Virtualisierung & Co.

So bringen Sie Linux unter Windows zum Laufen

19.04.2015 von Stephan Lamprecht
Parallel zu Wine für Linux gibt es auch für Windows ein Pendant, das Linux-Systeme und -Tools im fremden OS lauffähig macht.

Der klassische Weg Linux und Linux-Software unter Windows zu starten (neben einer Multibootumgebung) führt über eine virtuelle Maschine. Die Arbeitsweise mit einem Virtualisierer wie Vmware oder Virtualbox unter Windows unterscheidet sich nicht wesentlich von der umgekehrten Richtung unter Linux.

Für den Fall jedoch, dass dies zu umständlich ist, gibt es Pendants zu Wine und Playonlinux, die unter Windows eine Unix-API (Application Programming Interface) für Linux-Software bereitstellen. Der Einsatz dieser Komponenten, die dieser Beitrag vorstellt, setzt einige fundamentale Linux-Kenntnisse voraus und eignet sich nur für erfahrenere Anwender.

Eine ideale Lösung sind Methoden wie Cygwin insbesondere in jenen Fällen, wo öfter einmal kleinere Linux-Tools benötigt werden, die keine Virtualisierung und noch weniger ein Um-Booten rechtfertigen.

Cygwin mit erstaunlichem Umfang

Setup-Programm von Cygwin: Hier stellen Sie die benötigten Pakete mit Klick auf das runde Symbol zusammen. Die Vorgabe „Default“ wechselt daraufhin zu „Install“.

Mit Cygwin nutzen Sie Linux-Programme ohne virtuelle Maschine. Cygwin funktioniert als Vermittlungsschicht zwischen Windows auf der einen Seite und den Linux-Programmen auf der anderen. Die wesentlichen Komponenten erscheinen in Form von DLL-Dateien (wie „cygwin1.dll“) im Ordner „/bin“ der Cygwin-Installation. Die Linux-Anwendungen finden damit die Schnittstellen und Bibliotheken vor, die sie auch bei einer lokalen Installation benötigen. Cygwin kümmert sich um die Übersetzung der Funktionsaufrufe und gibt sie dann an das Betriebssystem weiter. Das Ergebnis ist eine exzellente Bash-Shell einschließlich der meisten Kommandozeilen-Tools und eine (mehr oder weniger) friedliche Koexistenz von grafischen Linux-Anwendungen und Windows-Fenstern auf dem Windows-Desktop. Cygwin erhalten Sie auf der www.cygwin.com als ausführbare Setup-Datei für 32- und 64-Bit-Windows. Im Zweifel verwenden Sie die Tastenkombination Win-Pause, um unter den so gestarteten Basisinformationen den Systemtyp zu ermitteln. Starten Sie dann die Installation mit einem Doppelklick, und entscheiden Sie sich im ersten Schritt für eine Installationsart. Nutzen Sie am besten die Option „Install from Internet“. Danach legen Sie fest, wo sich der Stammordner der Installation befinden soll und ob Sie den Zugriff auch anderen Nutzern des Windows-Systems erlauben wollen. Das Setup möchte anschließend noch wissen, wo die heruntergeladenen Dateien abgelegt werden. Dieser Ordner bleibt dann auch später der Zielort für Pakete, die Sie nachträglich installieren. Jetzt suchen Sie sich noch einen (im Prinzip beliebigen) Mirror-Server aus, von dem Sie die Programme herunterladen.

Viel Linux, wenig Windows: Mit Cygwin arbeiten Linux-Desktop und Windows friedlich nebeneinander, in diesem Fall ist es eine XFCE-Umgebung.

Danach gelangen Sie zum wichtigsten Dialog der Setup-Routine, denn hier müssen Sie entscheiden, welche Programmpakete Sie installieren wollen. Treffen Sie keine Auswahl, installiert Cygwin lediglich ein Terminal. Viele Cygwin-Benutzer übergehen diesen wichtigen Schritt unbedacht und sind anschließend enttäuscht, außer dem Terminal keine Linux-Anwendungen vorzufinden. Installieren Sie hier zum Beispiel alle Pakete unter „Xfce“ oder unter „X11“. Dazu müssen Sie nur neben dem Eintrag das kleine Symbol „Default“ anklicken, das sich dann zu „Install“ ändert. Eine detailliertere Komponentenauswahl lässt sich auf Wunsch in der unten aufklappenden Liste treffen.

Haben Sie die Wahl abgeschlossen, beginnt die Übertragung der Programmpakete. Je nach Menge der ausgewählten Pakete kann dieser Schritt einige Zeit beanspruchen und auch beträchtliche Datenmengen produzieren.

Fehlende Programme für Cygwin: Über die ursprüngliche Setup-Datei lässt sich der Software-Umfang jederzeit nachträglich erweitern. In diesem Beispiel installieren wir den Midnight Commander nach.

Das virtuelle Linux starten Sie mit einem Doppelklick auf die neu entstandene Desktop-Verknüpfung „Cygwin Terminal“. Damit erscheint ein klassisches Linux-Terminal, mit dem Sie dann weitere, auch grafische Programme starten. Der Befehl

startxfce4

im Terminalfenster ruft eine vollständige XFCE-Arbeitsumgebung auf den Bildschirm. Diese speichert auch Optionen und Bearbeitungsstände.

Um statt eines kompletten Linux-Desktops ein einzelnes grafisches Programm zu laden, laden Sie mit dem Cygwin-Terminal erst einmal den X-Server mit

startx

Danach erhalten Sie in einem Xwin-Fenster erneut eine Konsole, in der Sie dann beliebige grafische Programme starten – etwa den Dateimanager Thunar mit der Eingabe thunar.

Vorgabe in den Andlinux-Voreinstellungen: Gönnen Sie dem virtuellen Linux besser deutlich mehr Arbeitsspeicher, sofern es die RAM-Ressourcen zulassen.

Breite Auswahl an Programmen für Cygwin: Welche Linux-Programme Sie aktuell aufrufen können, kontrollieren Sie einfachsten im Verzeichnis „/bin“ des Stammverzeichnisses, in das Sie Cygwin installiert haben. Den Umfang der Pakete können Sie jederzeit nachträglich anpassen. Allerdings gibt es bei Cygwin keinen Paketmanager, wie Sie ihn von Linux-Distributionen kennen. Stattdessen rufen Sie das zur Installation benutzte Setup-Programm („setup-x86-64[32].exe“) erneut auf und gehen mehrmals mit „Weiter“ bis zur Seite mit der Paketauswahl. Durch eine neue Auswahl wird der bereits vorhandene Bestand der Cygwin-Installation nicht überschrieben, sondern lediglich um die neuen Pakete ergänzt, die Sie jetzt auswählen. Aufgrund dieses einfachen Konzepts ist auch das Entfernen von Cygwin ganz einfach: Sie beenden alle Prozesse einschließlich des Cygwin-Terminal und starten den Rechner am besten einmal neu, um sicherzugehen, dass Sie keine laufende Anwendung übersehen haben. Dann löschen Sie einfach das Cygwin-Installationsverzeichnis mit dem Windows-Explorer.

Systemanmeldung auf der virtuellen Konsole: Eine grafische Anmeldung gibt es natürlich nicht. Erst nach dem Log-in können Sie Anwendungen und den Grafik-Server starten.

Etwas Erfahrung im Umgang mit Linux-Systemen brauchen die Benutzer von Cygwin zweifellos. So ist nicht immer ganz einfach zu entscheiden, ob ein Programm direkt aus dem Terminal von Cygwin aufgerufen werden kann oder erst der X-Server mit startx geladen werden muss. Wer sich aber etwas in das System einarbeitet, findet in Cygwin eine schnelle Möglichkeit vor, um Linux-Programme wie Emacs, einen SSH-Server oder auch das Textsatzsystem Tex rasch zu installieren und zu benutzen. Alle Dokumente und Dateien, die Sie unter Cygwin anlegen, sind im Ordner „/cygwin/home“ innerhalb des Stammverzeichnisses der Cygwin-Installation jederzeit auch unter Windows zugänglich.

Colinux-Varianten für älteres Windows

Die nachfolgend vorgestellten Lösungen Andlinux oder Speedlinux funktionieren auch unter neuerem Windows, eigenen sich aber besonders für 32-Bit-Rechner mit älterem Windows Vista oder XP.

Andlinux und Speedlinux basieren auf Colinux (Cooperative Linux), das eine besondere Form der Virtualisierung entwickelt hat, die direkt die Hardware-Komponenten des Hauptsystems mitbenutzt. Das unterscheidet sie fundamental von klassischen Virtualisierungen, wo das Wirtbetriebssystem stets die volle Kontrolle über die virtuelle Gastumgebung behält.

Andlinux und Speedlinux ähneln sich in vielerlei Hinsicht, unterscheiden sich technisch und unter der Haube aber doch deutlich voneinander. Macht also zum Beispiel die Installation von Andlinux Probleme, kann es sich lohnen, Speedlinux auszuprobieren – oder umgekehrt. Andlinux wird aktuell nicht mehr weiterentwickelt. Das bedeutet, dass sowohl die Basis als auch die mitgelieferten Anwendungen auf einem älteren Stand sind. Die Installation starten Sie wie jedes andere Windows-Setup-Programm einfach per Doppelklick. Der Assistent begleitet Sie durch die einzelnen Schritte. Entscheiden sich im Setup für die aktuellere Version von Colinux. Im nächsten Schritt legen Sie fest, wie viel Arbeitsspeicher Sie dem virtuellen Linux gönnen wollen. Je höher Sie diesen Wert wählen, desto schneller arbeiten die Gastanwendungen, allerdings auf Kosten der Arbeitsgeschwindigkeit unter Windows.

Die voreingestellten 256 MB sind etwas knapp bemessen. Versuchen Sie also einen etwas höheren Wert. Bei der Auswahl von Xming belassen Sie es bei den Voreinstellungen. Es handelt sich dabei um eine Spezialausgabe eines X-Servers, der die Grundlage für die Nutzung von grafischen Anwendungen bildet. Anwendungen und Andlinux können Sie auf unterschiedliche Weise starten. Diese konfigurieren Sie ebenfalls innerhalb des Setups. Schließlich legen Sie noch den Benutzernamen für Linux und dessen Passwort fest. Wenn Sie es zulassen wollen, dürfen Ihre Linux-Anwendungen auf das gesamte Dateisystem von Windows zugreifen. Dieser Zugriff wird mittels Samba umgesetzt. Allerdings funktioniert dies in der Praxis oft etwas schwerfällig. Einen Versuch ist es indes wert.

Nachdem Sie alle Angaben gemacht haben, heißt es, etwas Geduld aufzubringen. Installation und Einrichtung dauern eine Weile. Je nach eingesetzter Windows-Version werden Sie auch Warnhinweise erhalten oder müssen den Änderungen am Betriebssystem manuell zustimmen. Dies betrifft auch die Einrichtung von Treibern, die naturgemäß nicht von Microsoft zertifiziert werden konnten. Akzeptieren Sie also den entsprechenden Warnhinweis. Meldet das Setup die erfolgreiche Installation, starten Sie den Rechner neu.

Auf dem Desktop und dem Startmenü finden Sie jetzt die Einträge, um Andlinux aufzurufen. Dieser erste Start des Systems kann insbesondere auf älterer Hardware einige Zeit in Anspruch nehmen. Lassen Sie den Computer seine Arbeit tun, um Verzeichnisstrukturen und den X-Server zu konfigurieren. Am Ende wird auf dem Desktop ein Terminal-Fenster sichtbar, das Sie für die Anmeldung mit dem vorher vergebenen Benutzernamen verwenden können. Anwendungen starten Sie mittels des kleinen Panels, das Ihnen auf dem Windows-Desktop eingeblendet wird, oder Sie verwenden den Schnellstarter, der sich über den Eintrag „Menu“ aufrufen lässt. Im Systray-Abschnitt genügt anschließend ein Klick auf das Icon, um eine der installierten Linux-Anwendungen zu starten oder sich die Systemeinstellungen des Gastsystems aufzurufen.

Hübsches Speedlinux mit Schnellstarter-Menü (rechts): Damit haben Sie alle von den Entwicklern bereitgestellten Programme schnell bei der Hand.

Um Speedlinux zu verwenden, besuchen Sie die Seite http://sourceforge.net/projects/freetzlinux/, um dort die 32-Bit-Version auszuwählen (mit dem für Fritzbox-Tuning spezialisierten Freetzlinux hat das nichts zu tun – eine unglückliche Namenskonfusion). Auch hier erhalten Sie eine EXE-Datei als Installer. Das Setup verläuft in weiten Teilen identisch zu Andlinux. Allerdings stellt das Setup eine größere Anzahl von Ubuntu-Versionen zur Auswahl. Erst danach beginnen der eigentliche Download der Umgebung und deren Einrichtung. Die weiteren Schritte der Installation verlaufen parallel zu Andlinux. Sie müssen hier ebenfalls Benutzernamen und Passwort vergeben. Nach dem Neustart des Systems starten Sie das virtuelle Linux über die neu entstandene Programmverknüpfung unter Windows.

Cygwin & Co.: Pro und Contra

Wie unsere Kurzvorstellungen zeigen, gibt es Methoden, Linux-Programme auch ohne Virtualisierer unter Windows zu benutzen. Wer Freunden und Bekannten nur einmal schnell die wichtigsten Elemente einer Software zeigen will, findet mit Speedlinux oder Andlinux die wahrscheinlich einfachere Lösung. Der Software-Umfang ist aber vergleichsweise eingeschränkt, und die Interaktion mit Dokumenten, die unter Windows abgelegt sind, ist nicht ganz trivial. Cygwin auf der anderen Seite erscheint auf den ersten Blick etwas unzugänglich, zudem ist das grafische Ergebnis puristisch funktional und alles andere als schick. Wer sich jedoch auf diese Kompatibilitätsschicht, die sogar Linux-Programme unter Windows kompilieren kann, etwas näher einlässt, wird belohnt: Der Austausch von Dokumenten Richtung Windows könnte nicht einfacher sein, und die Arbeitsgeschwindigkeit der Anwendungen ist mehr als ansprechend. Der Umfang der installierbaren Pakete ist umfassend und auch nachträglich über die Setup-Routine bequem erweiterbar.

Portierte Programme

Wollen Sie lediglich ein bestimmtes unter Linux bekanntes Programm unter Windows nutzen? Zahlreiche prominente Linux-Anwendungen wie Emacs, Scribus, Gimp, Inkscape oder Libre Office wurden auf die Windows-Umgebung portiert. Das ist besonders für technisch weniger versierte Nutzer der einfachste Weg, Linux-Software unter Windows zu verwenden. Die Open-Source-Programme sind bei vielen seriösen Websites wie www.pcwelt.de verfügbar und verhalten sich wie jedes andere Windows-Programm. Zu den Nachteilen gehört, dass die Windows-Varianten oft hinter den brandaktuellen Linux-Versionen hinterherhinken. Portierungen sind also nichts für Nutzer, die stets mit der aktuellsten Fassung arbeiten wollen oder müssen. Ein weiterer Nachteil ist, dass die Windows-Varianten oft langsamer sind als die nativen Linux-Pendants – deutlich etwa Gimp oder Libre Office.

(PC-Welt/ad)