Marketing-Tricks

So ziehen Hersteller Sie aufs Glatteis

29.07.2010 von Simon Hülsbömer
Verkäufer von Enterprise-Software und -Services verstehen sich immer besser als hochbegabte Betrüger. Neben ihren leeren Marketing-Versprechungen haben sie nicht viel auf dem Kasten - zum Nachteil der Kunden.

Es fängt alles ganz harmlos an - mit einer Produktdemo, die reibungslos funktioniert und gut aussieht. Der Hersteller kommuniziert einen Preis, der zu gut klingt, um wahr zu sein - der Fehlbetrag wird später über die Gebühren für Änderungsaufträge oder Wartung und Support ausgeglichen. Wenn der Verkäufer Sie erst einmal im Fangnetz hat, kommen Sie dort nicht mehr allzu schnell heraus. Prüfen Sie nun lieber regelmäßig Ihre Rechnungen, da Sie häufig für Dinge zur Kasse gebeten werden, die Sie eigentlich gar nicht haben wollten. Und später dann, wenn alles problemlos läuft, steht bestimmt schon das nächste Upgrade an - ob Sie es brauchen oder nicht, Sie werden es kaufen. Wetten? Dazu sechs Fälle aus der Praxis.

1. Viel versprechen, wenig halten

Man glaubt es kaum, aber oft reicht eine imposante Sammlung von nichtssagenden Power-Point-Folien aus, um einem Unternehmen ein neues Software-Paket aufzuschwatzen. Selbst große Konzerne machen da keine Ausnahme, wie Forrester-Analystin Natalie Petouhoff feststellt. "Die Software-Industrie ist verdorben", so Petouhoff gegenüber der CW-Schwesterpublikation InfoWorld. "Die Manager, die die Kaufentscheidung treffen, sehen die Präsentation höchstens zweimal im Leben und haben keine Ahnung, dass alles erlogen ist. Sie denken tatsächlich, dass die Applikation genau so funktioniert, wie sie ihnen präsentiert wird." Dabei sei es gar nicht einmal die ursprüngliche Absicht der Hersteller, ihre Kunden vorsätzlich zu täuschen, gibt die Analystin zu bedenken. Da die wenigen Unternehmen mit unlauteren Geschäftspraktiken aber kurzfristig erfolgreicher seien, beuge sich die Mehrzahl der übrigen eben dem Wettbewerbsdruck, um im Markt nicht abgehängt zu werden. Die Kunden treffe überdies eine Mitschuld: Viele Entscheidungsträger in den Unternehmen hätten nicht die nötige Fachkompetenz, um Lügen von Wahrheit zu unterscheiden, meint Petouhoff.

Ein Beispiel: Im März 2008 verklagte Waste Management, der größte Müllentsorgungsbetrieb der USA, den deutschen Hersteller SAP über 100 Millionen Dollar wegen einer fehlgeschlagenen ERP-Software-Implementierung. Waste Management warf der SAP vor, die Produktdemonstration während der Verkaufsgespräche gefälscht zu haben. Fünf Monate später ging der Walldorfer Konzern seinerseits in die Offensive und behauptete, dass das US-Unternehmen ihr noch mehrere Millionen Dollar an Wartungs- und Servicegebühren schuldete. Im Mai dieses Jahres verschwand die angesprochene Produktdemo auf mysteriöse Weise - mit der Folge, dass beide Parteien sich gegenseitig des vorsätzliche Beiseiteschaffens des Beweisstückes beschuldigten. Damit nicht genug: Waste Management büßte nach eigenen Angaben rund 30 Millionen Dollar Umsatz im ersten Geschäftsquartal 2009 ein, weil die ERP-Software nicht richtig funktionierte.

"Ich möchte SAP nicht als schlechtes Beispiel hervorheben", sagt Petouhoff. "Die gesamte Softwarebranche muss sich neu erfinden. Wenn Unternehmen Millionen für Ihre Produkte zahlen, damit sie halten, was Sie zuvor versprochen haben, ist ein Bruch dieser Versprechen finanziell unverantwortlich." Wirtschaftliche Ehrlichkeit nach dem Motto "Unsere Software unterstützt dieses Feature noch nicht, aber wir arbeiten daran" würde den Anwendern wenigstens zeigen, woran sie wirklich sind. Aber das werde wohl Wunschdenken bleiben.

2. Erst unterbieten, dann übertreiben

Hersteller von Unternehmens-Software bieten den Kunden extrem verlockende Preise an - aber nur, um ihre Verluste später durch überhöhte Gebühren wieder reinzuholen, sobald der Vertrag in trockenen Tüchern ist. Forrester-Analystin Petouhoff erlebte dieses Vorgehen schon früh in ihrer Karriere, als für einen Systemintegrator arbeitete. Bei zahlreichen Telefongesprächen mit den Softwareherstellern und Service-Providern stellte sie fest, dass die Verkaufsabteilungen zu jedem Anwenderwunsch nur eine Antwort parat hatten: "Das können wir." Petouhoff erzählt: "Ein Dienstleister befand sich im Bieterkampf zum Aufbau eines großen Callcenters in Südkalifornien, Kostenpunkt rund 2,5 Millionen Dollar. Das Unternehmen behauptete, das Projekt für nur 250.000 Dollar stemmen zu können. Und obwohl diese Summe nach meiner Auffassung nicht einmal für die Möbel ausreichen würde, stand ich in unserer Firma ziemlich alleine da. Mein Partner wollte nur den Verkaufsabschluss und trug mir auf, den Fehlbetrag durch Änderungsaufträge auszugleichen und dem Kunden den schwarzen Peter für die falsche Kalkulation zuzuschieben."

Zehn Tipps für kosteneffiziente SW-Projekte
1. Fokus auf Kernfunktionen
Konzentrieren Sie sich bei der Definition der Anforderungen auf die Kernfunktionen der umzusetzenden Anwendung. Das Pareto-Prinzip gilt in der Regel auch in der Softwareentwicklung. Demnach sollten 80 Prozent der Funktionalität einer Anwendung durch 20 Prozent des Funktionsumfangs erbracht werden.
2. Defensiver Technikeinsatz
Vermeiden Sie technische Spielereien. Es muss nicht immer jedes neueste Feature genutzt werden. Wägen Sie den Einsatz neuer Techniken sorgfältig ab, auch wenn diese eine höhere Entwicklereffizienz und schnelle Ergebnisse versprechen. Grundsätzlich gilt: Je mehr Funktionen, desto komplexer und damit aufwändiger und teurer wird die Anwendungsentwicklung.
3. Einsatz vorgefertigter Komponenten
Prüfen Sie, ob Sie verfügbare Komponenten, Plattformen und Produkte nutzen können. Wenn es sich um nicht allzu komplexe Teillösungen handelt, kann das viel Aufwand ersparen. Allerdings ist eine "Buy"-Entscheidung nicht in jedem Fall der richtige Weg. Wenn die Komponenten erst "hingebogen" werden müssen, bis sie allen Anforderungen gerecht werden, ist das aufwändig und birgt Folgerisiken - etwa den Verlust der Release-Fähigkeit.
6. Nutzung von Erfahrungen
Frühe Fehler können sich zu einem späteren Zeitpunkt zu Kostentreibern entwickeln. Unerfahrene Mitarbeiter sind daher ein Projektrisiko. Zumindest an den neuralgischen Punkten eines Projektes - etwa dem Architekturdesign oder der Projektplanung - sollten Sie den Projektbeteiligten daher erfahrene Mitarbeiter oder externe Berater zur Seite stellen.
7. Stabile Anforderungen und verbindliche Absprachen
Sorgen Sie für stabile Anforderungen und klare Erwartungen an das Softwaresystem sowie für verbindliche Absprachen zwischen den Projektbeteiligten und strukturierte Change-Request-Verfahren. Dieses Vorgehen wirkt auf den ersten Blick etwas bürokratisch, letztlich hilft es aber, häufige Kurswechsel im Projektverlauf und daraus resultierende arbeitsintensive Nacharbeiten zu vermeiden.
8. Kalkulation interner Ressourcen
Bewerten Sie die Verfügbarkeiten und Kapazitäten der internen Projektbeteiligten realistisch. Mitarbeiter, die beispielsweise zusätzlich zu ihrem Tagesgeschäft "nebenbei" im Projekt mitarbeiten, verursachen oft versteckte Mehrkosten, Terminverschiebungen und vor allem Qualitätsprobleme.
10. Realistische Aufwandsplanung
Planen Sie die Aufwände eher vorsichtig. Zu optimistische Einschätzungen - "das ist schnell gemacht", "das ist ja fast fertig" - verfälschen die Kalkulation. Hektisches Nacharbeiten und Terminverzüge verursachen letztlich meist mehr Kosten als sauber geplante Projekte.

Die Analystin stellt ein plastischen Vergleich auf: "Es ist ungefähr so, als wenn Sie jemandem ein Auto ohne Räder verkaufen. Wenn der Kunde merkt, dass Sie ihn betrogen haben, stellen Sie ihm die Räder gesondert in Rechnung. Das eigentliche Problem hat der Kunde später, wenn er seinem Vorgesetzten die finanzielle Mehrbelastung (und seine Inkompetenz beim Geschäftsabschluss) schmackhaft machen muss - dann haben Sie Ihre Verträge aber bereits unter Dach und Fach."

Sobald die Hersteller alles auf die Implementierung setzen, um ihren Profit zu steigern, können sie ungemütlich werden, wie Connie Elliott, die Geschäftsführerin von Data Net, einem kleinen Hersteller von Barcode- und RFID-Datenverwaltungs-Software, leidvoll erfahren musste. Elliott kaufte für 5.500 Dollar ein CRM-System, um es in die firmeneigene Rechnungssoftware zu integrieren. "Eine unsere Anforderungen war, dass das System auf einer SQL-Datenbank aufsetzte, die wir frei bearbeiten und verändern konnten." Der Hersteller war unzufrieden über die geringe Implementierungsarbeit, die er bei uns leisten sollte und in Rechnung stellen konnte. Also versuchte der CRM-Software-Hersteller Data Net Serviceverträge anzudrehen. Nachdem das nicht funktionierte, versuchte man Elliott in neue SaaS-Angebote (Software as a Service) zu drängen. Die Geschäftsführerin aber blieb hart und lehnte ab. Dann folgte der richtig schmutzige Teil des Geschäfts: "Nachdem wir den Datenimport gemeinsam mit dem Hersteller gestemmt hatten, mussten wir feststellen, dass alle SQL-Tabellen passwortgeschützt waren", so Elliott. "Wir sollten die Passwörter nur bekommen, wenn wir mehrere Tausend Dollar für ein Software-Upgrade bezahlten, was wir aber nicht getan haben." Mittlerweile nutzt Data Net die Software nicht als CRM- und Rechnungssystem, sondern als einfachen Kontakt-Manager. Eine perfekte Lösung für die originären Probleme mit der Datenverwaltung hat Data Net bis heute - vier Jahre nach dem Vorfall - noch nicht gefunden.

3. Den Kunden im Schwitzkasten

Sobald die Hersteller ihre Kunden in der Mangel haben, lassen sie sie so schnell nicht wieder los - selbst wenn das einen Tabubruch bedeutet. "Kundenerpressung ist ein fundamentales Anliegen der Verkäufer von Enterprise-Software", wettert Michael Krigsman, CEO des IT-Projektberaters Asuret. Um sicherzustellen, dass ihnen die Kunden nicht weglaufen, legten die Hersteller die Latte für einen Anbieterwechsel seitens der Kunden sehr hoch. Die Software selbst sei günstig, die Implementierung dafür umso teurer. Die eigentliche Falle folge laut Krigsman erst später: "Der Kunde zahlt die danach anfallenden Upgrade- und Wartungsgebühren brav weiter, da die Implementierungskosten zuvor so exorbitant hoch waren, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als seinem Hersteller die Treue zu halten."

Einige Anbieter verstehen sich dazu noch auf eine ganz neue Art der Kundentäuschung: Bob Davis, Marketing-Vorstand eines Software-Herstellers für die TK-Branche, berichtet von Fällen, in denen Anbieter nicht nur ihre Software, sondern auch gleich das Fachpersonal für die Implementierung zur Verfügung stellen. Die Kunden werden so noch abhängiger von einem Hersteller. Im zweiten Schritt fremdwartet der Hersteller seine Produkte dann ohne Wissen oder gar gegen das Einverständnis des Anwenders, was es diesem unmöglich macht, jemals auf eine andere Lösung zurückzugreifen, ohne bei Null zu beginnen. Unangenehm werde es, so Davis, wenn die externen Fachkräfte quasi zu Angestellten des Anwenderunternehmens avancieren - mit Mitarbeiterausweis und Zugang zu allen Bereichen. So unterwanderten die Anbieter- häufig die Anwenderfirmen und befeuerten eine von fremden Interessen gesteuerte Politik. Angestellte, die dies in Frage stellten, seien dann die ersten auf der Abschussliste.

4. Die fehlerhafte Rechnung

Manchmal kostet nicht das, was Sie gekauft haben, sondern das, was Sie nicht gekauft haben und trotzdem in Rechnung gestellt bekommen. Allein in der Telekommunikations-Branche finden nach Angaben der Aberdeen-Markforscher sieben bis zwölf Prozent aller Buchungen zu Unrecht statt. Es hat sich bereits eine ganze Industrie gebildet, die Fehlern in Telefonrechnungen nachgeht und dafür einen Teil des zurückgeholten Geldes einstreicht. Phil Stone, Director of IT Operations bei einem Netzwerk-Anbieter, berichtet von monatlichen 30.000- bis 50.000-Dollar-Rechnungen eines großen TK-Unternehmens für Netzzugänge und verbrauchte Datenvolumen. Es gab nur ein Problem: Man war lediglich als Telefon- aber nicht als Internetkunde beim Konzern gemeldet. Bis sich nach neun Monaten Ärger herausstellte, dass der falsche Kunde abgerechnet worden war, seien der Firma insgesamt 300.000 Dollar zuviel in Rechnung gestellt worden. Zwei problemlose Monate folgten, dann ging das Spiel von vorne los. Stones Unternehmen hat sich zwischenzeitlich komplett vom Konzern verabschiedet und auch für die Telefongespräche einen anderen Anbieter gewählt.

Manchmal seien die Abrechnungstricks wesentlich subtiler, sagt Stone. Für einige Standleitungen vereinbarte er mit einem weiteren TK-Anbieter einen monatlichen Preis von 3000 Dollar. Als der Anwalt die Verträge vor der Unterzeichnung prüfte, stellte man fest, dass dem Unternehmen 60.000 Dollar pro Jahr in Rechnung gestellt werden sollten - 24.000 mehr als vereinbart. Auf Nachfrage teilte man ihm ausflüchtend mit, dass man doch sicherlich noch weitere Leitungen bestellen wolle - so gut wie sie seien. Logische Folge: Das Geschäft kam überhaupt nicht zustande.

Checkliste für SaaS-Projekte
Anpassungsbedarf und -möglichkeiten
Kostenvorteile sind nur durch einen gemeinsamen, standardisierten Betrieb zu erzielen. Im Zuge der Produktauswahl muss geklärt werden, ob die Anforderungen mit den im System vorhandenen Anpassungsmöglichkeiten umgesetzt werden können. Programmatisches Customizing ist eher unüblich und darf nur erfolgen, wenn es den gemeinsamen Betrieb und die Wartung nicht verhindert.
Effizientes Identitäts-Management
Bei SaaS-Angeboten ist die Vergabe von individuellen Benutzerzugängen beim Anbieter der Regelfall. Nutzt ein Unternehmen Angebote verschiedener SaaS-Anbieter, müssen pro Mitarbeiter mehrere Accounts eingerichtet werden. Dies führt schnell zu Organisations- und Sicherheitsproblemen. Hier bietet sich eine Integration von SaaS-Single-Sign-on (SaaS-SSO) in das Intranet an. Dazu können SSO-Standards wie SAML oder Cryptotickets verwendet werden.
Usability der Benutzerschnittstelle
Web-Benutzerschnittstellen sind oft nicht so effizient und bequem zu bedienen wie lokal installierte Software. Mit Techniken wie Ajax oder auch nur Javascript können die meisten Web-Anwendungen allerdings für den normalen Anwender sinnvoll nutzbar gemacht werden. Dieser Aspekt sollte vor der Einführung bedacht werden.
Flexibilitäts- und Preis-Check des Mietvertrags
Ein schlechter Mietvertrag für die SaaS-Lösung kann die erhofften Flexibilitäts- und Preisvorteile schnell zunichtemachen. Im Vorfeld ist unbedingt zu prüfen, ob der Vertrag einen zeitnahen Auf- und Abbau von Kapazitäten erlaubt und ob die vertragliche Preisgestaltung die erwünschten Kosteneinsparungen bringt.
Technische Nutzungsvoraussetzungen
Effizientes verteiltes Arbeiten ist nur möglich, wenn die Anwendung tatsächlich über das öffentliche Internet nutzbar ist. Wenn einem nur kurzfristig aktiven, freien Mitarbeiter erst spezielle Hardware, wie zum Beispiel eine Virtual Private Network Box zur Verfügung gestellt werden muss, gehen Flexibilitäts- und Kostenvorteile verloren.
Tragfähige Konzepte für Sicherheit und Notfälle
Bei einem gehosteten Angebot muss der IT-Manager für alle möglichen Problemfälle einen „Plan B“ parat haben, um schnell reagieren zu können. Bedacht werden müssen Datenschutzproblematiken, Notfallpläne für den Netzausfall, und wie man bei einer Insolvenz des Anbieters an die gespeicherten Daten gelangt.

Das Kalkül der Konzerne: Nur einer von zehn Kunden bemerke die fehlerhaften Rechnungen rechtzeitig, so Steve Roderick, CEO des Payment-Dienstleisters GoToBilling. Er rechnet vor: "Von 100 falsch abgerechneten Kunden beschweren sich acht - das macht über 90 Prozent Erfolgswahrscheinlichkeit." Roderick nimmt seine Branche dennoch in Schutz - die meisten rechneten korrekt ab und kalkulierten nicht mit dem unbegrenzten Vertrauen der meisten Kunden. Die wenigen schwarzen Schafe schockierten ihn dafür umso mehr: "Ich kenne Bezahldienste, die Unternehmenskunden 95 Dollar an jährlichen Bearbeitungsgebühren berechnen, obwohl eine derartige Gebühr in keinem Vertrag steht. Sie rechnen 30.000 Kunden auf die Weise ab und warten auf den Aufschrei einiger weniger. Denen verkaufen Sie den Vorgang als fehlerhafte Abbuchung und erstatten das Geld umgehend zurück."

5. Zum Update gezwungen

Aus geschätzten Kunden eierlegende Wollmichsäue zu machen, ist eine Kunst für sich, die häufig durch Updatezwang in die Tat umgesetzt wird. Vor einigen Wochen kaufte Dave Jackson, Executive Director von Awake in America, einer Non-Profit-Organistaion zur Hilfe von Menschen mit Schlafstörungen, einige Programmlizenzen für einen Personal Information Manager (PIM) für 400 Dollar pro Stück. Jackson, der mit dem PIM unter anderem Spenderdaten verwalten wollte, vereinbarte zunächst einen 45-Tage-Testlauf der Software. "Wir sprachen daneben auch über Upgrades und Updates des Programms - und alles klang gut." Drei Wochen nach dem Abschluss der Bestellung bekam Jackson eine E-Mail, in der von der neuen 2010er-Programmversion die Rede war und das er doch upgraden solle - mit 50 Dollar Preisnachlass. Wenn er mehrere Kopien abnehme, bekomme er gar 75 Dollar Rabatt. Jackson fragte nach, warum er während der vorherigen Verhandlungen nicht erfahren habe, dass eine neue Version bereits in Arbeit sei. "Der erste Mitarbeiter am Telefon wusste von nichts - der zweite berief sich auf die Unternehmens-Policy, derartige Neuigkeiten aus Wettbewerbsgründen nicht bekannt geben zu dürfen." Jackson ging auf das Upgrade-Angebot nicht ein und blieb bei seiner beinahe vom Start weg "veralteten" Version.

Phil Stone kennt das Update-Problem auch: "Wir arbeiten mit VMware, die entschieden haben, die Enterprise-Lizenzen ihrer Virtualisierungssoftware vSphere auslaufen zu lassen. Für 26.000 Dollar pro Jahr wollen sie uns auf vSphere Enterprise Plus upgraden." Er habe nun drei Möglichkeiten: Zahlen, auf die Advanced-Version downgraden, die längst nicht alle benötigten Features unterstütze oder auf Hyper-V umsteigen und dafür einen Microsoft-Server aufsetzen. Letztere Option sei die wahrscheinlichste - Pech für VMware.

6. Der ahnungslose Kunde

Zugegeben, für ahnungslose Kunden können die Hersteller oft nichts. Wenn Anwender zu viel Vertrauen in die Unternehmen stecken und zu wenig ihren eigenen Verstand bemühen, kommen viele IT-Projekte zu Fall. "Die Kunden gehen mit unklaren Zielen in die Verkaufsgespräche. Nach der ersten Produktpräsentation wollen sie dann alles, was möglich ist - und das möglichst günstig. Wenn Sie dann mit ihnen sprechen, wird klar, dass die IT-Abteilung keine Ahnung hat, was die Sales-Abteilung und die Finanzbuchhaltung wollen", sagt Asuret-Berater Krigsman. "Sales versteht von der Technologie überhaupt nichts verantwortet dennoch in letzter Instanz die Kaufentscheidung." Jeder sei ein Stück weit verantwortlich, wenn es schiefläuft: Anwender, Dienstleister und Hersteller, so Forrester-Analystin Petouhoff. "Jeder Entscheidungsträger in den Anwenderunternehmen sollte vorher einmal für einen Software-Anbieter oder IT-Dienstleister tätig gewesen sein. So verstehen Sie die Eigenarten beider Welten können die richtigen Anforderungen formulieren und gute Verhandlungen führen."

Einige Probleme lösen sich von selbst: Je mehr Anbieter ihre Software als Service (SaaS) anbieten, desto einfacher wird es für die Kunden, von Verträgen zurückzutreten und ihre Investitionen zu kontrollieren. Ein gesunder Rest Misstrauen seitens der Anwender ist aber weiterhin angebracht. GoToBilling-Geschäftsführer Roderick bringt es auf den Punkt: "Viele Anwender lesen leider ihre Verträge nicht gründlich genug. Dann werfen Sie schnell alle Bedenken über Bord, und stimmen Bedingungen zu, die sich nach menschlichem Ermessen und marktüblichen Regeln zu gut anhören, um wahr sein zu können."

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Elf Pannenprojekte
Fehlerhafte Hartz IV Software (2004)
Zum Start der Arbeitsmarktreform Hartz IV streikte die Software, die die das Arbeitslosengeld für Langzeitarbeitslose berechnete. Die von T-Systems entwickelter Anwendung "A2LL" lief nicht stabil und löste Rechnerabstürze aus. <br /><br />Zudem wurden Zuschläge falsch berechnet, Datenfelder fehlten oder waren für die Erfassung gesperrt. Außerdem kam es bei der Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge zu Rundungsfehlern. <br /><br />Später wurde bekannt, dass eine nach gelagerte Software kurze Kontennummern falsch auffüllte. Statt Nullen voranzustellen, wurden sie hinten angehängt. Dadurch waren Konten nicht zuzuordnen. <br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/nachrichtenarchiv/549354/" target="_blank">Fehlerhafte Software bedroht Hartz-IV-Start</a>
Hartz-IV-Softwarepanne, die Zweite (2006)
Im Dezember 2006 streikte die Software erneut, eine Bearbeitung von Erst- und Fortzahlungsanträgen für das Arbeitslosengeld 2 (ALG2) war nicht mehr möglich. Die Probleme tauchten auf, nachdem ein Update eingespielt wurde, hieß es zunächst. <br /><br />T-Systems wehrte sich allerdings gegen den Vorwurf, eine fehlerhaft implementierte Dialog-Software sei der Grund für die Pannenserie. Vielmehr sei das Problem durch ein Datenbank-Update hervorgerufen worden, betonte die Telekom-Tochter. <br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/nachrichtenarchiv/585325/" target="_blank">Probleme mit Hartz-IV-Software</a>
EDS und die britische Kindergeld-Behörde (2004)
Der US-amerikanische IT-Dienstleister scheitert 2004 spektakulär in Großbritannien und bescherte dem Steuerzahler einen Verlust von etwa einer Milliarde Pfund. <br /><br />EDS war beauftragt worden, für die britische Behörde Child Support Agency (CSA), die das Kindergeld auszahlt, ein neues IT-System zu entwickeln, dass das Verfahren beschleunigt. <br /><br />Die implementierte Lösung CS2 überwies etwa 1,9 Millionen Berechtigten zuviel Geld, rund 700 000 bekamen allerdings zu wenig. Grund dafür war nicht allein die Software, denn zeitgleich hatte die britische Regierung die CSA reformiert. Update zwang die Software in die Knie.
Die Explosion der Ariane 5 (1996)
Innerhalb von Sekunden zerbarst im 1996 Europas ehrgeizige Ariane-5-Mission. Die unbemannte Rakete explodierte 30 Sekunden nach dem Start vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana, nachdem sie zuvor von ihrem Kurs abgekommen war. An Bord waren vier Satelliten im Wert von 500 Millionen Dollar. <br /><br />Später veröffentlichte die New York Times den Grund für die Panne. Die Ariane 5 nutzte die gleiche und bewährte Software wie ihr Vorgängermodell, die Ariane 4. Die neue Trägerrakete war jedoch schneller und konnte eine größere Nutzlast transportieren, dadurch fielen deutlich mehr und höhere Flugdaten an, die verarbeitet werden mussten. <br /><br />Letzten Endes löste die Umwandlung von Gleitkommazahlen in ganzzahlige Werte einen Overflow aus und setzte damit eine Fehlerkette in Gang. Das redundante System der Ariane 5 konnte die Katastrophe nicht verhindern. Es nutzte die gleiche Software.
Panne in der Entwicklung des Airbus A380 (2006)
Die verteilte Fertigung bei Airbus brachte es mit sich, dass in verschiedenen Werken unterschiedliche Software verwendet wurde. Peinlich wurde dies, als die Werke unterschiedliche Versionen der CAD-Software Catia verwendeten. <br /><br />In Hamburg arbeiteten die Ingenieure mit einer älteren Version, im französischen Toulouse kam die aktuellste Ausführung zum Einsatz, die allerdings nicht abwärtskompatibel war. Als die an den jeweiligen Standorten entwickelten und gefertigten Teile zusammengeführt werden sollten, passten die Verkabelungsbäume nicht zueinander. <br /><br />Die Auslieferung des Airbus verzögerte sich um acht Monate.
Das Jahr-2000-Problem (1999/2000)
Für die IT-Industrie wurde der Jahrtausendwechsel zum großen Fest. Sie verdiente prächtig an einem Fehler (beziehungsweise einer Unzulänglichkeit), den sie selbst mitverursacht hatte. <br /><br />Weil in den frühen Jahren der IT Speicherplatz teuer war, wurden Jahreszahlen nur zweistellig dargestellt. Die Zahlenkombination "00" bezeichnete also sowohl das Jahr 1900 als auch das Jahr 2000. Zum Teil wurde auch ungültige Datensätze mit der Doppelnull gefüllt. <br /><br />Viele Anwenderunternehmen fürchteten finanziellen Schaden aufgrund falscher Berechnungen. Zudem drohten Computerabstürze und Sicherheitslecks in Anwendungen von Banken, Industrieanlagen und Kernkraftwerken.
Millionengrab Fiscus (1993 bis 2005)
Zum Fass ohne Boden entwickelte sich das Föderale Integrierte Standardisierte Computer-Unterstützte Steuersystem (Fiscus). Mehr als zwölf Jahre strebten die deutschen Bundesländer an, eine einheitliche Steuersoftware für rund 650 Finanzämter einzuführen. Dafür verbrauchten sie geschätzte 900 Millionen Euro. <br /><br />Ein brauchbares Ergebnis kam nicht dabei heraus. Die Anfänge nahm Fiscus im Jahr 1993. Die Bundesländer wollten die parallele Entwicklung mehrerer Lösungen zentralisieren, um Kosten zu sparen. Zudem sollten die ausufernden Altsysteme durch eine neue, moderne Applikation ersetzt werden. <br /><br />Während der Entwicklungsarbeiten wurden mehrfach die technischen Zielrichtungen verändert (etwa von der strukturierten zur objektorientierten Entwicklung). <br /><br />Schwierigkeiten bereitete zudem das Kompetenzgerangel zwischen den Bundesländern. 2005 wurde die eigens für das Projekt gegründete Fiscus GmbH liquidiert und das neue Projekt "Konsens" gestartet. <br /><br /><a href=" http://www.computerwoche.de/it_strategien/it_management/599350/index2.html" target="_blank"> Von Fiscus zu Konsens: Ein langer Weg geht zu Ende </a>
Hessens Desaster mit der Schulsoftware (2007)
Das Bundesland Hessen erlebte mit der Einführung der neuen Schulverwaltungssoftware LUSD (Lehrer- und Schülerdatenbank) ein Desaster. <br /><br />Ziel der Software war eine zentrale Verwaltung aller Schüler und Lehrerdaten. Mit der Implementierung in den Schulen startete der beauftragte IT-Dienstleister CSC im Oktober 2006. Zur Eskalation kam es im Herbst 2007 als die betroffenen Schulsekretariate sich über anhalten Performance-Probleme beschwerten und sich die Mängel zum Politikum entwickelten. <br /><br />Ursache der Leistungsprobleme war offenbar eine nicht sauber implementierte 3-Tier-Architektur aus Web-Client, Application- und Datenbank-Server. Im Lauf des Entwicklungsprojekts wurde Prozess- beziehungsweise Business-Logik auf dem Datenbank-Server statt auf dem Application-Server abgebildet.

Dieser Artikel von Dan Tynan erschien bei der CW-Schwesterpublikation InfoWorld und wurde aus dem Englischen übersetzt. (sh)