Die Schattenseite der Arbeit

Teamarbeit - Synonym für ausruhen auf Kosten anderer

26.11.2015 von Georg Kraus
Teams arbeiten effizienter als Einzelpersonen - so lautet ein weitverbreitetes Credo. Doch in der Praxis passiert oft das Gegenteil. Der Einzelne kann sich in der Gruppe besser verstecken, Faulheit fällt weniger auf.

Oft schöpfen Teams und Mitarbeitergruppen ihr Leistungspotenzial nicht aus. Eine Ursache hierfür: Der Einzelne kann sich in der Gruppe verbergen und seine individuelle Leistung wird nicht wahrgenommen. Um das zu verstehen, sollten Sie den Ringelmann-Effekt kennen.

Maximilian Ringelmann, ein französischer Agraringenieur, untersuchte 1882 die Leistung von Pferden. Er fand heraus: Die Leistung zweier Pferde beim gemeinsamen Ziehen einer Kutsche ist nicht doppelt so hoch wie die eines einzelnen Pferds. Fasziniert von dieser Entdeckung dehnte Ringelmann seine Untersuchungen auf Menschen aus. Er ließ mehrere Männer an einem Tau ziehen und maß die Kraft, die jeder einzelne entfaltete. Er kam auf eine durchschnittliche Zugkraft von 63 Kilogramm pro Person. Dann ließ er jeweils zwei Männer gemeinsam an einem Seil ziehen. Die gemeinsame Zugkraft betrug im Schnitt nur 118 Kilogramm. Und bei drei Personen 160 Kilo - also deutlich weniger als 3 mal 63 Kilo.

Aufgrund seiner Versuche entwickelte Ringelmann eine Formel, um zu berechnen, wie hoch die Leistung beziehungsweise Effizienz von Gruppen ist, abhängig von der Zahl ihrer Mitglieder. Dieser Formel zufolge erbringen zwei Personen, die gemeinsam eine Aufgabe verrichten, nicht 2 × 100 Prozent, sondern nur etwa 2 × 93 Prozent Leistung - und drei Personen nur 3 x 85 Prozent und 8 Personen gar nur 8 x 49 Prozent. Das heißt: Acht Personen erbringen gemeinsam nicht einmal dieselbe Leistung wie vier einzelne Personen. Ringelmanns Erklärung: Je größer eine Gruppe ist, umso weniger wird die individuelle Leistung wahrgenommen. Entsprechend sinkt der persönliche Einsatz.

Gefühl: Meine Leistung ist irrelevant für den Erfolg

Dieses Phänomen kann man auch in Unternehmen beobachten. Die amerikanischen Psychologen Stephen Harkins, Bibb Lantané und Kipling Williams haben hierfür 1979 den Begriff "Social Loafing" geprägt - also sich ausruhen auf Kosten anderer.

Ein Verhalten, das irgendwie verständlich ist. Denn wenn man sich auf die Leistung andere Personen verlassen kann, ist die Versuchung groß, nicht mehr den vollen Einsatz zu zeigen.

Wer viele Ressourcen hat, (ver-)braucht diese auch

Für Unternehmen ist der "Ringelmann-Effekt" einer der größten Feinde der Effizienz und eine Schattenseite der Teamarbeit. Zwar belegen viele Studien, dass die Leistung eines Teams höher sein kann als die Summe der Einzelleistungen seiner Mitglieder - speziell dann, wenn Leistungen erbracht werden, die unterschiedliche Expertisen erfordern. Doch das muss nicht so sein. Bei Teamarbeit kann auch die gegenteilige Wirkung eintreten.

Stimmen Ringelmanns Aussagen, dann müssten Konzern sehr große Ineffizienzen haben. Ein Unternehmen mit 50.000 Mitarbeitern würde nach seiner Formel zum Beispiel nur so effizient arbeiten wie 3.000 Einzelpersonen. Entsprechend groß wäre das Potenzial zur Effizienzsteigerung, wenn es dem Unternehmen gelänge, den "Ringelmann-Effekt" zu vermeiden.

Hierfür müsste es jedoch zunächst wissen, welche Faktoren zur Minderung der Leistung führen. Laut Ringelmann sind dies:

Cyril Northcote Parkinson, ein englischer Soziologe, kam 1957 zu ähnlichen Erkenntnissen wie Ringelmann. Er untersuchte die Entwicklung des Britischen Marineministeriums, das ursprünglich das gesamte britische Empire verwaltete. Dabei stellt er fest: Nach dem Zerfall des Empires reduzierte sich die Mitarbeiterzahl des Ministeriums nicht. Im Gegenteil: Sie erhöhte sich. Daraus schloss Parkinson: Die Mitarbeiterzahl von Organisationen korreliert nur bedingt mit dem Arbeitsvolumen. Und: Organisationen neigen dazu, sich selbst zu beschäftigen.

Mitarbeiterzahl korreliert nicht mit Arbeitsvolumen

Wie viel Zeit für eine Aufgabe benötigt wird, hängt auch von der verfügbaren Zeit ab. Die zur Verfügung stehende Zeit wird genutzt beziehungsweise verbraucht. Parkinson erläutert dies am Beispiel einer Rentnerin, die einen halben Tag dafür benötigt, ihrem Enkel einen Geburtstagsgruß zu schreiben. Zunächst geht sie in ein Schreibwarengeschäft. Dort verbringt sie eine halbe Stunde mit dem Auswählen der Karte. Dann überlegt sie sich zu Hause stundenlang nette Formulierungen. Anschließend geht sie zum Postamt, wo sie zunächst alle Sondermarken sichtet, bevor sie endlich die Karte aufgibt. Ein vielbeschäftigter Manager erledigt die gleiche Aufgabe in drei Minuten.

Auch Unternehmen müssen regelmäßig abspecken

Der Karrierewunsch der Nachwuchskräfte schafft neue künstliche Bedarfe und erhöht die Zahl der Mitarbeiter. In den meisten Organisationen gibt es mehr Nachwuchskräfte, die nach einer (gehobenen) Führungsposition streben als durch die Fluktuation von Führungskräften (und Wachstum des Unternehmens) entsprechende Positionen vakant werden. Also suchen die Nachwuchsführungskräfte neue Tätigkeitsfelder, die das Schaffen zusätzlicher Führungspositionen und das Einstellen neuer Mitarbeiter rechtfertigen.

Treffen die Befunde von Ringelmann und Parkinson zu, dann stehen Unternehmensführer vor der Herausforderung, gegen diese "natürlichen" Effekte anzukämpfen. Hierfür lassen sich in Anlehnung an die Erkenntnisse von Ringelmann und Parkinson folgende Handlungsanleitungen formulieren.

Handeln wie Ringelmann oder …

… Handeln wie Parkinson