Freizeit-Stress

Stress im Job - Burnout im Urlaub

23.07.2013 von Anja Dilk und Heike Littger
Viele IT-Profis können auch in den Ferien nicht abschalten. So wird auch im Urlaub weiter wie gewohnt Vollgas gegeben. Ärzte und Coaches sagen, was zu tun ist, damit die Erholungszeit nicht in Stress ausartet.

Der Kletterurlaub hatte es in sich. Morgens die steilen Serpentinen hinauf, mittags konzentrierter Kraxelgang am Klettersteig, nachmittags Slakline-Training vor der Berghütte, abends Knotenkunde und Sicherungstraining. Und dann ein ordentliches Bier. Oder zwei oder drei.

Erholung für gestresste
Typ1: Wer ermüdet ist,
braucht Regeneration im Urlaub.
Typ 2: Wem die Routine im Berufsalltag stresst,
sollte für Abwechslung im Urlaub sorgen.
Typ3: Wer unter Stress leidet,
braucht dringend Entspannung.
Typ 4: Wer Frust und Ärger im Job verspürt,
braucht in seiner Auszeit Erfolgserlebnisse.
Zeit für sich allein
Menschen, die nur noch für ihren Job brennen, wissen nicht, was ihnen guttut. Deswegen kann es hilfreich sein, vor dem Sommerurlaub mit der Familie ein paar Tage nur für sich zu haben. Wenn das nicht geht: Zeiten vereinbaren, in denen man sich zurückziehen kann. Spazieren gehen, in der Sonne liegen, über den Wochenmarkt streifen.
Ein medizinischer Check-Up...
sollte folgende Fragen klären: Stimmen die Blutwerte, wie hoch ist das Herzinfarktrisiko, was machen die inneren Organe und der Stoffwechsel? Stimmt das biologische mit dem tatsächlichen Alter überein? Wie hoch sind der Stresspegel und die mentale Leistungsfähigkeit? Was machen der Rücken und die körperliche Flexibilität?
Welche Nährstoffe....
fehlen dem Körper? Welcher Sport ist ideal?
Nach dem Urlaub weitermachen
Mit der Familie frühstücken, meditieren oder eine Runde um den Block laufen - wer sich morgens positiv auf den Tag einstimmt, hat nicht das Gefühl, von früh bis spät fremdgesteuert zu sein, und bleibt nach dem Urlaub länger gelassen.
Zeitfresser enttarnen
Wer täglich zwei Stunden mit Kollegentalk, Netzwerken auf Xing und E-Mails beantworten befasst ist, sollte genau hinschauen: Was davon bringt mich wirklich weiter? Wie viele Personen müssen wirklich auf cc gesetzt werden?
Neuer Umgang mit E-Mails
Übung: Mails nur alle drei Stunden und nicht alle 15 Minuten abfragen und beantworten.
Finger weg vom Mountainbike
Wer erschöpft und gestresst ist, sollte nicht mit dem Mountainbike über die Alpen preschen.

Jens Mischker (Name geändert) erinnert sich an diesen Durchlauf, als sei er gerade erst vorbei. An das Hochgefühl auf dem Gipfel. An den ausgepumpten Körper, den der Softwareentwickler endlich wieder mehr spürte als an seinen gehetzten Bürotagen. Ein toller Urlaub, wäre da nicht jener Samstagabend gewesen, an dem er auf der Hüttentreppe zusammensackte.

War das geballte Sportprogramm an frischer Bergluft nicht genau das, wonach er sich gesehnt hatte? Doch das flaue Gefühl ließ sich nicht vertreiben. Immer wieder knickte der 36-Jährige ein. Zurück daheim ging Mischker zum Arzt. Diagnose: Burnout im Urlaub.

(Quelle Teaserbild: Fotolia, S. Bähren)

Die Spirale von Hast und Perfektion

Dass die Zahl der Burnout-Kranken seit Jahren zunimmt, ist längst bekannt, gerade in der IT-Branche. Doch über Burnout im Urlaub wird wenig gesprochen. Schließlich sind die Ferien der Raum, in dem Organismus und Psyche wieder zu ihrem Recht kommen und Kraft tanken sollen für die nächste Runde.

Bernd Sprenger, Arzt: 'Man muss die Illusion der perfekten Kontrolle aufgeben.'
Foto: Bernd Sprenger

Genau da liegt für Bernd Sprenger der Knackpunkt. "Menschen, die sich im Beruf stets an der obersten Grenze der Leistungsfähigkeit bewegen, laufen im Urlaub in derselben Richtung weiter", sagt der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin. "Sie drehen an der gleichen Schraube von Hast, Perfektion und immer mehr. Und halten das für erholsam." Ein fataler Irrtum, dem jene aufsitzen, die ohnehin dazu neigen, sich dauerhaft zu überfrachten. Weil sie perfektionistisch der Idee erliegen, allem gerecht werden zu müssen. Weil sie sich nicht abgrenzen können. Weil sie glauben, mit reiner Willenskraft alles erreichen zu können und alles im Griff zu haben. Das sind gefährliche Verhaltensmuster, die nur schwer aufzubrechen sind. "Solchen Menschen ist das Gefühl für den eigenen Rhythmus verloren gegangen", sagt Sprenger. "Der Wechsel zwischen Anstrengung und Loslassen gehört zum Leben. Man muss die Illusion der perfekten Kontrolle aufgeben, um dem Burnout zu entkommen."

Der Arzt behandelt ausgebrannte Führungskräfte und Unternehmer. Zunehmend begegnet er einer neuen Erscheinungsform des Burnouts: Urlauber, die nach drei Wochen Abenteuerurlaub schlapp im Bürostuhl zusammensinken oder wie Jens Mischker bereits vor Ort zusammenbrechen. "Die Zahl der Fälle hat in den vergangenen zwei, drei Jahren erheblich zugenommen", sagt Sprenger. Vor allem Menschen zwischen 30 und 50 Jahren, die im Job sehr leistungsbezogen sind, machen im Urlaub gern im gleichen Tempo weiter.

Die hibbelige Gesellschaft

Dahinter verbirgt sich nach Sprengers Einschätzung die Funktionsweise einer "zunehmend hibbeligen Gesellschaft, die von einem permanenten Zuviel geprägt ist". Ein Zuviel an Angeboten, Optionen, Leistungserwartungen, Genussversprechen. Dieses Zuviel setzt sich im Urlaub fort. Das Geschäft mit Aktivurlauben und Abenteuerferien boomt ebenso wie Kreuzfahrten, Pauschaltrips und Ferienclubs mit einem Rund-um-die-Uhr-sorglos-Programm. Ein Sportangebot jagt das nächste, schon am Frühstücksbuffet winkt der Animateur, das Kreuzfeuer von Terminen vertreibt die Furcht vor Langeweile und Nichtstun. Und dreimal am Tag warten kulinarische Genüsse, die den Körper überfordern. "Viele Ferienanbieter bauen damit die Struktur des Berufslebens nach - und holen so das permanente Zuviel in den Urlaub hinein", sagt Sprenger. "Weil manche Urlauber auf keinen Fall etwas auslassen wollen, laufen sie fast automatisch in die Falle."

Jörg-Peter Schröder, Arzt und Coach: 'Auszubrennen hat auch damit zu tun, es allen recht machen zu wollen.'
Foto: Jörg Schröder

Das Zuviel ist das eine. Auch das Runterkommen und auf die Bremse treten kann Probleme verursachen. Als der SAP-Berater Hartmut Wagenburg (Name geändert) für zwei Wochen auf Erholungskur nach Mallorca startete, fiel es ihm schwer, sich auf den Rhythmus seiner Familie einzulassen. Das gemeinsame Kuscheln im Bett, der Spaziergang zum Bäcker, das Buddeln im Sand - alles ging dem 38-Jährigen zu langsam und schließlich auf die Gesundheit. "Erst wurde ich aggressiv, dann fühlte ich mich immer schlapper, zum Schluss kam ich fast gar nicht mehr aus dem Bett", erinnert sich Wagenburg. Seine Frau verlangte, dass er sich zusammenreiße und der Familie widme. "Aber ich konnte beim besten Willen nicht. Ich fühlte mich einfach nur elend."

Zurück in Deutschland ging er zu Jörg-Peter Schröder. Der Arzt und Coach aus Rheinhessen berät Manager, die nur noch ihren Job kennen. "Der Urlaub ist eine knifflige Zeit. Während sonst klar ist, der Papa geht morgens aus dem Haus und kommt abends erst spät heim, gibt es in den Ferien kein Verständnis für ‚Ich kann jetzt nicht.`" Zu lange haben Partner und Kinder auf die gemeinsame Zeit gewartet.

Eine Woche Kloster klappt nicht

Um Hartmut Wagenburg besser auf den nächsten Urlaub vorzubereiten, hat Schröder mit seinem Kunden Kofferpacken geübt. Müssen Notebook und Blackberry wirklich mit? Was ist mit Fotoapparat und Surfanzug? Wie viel Zeit will ich meiner Familie widmen, und wie viel brauche ich für mich? Schröder: "Auszubrennen hat auch immer etwas damit zu tun, es allen recht machen zu wollen, nicht Nein sagen zu können. Seine eigenen Bedürfnisse zu übergehen. Und sich für unentbehrlich zu halten."

Doch es ist extrem schwer, gewohnte Muster zu durchbrechen. Andreas Hillert, Chefarzt an der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, beobachtet das jeden Tag. Ihn wundert es wenig, dass Burnout-gefährdete Power-Arbeiter auch in den Ferien nicht locker lassen: "Sie könnten gar nicht nichts tun." Es wäre auch ein fataler Fehler, es von ihnen zu verlangen: Ein Mensch, der 60 Stunden pro Woche hocheffizient arbeitet, kann nicht plötzlich eine Woche im Kloster hocken, abgeschnitten von Handy, Internet und E-Mail. "Er hat keine Strategien, so etwas gut zu finden oder gar zu genießen." Hillerts Rat: Eine Urlaubsform finden, die zu den Handlungsmustern passt, aber der Person nicht schadet. "Für aktive Menschen dürfte ein angemessen aktiver Urlaub erholsamer sein, als von einem Extrem ins andere zu fallen."

Zwang ist Gegenteil von Erholung

Manchmal sind aber auch wechselnde Phasen von Aktivität und Erholung ein funktionierendes Muster. "Was der Einzelne als entspannend erlebt, hängt von seiner Persönlichkeit und seinen Erfahrungen und Werten ab. Pauschale Vorstellungen, wonach man nur entspannen kann, wenn man wenig tut und kein Handy dabei hat, sind Unsinn. Es kann auch belastend sein, nicht erreichbar zu sein oder sich zu zwingen, zur Ruhe kommen zu müssen - Zwang ist das Gegenteil von Erholung", sagt Hilbert.

Berichte von einem Ausgebranntheitsgefühl im Urlaub analysiert Rolf Schneider pragmatisch. Sie sind für den Leiter der Neurologischen Klinik Aschaffenburg so etwas wie ein wertvolles Diagnoseinstrument. Wer drei Tage nach dem Bali-Trip schon wieder in den Seilen hängt, kann schwer die Augen davor verschließen, dass bei ihm etwas aus dem Ruder läuft. Daher rät Schneider seinen Patienten, die Ferien zu nutzen, um herauszufinden, wie es um sie steht. "Pathogene Schieflagen treten im Urlaub besonders deutlich zutage", sagt Schneider. Der IT-Boss, der mit Laptop und Handy am Strand sitzt, Termine plant und Entscheidungen abnickt und nach dem Strand den nächsten Museumsgang auf die Tagesordnung setzt, stößt in den Ferien oft auf Widerstand. Plötzlich wird den anderen Familienmitgliedern deutlich, dass der Kneipenbummel, die stillen Stunden zu zweit, der unbeschwerte Nachmittag mit den Kindern illusorisch sind. Schneider: "Konflikte mit der Familie sollte man als Alarmsignal ernst und zum Anlass nehmen, sich sein Verhalten bewusst zu machen."

Sicher ist: Patentrezepte für einen erholsamen Urlaub gibt es nicht. Es gibt durchaus Manager, die sich am besten beim Himalaya-Trekking entspannen. Nach Einschätzung von Burnout-Fachmann Sprenger tut den meisten Vielarbeitern aber eine Besinnung auf das Einfache gut. Das heißt einerseits für den Körper angemessene Bewegung - "Spaziergang oder leichtes Jogging statt perverser Marathon-Einheiten" -, ausreichend Schlaf und ausgewogene Ernährung: regelmäßig, nicht zu üppig und wenig Alkohol. Andererseits Reflexion für den Geist: Wie geht es meiner Beziehung? Habe ich Zeit für Freunde und Verwandte? Schätze ich mich selbst wert - auch wenn ich nichts Außergewöhnliches leiste? Was sind meine Ziele, und warum verfolge ich sie? Habe ich Spaß an meiner Arbeit und am Leben? "Für viele ist zunächst nicht vorstellbar, dass es um nichts weniger als einen Paradigmenwechsel für das eigene Leben gehen könnte", sagt Sprenger. "Und eben nicht darum, sich mal eben schnell mit Wellness- und Beauty-Treatments wieder fit für die nächste Runde zu machen."

Kontrolliert runterschalten

Dirk-Oliver Lange, LifeB: 'Gegen Ende der Reise geht es ums Eingemachte.'
Foto: Dirk-Oliver Lange

Deshalb schickt Dirk-Oliver Lange seine Kunden am liebsten in die Abgeschiedenheit der österreichischen Berge. Seit Anfang des Jahres bietet der Geschäftsführer des Coaching-Unternehmens LifeB auch Reisen für beruflich stark engagierte Menschen an. Zwischen sattgrünen Wiesen und kristallklaren Seen sollen die Männer und Frauen zu sich selbst kommen. "Kontrolliert runterschalten", wie Lange sagt. Damit sie eine Ahnung davon bekommen, ist ein Coach zur Stelle. Er geht mit ihnen spazieren und plant mit ihnen den Nachmittag - besser auf der Terrasse ruhen als mit dem Mountainbike die Berge hoch. "Am Anfang drehen sich die Gespräche um Dinge wie Gewichtsabnahme", sagt Lange. "Doch gegen Ende der Reise geht es meist um eine Neuausrichtung des Lebens."

Tipps für den erholsamen Urlaub

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche. (cvi)