Test: SuSE Linux Office Desktop

16.05.2003 von Jörg Luther
Der SuSE Linux Office Desktop verspricht einen einfachen Wechsel auf das Open-Source-OS auch für Linux-Novizen. Dabei soll die Möglichkeit zum Einsatz von Microsoft Office unter Linux den Umstiegsschmerz lindern. tecCHANNEL prüft, wie gut sich die Pille schlucken lässt.

Der SuSE Linux Office Desktop (SLOD) will SuSE eingefleischten Windows-Usern denn Umstieg auf das Open-Source-Betriebssystem erleichtern. Sowohl Anwender in Unternehmen wie auch der private Nutzer, so verspricht SuSE, sollen mit dem SLOD ohne Linux-Vorkenntnisse die Stabilität und Sicherheit von Linux auf dem Desktop nutzen und gleichzeitig die bestehenden Daten aus den vertrauten Windows-Anwendungen wie Microsoft Office weiter nutzen.

Um diesen Effekt zu erzielen, hat SuSE schlicht zwei Add-ons zu einem ansonsten ganz normalen SuSE Linux Personal 8.1 dazugepackt. Der Acronis OS Selector ermöglicht die Repartitionierung bestehender FAT- und NTFS-Filesysteme, um Platz für Linux zu schaffen. Die kommerzielle Software betätigt sich daneben auch noch als komfortabler Boot-Manager.

Die Ausführung von Windows-Binaries übernimmt Crossover Office, eine ebenfalls kommerzielle Variante von Wine. Auf diesem Weg lassen sich unter SLOD speziell die Microsoft-Office-Versionen 97 und 2000 sowie der Internet Explorer 5.x samt Plug-ins zum Laufen bringen.

Das Paket

Für 129,90 Euro liefert SuSE in der Office-Desktop-Box 4 CDs und ein gut 400-seitiges Benutzerhandbuch aus. 90 Tage Installations-Support per E-Mail, Telefon, Post oder Fax sind im Kaufpreis inbegriffen.

An Hardware-Voraussetzungen nennt SuSE als Minimum einen Rechner der x586-Klasse mit 64 MByte RAM und wenigstens 2,5 GByte freiem Festplattenplatz. Soll das mitgelieferte Crossover Office aber tatsächlich zum Einsatz kommen, empfiehlt sich eher ein Pentium-II mit 256 MByte Arbeitsspeicher. Auch bei der Massenspeicherkapazität darf man dann ruhig noch einmal 1,5 GByte drauflegen.

Als Betriebssystembasis dient Kernel 2.4.19/glibc 2.2.5, SuSE-typisch kommt als grafische Oberfläche primär KDE, hier in der Version 3.0.4, zum Zug. Als Alternativen dienen GNOME 2.0 sowie twm und mwm, die im Zug der Default-Installation gleich mit auf die Platte wandern. Ein StarOffice 6.0 ist ebenfalls mit von der Partie. Anders als bei SuSE Linux Personal bringt der SLOD einen NFS-Server mit, den Samba-Server lässt er jedoch vermissen.

Acronis OS Selector 8.0

Bei dem im CD-Jewel-Case schamhaft auf der letzten Position versteckten und im Handbuch mit keiner Silbe erwähnten Acronis OS Selector handelt es sich um ein leistungsfähiges Tool zur Festplattenpartitionierung und zum Verwalten und Booten mehrerer Betriebssysteme.

Neben beiden FAT-Varianten und NTFS kommt der OS Selector auch mit Partitionen der Linux-Typen Ext2, Ext3 und ReiserFS klar. Beim SuSE Linux Office Desktop dient er vor allem zum Repartitionieren bereits vorhandener Windows-Installationen, um Platz für Linux frei zu schaufeln. Aber auch wer neben Linux später eventuell noch andere Betriebssysteme installieren möchte, ist mit dem OS Selector gut beraten: Er kann nicht nur zum Dual-Boot mit DOS oder Windows von 3.x bis XP dienen, sondern beherrscht auch den Umgang mit allen Linux-Spielarten, den gängigsten Unix-Derivaten sowie BeOS, OS/2 oder QNX.

Der Acronis Selector lässt sich von seiner bootfähigen CD aus wahlweise auf die leere Festplatte installieren oder auch nachträglich neben den schon aufgespielten Betriebssystemen einrichten. Er logiert auf einer eigenen kleinen FAT-Partition, deren 32 MByte er sich gegebenenfalls von einer schon belegten Partition abknapst.

SuSE-Installation

Die Installation des eigentlichen Linux-Systems läuft nach SuSE-typischem Strickmuster in grafischer Manier ab. Eine sehr gute Hardware-Erkennung sorgt für vernünftige Default-Einstellungen, der Benutzer kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. Dabei wird er zudem von einer recht guten Online-Hilfe unterstützt.

Dazu gehören vor allen Dingen die Partitionierung der Platte sowie die Auswahl der gewünschten Software-Pakete. Beide lassen sich komfortabel über grafische Tools erledigen, mit denen auch Linux-Einsteiger ohne größere Probleme klarkommen. Die Standard-Paketauswahl bringt ohnehin alle wichtigen Komponenten bereits mit. Ein zusätzliches Kreuzchen muss hier eigentlich nur machen, wer auch gleich die Software-Entwicklungstools zur Hand haben will. Ohne sie wandern in der Default-Installation rund 1,6 GByte Daten auf die Festplatte.

Größer Hand anlegen braucht der Benutzer eigentlich nur an zwei Stellen: Zum einen gilt es ein root-Passwort zu vergeben und Benutzer-Accounts anzulegen, zum anderen muss das Netzwerk konfiguriert werden. Hängt der Rechner in einem Netzwerk mit DHCP-Server, kann man sich sogar letzteres schenken. So lässt sich das System problemlos innerhalb von 20 bis 25 Minuten aufsetzen.

Ungereimtheiten

Bei der ersten Beschäftigung mit dem frisch installierten System dürfte bei den meisten Benutzer aus der angepeilten Zielgruppe erst einmal gelinde Verwirrung einsetzen. Auch wenn der SuSE Linux Office Desktop für den Windows-Umsteiger gedacht ist, auf die Linux-typischen Eigenheiten mochten die SuSE-Entwickler offenbar nicht verzichten.

Für (Ex-)Windows-Benutzer völlig ungewohnt, darf der frisch angemeldete Linux-User nämlich fast nichts, ohne vorher in den Rechtekontext des Systems zu wechseln. Die Folge: Bei jedem zweiten Mausklick poppt ein Fenster auf und möchte das root -Passwort wissen. Das ist zwar sicher, aber doch furchtbar lästig. Wesentlich einfacher könnte man sich das Leben machen, nähme man den Benutzer-Account in die wheel-Gruppe auf und trüge diese in /etc/sudoers ein. Von solchen Feinheiten freilich verrät das Handbuch dem Linux-Einsteiger nichts.

Netzwerk verschollen

Dem genervten Windows-Umsteiger, der jetzt auf das Desktop-Icon mit dem vielversprechenden und Rettung verheißenden Titel "Assistent" klickt, steht ein weiterer Schock bevor. "Meine Verzeichnisse im Netzwerk freigeben" und "Verzeichnisse anderer Rechner einbinden" kann man hier, aha.

Dann mal nichts wie ran an den Windows-Server und das Dokumentenverzeichnis freigegeben für die anderen User. Aber warum zeigt der Directory-Import-Assistent keinen einzigen NT- oder 2000-Server an, und warum können die Kollegen an den Windows-Rechnern die freigegebenen Verzeichnisse nicht finden?

Weil SuSE den Windows-Umsteiger sauber ausgeschmiert hat: "Netzwerk" heißt hier mitnichten SMB-Netz, wie der unbedarfte Linux-Neuling vermuten muss. Freigeben kann man nur NFS-Exports, einbinden darf man neben NFS- immerhin auch Samba-Shares. Aber das komplette Windows-SMB-LAN - egal ob 9x, NT, 2000 oder XP - bleibt außen vor.

Crossover Office

Immerhin zeigt der Menüpunkt "Microsoft-Software installieren" des Assistenten die gewünschte Wirkung. Zunächst installiert und initialisiert sich innerhalb einiger Sekunden Crossover Office selbst. Anschließend offeriert es ein Setup-Fenster zur Einrichtung der Windows-Software, davon an prominentester Stelle Microsoft Office.

In Klick im Reiter "Add/Remove" auf den Punkt Microsoft Office startet die Installation der Bürosuite. Zunächst fragt Crossover Office nach der Installations-CD oder alternativ dem Verzeichnis mit der Setup-Datei von MS Office. Hat es die Installationsfiles erst einmal gefunden, folgt eine völlig normale MS-Office-Installation.

In unserem Test bemängelte zwar die Installationsroutine bei der Einrichtung eines Office 2000 Premium zunächst einen "Syntaxfehler bei einer Befehlszeilenoption" und später die Unmöglichkeit der Registrierung einer Typbibliothek "für Datei grde50.olb". Der Lauffähigkeit der Programme tat das später jedoch keinen erkennbaren Abbruch.

Office unter Linux

Nach Abschluss unserer Installation lagern Access, Excel, Frontpage, Outlook, Powerpoint und Word samt Zubehör sowie der Internet Explorer auf unserer Festplatte. Über das Menü "Windows Applications" lassen sie sich tatsächlich auch alle starten.

Auch das Einlesen entsprechender Files bereitet keine Schwierigkeiten, da Crossover Office bereits bei der Installation die entsprechenden Dateizuordnungen vorgenommen hat. Dank der bei dieser Gelegenheit ebenfalls erfolgten Einbindung der wichtigsten Windows-Fonts lauern auch bei der Darstellung keine Überraschungen.

Allerdings arbeiten nicht alle der Applikationen gleich reibungslos, und generell heißt es beim Verarbeitungstempo Abstriche zu machen. Reichlich Arbeitsspeicher - etwa ab 256 MByte aufwärts - hilft da zwar weiter. Ganz so zügig wie unter Windows gewohnt operiert die Bürosuite allerdings in der emulierten Umgebung zwangsläufig nicht. Gelegentlich verheddert sich auch mal eine Applikation. Dann helfen die Punkte "Reset Crossover Office" oder schlimmstenfalls "Simulate Windows Reboot" aus dem Crossover-Menü weiter.

Word, Excel, Powerpoint

Zu den wohl am meisten genutzten Anwendungen aus Microsofts Office-Suite zählen die Textverarbeitung Word, die Tabellenkalkulation Excel und das Präsentationsprogramm Powerpoint. Alle drei benehmen sich unter Crossover Office tadellos.

Weder die Erstellen, noch das Laden oder formatieren von Dateien bereiten die geringsten Probleme. Beim Rechnen gibt sich Excel unter Linux keine Blöße, Diagramme werden allerdings nur fast wie gewohnt formatiert.

Diese Schwierigkeit hat Powerpoint hingegen nicht. Ob unter Windows oder Linux, die Präsentationen lassen sich kaum unterscheiden. Lediglich das Erstellen läuft unter Linux etwas zäher ab, bereitet aber keine grundsätzlichen Probleme.

Lediglich beim Zubehör gibt es kleinere Schwierigkeiten. Auf die Clipart-Galerie muss der Linux-Anwender wegen Schwierigkeiten mit der mfc42.dll verzichten. Auch der Office-Assistent macht mehr Mucken, als er assistiert. Doch auf die hüpfende Büroklammer verzichten auch unter Windows die meisten Anwender freiwillig.

IE und Outlook

Nach der Kategorisierung des Crossover-Office-Herstellers Codeweavers zählen Word, Excel und Powerpoint zu den "Goldmedaillen"-Applikationen - solchen, die in der emulierten Umgebung problemlos laufen. Dieses Prädikat können sich der Internet Explorer und Outlook nicht auf die Fahne heften.

Beide bekommen von Codeweavers lediglich Silber zuerkannt. Das soll bedeuten, dass die Applikation zwar prinzipiell gut funktioniert, jedoch mehr oder weniger ärgerliche kleinere Bugs aufweist.

So arbeitet Outlook zwar tadellos als POP3-Mailclient, Kalender und Kontaktverwaltung. Im Zusammenspiel mit Exchange-Servern führen allerdings manche Optionen zum Absturz der Applikation. Beim Internet Explorer funktionieren weder die PNG-Darstellung, noch das Lesen lokaler Files oder die Verarbeitung von ActiveX-Skripts. Viel ärgerlicher ist jedoch, dass sich die Options-Einstellungen weder ändern noch speichern lassen.

Access

Ein echter Hinderungsgrund für manch potentiellen Umsteiger dürfte sein, dass die Datenbank Access in Crossover Office nahezu unbrauchbar ist. Zwar gibt Codeweavers in seiner Supported Application List an, das Access 2000 unterstützt würde. Dies gilt jedoch für Crossover Office 2.0. SuSE liefert mit dem Office Desktop jedoch die Version 1.3.1 aus.

Das hat zum einen zur Folge, dass die Arbeit mit Access extrem zäh vonstatten geht, der Bildaufbau erfolgt praktisch zeilenweise. Zudem funktionieren einige Funktionen schlicht nicht, wie sich gut mit der Beispiel-Datenbank NORDWIND demonstrieren lässt. Aber auch eine von tecCHANNEL genutzte Datenbank mit Vulnerabilities ließ sich im Test nur bedingt handlen.

Fazit

Zwar hat Crossover-Office-Hersteller Codeweavers seine Sache recht gut gemacht - neben MS Office unterstützt das Wine-Derivat auch andere gängige Windows-Applikationen wie Lotus Notes R5, Adobe Photoshop 7.0, MS Visio 2000 oder Intuit Quicken 2000.

Um ein Produkt anzubieten, das Einsteigern den Übergang auf Linux schmackhaft macht, genügt es aber nicht, nur eine Laufzeitumgebung für Windows-Binaries über ein herkömmliches Linux zu stülpen und das Ganze dann als Büro-Desktop für Linux-Neulinge zu verkaufen. Hier hat SuSE die Chance verpasst, durch wenige Anpassungen am Distributions-Grundgerüst und Hinzufügen einiger Tools für den Zugang in SMB-Netze eine Linux-Variante zu schaffen, die auch Handwerker oder Gewerbetreibende schmerzfrei in ihr bestehendes Windows-Netz integrieren können.

Für Anwender mit Vorkenntnissen des Open-Source-OS, die durch den gezielten Ersatz von Windows- durch Linux-Arbeitsplätzen mittelfristig Lizenzkosten sparen möchten, ist der SuSE Linux Office Desktop eine feine Sache. Für 129,90 Euro je Arbeitsplatz erhalten sie zunächst einmal eine Lösung zur sanften Migration der Benutzer. Zu einem späteren Zeitpunkt lassen sich die Desktops dann komplett umstellen, ohne den inzwischen an Linux gewöhnten Benutzern zu viel Neues zuzumuten. (jlu)