Test: Corel-Linux

23.05.2000 von Mike Hartmann
Mit seiner eigenen Linux-Distribution will sich Corel neue Geschäftsfelder erschließen. Dabei hat man sich in Ottawa hohe Ziele gesteckt: Einfacher zu bedienen soll sie sein, mehr Treiber bieten und zusätzliche Applikationen. Wie es um den ersten Versuch bestellt ist, zeigt dieser Test.

Die Marketingstrategen bei Corel haben festgestellt, dass Linux durchaus eine Zukunft auf dem Desktop hat. Erste zaghafte Versuche hatte es zwar schon früher mit WordPerfect für Linux gegeben, aber jetzt will man in Ottawa so richtig loslegen.

Corel hat auch erkannt, woran es bei Linux trotz aller Verbesserungen in den letzten Jahren immer noch hapert: "Ease of use" und Applikationen sind die wichtigsten Schlagworte. CEO Michael Cowpland bezeichnet die Corel-Distribution als "benutzerfreundlichstes Linux" und Corel als den klaren Führer in Sachen Linux für den Desktop. Doch wie der Test zeigt, ging der erste Schuss gründlich daneben.

Corel plant, seine auf Debian basierende Linux-Distribution in drei Varianten anzubieten:

Als kostenloser Download

Dabei handelt es sich um ein Standard-Linux auf Basis von Kernel 2.2.12 mit dem K Desktop Environment (KDE), den Corel laut eigenen Angaben erheblich angepasst hat. Dazu kommt der Installer von Corel und ein Programm namens Corel Update, mit dem sich Updates über das Internet einfacher gestalten sollen. Der Corel File Manager ähnelt stark dem Windows Explorer und bietet in etwa dieselbe Funktionalität.

Der Download umfasst ein 312-MByte-großes ISO-Image, das zunächst auf eine CD zu brennen ist. Einen Download für einzelne Pakete bietet Corel-Linux nicht an. Wer sich den Download sparen möchte, kann auch für 14,95 Dollar inklusive Versand ein fertiges Paket bestellen, das auch eine zweite CD mit Sourcecodes enthält.

Die Standard-Edition

Auf drei CDs für 59 Dollar kommen zusätzlich der Netscape Communicator, der Acrobat Reader, ein mit ICQ kompatibler Instant Messenger und Corel WordPerfect 8.0 in der Light-Variante.

Die Deluxe-Edition

Auf fünf CDs für 89 Dollar erhalten Sie zusätzlich BRU, ein Backuputility, WordPerfect in der Vollversion inklusive Cliparts und das Spiel Civilization in der Limited Edition. Dazu packt Corel noch eine Dreimonats-Lizenz für den internetbasierten eFax-Service, verbesserte Soundtreiber von 4Front und einen Miniatur-Pinguin.

Offensichtlich wollte Corel seine Linux-Distribution unbedingt noch zur Comdex der Öffentlichkeit vorstellen. Daher ist derzeit nur die Download-Variante verfügbar. Die Standard und Deluxe Editionen sollen erst am 30. November fertig gestellt sein.

Corel-Linux im Überblick

Corel hat sein Ziel, ein vollkommen benutzerfreundliches Linux auf den Markt zu bringen, gründlich verfehlt. Tatsächlich handelt es sich bei der Download-Variante um nicht viel mehr als ein leicht aufgepepptes Linux. Die Installation ist zwar tatsächlich sehr einfach - von Null auf Linux in 20 Minuten -, aber das war es dann auch schon. Vom "benutzerfreundlichsten Linux aller Zeiten" kann und muss man einfach mehr erwarten.

Beispielweise sollten Soundtreiber automatisch installiert werden, anstatt dem Benutzer in einer Readme-Datei zu erklären, dass er lediglich das Tool sndconfig starten muss. Das Installationstool sollte zumindest davor warnen, dass man mit den gerade getroffenen Entscheidungen sein System lahm legt. Und dann sollte man auch ein zentrales Konfigurationstool für alle Aspekte des Betriebssystems bereitstellen, anstatt sich einfach auf bereits Vorhandenes (KDE Control Center) zu verlassen.

Last but not least ist Corel-Update nicht tauglich für breite Massen. Hier muss Corel einen leistungsfähigeren FTP-Server bereitstellen, die Beschränkung auf nur 300 Benutzer, die gleichzeitig Zugriff auf den Download haben, ist eine Zumutung.

Aber die Corel-Distribution hat nicht nur Schattenseiten. Positiv fällt auf, dass die Installationsroutine den unbedarften Anwender tatsächlich von schwierigen Aufgaben fern hält. Sie bietet sogar die Möglichkeit, die Bootdisketten automatisch von Windows aus zu erstellen, falls das CD-ROM nicht bootfähig ist. Auch das Hantieren mit dem Partitionierungstool von Linux entfällt.

Corel-Linux im Detail

Wer sich ein Bild von Corel-Linux machen will, muss erst einmal viel Geduld mitbringen, denn der Hype um diese Distribution legte die drei zur Verfügung gestellten Downloadsites zeitweise komplett lahm.

Haben Sie die Geduldsprobe hinter sich gebracht und das ISO-Image auf einen Rohling gebannt, erwartet Sie zunächst eine angenehme Überraschung: Die CD startet unter Windows 9x automatisch und bietet gleich die Erstellung von Bootdisketten an. Optional lässt sich jedoch auch von der CD-ROM booten.

Der grafische Installer von Corel-Linux führt dann durch die weitere Einrichtung des Betriebssystems. Hier kann der Anwender bis zu einem gewissen Grad selbst entscheiden, wie detailliert er seine Installation durchführen will. Wer noch über genügend unpartitionierten Festplattenplatz verfügt, kann mittels dreier Mausklicks die Installation in Gang setzen und dann einen Kaffee trinken gehen. Die Installationsroutine übernimmt den Rest. Dabei werden die wichtigsten, für den Betrieb notwendigen Pakete eingerichtet.

Ist kein Platz mehr auf der Festplatte, muss das Partitionierungstool von Linux zum Einsatz kommen. Dieses ist jedoch nur für erfahrene Anwender geeignet. Besser ist es in einem solchen Fall, mittels eines Tools wie PartitionMagic Platz auf der Platte zu schaffen.

Optional bietet Corel-Linux auch die Installation auf der Windows-Partition an. Dabei nutzt Linux das FAT-Dateisystem und eine Swap-Datei an Stelle einer Swap-Partition. Diese Variante sollte allerdings nur im Notfall zum Einsatz kommen, da Linux dadurch langsamer wird.

Bei der Auswahl der zu installierenden Pakete gibt es drei Möglichkeiten. Im Standardmodus richtet Corel-Linux eine als Desktop nutzbare Version ein. Ansonsten bietet das Setup noch die Varianten Desktop plus Entwicklungstools oder Server an. Wer komplette Kontrolle über seine Installation haben will, kann jedoch auch jedes zu installierende Paket einzeln auswählen.

Corel-Linux im Betrieb

Nach der Installation und dem notwendigen Neustart erwartet den Anwender gleich die erste unangenehme Überraschung: Corel Linux installiert ungefragt einen eigenen Bootmanager. Dieser lässt sich leider nicht vom Desktop aus verwalten. Da er jedoch auf Lilo basiert, ist zumindest eine Konfiguration per Textdatei möglich, jedoch nirgendwo dokumentiert. Wenn Sie also später weitere Betriebsysteme installieren wollen, stehen Sie im Regen.

Nach der Installation muss noch das Shellscript "sndconfig" gestartet werden, um die notwendigen Soundmodule zu konfigurieren und in den Kernel zu laden. Diese Information findet sich versteckt in einer Readme-Datei auf der CD-ROM. Warum Corel diesen einfachen Schritt nicht automatisiert hat, bleibt offen.

Einen Großteil der Linux-Konfiguration, genauer gesagt der X-Windows-Konfiguration, übernimmt das KDE Control Center. Dort lassen sich die wichtigsten Parameter wie Bildschirmgröße oder Netzwerkfunktionen einstellen. Weiter gehende Konfigurationsmöglichkeiten - etwa für den genauen Monitortyp - bietet Corel-Linux nicht. Wer XF86Config aufruft, um das später nachzuholen, wird überrascht: Zwar speichert das Tool die Einstellungen, X-Windows von Corel-Linux verwendet sie jedoch nicht.

Corel-Linux: Löcher und Updates

Weitere Kritikpunkte am "benutzerfreundlichsten" Linux sind, dass zwar der Acrobat Reader in der Startleiste des KDE aufgeführt, aber gar nicht installiert ist. Den unerfahrenen, windowsgewohnten Anwender wird das sicherlich verwirren. Auch ist fraglich, warum bei der Installation als Desktopsystem beispielsweise der FTP- und der Telnet-Daemon gestartet werden. Das sind unnötige Sicherheitslöcher, von denen ein unerfahrener Anwender nichts weiß und die Hackern Tür und Tor öffnen.

Eine der von Corel am meisten gepriesenen Funktionen ist der Updatemanager. Damit sollen automatische Updates problemlos über das Internet möglich sein. Theoretisch hat Corel da Recht, allerdings ist der entsprechende FTP-Server (ftp.corel.com) dauernd überlastet, weil Corel auf diesem Server maximal 300 Benutzer gleichzeitig zulässt. Hier muss Corel dringend nachbessern, ansonsten ist das ganze Updatekonzept schon von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der Updatemanager kommt auch beim Nachinstallieren oder Löschen von Paketen zum Einsatz. Er erkennt zwar Abhängigkeiten zwischen einzelnen Paketen, kann sich letztlich jedoch nicht von der Masse anderer Paketmanager absetzen. Beim "benutzerfreundlichsten" Linux sollte man annehmen, dass das Programm den Benutzer etwas mehr unter seine Fittiche nimmt. Dies ist nicht der Fall. Löscht man beispielsweise eine für X-Windows wichtige Grafik-Library, meldet das Tool nur, dass es auch weitere Pakete löschen wird (X-Windows selbst und KDE). Dass danach das System nicht mehr lauffähig ist, verschweigt das Programm dezent. Außerdem wäre es hilfreich, wenn das Tool die Größe der einzelnen Pakete anzeigen würde.

Als gelungen ist der Corel-Filemanager zu bezeichnen. Die Eigenentwicklung bietet in etwa dieselben Funktionen wie der Windows Explorer, und eignet sich gut zur Verwaltung von Dateien und Ordnern. Netzwerkverbindungen zu Windows-Servern lassen sich ebenso problemlos herstellen, wie zu NFS-Servern.

Was komplett fehlt, sind einfache Möglichkeiten zur Konfiguration eines Druckers. In der entsprechenden Onlinehilfe findet sich zwar ein Knopf mit der Aufschrift "Howto", dieser ist jedoch funktionslos. Im KDE Control Center ist die Liste mit verfügbaren Druckereinstellungen leer.

Corel-Linux: "Zusatzfeatures"

An seinem Ziel, das "benutzerfreundlichste" Linux zu schaffen, ist Corel vorerst gescheitert. Bleibt nur zu hoffen, dass der Zeitdruck vor der Comdex schuld daran war und dass die CD-Versionen besser sind. Den Download hätte man sich in jedem Fall sparen können. Andere Distributionen sind hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit schon deutlich weiter. Anstatt mehr eigene Software zur einfachen Konfiguration und Verwaltung von Linux zu entwickeln, hat Corel seine Zeit in eine ganze Reihe von Online Communities investiert. Diese erhalten natürlich einen prominenten Platz im Startmenü des KDE.

Diese Communities bieten beispielsweise 20 MByte Backup-Platz auf einem Internetserver oder (kostenpflichtige) elektronische Faxe über das Internet. Echten Nutzwert für den unerfahrenen Linux-Benutzer haben sie jedoch nicht.

Fazit

Wäre Corel nicht so großmundig aufgetreten, hätte man ganz einfach von einer weiteren Linux-Distribution reden können. Vielleicht sogar von einer mit etwas mehr Potenzial, weil Corel immerhin die Portierung seiner Office- und Grafikapplikationen angekündigt hat. In der derzeitigen Form und mit dem derzeitigen Marketing allerdings schadet die kanadische Firma der Linux-Idee mehr, als dass sie nutzt. (mha)