Test: Linux-PDA Agenda VR3d

12.02.2001 von JÜRGEN MAUERER 
Der erste kommerzielle Linux-PDA steht in den Startlöchern: Im April will Agenda Computing das Modell VR3e auf den Markt bringen. Seit kurzem ist die Developer Edition VR3d verfügbar.

Das Geschäft mit PDAs brummt. In den USA hat sich der Umsatz mit den mobilen Minirechnern im letzten Jahr mehr als verdoppelt. Nahmen die Hersteller 1999 noch 436,5 Millionen US-Dollar ein, waren es im Jahr 2000 schon 1,03 Milliarden US-Dollar. Bei den verkauften Stückzahlen sieht die Bilanz noch besser aus. Palm, Handspring  & Co. brachten im abgelaufenen Jahr in den USA mit 3,5 Millionen Geräten 150 Prozent mehr als 1999 an den Mann respektive an die Frau.

Linux-PDAs sind in dieser Statistik nicht aufgeführt, da es sie bislang schlicht und einfach noch nicht gibt. Das Betriebssystem mit dem Pinguin befindet sich aber auch im Bereich der Minirechner auf dem Vormarsch. Immerhin gibt es derzeit mit dem Compaq iPaq, den Cassiopeias der E-1x5-Serie sowie dem Helio von VTech drei PDA-Plattformen, auf die man Linux portieren kann. Zudem sollen in diesem Jahr mit dem Yopy von Samsung, dem daVinci DV6 von Royal und dem Agenda VR3e drei Geräte auf den Markt kommen, die ausschließlich auf Linux setzen.

Agenda Computing will mit seinem VR3e im April den Anfang machen. Vor kurzem hat der Hersteller die Developer Edition VR3d ausgeliefert, also den VR3e im Betastadium. Der VR3d ist von der Hardwareausstattung identisch mit der Endversion des PDAs, jedoch - das zeigte unser Test - bei weitem noch nicht ausgereift. Für Agenda gibt es noch viel zu tun, wenn der Hersteller den VR3e wirklich im April für etwa 580 Mark auf den Markt bringen will.

Äußerer Eindruck

Der Linux-PDA hinterlässt beim Auspacken einen etwas zwiespältigen Eindruck. Zum einen gefällt das iMac-ähnliche Design mit dem transparenten Plastikgehäuse, das einen schemenhaften Blick ins Innere zulässt. Zum anderen wirkt der VR3d durch das Plastikgehäuse etwas "windig", ja gar zerbrechlich. Dieser Eindruck wird durch die Schutzklappe verstärkt, die zwei Gelenke aufweist und sich dadurch um 270 Grad drehen lässt.

Das Gerät misst PDA-typisch 115x75x20 Millimeter, wiegt aber wegen des Plastikgehäuses nur 126 Gramm und damit etwa 70 Gramm weniger als die PDAs von Marktführer Palm. Der VR3d ist daher sehr gut in der Hemdtasche zu transportieren. Auffallend sind ferner die Schnellstartleiste für die PIM-Anwendungen sowie die Funktionstasten an der Seite des Linux-PDAs. Neben dem Ein-/Ausschaltknopf und zwei Scrollknöpfen sind dort auch die Aktion-rechts- und Aktion-links-Tasten zu finden. Letztere sollen in der endgültigen Version bei Spielen zum Einsatz kommen. Beim VR3d funktionieren die beiden Tasten allerdings noch nicht.

Auf der Rückseite der Developer Edition befinden sich die leicht zugängliche Reset-Taste sowie der Schacht für zwei 1,5 Volt AAA-Batterien, die den PDA mit Strom versorgen. Die Abdeckung ist durch eine Schraube fixiert und lässt sich mit einer 10-Pfennig-Münze leicht öffnen.

Apropos Batterien: Agenda gibt bei normalem Gebrauch eine Betriebszeit von einem Monat an. Um diese zu erreichen, muss der Hersteller allerdings noch nachlegen. Bei der Developer Edition des VR3 entladen sich die Batterien auch im ausgeschalteten Zustand stark. Bereits nach wenigen Stunden Pause lässt sich der PDA nicht mehr hochfahren. Auch wird der Energieinhalt der Batterien nicht optimal genutzt: Mit den vermeintlich leeren VR3-Batterien läuft der Visor Deluxe von Handspring noch rund 30 Minuten.

Kurios ist auch der konstante Ladezustand der Batterien von 30 Prozent beim VR3d. Ein Blick in das Entwicklerforum von Agenda gibt Antwort: Der Wert ist fest einprogrammiert. Bis zur endgültigen Version soll dies laut Agenda jedoch behoben sein.

Hardwareausstattung

Von der Hardwareausstattung her gesehen entspricht der VR3d bereits der endgültigen Version des PDAs. Das Herzstück ist ein 32-Bit-VR4181-MIPS-Prozessor von NEC mit einer Taktrate von 66 MHz. NEC hat mit der VR4131 erst kürzlich eine 64-Bit-RISC-CPU mit 200 MHz für PDAs, Internet-Appliances und Netzwerkkarten vorgestellt. Vielleicht kommt der neue Prozessor in späteren Ausgaben von Agenda-PDAs zum Einsatz.

Der Speicher des VR3d setzt sich aus 8 MByte RAM und 16 MByte Flashmemory zusammen. Ursprünglich sollte es jeweils die Hälfte sein. Um Upgrades des Open Source-Betriebssystems sowie komplexere Anwendungen zu ermöglichen, hat Agenda den Speicher vergrößern müssen. Dadurch hat sich allerdings die Auslieferung der Developer Edition sowie des fertigen Produkts um ein paar Monate verzögert.

Das berührungsempfindliche Display stellt 16 Graustufen mit einer Auflösung von 160x240 Pixel dar. Wie auch bei Geräten mit dem Palm OS sind Anwendungen mit einem Stift über den Touchscreen zu bedienen. Die Handschrifterkennung erfolgt beim VR3d im Gegensatz zum Palm oder Visor über das gesamte Display. Sie funktioniert allerdings beim VR3d noch nicht. Wir waren bei der Eingabe von Daten auf die virtuelle Tastatur angewiesen. Der Clou: In der Endversion wird der PDA laut Agenda mit natürlicher Handschrifterkennung arbeiten und die Schrift des Benutzers in bis zu fünf Varianten pro Buchstaben speichern. Die Zeit der kryptischen Graffiti-Schriftzeichen wäre damit zu Ende.

Die Datensynchronisation mit einem Linux- beziehungsweise Windows-PC oder einem Mac geschieht über eine Dockingstation, die an die serielle Schnittstelle (kein USB) angeschlossen werden kann. Leider ist die dafür notwendige Software QuickSync noch nicht fertig, auch die IrDA-Infrarotschnittstelle funktioniert noch nicht. Der Datenabgleich ist daher für Otto Normalverbraucher mit dem VR3d nahezu unmöglich. Eine Hintertür gibt es allerdings (siehe Kapitel VR3d: Das fehlt noch).

Betriebssystem Linux VR

"Freedom to create your own Agenda". Mit diesem Slogan wirbt der amerikanische Hersteller auf seiner Webseite. Das heißt: Ergänzend zu den vorinstallierten Standardanwendungen wie Adressverwaltung oder Terminkalender können die Anwender eigene Applikationen programmieren. Der Open-Source-Charakter der Software sowie das Terminal (rxvt) machen's möglich.

Über das Terminal erhalten Linux-Freaks Zugang zum Betriebssystem, zu bereits installierten Anwendungen sowie zum Kernel. Im Terminal stehen Shells (ash oder bash) sowie die wichtigsten Befehle zur Verfügung, um komplette Programme zu schreiben. Allerdings ist die Arbeit im Terminal wegen der zu großen Schriftzeichen etwas unkomfortabel.

Agenda Computing setzt auf seinem PDA eine angepasste Variante des Betriebssystems VR Linux inklusive X 11 ein, das mit NEC-CPUs der VR41xx MIPS-Serie ein gutes Team bildet. Informationen zu Linux VR sowie Tools zum Kompilieren von Linux für den Prozessor finden Sie hier. Der Agenda VR3d basiert auf dem Linux-Kernel 2.3.99-pre3. In der Endversion VR3e setzt der Hersteller bereits auf den Anfang Januar von Linus Torvalds freigegebenen Linux-Kernel 2.4. Dieser erlaubt unter anderem, Flash-ROM wie Festplatten anzusprechen.

Das OS des VR3d ist mit xFree86 sowie einer modifizierten Version des Window Managers flwm ausgestattet. Für die Programmierung der grafischen Oberfläche (Launchpad) setzt Agenda auf das Fast Light Tool Kit (FLTK). Über das Launchpad lassen sich dann sämtliche Anwendungen des Linux-PDAs starten.

Anwendungen

Wie alle gängigen PDAs bietet der Agenda VR3d die üblichen PIM-Funktionen (Personal Information Manager) wie Adressenverwaltung, Terminplanung, Aufgabenliste und Notizen. Die Applikationen lassen sich über das Launchpad oder per VR-Leiste über Pop-Up-Fenster starten. Sie reagieren zwar erst nach etwa drei Sekunden, arbeiten aber nach dem Start mit angemessenem Tempo. Für die endgültige Version verspricht Agenda Computing, dieses Manko zu beheben.

Sämtliche Anwendungen des VR3d sind einfach und intuitiv zu bedienen. So ähnelt die Eingabemaske im Menü Kontakte beispielsweise den Windows-Formularen. In der To-Do-Liste kann der User anstehende Aufgaben verwalten und nach ihrer Priorität sowie ihrem Termin ordnen. Die Kalenderfunktion der Developer Edition ist allerdings noch nicht ausgereift. Zum einen erlaubt sie bislang nicht, sich über Termine per Sound oder Vibration benachrichtigen zu lassen. Zum anderen ist das Datumsformat noch mit Fehlern behaftet: Das aktuelle Datum verschwindet wieder, wenn man den VR3d aus- und erneut einschaltet. Stattdessen zeigt der PDA den 1. Januar 1970 an. Dieser Bug soll in der endgültigen Version behoben sein.

Besonders hervorzuheben ist die gut gemachte Ausgaben-Funktion, die einen Überblick über private oder geschäftliche Kosten gibt. Hingegen leidet die Weltzeituhr unter mangelnden Geografiekenntnissen: Dublin liegt in Belgien und die deutsche Wiedervereinigung hat noch nicht stattgefunden.

VR3d: Das fehlt noch

Agenda Computing muss noch Einiges zu tun, um die "Betaversion" VR3d marktreif zu machen und als VR3e verkaufen zu können. Die Mängelliste ist lang: die IrDA-Schnittstelle und die natürliche Handschrifterkennung funktionieren nicht, die Batterien entladen sich im ausgeschalteten Zustand, beim Kalender fehlt die Alarmfunktion und das aktuelle Datum lässt sich nicht fixieren.

Zu guter Letzt sind die Synchronisations-Software QuickSync zum Datenabgleich mit Desktop-PCs sowie der E-Mail-Client noch nicht fertig. Daher ist es bisher nur mit rsync im Servermodus möglich, Dateien über die Dockingstation des Pinguin-PDAs zu synchronisieren. Mit dem passenden Unix- oder Windows-Client funktioniert der Datenabgleich aber auch ohne grafisches Frontend.

Auch ohne Cradle ist der VR3d nicht von der Außenwelt abgeschnitten. Dazu verbindet man den PDA mit dem seriellen Kabel direkt mit dem Desktop-PC und weist ihm eine IP-Adresse für die PPP-Direktverbindung zu. Auf dem Server (Linux-PC) gibt man laut Webseite des Herstellers dann folgendes Kommando ein: /usr/sbin/pppd/dev ttyS0 115200 10.1.1.1:10.1.1.10 noauth local. Stellt man auf dem VR3d im Menü System/Network "Direct Serial" ein und betätigt den Startknopf, ist der PDA über Telnet, ftp oder NFS zu erreichen.

Ausblick

Wenn Agenda Computing die Bugs der "Betaversion" VR3d rechtzeitig behebt, dürfte im April der erste kommerzielle PDA verfügbar sein, der komplett auf Linux setzt. Der VR3e hat allerdings nur eine Chance gegen die Konkurrenz, wenn er fehlerfrei und stabil läuft sowie genügend Anwendungen zur Verfügung stellt.

Bisher sieht es bei den Anwendungen noch etwas mau aus. Agenda will aber mit der Markteinführung im April weitere Applikationen wie Taschenrechner oder Spiele zum Download bereitstellen. Außerdem setzt der Hersteller voll auf Open-Source und bietet auf seiner Developer Website die Quellcodes des Betriebssystems sowie aller Applikationen an. Auch der Linux-Kernel ist frei zugänglich. Daher ist damit zu rechnen, dass sich genügend Programmierer aus der Open-Source-Gemeinde finden, die Anwendungen für den Linux-PDA entwickeln.

Ob der VR3e aber wirklich mit den etablierten Palm OS-, Windows CE- und EPOC-Geräten konkurrieren kann, muss sich erst noch erweisen. Jürgen Schuster, Geschäftsführer von Agenda Computing, Berlin, jedenfalls ist optimistisch. Er hält in den nächsten zwei Jahren einen Marktanteil von 5 bis 7 Prozent in Deutschland für realistisch. (jma)

Quickinfo

Produkt

Agenda VR3d

Hersteller

Agenda Computing

Prozessor

66 MHz 32 Bit NEC VR4181 MIPS

Speicher

8 MByte RAM und 16 MByte Flash

Betriebssystem

Linux VR

Display

160x240 Pixel bei 16 Graustufen

Schnittstellen

IrDA, seriell

Preis

580 Mark