Das Geheimnis eines erfolgreichen Recruitings

So minimieren Sie Fehlbesetzungen

30.01.2015 von Kourosh Ghaffari
In Unternehmen gibt es fest etablierte Muster und Rituale, die aber nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Dennoch macht das Management immer so weiter, anstatt die Grundannahmen kritisch zu hinterfragen und anzupassen. Der Recruiting-Prozess ist ein solcher Fall.

Wie bringt man einem Kind bei, sich die Schuhe zuzubinden? Vermutlich so, wie man es selbst gelernt hat: Entweder die "Schlange-um-den-Baum"-Methode oder die "Hasenohr-Hasenohr"-Methode. Die eigentliche Idee hinter einem solchen Schuh-Bind-"Ritual" ist, dass die Schnürsenkel zugebunden bleiben. Und genau das passiert im Arbeitsleben oft nicht. Viele von uns sind täglich genervt, weil wir immer wieder die Schuhe neu schnüren müssen. Das Internet wartet daher auch reichlich mit Tipps und Diskussionen über Alternativen zu Schnürsenkeln auf.

Nur eine klar und richtig definierte und formulierte Ausschreibung bringt die richtigen Bewerber zum Vorstellungsgespräch.
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Aber eine Frage stellen wir uns nicht, bis wir darauf aufmerksam gemacht werden: Ist womöglich das Schuh-Bind-Ritual selbst das eigentliche Problem?

Beim Recruiting-Prozess haben wir es mit einem ähnlichen Phänomen zutun. Worum geht es dabei? Es geht darum, dass man eine ganz konkrete Position mit der richtigen Person besetzen möchte, damit die definierten Prozessschritte gut ineinander greifen und rund laufen.

Die eierlegende Wollmilchsau

Bereits beim ersten Teil-Ritual, die Gestaltung der Stellenausschreibung, kommen beim aufmerksamen Leser oft die ersten Zweifel auf. Von einer konkreten Position mit ganz konkreten Vorstellungen kann häufig wohl kaum die Rede sein. Denn gesucht wird - positions- und branchenunabhängig - in der Regel die eierlegende Wollmilchsau. Ein Spezialist, der alles andere auch können sollte.

Nehmen wir beispielhaft die Stellenausschreibung eines Programmierers, die mit einer langen Auflistung der gewünschten Programmiersprachen und technisch-fachlichen Anforderungen beginnt. Bis zu dieser Stelle ist sich der interessierte Leser sicher: Ganz klar, die suchen hier einen Dreisterne-Nerd. Eine Zeile weiter ist dann jedoch zu lesen: "ausgeprägte Teamfähigkeit und Kundenorientierung".

Stellenausschreibungen tendieren nämlich dazu, Worthülsen und eine Fülle von teils widersprüchlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten aufzulisten, die nur extrem selten in einer Person vereint sind. Eine einfache Weiterbildung in angewandter Menschenkenntnis genügt, um zu wissen: Eine starke Ausprägung der gewünschten Eigenschaft korreliert typischerweise mit einer schwachen Ausprägung einer anderen Eigenschaft. Worauf soll der Interviewer unter den vielen Variablen sein Augenmerk richten?

Die Probezeit wird's schon richten

Betrachten wir das zweite Teil-Ritual: Interviews werden in der Regel vom künftigen Chef der gesuchten Person und einem HR-Verantwortlichen geführt. Die unmittelbaren Kollegen bleiben meist außen vor. Künftig hat man mit dem Chef vielleicht einen Kontakt in der Woche. Mit dem HR-Verantwortlichen wohl eher einen Kontakt im Jahr, aber mit den unmittelbaren Kollegen an jedem einzelnen Tag des Jahres.Welche Zusammenarbeit ist maßgeblich für die Frage, wer unter den Bewerbern - bei gleicher Qualifikation - die "richtige" Person für die Position ist? Ob es menschlich passt oder nicht, findet man somit erst in der Probezeit heraus. Sprich, wenn es zu spät ist, weil man allen anderen abgesagt hat.

Auch das Interviewgespräch selbst besteht aus spannenden Mustern. Ich greife eins heraus: Hat der Bewerber gute Karten, wird das Interview gerne verwechselt mit einer Werbeveranstaltung für Kunden. Was dabei übersehen wird: Was hinter den Kulissen passiert, liegt für einen Kunden im Verborgenen. Im Falle eines Bewerbers jedoch sucht man einen Insider, der hinter den Kulissen arbeiten soll.

Wenn beim Bewerbungsgespräch zum Beispiel die Erwartung einer "anspruchsvollen und abwechslungsreichen Tätigkeit" geweckt wurde, die Wirklichkeit sich bald darauf als "eintönige Routineaufgaben" herausstellt, dann ist Frust und Demotivation vorprogrammiert. Was soll eine Schummelei im Bewerbungsgespräch bringen?

Ist also die Lösung eine "typ"-gerechte Stellenbeschreibung, die Einbindung der direkten Kollegen im Rahmen des Interview-Prozesses und Erwartungsmanagement? Das ist ein guter Anfang, reicht aber oft nicht aus, denn bis dato haben wir das eigentliche Problem noch nicht behandelt.

Das Zahnrädchen in der großen Maschine

Ein Unternehmen besteht nicht aus hermetisch abgeriegelten Einheiten, sondern aus abteilungs- und bereichsübergreifenden Prozessen. Was ein Mitarbeiter einer Abteilung "produziert", hat meist mehrere Abnehmer in anderen Abteilungen. Eine reibungslose Zusammenarbeit in diesen Schnittstellen entscheidet darüber, ob das Unternehmen produktiv arbeitet und profitabel ist oder nicht.

Weiß ein Mitarbeiter was andere von ihm erwarten (dürfen)? Wissen die Interviewer, was andere von einem künftigen Mitarbeiter erwarten werden? Falls ja, geben alle die gleiche Antwort?

Zur Verdeutlichung des Problems bleiben wir beim Beispiel des Programmierers. Er arbeitet - mit Überstunden versteht sich - an zwei großen, zeitkritischen Kunden-Projekten.

Dies vorausgeschickt stellt sich die Frage: War es überhaupt richtig, einen "Programmierer" zu suchen? Wäre ein Diplomat des Auswärtigen Amtes mit langjähriger Erfahrung in der Krisendiplomatie nicht der bessere Quereinsteiger-Kandidat für diese Position gewesen? Anders formuliert: Auch wenn die Interviewer die besten Talente anwerben, aus einer Kakophonie wird deswegen noch lange keine Symphonie.

Manchmal ist weniger mehr

Was in den meisten Unternehmen fehlt, ist eineeinvernehmliche Klärung der gegenseitigen Rollenerwartungen für die Schlüsselpositionen im Unternehmen. Eine Stellenbeschreibung beschreibt, was eine Person macht. Bei der Rollenerwartung geht es jedoch um solche Fragen: Was ist anders und besser, weil Sie da sind? Welchen Mehrwert bringt Ihre Arbeit für meine Arbeit?

Eine Rollenklärung mag einfach aussehen, sie ist aber leider nicht leicht, denn die Tücke steckt im Detail. Es bedarf Übung, um konfliktäre Erwartungen zu erkennen und Auswirkungen von Erwartungen abzuschätzen. Und es bedarf das nötige Handwerkszeug, um identifizierte Konflikte aufzulösen.

Neben den oben beispielhaft skizzierten prozessualen Erwartungen kommen hierarchische Rollenerwartungen hinzu. Ein leitender Angestellter ist nämlich - von oben und von unten - mit einer Fülle von unrealistischen und widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert. Welche Prioritäten darf er im Falle eines Konflikts setzen? Solange das für ihn selbst nicht geklärt ist, wird er im Interviewgespräch auch kein Erwartungsmanagement beim Bewerber betreiben können.

Die Auswirkungen einer fehlenden Rollenklärung spüren Interessenten nicht nur in Bewerbungsgesprächen sondern sie sind auch in unproduktiven Diskussionen und Abwehrhaltungen im Tagesgeschäft zu erkennen.

Fazit

Gewusst wie, ist man in einigen wenigen Wochen mit dem Gröbsten durch und die Schlüsselpersonen Ihres Unternehmens haben zuverlässige Orientierungsgrößen im Umgang miteinander. Der Austausch wird produktiver und Abwehrhaltungen lösen sich nach und nach auf.

Ein positiver Nebeneffekt: Sie werden nicht nur genau wissen, wen Sie rekrutieren wollen, sondern Ihr Rekrutierungsprozess wird realitätsnah ablaufen und die Gefahr einer Falschbesetzung ist minimiert. (bw)