Service-Boom im Web-Hotel

10.03.2000
Internet und E-Commerce machen auch vor den Stadtnetzbetreibern nicht halt. Citycarrier kommen daher nicht umhin, den Wandel zu Serviceunternehmen zu vollziehen. Oder sie suchen einen Platz in der Spezialistennische.

Von: Konrad Buck

Wie an den ersten Schienensträngen durch den wilden Westen entstehen auch an den Hauptverkehrswegen und den Knotenpunkten der neuen TK-Strecken die alten Dienstleistungsbetriebe im neuen Gewand: Hotels, Saloons und Stores. Weil sie die "Go West"-Mentalität einfach im Blut haben, sind es vor allem US-Unternehmen, die den hiesigen Netzbetreibern vormachen, wie das Netz-Business funktioniert. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie beispielsweise der Stuttgarter Tesion geben Carrier wie Viatel, Colt oder Global Crossing die Richtung vor: Bandbreite, Web-Hosting und IP-Services.

Mit der Einweihung seines Frankfurter Internet-Solution-Centers (ISC) am 11. Februar adressierte die Colt Telecom GmbH aus Frankfurt am Main den Zukunftsmarkt Web-Hosting und Web-Housing. Das "Web-Hotel" von Colt bietet wegen seiner ausgeklügelten Gebäude- und Telekommunikationstechnik eine sichere und gleichzeitig wirtschaftliche Umgebung für Internet-Plattformen und -Anwendungen von Geschäftskunden. Das europäische Telekommunikationsunternehmen mit eigenem Glasfasernetz für Sprach-, Daten- und Internet-Dienste verfügt derzeit über weitere Internet-Solution-Center in Amsterdam, London und Paris sowie demnächst in Madrid, Mailand, Stockholm, Wien und Zürich.

Analysten zufolge wird der Markt für Web-Hosting und Web-Housing in den nächsten Jahren regelrecht explodieren. Nach einer Studie von Research International (www.research-int.com), einem Marktforschungsinstitut mit Präsenz in über 130 Ländern, beläuft sich das Marktpotenzial für das Jahr 2000 in Deutschland auf rund 700 Millionen Mark. Europaweit wird bis 2003 ein Wachstum auf sechs bis acht Milliarden Mark prognostiziert.

Wachstumsraten von 300 Prozent für Web-Hosting

Erstmals will der Anbieter für Web-Hosting und Web-Housing auch Unternehmen außerhalb Europas ins Visier nehmen.

"Bislang stehen die meisten Web-Server noch in den USA", merkt Colt-Chef Horst Enzelmüller an und gibt für Europa und insbesondere die Bundesrepublik folgende Richtung vor: "Ziel ist es, mit unseren Internet-Solution-Centern mehr Server und damit auch Web-Inhalte nach Deutschland zu holen, um mehr Internet-Traffic auf europäischen Netzen zu realisieren."

Nach einer aktuellen Studie von IDC stellt das Web-Hosting mit einem gegenwärtigen Volumen von weltweit 1,8 Milliarden Dollar und jährlichen Wachstumsraten von über 300 Prozent global gesehen bereits einen etablierten Markt dar. Die Unternehmen in Europa haben diesen Service gerade für sich entdeckt und es gibt erst wenige Dienstleister mit einem professionellen Angebot. Allerdings gehen Marktanalysten mit relativ übereinstimmenden Prognosen davon aus, dass bereits kurzfristig auch in Deutschland eine sehr dynamische Nachfrageentwicklung einsetzen wird. Das Marktforschungsinstitut IDC beispielsweise definiert insbesondere größere Unternehmen und Internet-Serviceprovider (ISP) als Kundengruppen dieser Dienstleistung.

Die Kunden erhalten für ihre Web-Anwendungen eine direkte Anbindung an den IP-Backbone von Colt. Die Gebäudeanschlüsse sind für ein gleichzeitiges Übertragungsvolumen von 2,5 GBit/s ausgelegt. Auf Basis der SDH-Technik (SDH = Synchrone Digitale Hierarchie) betreibt der Anbieter ein "City-Netz im Gebäude" - mit einer Ethernet-Connection von bis zu

1000 MBit/s. Ein aktives Bandbreitenmanagement von 256 KBit/s bis 45 MBit/s bildet dabei die veränderlichen Leistungsanforderungen der Kunden flexibel ab.

Deutschland ist Schlüsselmarkt

Finanzmetropolen wie Frankfurt winken gleich mehreren Anbietern leistungsstarker Netze und passender IP-Services mit lukrativen Geschäften. Neben der bereits seit mehreren Jahren hier ansässigen Colt Telecom GmbH will jetzt auch der US-Carrier Global Crossing via Frankfurt - und weiterer Netzknotenpunkte - im Sprach- und Datenübertragungsgeschäft mitmischen. Knapp zwei Monate nach der Inbetriebnahme des Europanetzes Pan European Crossing (PEC) eröffnete Global Crossing (www.globalcrossing.com) am 16. Februar 2000 in Frankfurt seine deutsche Niederlassung. Von hier aus werden in Zukunft alle deutschen Kunden betreut und der weitere PEC-Ausbau in Deutschland vorangetrieben. Global Crossing baut und betreibt das eigenen Angaben zufolge mo-dernste IP-basierende Glasfasernetz der Welt. In den vergangenen fünf Monaten konzentrierte sich das amerikanische Unternehmen auf den Aufbau des deutschen Teils von PEC. Ende vergangenen Jahres hatte der Anbieter mit Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover und Hamburg die ersten fünf Städte in Deutschland an PEC angeschlossen. Bis Mai 2000 werden sechs weitere Städte folgen: Berlin, Dresden, Leipzig, Nürnberg, München und Stuttgart.

"Mit seinen 82 Millionen Einwohnern und einem enormen Internet-Marktpotenzial ist Deutschland für uns ein Schlüsselmarkt", sagte Bob Annunziata, CEO von Global Crossing, in Frankfurt. In das Geschäft mit Web-Hosting- und -Housing-Services will Global Crossing allerdings erst bis Ende 2000 einsteigen. Bis dahin soll in Frankfurt ein so genanntes "Global Center" errichtet werden. Der Geschäftsbereich Global Center Inc., bislang in mehreren Städten in den USA, Großbritannien und Australien aktiv, betreut derzeit rund 300 Internet-Firmen wie beispielsweise Yahoo, The Motley Fool, Ziff Davis, MP3.com und eToys. In Europa haben Carrier wie Swisscom oder Cable & Wireless bereits ganze PEC-Glasfaserstrecken von Global Crossing gekauft oder gemietet. Zu den Seekabel-Kunden gehören neben MCI Worldcom, Level 3 auch die Deutsche Telekom, Telecom Italia und France Télécom.

Gegen solche Konkurrenz können sich die nationalen Mitspieler im Citycarrier-Geschäft nur mit enormen Kraftanstrengungen behaupten. Einer der TK-Davids, die Stuttgarter Tesion Kommunikationsnetze Südwest GmbH & Co. KG, startete jetzt in Richtung eines bundesweiten Telekommunikationsnetzes. Zusammen mit dem Netzinfra-strukturlieferanten Carrier1 soll das neue Glasfasernetz bis Mitte des Jahres einsatzbereit sein. Um den Ausbau möglichst zügig voran- zubringen, hat die Tochter der EnBW AG und der Swisscom AG Teile des Glasfasernetzes vom paneuropäischen Netzbetreiber Carrier1 gekauft und will bis Juni 2000 einen deutschlandweiten Ring aufgebaut haben. Bis zum Jahresende sollen bundesweit 23 so genannte POI (Points of Interconnect - Übergabepunkte vom Netz der Deutschen Telekom an das Tesion-Netz) in Betrieb sein.

TK-Davids mischen munter mit

Neben dem klassischen Sprachverkehr wird das TK-Netz für das Geschäft mit Daten und Bandbreiten genutzt. Daneben steht Tesion auch anderen Telekommunikationsgesellschaften als Netzbetreiber zur Verfügung, zumal das Carriers-Carrier-Geschäft im letzten Jahr enorm an Bedeutung gewonnen hat. Am Ende der Ausbauphase wird Tesion über ein Glasfasernetz in DWDM-Technik (Dense Wavelength Division Multiplexing) mit einer Gesamtlänge von mehr als 5500 Kilometern verfügen. Insgesamt wird der Regionalnetzbetreiber mit bundesweiten Ambitionen in den nächsten drei Jahren über 500 Millionen Mark in den Netzausbau investieren. Tesion vermittelt heute 4,1 Millionen Gesprächsminuten täglich, Tendenz steigend. Das Verhältnis Sprach-/Datenverkehr liegt bei 60:40, wobei es sich beim Datenverkehr hauptsächlich um gemietete Bandbreite von Geschäftskunden handelt. Das Segment Carriers-Carrier macht bei Tesion gegenwärtig 18 Prozent des Umsatzes aus.

Hansenet integriert Richtfunk

Zweiter im Bunde der wichtigen Mitspieler ist die Hamburger Hansenet Telekommunikation GmbH. Das Unternehmen wickelt heute rund zwei Millionen Gesprächs-minuten pro Werktag ab. Insgesamt betrug der Absatz im Jahr 1999 rund 320 Millionen Minuten, im Plan für das Jahr 2000 stehen 650 Millionen Gesprächsminuten. Noch überwiegt indes der Sprachverkehr den Datenverkehr deutlich. Der Umsatz für das Jahr 1999 betrug 33 Millionen Mark bei 130 Mitarbeitern. Der operative Break-even ist für 2001 geplant.

Hansenet hat mehr als 540 Kilometer Glasfaserkabel in Nutzung, davon rund 300 Kilometer eigene Lichtwellenleiter. Pro Jahr verlegt das Unternehmen rund 90 bis 100 Kilometer Bandbreitennetz. Dar-über hinaus hat Hansenet Zugriff auf mehr als 15 000 Kabelschächte und Optionen auf ein flächendeckendes Kupfernetz in Hamburg mit knapp 10 000 Kilometern Kabellänge. Das Unternehmen betreut derzeit rund 2400 Geschäfts- und 8300 Privatkunden.

Die drei Anschlussarten sind der Direktanschluss über eigene Glasfaser, der entbündelte Zugang über gemietete Telefonanschlussleitungen der DTAG sowie Verbindungen über Punkt-zu-Multipunkt-Richtfunk (PMP) ab Juli 2000. Bis dahin wird der Hansenet-Partner Firstmark Communications Deutschland GmbH 15 Basisstationen für den Anschluss per PMP im Hamburger Stadtgebiet aufgebaut und mit der Hansenet-Infrastruktur verbunden haben. Zu den Hansenet-Angeboten im Bereich Sprache zählen neben dem Call-by-Call-, Preselection- und Direktanschluss-Modus günstige Mobilfunktarife, letztere allerdings erst ab Mai 2000, sowie Services auf Basis von 0800er- und 0180er-Rufnummern. Darüber hinaus werden VPN-Dienste und Centrex-Lösungen auf Projektbasis angeboten.

Eher klassisch, wenn auch in der Region erfolgreich, ist das Leistungsspektrum der Net Cologne Gesellschaft für Telekommunikation mbH (www.netcologne.de). Zum Verbreitungsgebiet des Anbieters gehören die Region Köln mit der Stadt Köln und umliegenden Gemeinden wie die Städte Hürth, Brühl, Frechen und Bergisch Gladbach. Das Unternehmen plant den weiteren Ausbau im Regierungsbezirk Köln im Jahr 2000, und zwar in die Zonen Erftkreis, Leverkusen, Rhein-Sieg-Kreis und Bonn. Die derzeit rund 360 Mitarbeiter betreuen etwa 57 000 Telefonanschlüsse, davon 8000 im Geschäftskundenbereich. Weiterhin verteilt sich die Nutzungsweise auf zirka 37000 Internet- und etwa 38000 Breitbandkabel (BK)-Kunden.

Klassiker leben gut in der Nische

Im BK will Net Cologne ihre bisher 60 000 Vertragskunden sukzessive weiter aufschalten. Das Gesprächsvolumen beträgt derzeit durchschnittlich 5,4 Millionen Minuten pro Tag. Der Stadtnetzbetreiber verfügt über 2000 Kilometer Glasfaser- und 2200 Kilometer Kupferkabel. Im Zeitraum 1995 bis 2004 investiert Net Cologne insgesamt 500 Millionen Mark, davon 100 Millionen im Jahr 1999. Im Geschäftsjahr 1998 betrug der Umsatz 58 Millionen Mark, 1999 konnte auf zirka 112 Millionen zugelegt werden.

Net Cologne hofft, die Gewinnschwelle im Jahr 2002 zu erreichen. Der Citycarrier hat keine Partnerschaft mit einem PMP-Richtfunk-Anbieter und wird entweder weiter direkt anschließen oder per Interconnect mit der DTAG arbeiten. Bei den Ortsgesprächen liegt der Anbieter immer noch mit Abstand (über 20 Prozent) unter dem Preis der DTAG. Ausserdem tritt Net Cologne als ISP auf, sieht sich auch in diesem Bereich als preisgünstiger als alle, beispielsweise AOL und TOL und baut das BK-Netz weiter aus.

Circe verbindet Citynetze

Doch den Netzinselchen der kleineren bis mittleren Stadtnetzbetreiber stehen immer drohender die dicken Netzadern und Verbindungsgeflechte international operierender Gesellschaften gegenüber. So ist die ebenfalls in Frankfurt ansässige Viatel GmbH derzeit im Begriff, im Bereich Citynetze zu starten. Für Geschäftskunden in Westeuropa installiert Viatel künftig extrem günstige und schnelle Breitbandverbindungen zwischen den Bürogebäuden innerhalb einer Stadt so-wie zwischen verschiedenen Städten. Das neue Angebot "City Connex Service" gilt innerhalb und zwischen Städten, die bereits an Viatels paneuropäisches Netzwerk Circe angeschlossen sind. Circe ist das erste vollständig neu errichtete, grenzüberschreitende Glasfaser-Breitbandnetzwerk Europas.

Nach seiner Fertigstellung wird Circe fünf Glasfaserringe mit insgesamt 8700 Streckenkilometern umfassen und über 40 Städte in Westeuropa verbinden. Die Ringe Eins und Zwei von Circe - über 3000 Streckenkilometer, die London, Amsterdam und Rotterdam, Brüssel und Antwerpen, Paris, Amiens, Nancy und Straßburg sowie Düsseldorf, Frankfurt und Mannheim miteinander verbinden - sind bereits in Betrieb und übertragen kommerziellen Datenverkehr. Die Fertigstellung des dritten Rings - der elf wichtige Geschäftszentren in Deutschland verbinden wird - ist für Ende des ersten Quartals 2000 geplant.

Speziell mit Angeboten im Bereich IP-Services will Viatel-CEO Michael J. Mahoney seine internationalen Netzwerk- und Datenzentren weiter aufstocken und damit die Einnahmen aus Kommunikationsdienstleistungen deutlich erhöhen. Eine Stoßrichtung, die auch alle anderen Global Player in nationalen und lokalen Märkten einschlagen - und damit den eingesessenen Citycarriern das Leben schwer machen. (pri)