wenn es ihnen schwer, mit ihren Kollegen (oder gar Untergebenen) zum Beispiel darüber zu sprechen, warum sie deren Tun mit Misstrauen beäugen und viel Energie darauf verwenden sich abzusichern. Als Alpha-Tiere haben sie jedoch Maxime "No pain, no gain" verinnerlicht. Deshalb springen sie auch über ihren Schatten, wenn dies für das Erreichen von übergeordneten Zielen unabdingbar ist. Und genau dies muss der Berater ihnen vermitteln.

Kontakt und weitere Infos: Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur unter anderem Autor des "Change Management Handbuch" (Cornelsen Verlag) und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Er ist seit 1994 Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.