Professionelles IT-Service-Management für KMUs

So geht ITSM im Mittelstand – 8 Empfehlungen

08.12.2014 von Dr. Alexander  Becker und Dr. Florian  Meister
Die Organisation ihrer IT-Services stellt viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) vor große Herausforderungen. Abhilfe kann ein professionelles IT-Service-Management schaffen. Dieser Artikel gibt Handlungsempfehlungen für typische Herausforderungen beim Gestalten einer effizienten und leistungsfähigen IT-Organisation.

Die zentrale Anforderung an die IT-Organisation eines Unternehmens lautet heute, sich von einem Kostenfaktor zum nutzbringenden Bestandteil in der Wertschöpfungskette zu wandeln. Dafür sind geeignete Methoden, Prozesse und am Ende auch Softwarelösungen erforderlich. Vor welchen Herausforderungen stehen gerade mittelständische Unternehmen in diesem Kontext und wie können sie sie meistern?

1. Flexibilität der Unternehmensstrategie sichern

Herausforderung: Eine der wesentlichen Stärken von KMUs ist ihre Flexibilität. Was für das Business ein signifikanter Wettbewerbsvorteil ist, ist jedoch für die IT oft eine große Herausforderung, wenn sie in einer bestehenden Infrastruktur stetig neue Anforderungen umsetzen muss.

Lösungsempfehlung: Es ist ein Bewusstsein innerhalb des Unternehmens zu schaffen, welchen Wert und welche Aufwände eine IT-seitige Flexibilität bedeutet. So sind beispielsweise IT-Applikationen, die besonders von der Flexibilität betroffen sind, möglichst durch die eigene IT-Abteilung zu betreiben. Gleichzeitig sollte frühzeitig ein Rahmen definiert werden, innerhalb dessen die IT flexible Services anbieten muss. Diese sind dann in der IT-Architektur zu berücksichtigen.

2. IT-Services strukturieren

Herausforderung: Eine oftmals zu beobachtende Schlussfolgerung aus der geforderten Flexibilität ist, dass IT-Services nicht strukturiert werden können. Das hat zur Folge, dass berechtigte Anforderungen der IT oftmals nicht umgesetzt werden. Als Anforderung wird z. B. häufig genannt, frühzeitig über neue Projekte informiert zu werden. Oder: bei neuen Projekten seien die Möglichkeiten und Grenzen der IT zu berücksichtigen, um eine umsetzbare Lösung zu finden. Bleiben die Anforderungen unbeachtet, folgen Missverständnisse und eine Verschlechterung des IT/Business-Alignments.

Lösungsempfehlung: Services können auch bei flexiblen Anforderungen definiert werden. Dabei wird herausgestellt, welche Grenzen, welche Vorlaufzeiten und welche Informationen die IT benötigt, um neue oder geänderte Anforderungen umzusetzen (Change Management für IT-Services). Dies ist gleichzeitig aber auch den Fachbereichen zu kommunizieren, damit ein gegenseitiges Verständnis geschaffen wird, wie und warum die IT frühzeitig einzubinden ist.

3. Best Practices nutzen und davon profitieren

Herausforderung: (Internationale) Best-Practices zur Steuerung der IT werden von KMU kaum genutzt. Vielmehr steht in der IT meist noch die technische Perspektive im Fokus, also die Sammlung von Hardware und Software, die "irgendwie" in nicht näher betrachtete Dienstleistungen eingebettet ist. Zur Strukturierung ihrer Services setzen größere IT-Organisationen dagegen meist seit langem auf das Management der IT-Services nach anerkannten Regelwerken wie z. B. die IT-Infrastructure Library (ITIL). Mittelständische Organisationen tendieren eher dazu "das Rad neu zur erfinden", da Ihnen die gängigen Standards zu komplex bzw. überdimensioniert erscheinen. So können Rollen, die in dem Regelwerk vorgesehen sind, oftmals nicht umgesetzt werden, weil es mehr Rollen als Prozessbeteiligte gibt.

Oft übernehmen in kleinen Unternehmen dann z. B. drei Personen das, was in einem größeren Unternehmen zehn Mitarbeiter erledigen. Das wird mittelfristig zum Problem. Viele Optimierungsansätze scheitern zum einen daran, dass Unternehmen es nicht schaffen, Prozesse basierend auf den unterkritischen Kapazitäten zu optimieren. Zum anderen funktionieren klassische prozessuale Ansätze im Mittelstand nicht. Skaleneffekte können demzufolge nicht realisiert werden. In KMUs sind häufig Generalisten am Werk, also Mitarbeiter, die viele Aufgaben auf einmal übernehmen. So ist es nicht unüblich, dass bei einem Mittelständler ein Service-Desk-Mitarbeiter Netzwerkkabel verlegt und umgekehrt.

Lösungsempfehlung: Vorbehalte gegenüber einer unreflektierten Einführung von ITIL sind durchaus berechtigt. Denn das ITIL-Framework mit seiner Vielzahl an Rollen und Prozessen ist ohne Anpassung für kleine und mittlere Unternehmen nicht realisierbar. Diese sollten ITIL als Framework auffassen, welches an die individuellen Bedarfe angepasst wird. Dann lässt sich die Leistungsfähigkeit von IT-Bereichen signifikant steigern, ohne großen Formalismus oder Überstrukturierung.

4. Ein praktikables Wissensmanagement etablieren

Herausforderung: In der Praxis von KMUs ist es oft so, dass viele Prozesse mangelhaft dokumentiert und Aufgaben "über den Tisch gereicht werden". Letztendlich verteilt sich das Wissen im Unternehmen dann auf wenige Knowhow-Träger, die die Aufgaben "schon immer" umgesetzt haben, die aber darüber auch keine Dokumentation führen.

So werden viele neue IT-Trends oft nicht umgesetzt, weil im Unternehmen noch nicht einmal klar ist, wie diese intern funktionieren - der Ist-Zustand wird nicht richtig erkannt.

Gleichzeitig ist es auch für Mittelständler wesentlich, Know-how aufzubauen. Denn kurz- bis mittelfristig ist es hochkritisch, wenn Wissen nur in wenigen "Köpfen" sitzt, sei es beim Weggang von Wissensträgern oder bei Wachstums- oder Fusionsprozessen, wo Wissen zeitnah dupliziert werden muss.

Lösungsempfehlung: Basis für jede Lösung ist ein Verständnis für die Kritikalität eines derart konzentrierten Wissen. Ist dieses Verständnis vorhanden, sind Maßnahmen einzuleiten, um einen Wissenstransfer zu gewährleisten, auch wenn dadurch die operative Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter eingeschränkt wird. Die Erfahrung zeigt, dass dies dann häufig der wesentliche Hinderungsgrund ist - Mitarbeiter haben keine Zeit, ihr Wissen weiterzugeben, da sie zu sehr im operativen Tagesgeschäft eingebunden sind.

5. Nicht jedem IT-Trend folgen

Oft geraten IT-Organisationen, auch unter dem Druck der Fachabteilungen, in die Versuchung, mit allen neuen Trends, Buzzwords und Modethemen Schritt zu halten. Dabei sind die Kernthemen zwar wichtig, etliche neue Trends wie Bring your own Device aber eben nicht zwangsläufig umzusetzen. Es fällt jedoch schwer, richtig zu entscheiden, welche Trends zukunftsweisend und welche nur Hype sind.

Lösungsempfehlung: Die Grundidee des Demand Management sollte auch in KMUs etabliert werden - und wenn es statt komplizierter Prozesse nur ein einfacher quartalsweiser Jour-fixe zwischen Geschäftsführung oder Fachbereichsmanagern und der IT-Leitung ist. Dabei ließe sich etwa über die Trendthemen sprechen. Gemeinsam könnten die Teilnehmer abwägen, ob eine Umsetzung im Unternehmen wirtschaftlich zielführend wäre.

6. Service-Erbringung zwischen Kernkompetenzen und Commodity differenzieren

Im Mittelstand sind die IT-Ressourcen in der Regel limitiert; gleichzeitig erfordern IT-Systeme ein hohes Maß an Spezialisierung und Fach Know-how. Eine oftmals diskutierte Antwort ist das Outsourcing oder die Verlagerung von Anwendungen in die Cloud. Die Erfahrungen hiermit sind jedoch mitunter ernüchternd, da zumeist unterschätzt wird, welche Auswirkungen die sich hieraus ergebende Standardisierung und geringere Flexibilität hat.

Lösungsempfehlung: Outsourcing- und Cloud-Strategien sind differenziert zu betrachten. Anwendungen, die direkt die Kernkompetenzen des Unternehmens betreffen und damit auch hohe SLA-Anforderungen haben, sollten tendenziell eher intern betrieben werden, Commodity-Anwendungen oder -Produkte sind tendenziell eher für ein Outsourcing geeignet. Hierbei ist jedoch grundsätzlich zu berücksichtigen, dass eine Serviceerbringung durch einen Dienstleister ein höheres Maß an Standardisierung auf der IT-Seite erfordert.

7. Cloud-Lösungen nur bei fachseitiger Standardisierung nutzen

Sollte sich ein Unternehmen für Cloud-Lösungen entscheiden, haben die Standardisierungsanforderungen nicht nur Auswirkungen auf die IT. Vielmehr sind insbesondere die Fachbereiche hiervon betroffen, da sowohl die Anwendungen an sich standardisierter sind als auch das Vorgehen bei Anfragen (bspw. Reaktionszeiten bei Incidents oder Vorgehen bei Change Requests). Die Erfahrung zeigt, dass Fachbereiche dies regelmäßig unterschätzen und einer Standardisierung zwar zustimmen. Die resultierenden Einschränkungen werden ihnen aber erst in der betrieblichen Praxis bewusst.

Lösungsempfehlung: Sollte sich ein Unternehmen für eine Cloud-Lösung entscheiden, ist ein Stresstest auf Fachseite zwingend erforderlich. Das bedeutet, dass einerseits faktenbasiert analysiert wird, welche Anforderungen an die IT tatsächlich gestellt wurden (u.a. durch Analyse der historischen Anfragen). Gleichzeitig sollte simuliert werden, welche Auswirkungen eine Standardisierung auf die bestehenden Abläufe hat. Diese Analyse muss sowohl den Ist-Zustand als auch - in Abgleich mit der Unternehmensstrategie - die zukünftigen Entwicklungen berücksichtigen. Zuletzt sind noch Exit-Strategien zu betrachten, um eine zu enge Bindung an einen Anbieter zu vermeiden.

8. Transparenz schaffen über die tatsächliche Leistungsfähigkeit der IT

Die Leistungen einer IT-Abteilung werden oftmals unterschätzt, da viele schlicht als "Hygienefaktoren" aufgefasst werden, die - solange sie laufen - nicht registriert werden. Sie fallen erst dann auf, wenn sie nicht funktionieren. Auch wird oftmals unterschätzt, wie häufig IT-Abteilungen "mal eben schnell" Anfragen bearbeiten oder Störungen lösen sollen, obwohl man sich mit Fachbereichen auf andere Reaktions- und Lösungszeiten geeinigt hat. Kernproblem ist, dass IT-Abteilungen oftmals weder die Faktengrundlage haben, um diese Leistungen nachzuweisen, noch ein unternehmensinternes Eigenmarketing betreiben (können), um diese Leistungen auch zu kommunizieren.

Lösungsansatz: Durch die Einführung eines Service Managements wird eine Transparenz geschaffen, welche Services die IT in welchem Umfang erbringt. Hierbei wird nicht nur dargestellt, wie oft man sich an die vereinbarten SLA gehalten hat, sondern über "VIP"-Tickets auch, wie häufig man deutlich mehr geleistet hat, als mit den Fachbereichen vereinbart wurde.

Fazit

Für die IT in mittelständischen Unternehmen ist es nicht zielführend, etablierte Vorgehensweisen und Standards aus Großorganisationen einfach übernehmen zu wollen. Deren Mächtigkeit ist oft kontraproduktiv für kleinere und agilere Organisationen. Genauso falsch ist es aber auch, diese Standards vollständig zu ignorieren und das Rad immer neu zu erfinden. Vielmehr müssen die Standards für den Mittelstand adaptiert und in einer Art "Light"-Version umgesetzt werden. Nur dann können KMUs von Best Practices profitieren, ohne dabei die Erfolgsfaktoren einer mittelständischen Organisation durch "Überregulierung" außer Kraft zu setzen. (wh)