Sprachregeln für IP-Netze

26.11.1998
Standards öffnen Märkte: Diese Erfahrung machen derzeit die Hersteller von Komponenten für die Internet-Telefonie. Gleich mehrere Gremien arbeiten an der paketbasierten Sprachübertragung und sogar die Europäische Union hat zu diesem Thema entspre-chende Richtlinien erlassen.

Von: Wolfgang Schulte

Datennetze wie das paketorientierte Internet sind ursprünglich für den Transport zeitlich unkritischer Nachrichten entwickelt worden. Mit der Internet- Telefonie sollen in diesen Netzen Sprach- oder Videodaten in Echtzeit fließen. In der ersten Generation bauten Rechner mit Telefonanschluß eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung auf. Im nächsten Schritt wurde die IP-Adresse auf die Telefonnummer abgebildet und von Internet-Providern zu jedem Telefonanschluß vermittelt. Die dritte Generation benutzt Telefon-Gateways im Internet.

Alle Bemühungen der Standardisierung zielen darauf ab, die Anwendung bestehender internationaler Standards wie die ITU-T-Empfehlung H.323 "Visual Telephone Systems and Equipment for Local Area Networks which provide a Non-Guaranteed Quality of Service" durchzusetzen, welche auf dem Real Time Protocol (RTP) der IETF basiert, nachzulesen in RFC1889.

Drei wichtige internationale Organisationen bemühen sich um die Standardisierung der Internet-Telefonie:

Das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) (http://www. etsi.fr) mit dem Projekt "Telecommunications and Internet Protocol Harmonization Over Networks" (TIPHON), das International Multimedia Teleconferencing Consortium (IMTC) (http://www.imtc.org) mit der Arbeitsgruppe "Voice over Internet Protocol" (VoIP) und die Internet Engineering Task Force (IETF) (http://www.ietf.org) mit der Arbeitsgruppe IP Telephony (IPTEL) im Bereich der Transportnetze.

Das TIPHON-Projekt zielt darauf ab, Sprachkommunikation und Dienste im Frequenzbereich der Sprachkommunikation, zum Beispiel Fax, in IP-Netze zu etablieren. Darunter fallen auch Verbindungen von und zu Benutzern in Wählnetzen wie PSTN, ISDN und GSM. Mehr als 40 ETSI-Mitglieder beteiligen sich an diesem Projekt und wollen bereits Ende 98 die letzte Phase einläuten, die eine Kommunikation zwischen IP-Netzbenutzern über die Wählnetze PSTN, ISDN und GSM spezifizieren soll. Die TIPHON-Gruppe arbeitet auch mit anderen technischen Komitees in ETSI Network Aspects (NA) und SGS (Signalling, Switching, Protocols) zusammen. Die externe Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Internet-Telefonie mit anderen Organisationen der Standardisierung erfolgt mit ITU-T, IETF und Konsortien wie IMTC.

Die Arbeitsgruppe stellte bereits ihre ersten Zwischenergebnisse vor:

Einen technischen Report, der eine Übersicht über die verschiedenen Szenarien zur Internet-Telefonie enthält und das Arbeitsprogramm von TIPHON beschreibt (Technical Report V1.0.0 10/97 "A Standardisations Programme for VoIP Interoperability"). Einen Bericht, der die verschiedenen technischen Probleme zusammenfaßt und auf die Zusammenarbeit (Interoperability) mit den bestehenden Wählnetzen eingeht (Description of Technical Issues V1.1.0 2/98). Eine technische Spezifikation der Architektur und Schnittstellen, die die Referenzkonfiguration detailliert beschreibt (Network Architecture and Reference Configuration V1.3.2 6/98).

TIPHON definiert vier Szenarien für die Internet-Telefonie, die von der Einleitung eines Rufes vom oder zum IP-Netz ausgehen. Die Interworking Function (IWF) kann Teil der IP Netze sein oder auch extra stehen. Sie besteht aus dem Gateway und dem Gatekeeper. Das IP-Netz kann das öffentliche Internet oder ein Intranet sein. Auch die Anschlüsse privater Netze wie Nebenstellenanlagen lassen sich mit einbeziehen. Mit Gateway werden hier die Endpunke eines IP-Netzes bezeichnet, die eine Echtzeit-Kommunikation in beiden Richtungen von Stationen aus dem IP-Netz zu Geräten in den Wählnetzen sicherstellt.

Vier Szenarien decken alle Verbindungen ab

Ein Gatekeeper ist eine H.323-Einheit, die eine Adreßumstellung von IP-Adresse zu Telefonnummern übernimmt und den Zugang zu den Netzen für Endstationen, Gateways und andere Einheiten steuert. Andere Dienste der Gatekeeper können das Bandbreitenmanagement und die Identifikation der Gateways im Netz sein. Während Szenario 1 und 2 nur je ein IP-Netz mit einem Wählnetz zeigen, steht bei Szenario 3 und 4 die Kommunikation aus den verschiedenen Teilnetzen über ein Transitnetz im Vordergrund. Das Transitnetz wiederum kann sowohl ein paketorientiertes IP-Netz oder ein Wählnetz sein.

Szenario 3 und 4 erfassen alle Kombinationen einer Verbindung. Dennoch spezifizieren die vorgelegten Unterlagen noch nicht alle geplanten Funktionen und Protokolle, beispielsweise wie die Auswahl verschiedener Netzanbieter funktioniert.

Bei der IETF existiert in dem Bereich der Standardisierung der Transportprotokolle und Dienste eine Arbeitsgruppe zum Thema Internet-Telefonie. Das Ziel dieser Arbeitsgruppe ist die Entwicklung von zwei unterstützenden Protokollen ("Call Processing Syntax" und "Gateway Attribute Distribution Protocol") und ein Framework-Dokument zum Thema "Service Model". Am 7. Juli 1998 wurde der erste Entwurf "A Framework for a Gateway Location Protocol" veröffentlicht. Dieses Arbeitspapier spiegelt einige Definitionen wider, die offene Probleme und die Anforderungen der Internet-Telefonie beschreiben. Das ganze dient als Rahmenwerk für weitere Arbeiten zum Thema Internet-Telefonie.

Das Konzept von IPTEL sieht vor, bereits bestehende Gateways im Internet in die Client/Server-Architektur des Internet als Server einzubinden. Die Gateways unterstützen Terminals, die dem H.323-ITU-Standard entsprechen. In einer Zone kontrollieren und steuern Gatekeeper (GK) den Zugang. An jedem Gatekeeper sind mehrere Gateways (GW) angeschlossen. Der Gatekeeper kennt den Status der angeschlossenen Gateways und die Parameter für den Verbindungsauf- oder -abbau.

Jeder Gatekeeper arbeitet gleichzeitig als Gateway-Client und als Gateway-Server. In der Funktion Server wird die Information, die Clients oder andere Server benötigen, über die Protocol-Operation verteilt. Neue Zonen lernen über die Protocol-Operation den Zustand der anderen Gateways.

IPTEL: Vorschläge der IETF

Ein H.323-Terminal benutzt den lokalen Gatekeeper, um einen Ruf durch das Netz zu leiten. Die Alias-Adresse, die eine Setup-Nachricht enthält, ist die Telefonnummer des gerufenen Teilnehmers. Der Gatekeeper, der die Setup-Nachricht empfängt, arbeitet jetzt als Client und leitet die Nachricht an das entsprechende Gateway weiter, um die Verbindung aufzubauen. Die Gateways müssen nicht nur einer Zone zugeordnet sein, sondern können auch mehreren Bereichen zur Verfügung stehen. Das Protokoll kann von einem Gatekeeper dazu benutzt werden, um die Gateways in der eigenen Zone zu finden.

Als alternative Konzeption sieht die IETF das Gateway-Protokoll unabhängig vom Signalisierungsprotokoll der IP-Telefonie mit Hilfe des "Session Initiated Protocol" (SIP). SIP befindet sich noch in der Entwicklung. SIP-Server (SV) in der Domäne enthalten die Attribute der Gateways, die als Server arbeiten. Wenn Terminals einen Ruf in das Wählnetz einleiten, dann senden sie ihren Request an einen SIP-Server, der dann seinerseits das entsprechende Gateway aufruft, um die Verbindung herzustellen.

Die Arbeitsgruppe VoIP ist Teil des IMTC. Ziel des IMTC ist es, Organisationen zusammenzubringen, die an der Entwicklung von interaktiven Multimedia-Produkten und -Diensten interessiert sind. In der IMTC sind mehr als 140 Mitglieder organisiert. Die Arbeitsgruppe VoIP soll eine Richtlinie für offene und konsistente Implementierung definieren, die für die Internet-Telefonie bestimmt sind. Zusätzlich wird eine nahtlose Interoperabilität zwischen Produken und Diensten angestrebt.

IMTC favorisiert VoIP

VoIP hat sich neben dem H.323- Standard für den von der ITU standardisierten G.723.1-Codec ausgesprochen. Das Dokument "IMTC Voice over IP Forum Service Interoperability Implementation Agreement 1.0" liegt seit 12/97 zur Abstimmung vor. In diesem Dokument werden Definitionen der Internet-Telefonie, die Betriebsumgebung und die notwendigen Protokolle festgelegt. Die Basis für die Nutzung von VoIP ist, daß die Sprache, eingepackt in IP-Pakete, an VoIP-Einheiten gesendet wird. Die empfangenen Pakete werden entpackt und in guter Sprachqualität wiedergegeben. Die Verbindung zum IP-Netz kann über Modems, ADSL, LANs oder drahtlose Mobilfunk-Einrichtungen hergestellt werden. Die für die Ein/Ausgabe bstimmten H.323-Terminals verwenden PPP-Zugangs-Server, Router, Switches oder Hubs für den Anschluß. Eine Umsetzung der IP-Adressen auf die E.164-Telefonnummern soll über einen Dienst stattfinden.

Alle Standardisierungsbemühungen basieren auf dem H.323-Standard. Nur die IMTC-Gruppe hat sich bisher zum Codec, dem G.711-Spachumwandler der ITU-T, ausgesprochen. ETSI scheint mit seinen Anstrengungen am weitesten zu sein. Die IETF hat zunächst nur die Probleme der Internet-Telefonie dargestellt und ein Rahmenwerk vorgelegt. Die Arbeiten bei der IMTC gehen weniger auf eine Standardisierung aus, sondern sie adressieren mehr ein Abkommen zur Implementierung und stützen sich dabei auf bestehende internationale Standards ab. Hoffentlich kommt am Ende ein Konzept heraus, mit dem Hersteller, Dienstanbieter, Netzbetreiber und Anwender zufrieden sein können. (hjs)

Wolfgang Schulte war bei IBM in Böblingen im Labor als Manager verschiedener Abteilungen tätig. Heute ist er Dozent an der Berufsakademie Stuttgart.