Spiel mit dem Feuer

10.12.1999
Auf Hawaii fand im November die 65. Tagung der IEEE-Projektgruppe 802 "LAN and MAN Standards Committee" statt. In traumhafter Umgebung rangen 470 Kommunikationsspezialisten in erster Linie um die Weiterentwick- lung von Ethernet. Diese Technik ist dabei, den traditionellen Weg LAN und Metropolitan Area Networks zu verlassen und spielt nun mit dem "WAN-Feuer".

Von: Hans Lackner

Die ansprechende Umgebung trug mit Sicherheit dazu bei, daß die schwierigen Fragen einer Antwort näher kamen, mit denen sich die Experten des "LAN and MAN Standards Committee" (LMSC) des "Institute of Electrical and Electronics Engineers" (IEEE) auf ihrer 65. Tagung beschäftigten. Dies galt insbesondere für das Thema 10-GBit/s-Ethernet, das die Arbeitsgruppe "IEEE 802.3ae 10 Gigabit/s Ethernet" bearbeitete. Die Thematik war auch deshalb so brisant, weil der Arbeitskreis LMSC damit eindeutig seinen Wirkungsbereich verlassen hat. Anders als bei der Einführung der MAN-Technik IEEE 802.6 DQDB änderte das Komitee allerdings diesmal jedoch nicht seinen Namen.

Es ist auch nicht zu erwarten, daß die Mitglieder künftig unter "LMWSC" firmieren, das heißt als "LAN & MAN & WAN Standards Committee" auftreten. Dagegen spricht, daß Ethernet in erster Linie immer noch eine LAN-Technik ist. Außerdem würde eine Erweiterung in Richtung Weitverkehrsnetz die Frage aufkommen lassen, ob dann überhaupt noch Ethernet beziehungsweise CSMA/CD im Mittelpunkt des Interesses der Working Group stünde. Denn nur dafür besitzt die Arbeitsgruppe eine offizielle Autorisierung in Form eines "Project Authorization Request" (PAR), darf also entsprechende Standards erarbeiten.

Auf Hawaii behandelte die IEEE-802.3-Gruppe neben 10-GBit/s-Ethernet folgende Themen:

- IEEE 802.3ad, Aggregation of Multiple Link Segments: Ethernet-Trunks für bessere Sicherheit und höhere Bandbreite und

- "Data Terminal Entry"-Power (DTE) via "Media Dependent Interface" (MDI): die Stromversorgung von Ethernet-Komponenten über die Datenverkabelung.

Am aktivsten war die Gruppe IEEE 802.3, die für CSMA/CD zuständig ist. In Arbeit sind gegenwärtig vier Projekte. Die Normierung von "IEEE 802.3ad Link Aggregation" ist mittlerweile weit fortgeschritten. Ihre "Project Authorization Requests" (PARs), also den offiziellen Startschuß für die Normierung, erhielten bei der Tagung in Kauai die "HSSG High Speed Study Group" mit der Nummer 802.3ae und "DTE Power via MDI" mit 802.3af. IEEE 802.3 ag beschäftigt sich mit dem Konformitätstest von 10Base-T. Vor einiger Zeit hatte die IEEE beschlossen, solche "Conformance Tests" für alle Normen zu spezifizieren, dies dann aber nicht durchgehalten. Für 10Base-T existiert allerdings eine solche Spezifikation. Daher muß sie, wie jede Norm, nach fünf Jahren revidiert werden, und darum kümmert sich nun der Arbeitskreis IEEE 802.3ag.

IEEE 802.3ae HSSG Higher Speed Study Group

Der Arbeitskreis IEEE 802.3ae, der sich mit 10-Gigabit-Ethernet beschäftigt, hat in Kauai sein PAR erreicht, der offizielle Startschuß zur Normierung ist also gefallen. Die Grundzüge der neue Technik liegen bereits fest. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe einigten sich auf folgende Basiselemente ("Objectives"):

- Beibehaltung des 802.3- und Ethernet-Frame-Formats,

- Einhaltung der IEEE 802 Functional Requirements mit Ausnahme des Hamming-Abstandes,

- Beibehalten der bestehenden minimalen und maximalen Frame-Länge,

- lediglich Vollduplex-Modus nach IEEE 802.3x,

- Unterstützung von Sternstrukturen mit Punkt-zu-Punkt-Verbindungen,

- strukturierte Verkabelung nach ISO/IEC11801 (zweite Ausgabe),

- Einsatz von Glasfaserkabeln (es liegt bisher kein Vorschlag für Kupferkabel vor),

- optionales medienunabhängiges Interface (xGMII),

- Unterstützung von P802.3ad (Link Aggregation),

- Übertragungsgeschwindigkeit von 10 000 MBit/s am MAC-Service-Interface,

- zwei PHY-Familien mit LAN PHY (10 000 MBit/s) und WAN PHY (OC-192 beziehungsweise SDH VC-4-64c mit 9953,280 MBit/s),

- ein Mechanismus, um beide Geschwindigkeiten aufeinander abzubilden sowie

- mehrere physikalische Interfaces: 100 m über installierte Multimode-Faser, 300 m über neue Multimode-Lichtwellenleiter und mindestens 2 km über Singlemode-Glasfaser (bis 40 km).

Wichtig ist vor allem, daß nur noch der Vollduplex-Modus unterstützt wird. Das bedeutet den Abschied vom CSMA/CD-Zugriffsverfahren und damit vom klassischen Ethernet. Gigabit-Ethernet war also die letzte Ethernet-Technologie, auch wenn 10-Gigabit-Ethernet noch diesen Namen trägt. Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob die IEEE-802.3-Gruppe dazu berechtigt ist, Normen für 10GBE zu entwickeln. Eine Antwort darauf steht noch aus.

Im Gegensatz zu Gigabit-Ethernet gibt es bei 10GBE keinen Vorstoß, der in Richtung "10000Base-T" zielt, also die Übertragung über Kupferkabel. Aus technischer Sicht wäre das auch nicht sinnvoll. Der wichtigste Punkt aber ist, daß 10GBE auch Sonet/SDH unterstützt. Es wird also zwei unterschiedliche physikalische Schnittstellen geben: eine für den LAN-Bereich mit 10 000 MBit/s und eine für Weitverkehrsnetze mit 9953,280 MBit/s, die der Sonet/SDH-Stufe entspricht. Mit diesem Schritt dehnt Ethernet seinen Definitionsbereich in den Weitverkehrsbereich aus. Damit "kämpfen" jetzt drei Technologien um das Internet: ATM, "Packet over Sonet/SDH" (PoS) und Ethernet. Alle bieten SDH/Sonet-Interfaces; das Framing bei ATM wird durch AAL5 bereitgestellt, PoS bietet PPP über HDLC und Ethernet schließlich sein bekanntes Framing.

Interessant ist der Ansatz der seriellen physikalischen Schnittstelle namens "Hari" (kein Mensch weiß, wofür diese vier Buchstaben stehen). Interessant an "Hari" ist, daß das Interface zusammen mit anderen Techniken spezifiziert wird, etwa Fibre Channel. Unverständlich ist, warum das nicht auch zusammen mit ATM erfolgt.

Der Zeitplan der "Higher Speed Study Group" orientiert sich an der Vorgehensweise bei Fast- und Gigabit-Ethernet. Das bedeutet, daß im Jahr 2002 mit einer Normierung von 10GBE zu rechnen ist und deshalb bereits im Sommer kommenden Jahres die Vorschlagsfrist abläuft.

Link Aggregation mit IEEE 802.3ad

Von großer Bedeutung für die Skalierung von Netzen ist die Bündelung mehrerer Leitungen. Bei parallelen Verbindungen wird heute "Spanning Tree" gemäß IEEE 802.1D aktiviert, das parallele Leitungen bis auf eine stillegt. Bei diesem Verfahren ist also keine Skalierung durch Leitungsbündel möglich. Einen Standard für diese Bündelfunktion erarbeitet derzeit die IEEE-803.3ad-Arbeitsgruppe unter dem Begriff "Aggregation of Multiple Link Segments". Hinter diesem komplizierten Namen verbirgt sich die Parallelschaltung mehrerer Ethernet-Links. Häufig findet man auch den Begriff Trunking, der jedoch bereits belegt ist: Unter Trunk versteht IEEE 802.3 das gute alte gelbe Kabel (Yellow Cable). Um Mißverständnisse zu vermeiden, wurde daher der Begriff "Link Aggregation" eingeführt.

Eine Link-Aggregation-Schicht wird zwischen den höheren Ebenen oder dem LLC-Layer eingefügt und sorgt dafür, daß über mehrere "Media Access Control"-Säulen (MAC) parallel gearbeitet werden kann. Damit läßt sich auf der einen Seite eine Leitungsredundanz aufbauen, das heißt, es kann bei Ausfall einer Leitung mit geringerer Kapazität weitergearbeitet werden. Auf der anderen Seite eröffnet diese Funktion dem Netzwerkverwalter die Möglichkeit, Bandbreite zu skalieren. Reichen beispielsweise 100 MBit/s nicht aus, kann er auf 2 x 100 MBit/s gehen und auf Gigabit-Ethernet verzichten. Eine noch feinere Abstufung ist nicht möglich, denn der Standard wird

- gleiche Geschwindigkeiten (entweder 10 MBit/s oder 100MBit/s) vorsehen,

- für Vollduplex-Übertragung ausgelegt sein und

- IEEE-802.3-Frames unterstützen, nicht aber IEEE-802.5-Token-Ring-Frames, für die mit IEEE 802.5z eine eigene Norm gilt.

Die Norm ist nahezu fertig und wird nun im IEEE Rahmen abgestimmt.

IEEE 802.3af:DTE Power via MDI

Hinter der etwas kryptischen Bezeichnung "DTE Data Terminal Entry Power via Media Dependent Interface" verbirgt sich der Ansatz, über die Datenverkabelung von 10/100-MBit/s-LANs Endgeräte mit Strom zu versorgen. Dazu zählen IP-Telefone, Web-Kameras und die Zugangsknoten (Access Points) von Funk-LANs. Weitere Einsatzgebiete sind die Gebäudeautomatisierung, Kassenterminals oder Zugangssysteme.

Allerdings existieren noch keine Standards, sondern nur proprietäre Lösungen. Daher wird IEEE 802.3af definieren, welche Spannung beziehungsweise Leistung zur Verfügung gestellt werden soll, welche Leitungen beim RJ45-Stecker verwendet werden, wie sich diese Technik mit anderen Verfahren kombinieren läßt und welchen Einfluß die Stromversorgung auf die Störpegel hat.

IEEE 802.1 High Level Interfaces

Die Arbeitsgruppe "IEEE 802.1 High Level Interfaces" (HILI) beschäftigte sich mit folgenden Fragen beziehungsweise Normen:

- IEEE 802 Overview and Architecture: einer relativ unbekannten Beschreibung der Architektur der IEEE-802-Netze, die überarbeitet werden muß. Der Abstimmungsprozeß ist im Gange, die eingehenden Kommentare werden jedoch erst bei der nächsten Tagung diskutiert.

- IEEE 802.1r GARP Proprietary Attribute Registration Protocol for IEEE 802.1d Bridges: Bei diesem Protokoll, mit dem Hersteller spezielle Funktionen in Bridges implementieren können, gibt es Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der eingegangenen Kommentare. Diese sollen durch eine Abstimmung gelöst werden.

- IEEE 802.1s Supplement to 802.1q: Support for Multiple Spanning Trees: Bisher ist nur ein Spanning Tree über das gesamte physikalische Netz möglich. Das Resultat sind große Netze und lange Rekonfigurationszeiten. Dies soll durch Einsatz mehrerer kleinerer Spanning Trees gelöst werden.

- IEEE 802.1v VLAN Classification by Protocol and Port: Die Gruppe arbeitet an der Klassifikation von virtuellen LANs nach Port und Protokoll. Der erste Entwurf steht nun zur Abstimmung. Die Kommentare dazu werden im Januar 2000 diskutiert.

- IEEE 802.1w Rapid Reconfiguration: Eine Lösung, um das Umkonfigurieren von Spanning Trees im Fehlerfall zu beschleunigen, sucht die Working Group IEEE 802.1w. Gegenwärtig ist Draft 3 in Bearbeitung.

- IEEE 802.1x Port Based Network Access Control: Dieser zunächst als Ergänzung geplante Standard soll jetzt in einer eigenen Arbeitsgruppe behandelt werden. Dazu wurde die Änderung des PAR beschlossen. Außerdem erfolgt eine intensive Zusammenarbeit mit IEEE 802.3ad Link Aggregation, bei denen IEEE 802.1 erhebliche Änderungen eingebracht hat und einige IEEE-802.1-Mitglieder bereits das Stimmrecht bei 802.3 erworben haben.

Das Interesse an höheren Geschwindigkeiten in Token-Ring-LANs ist nach wie vor dürftig. Dies zeigte sich unter anderem daran, daß ganze fünf Experten, und die auch noch aus dem IBM-Umfeld, an den Gruppensitzungen teilnahmen. Dennoch stellte die Arbeitsgruppe IEEE 802.5t den Entwurf für 100 MBit/s fertig und erhielt bereits die bedingte Zustimmung. Die Norm unterstützt "Dedicated Token Ring", das heißt die Punkt-zu-Punkt-Kopplung von Token-Ring-Geräten und entsprechenden Switches. Den nächsten Schritt, nämlich hin zu 1000 MBit/s, hat die Arbeitsgruppe IEEE 802.5v ins Auge gefaßt. Draft 1.0 und 1.1 sind verabschiedet, Draft 1.2, der sich augenblicklich in Arbeit befindet, könnte bereits die endgültige Norm bedeuten.

Wie bei IEEE 802.3ad ist auch in Token-Ring-Netzen Skalierbarkeit ein wichtiges Thema. Daher hat sich eine Working Group formiert, die an einem ersten Normentwurf arbeitet. Allerdings hätten sich die Token-Ring-Spezialisten hier mit der Gruppe IEEE 802.3 zusammentun können, ebenso wie bei der Entwicklung der Normen für 100 und 1000 MBit/s sowie Link Aggregation. Offenbar war das aber nicht erwünscht. Weitere Aktivitäten von IEEE 802.5 betreffen "Enhanced Source Routing for VLANs" und "Enhanced Source Routing" inklusive Load-Sharing.

IEEE 802.14 CATV Cable Television LANs

Seit 1994 arbeitet der Arbeitskreis an einer Norm für die Implementierung von LANs über Fernsehkabelnetze. Die Mitglieder haben ihre Aufgabe weitgehend erfüllt, allerdings haben sich inzwischen andere technische Entwicklungen ergeben. Daher wird man in Zukunft die Norm DOCSIS 1.1 unterstützen und die Arbeit im eigenen Arbeitskreis einstellen. Dabei bleibt natürlich die Frage, wie die IEEE-802-Gruppe mit dem bisher Erreichten umgehen will und wie das Expertenwissen konserviert werden kann.

Diese Fragen sollen bis zur nächsten Tagung geklärt werden, und dann wird IEEE 802.14 in den "Winterschlaf" (Hibernation) gehen.

IEEE 802.11 Wireless LANs und IEEE 802.15 WPAN

Der seit 1997 existierende Standard 802.11 für drahtlose LANs umfaßt zwei Übertragungstechniken im Bereich 1 bis 2 MBit/s: "FHSS Frequency Hopping Spread Spectrum" und "Direct Sequence Spread Spectrum" (DSSS). Alle nutzen das 2,4-GHz-Frequenzband. Die Arbeit des Arbeitskreises konzentriert sich derzeit auf höhere Übertragungsraten. In IEEE 802.11a sind Bandbreiten von 6, 12 und 24 MBit/s im 5-GHz-Band spezifiziert. Optional werden 9 bis 54 MBit/s angeboten. IEEE 802.11b definiert Übertragungsverfahren im Bereich 2,4 GHz von 5,5 MBit/s. Die Option von IEEE 802.11b läßt 11 MBit/s zu. Sie wurde IEEE-intern mit dem Hinweis veröffentlicht, daß die "Management Information Base"-Definition nachgeliefert wird. Die endgültige Fassung des Standards soll im Juli 2000 veröffentlicht werden. Außerdem befaßt sich eine Arbeitsgruppe IEEE 802.11d mit dem Thema "Regulatory Domain Updates".

Zügig voran kommt die Arbeit der Gruppe IEEE 802.15 auf dem Gebiet "Wireless Personal Area Networks" (WPANs). Sie dienen dazu, tragbare Rechner drahtlos zu verbinden. Die Normierung erfolgt deshalb so schnell, weil sich die Experten strikt an der "Bluetooth"-Spezifikation orientieren. Ebenfalls erfolgreich gestartet ist die Arbeitsgruppe IEEE 802.16 Broadband Wireless Access, die sich mit drahtlosen Zugangsgeräten für Breitbandnetze beschäftigt, konkret einer Luftschnittstelle (Air Interface for Fixed Broadband Wireless Access Systems). Beide Arbeitskreise arbeiten eng mit IEEE 802.11 zusammen. Da jedoch für alle Anwendungen unterschiedliche MAC-Protokolle erforderlich sind, werden diese Themen in unterschiedlichen Arbeitskreisen behandelt. (re)