So einfach wie möglich

06.07.2001
3Com wird mit den Geräten der NBX-Reihe dem Grundsatz "Radical Simplicity" durchaus gerecht. Nur hat die Einfachheit auch ihren Preis, wie unser Test zeigte.

Von: Carsten Rossenhövel, Dr. Klaus Plessner

lernt, erlaubt die Software nur das Nötigste.

"LAN-Telefonie und Konvergenz" ist eine der Kernkompetenzen, die sich 3Com nach mehreren Neuausrichtungen auf die Fahne geschrieben hat. Wie mit seiner Serie von LAN-Switches will der ehemalige Allround-Anbieter auch mit den von NBX übernommenen Telefonanlagen in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen ansprechen. Dementsprechend unterstützt das 3Com-Telefonsystem "NBX100" höchstens 150 Teilnehmer. Es wird seit zwei Jahren auf dem US-amerikanischen Markt angeboten und soll mit zusätzlichen ISDN-Schnittstellen auch in Europa Fuß fassen. Hier will 3Com auch die größere Variante "NBX750" einführen, die bis zu 600 Teilnehmer bedient.

Dass wir im Zusammenhang mit dem Testkandidaten geflissentlich den Begriff "Voice-over-IP-Anlage" vermeiden, hat seinen Sinn. Denn das Telefon "spricht" nicht IP, sondern das proprietäre und rein auf Ethernet-Frames gestützte Protokoll "H3NIP". Ein spezielles IP-Protokoll benutzen die Systemkomponenten nur dann, wenn sie über Segmentgrenzen hinweg kommunizieren. In kleinen Netzen aus nur einem Segment braucht der Anwender daher für die Telefone keine IP-Adressen zu definieren. Eine Vereinfachung, die 3Com mit dem Firmenmotto "Radical Simplicity" begründet. Der Hersteller will auf diese Weise eine Plug-and-Play-Telefonielösung schaffen; denn der gängige H.323-Standard und das darunter liegende Internet-Protokoll seien für viele Anwender zu komplex und sehr aufwändig zu konfigurieren.

Proprietäre Technik

Zweifellos werden viele Kunden dieses Konzept der simplen Bedienung begrüßen. Der Haken daran ist, dass sie dadurch an einen Hersteller gebunden sind, weil die Telefone von 3Com mit Geräten anderer Firmen nicht zusammenarbeiten. Abhilfe soll ein H.323-Gateway schaffen, das laut Hersteller als separate Software in Vorbereitung ist.

3Com lieferte zum Test folgende Komponten des NBX-Systems: zwei "NBX Call Processor", davon einen für die Anrufverwaltung und einen als Gateway zum ISDN-Netz und der analogen Telefonwelt, zwei Telefonapparate "NBX100 Business Phone", den PC-Software-Client "NBX PC-Xset" und einen Analogadapter für den Anschluss von Faxgeräten.

Der PC-Client "PC-Xset" war leicht zu installieren. Die Software läuft unter allen Windows-Varianten. Als Systemvoraussetzung gibt 3Com "einen modernen PC mit 128 MByte Arbeitsspeicher" an. Außerdem benötigt der Client das E-Mail-Programm "Microsoft Outlook Express" und eine PCI-Soundkarte für den Vollduplex-Betrieb. Das Programm konnten wir nach einer kurzen Schulung problemlos bedienen; und es erfüllte seinen Zweck. Eine Oberfläche, die sich den Wünschen der Benutzer anpassen lässt, hat sie allerdings nicht zu bieten. Das ist kein Einzelfall, denn die meisten VoIP-Hersteller legen unserer Ansicht nach auf die Ergonomie ihrer Produkte noch viel zu wenig Wert. Noch ein Mangel an Komfort: Bislang bietet 3Com kein Handset an, welches das Softwaretelefon ergänzt. Der Lösung fehlt ein Hörer, den der Benutzer von der Gabel nimmt und nach einem Gespräch wieder auflegt. Wohl aber zählt ein analoger Terminaladapter für den Anschluss von Faxgeräten zu den möglichen Ergänzungen.

Einfache Bedienung

Das IP-Telefon "NBX100 Business Phone" ist mit einem ausreichend großen Display, einer Lautsprechfunktion und individuell belegbaren Softkeys gut zu bedienen. Einstellungen nimmt der Administrator zentral über das Web-Interface des Call-Prozessors vor. Auf Wunsch arbeitet er auch vor Ort. Er muss dann allerdings mit umständlichen Sequenzen aus Tastenbefehlen hantieren. Eine TAPI-Schnittstelle (Telephony Application Program Interface) erlaubt die Fernbedienung des Business Phone durch einen PC.

Das Telefon wird über einen eingebauten 10-MBit-Ethernet-Hub mit zwei Ports ans Netz gehängt. Der Extraport dient zum Anschluss eines Arbeitsplatz-PCs. Dabei entspricht die Technik nicht mehr dem neuesten Stand, denn mittlerweile sind 100-MBit-Leitungen die Regel. Der Strom kommt entweder aus einem externen Netzteil oder aus einer "3Com Ethernet Power Source", einem Gerät, das die Betriebsspannung auf unbenutzte Pins des Kat.-5-Kabels legt. Bei diesem von 3Com entwickelten, nicht zur 802.3af-Norm kompatiblen System, greift das Telefon die Netzspannung mit einem Splitter von der Ethernet-Leitung ab. 802.3af definiert die Ethernet-Spannungsversorgung für Appliances ohne eigene Stromversorgung. 3Com arbeitet jedoch nach eigenen Angaben an einer standardkonformen Lösung.

Der Call-Prozessor ist eine Erweiterung des 3Com-Switch "Superstack III". Er arbeitet auf der Basis eines Unix-Derivats und lässt sich vom Administrator mithilfe eines komfortabel gestalteten Web-Interface verwalten. Eingebaut ist ein Anrufbeantworter mit einer Voice-Mail-Funktion, den die Benutzer über eine Imap-Schnittstelle mit ihrem E-Mail-Client erreichen. Damit seine Botschaften automatisch an einen Exchange-Server gehen, muss der Anwender diesen so umprogrammieren, dass er die Nachrichten vom Call-Prozessor via Polling abholt.

Die 3Com-Variante der "Interactive Voice Response" (IVR) hat uns dagegen sehr gut gefallen: Jeder Benutzer kann damit seine persönliche Mailbox einrichten; ein Anrufer wird per Klick weitervermittelt oder mit Informationen versorgt. Dazu kann der Administrator komplexe Menüstrukturen anlegen. Ansagetexte nimmt das System auf, indem es die Nebenstelle des Sprechers anruft.

Akzeptable Sprachqualität

Die Übertragung der Daten innerhalb eines LANs findet auf der Ethernet-Ebene statt, und zwar mit dem nicht komprimierenden Codec G.711. Ein Gespräch benötigt deshalb rund 100 kBit/s an Bandbreite. Zwar ist das Telefonnetz im LAN nicht auf ein Segment beschränkt, weil aber der Codec die Daten nicht komprimiert, taugt das Telefon nicht für schmalbandige IP-Verbindungen mit Außenstellen oder Heimarbeitsplätzen. Unsere Teleworking-Testszenarien mit einer simulierten Modem- oder ISDN-Verbindung lieferten daher keine brauchbaren Ergebnisse. ADSL-Szenarien waren möglich, aber mit mäßiger Qualität. Denn eine Datenrate von 128 kBit/s im Upstream reichte nur knapp aus und konnte Verzögerungen und Aussetzer nicht verhindern. Im LAN wurde der MOS-Wert 3,8 erreicht - ein akzeptables, wenn auch nicht überragendes Ergebnis, denn es ist bereits ein deutlicher Qualitätsunterschied zu ISDN hörbar.

Fazit

Die LAN-Telefonie-Lösung von 3Com weicht in mehrerlei Hinsicht vom Mainstream ab: Das für kleine und mittlere Unternehmen angebotene System soll durch eine Beschränkung auf das Wesentliche sehr einfach zu bedienen und außerdem zuverlässig sein. Der Hersteller hat nicht zu viel versprochen, mittelständische Unternehmen, die eine simple Lösung suchen und nicht auf Skalierbarkeit angewiesen sind, kommen damit auf ihre Kosten. Allerdings nutzt das Produkt an mehreren Stellen "selbst gestrickte" Verfahren, die eine Kombination mit Voice-over-IP-Geräten anderer Hersteller ausschließen.