Sprung ins Weitverkehrsnetz

06.10.2000
Während bereits Server mit Gigabit-Ethernet "on board" ausgeliefert werden, arbeitet das Standardisierungsgremium IEEE 802 (LAN/MAN Standards) an der nächsten Evolutionsstufe: Ethernet mit 10 GBit/s. Damit verlässt diese Technik ihr angestammtes Revier, das lokale Netz, und wagt sich in das Weitverkehrsnetz vor.

Von: Dirk S. Mohl

Am Himmel der Highspeed-Übertragungstechniken geht ein neuer Stern auf: 10-Gigabit-Ethernet, kurz 10GE. Natürlich stellt sich die Frage, warum bei dieser Datenrate gerade Ethernet, und nicht etwa ATM, verwendet werden soll. Der Asynchronous Transfer Mode kommt vorzugsweise im Weitverkehrsbereich (Wide Area Network) zum Zuge. Dort ist die Technik bei verbindungsorientiertem Verkehr sicherlich sinnvoll, der eine bestimmte Dienstgüte (Quality of Service, QoS) erfordert. Andrerseits dominiert Ethernet ganz klar im lokalen Netz.

Im LAN findet derzeit statt, was sich bereits in der Vergangenheit bewährt hat: dieselbe Basistechnik einsetzen, wenn auch mit der zehnfachen Geschwindigkeit. Für den Anwender heißt das, er tauscht alte Hardware gegen neue aus, kann dabei auf vorhandenes Wissen zurückgreifen und erzielt den gewünschten Geschwindigkeitsvorteil. Auch das Switching auf Layer 2 und das Routing auf OSI-Schicht 3 werden sich im ersten Ansatz nur unwesentlich ändern.

Diese Vorgehensweise ist auf das Einsatzgebiet im LAN zugeschnitten, also der Vernetzung von Arbeitsplatzrechnern und Servern. Auch bei diesen Geräten wird in derselben Weise verfahren: Funktion und Handhabung der neuen Hardware bleiben im Wesentlichen gleich, wenn auch mit einem Unterschied - deutlich mehr Leistung.

Hinzu kommt, dass 10GE neue Einsatzfelder eröffnet. So lässt sich die Technik bei einer maximalen Übertragungsdistanz von 40 Kilometern auch im Metropolitan Area Network (MAN) einsetzen. Zum ersten Mal bei Ethernet sehen die Fachleute damit den Einsatz im Weitverkehrsnetz vor und definieren dafür spezielle Komponenten.

Dark Fiber mit 10GE

Ein aktuelles Schlagwort im Zusammenhang mit der MAN-Anwendung ist "Dark Fiber" - vereinfacht gesagt Glasfaserkabel, bei dem der Benutzer selbst festlegen kann, mit welcher Technik Daten übertragen werden. So haben Kabelfirmen in vielen Städten entlang von Gehwegen und Straßen Lichtwellenleiter verlegt. Serviceprovider können diese Kabel mieten, um mit entsprechender Ausrüstung darüber Datendienste zur Verfügung zu stellen. Natürlich liegt es nahe, ein möglichst kostengünstiges und einfach zu handhabendes Equipment zu verwenden. Dafür bietet sich Gigabit-Ethernet an, in Zukunft dann auch 10-Gigabit-Ethernet.

Diese Fakten spiegeln sich in Marktuntersuchungen wider. So sagt eine Umfrage von Dataquest von 1999 bereits für 2003 ein nennenswertes Marktvolumen für 10GE voraus. Obwohl der Standard erst im Jahr 2002 verabschiedet wird, verdichten sich die Anzeichen, dass noch in diesem Jahr erste Bauelemente und optische Transceiver zu erwarten sind, beispielsweise von Infineon und Agilent, eventuell sogar Endgeräte von Cisco.

Standardisierung im Zeitplan

Für den 10-Gigabit-Ethernet-Standard ist die Projektgruppe 802.3ae des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) zuständig. Den Zeitplan, den die Gruppe zu Beginn ihrer Arbeit aufstellte, konnte sie bis heute exakt einhalten. Im Plenary Meeting (Vollversammlung) im Juli stellte die Gruppe ein "Blue Book" vor, das alle Vorschläge enthält, die sie für die Standardisierung in Betracht ziehen möchte. Aus dieser Sammlung hat das Kernteam den ersten Entwurf des Standards, den Draft 1.0, generiert. Er erschien pünktlich Anfang September.

Leider konnten sich die Teilnehmer von 802.3ae im Juli nicht auf ein einheitliches Vorgehen bei der optischen Datenübertragung über Multimode-Lichtwellenleiter einigen. Hier gilt es noch auszudiskutieren, ob 850 Nanometer oder 1310 Nanometer die bessere Lösung sind oder ob es gar Anwendungen für beide Wellenlängen geben wird.

Erweiterung des Ethernet-Schichtenmodells

Die 10-Gigabit-Gruppe hat für die physikalische Ebene neue Schichten und Schnittstellen definiert - und eine ganze Menge neuer Abkürzungen. Der Media Access Control Sublayer unterscheidet sich nur wenig von den vorangegangenen Geschwindigkeitsstufen. So sollen das Ethernet-Frame-Format und die Frame-Länge beibehalten werden. Allerdings unterstützt die Schicht nur noch Vollduplex-Datenübertragung. Eine weitere Neuerung sind die zwei Datenraten: exakt 10 GBit/s für den LAN-Einsatz und 9,58464 GBit/s für das WAN. Der Mechanismus, der die unterschiedlichen Datenraten zwischen lokalem und Weitverkehrsnetz ausgleichen soll, nennt sich "Open Loop". Der Media Access Controller ermittelt dabei auf Senderseite die Paketlänge und verlängert die Lücke zwischen den Paketen (Inter Frame Gap, IFG) so weit, dass die WAN-Datenrate nicht überschritten wird.

Als Schnittstelle zwischen MAC und "Physical Coding Sublayer" (PCS) oder "XGMII Extender Sublayer" (XGXS) dient XGMII, das "10 Gigabit Media Independent Interface". Die Halbleiterhersteller können es in herkömmlicher CMOS-Technik realisieren. Das ist wichtig, weil dasselbe Verfahren beim MAC-Baustein Verwendung findet.

Das Interface umfasst jeweils für RX und TX 32 Datenleitungen, vier Steuerleitungen und eine Taktleitung. Die Daten werden dabei mit dem von schnellen DRAM-Bausteinen her bekannten "Double Data Rate"-Verfahren (DDR) übertragen. Das bedeutet, jede Taktflanke repräsentiert ein Datenwort; damit ist die Datenrate doppelt so hoch wie die Taktfrequenz. Die maximale Länge der Leitungen beträgt aber nur sieben Zentimeter.

Zwei Kodierungsverfahren für LAN und WAN

Die Schicht XGXS (XGMII Extender Sublayer) ist optional und nur dann notwendig, wenn die maximale Leitungslänge von XGMII überschritten wird. Auf dieser Ebene findet eine 8B/10B-Kodierung statt, auch werden die Daten in vier serielle Datenströme pro Richtung aufgeteilt. Als Schnittstelle zwischen zwei XGXS-Einheiten dient das XAUI-Interface (10 Gigabit Attachment Unit Interface). Es handelt sich um vier serielle Leitungen, die differenziell geführt werden. Die Datenrate pro Leitung beträgt 3,125 Gigabaud. Das Interface ist für Entfernungen von bis zu 50 Zentimetern ausgelegt.

Für die Kodierung der Daten ist die PCS-Schicht (Physical Coding Sublayer) zuständig. Dabei stehen zwei Verfahren zur Auswahl:

- Im WAN und für die serielle LAN-Übertragung wird eine 64b/66b-Kodierung verwendet. Das bedeutet, dass für 64-Bit-Daten nur 2-Bit-Kodierung verwendet werden. Die Signalisierung findet in den Lücken zwischen den Paketen statt.

- Für die LAN-Übertragung besteht die Möglichkeit, auch die 8b/10b-Kodierung zu verwenden.

Eine weitere Komponente von 10-Gigabit-Ethernet ist der "WAN Interface Sublayer" (WIS). Er ist nur erforderlich, wenn der Benutzer das System ans Weitverkehrsnetz anschließen möchte. WIS verpackt die Ethernet-Pakete in STS-192c-Rahmen. Die Paketzwischenräume werden mit "Idle"-Feldern ausgefüllt. Anschließend durchläuft der Rahmen einen X7+X6+1-Scrambler. Beim Empfang wird auf Rahmenbasis synchronisiert, bevor die Daten durch den Descrambler geschickt und ausgepackt werden.

Auf der Leitung ergibt sich bei STS-192c eine Datenrate von 9,953280 GBit/s. Abzüglich des Overheads entspricht das bei reinen Ethernet-Daten, also der Nutzlast oder Payload, einer Rate von 9,584640 GBit/s (WAN-PCS Datenrate).

Das XSBI (10 Gigabit Sixteen Bit Interface) ist dem "Ten Bit Interface" (TBI) von Gigabit-Ethernet nachempfunden. Pro Datenrichtung werden aber 16 differenzielle Datenleitungen und eine differenzielle Taktleitung geführt. Die Datenrate beträgt für die WAN-Anwendung 622,08 MBit/s und für LANs 645 MBit/s. Das "Physical Medium Dependent" (PMD) wandelt den Informationsfluss in einen seriellen Datenstrom um. Folgt ein WDM-PMD, dann trennt es die parallelen Daten in vier Datenströme auf.

Das SUPI-Interface ist nur beim Wellenlängen-Multiplexing im Weitverkehrsnetz notwendig. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, bestehende Bausteine aus der WAN-Welt direkt über diese Schnittstelle anzuschließen. Pro Datenrichtung werden vier serielle Leitungen differenziell geführt. Die Datenrate beträgt 2,48832 GBaud. Als optischer Transceiver dient die "Physical Medium Dependent"-Schicht. Bis jetzt hat sich die IEEE-Arbeitsgruppe nur auf die Übertragung über Singlemodekabel geeinigt. Dazu legte sie folgende Nomenklatur fest:

- 10GBase-LR (bis 10 km, Singlemode, 1310 nm, seriell, 64b/66b, LAN),

- 10GBase-ER (bis 40 km, Singlemode, 1550 nm, seriell, 64b/66b, LAN),

- 10GBase-LW (bis 10 km, Singlemode, 1310 nm, seriell, 64b/66b, WAN, SONET/SDH-Framing),

- 10GBase-EW (bis 40 km, Singlemode, 1550 nm, seriell, 64b/66b, WAN, SONET/SDH-Framing).

Übertragungsmedium und Management

Auch für den Steckverbinder, der bei 10-Gigabit-Ethernet Verwendung finden soll, liegt bereits ein Vorschlag vor: das bewährte Duplex-SC-Modell. Als Medium haben die Fachleute bisher nur die Singlemode-Faser definiert. Gefordert ist allerdings noch eine Lösung für Multimode-Lichtwellenleiter. Verwaltet wurden die PHY-Bausteine bislang über das serielle MDC/MDIO-Interface (Management Data Clock/Management Data Input Output). Das soll auch bei 10-Giga- bit-Ethernet so bleiben. Da jedoch mehr Komponenten als bisher zu managen sind, wurde der Registersatz erweitert.

Mit den beschriebenen Komponenten lassen sich nun Halbleiterbausteine nach dem Baukastenprinzip zusammensetzen. Wie viele Komponenten die Chiphersteller in einem Baustein unterbringen können, hängt von der Technik ab. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Komponenten, welche die Daten seriell verarbeiten müssen, in CMOS gefertigt werden können. Andrerseits ist es problematisch, CMOS und andere Fertigungstechniken wie etwa Gallium-Arsenid (GaAS) auf demselben Chip zu kombinieren. Deshalb werden in diesem Fall die Funktionsblöcke auf separaten Bausteinen untergebracht. Andrerseits besteht die Möglichkeit, die ebenfalls extrem schnelle Silizium-Germanium-Technik (SiGe) und das für höhere Logikfunktionen taugliche BiCMOS-Verfahren auf einem Chip zu vereinen. (re)

Zur Person

Dirk S. Mohl ist als Projektleiter im Entwicklungsbereich Highspeed Networks, Division Automation and Network Solutions bei der Richard Hirschmann GmbH & Co. tätig.