Selbstversorgung

16.10.1998
Der TK-Branche könnte schon bald ein einschneidender Paradigmenwechsel bevorstehen: Das Konzept "Digital Inter Relay Communication" sieht vor, daß die Teilnehmer künftig Carrier-Funktionen selbst übernehmen.

Von: Nikolaus Ebbinghaus

Ginge es nach Winrich Hoseit, Geschäftsführer der DIRC GmbH & Co KG, dann könnten wir in Deutschland schon bald über ein Telekommunikationsnetz verfügen, das eine echte Alternative zum Netz der Deutschen Telekom darstellt: Für ganze 50 Mark im Monat soll künftig jedermann ohne Zeitbeschränkung landesweit telefonieren, faxen und im Internet surfen können. Sogar mobile Kommunikation ist mit seiner neuen Technik, der Digital Inter Relay Communication (DIRC), ohne zusätzliche Kosten realisierbar.

Daß sich das Konzept technisch realisieren läßt, ließ sich der frühere Amateurfunker Hoseit von der Cetecom GmbH, einem Zertifizierungshaus für GSM- und DECT-Systeme, in einer Machbarkeitsstudie bestätigen. Darüber hinaus wird die Idee von Unternehmen wie Netcologne, Panasonic, Debis und Motorola unterstützt. Zahlreiche andere Unternehmen, darunter so klangvolle Namen wie Alcatel, Mercedes-Benz, NTT, Siemens und Nokia, sollen an einer Kooperation interessiert sein. Die Motive hierfür sind unterschiedlich: Hardwarehersteller sehen in der DIRC-Technologie ein großes Marktpotential für Endgeräte, in- und ausländische Carrier halten es dagegen für möglich, mit DIRC zügig und preiswert die letzte Meile zum Endkunden zu überbrücken.

Dabei handelt es sich bei DIRC um eine Technik, die hergebrachte Vorstellungen von Telekommunikationsnetzen völlig auf den Kopf stellt: Das DIRC-Netz wird nämlich nicht mehr von einem zentralen Carrier betrieben, sondern von den Telefonkunden selbst. Die bei den Teilnehmern installierten DIRC-Stationen, die gleichzeitig auch als Endgeräte dienen, übernehmen sowohl Relay- als auch Gateway-Funktionen. Die Struktur des DIRC-Netzes läßt sich somit noch am ehesten mit dem Internet vergleichen, denn auch hier werden dezentral Verbindungen hergestellt. Beim Ausfall eines Knotenpunktes sucht das System automatisch nach einer Alternative. Anders als im Internet überträgt DIRC aber keine Datenpakete, sondern stellt exklusiv nutzbare Übertragungskanäle bereit.

Das DIRC-Netz ist ein zellulares, stationäres Netzwerk, die DIRC-Stationen ähneln somit den Basis-Stationen von Schnurlos-Telefonen. Im Unterschied zu diesen tauschen die DIRC-Stationen jedoch permanent Informationen mit ihren Nachbarstationen aus. Inhalt dieser Mitteilungen sind alle verbindungsrelevanten Parameter wie freie Kanäle, Qualität der Übertragung, geographische Position, Public Key sowie die IDs der Stationen. Jedes Endgerät kann im Umkreis von bis zu fünf Kilometern Kontakt zu benachbarten DIRC-Stationen herstellen.

Um eine Verbindung zu weiter entfernten Teilnehmern aufzunehmen, leiten die benachbarten DIRC-Stationen eingehende Anrufe weiter, bis der anvisierte Zielpunkt erreicht ist (Bild 1). Ein solcher "Staffellauf" kann bis zu 1000 DIRC-Stationen umfassen, erst dann wird die gemäß den CCITT-Empfehlungen zulässige Verzögerung von 150 ms für eine Sprachverbindung überschritten. Ganz ohne zentrale Verwaltung kommt das DIRC-Netz dabei allerdings doch nicht aus: Die geographischen Positionen der DIRC-Stationen, deren in Silizium eingebrannten IDs sowie die Public Keys und persönlichen Daten der Teilnehmer sind in einer zentralen Datenbank abgelegt, die ständig Kontakt mit allen DIRC-Stationen hält. Vor jedem Verbindungsaufbau werden diese persönlichen Daten des Angerufenen dem Anrufer zur Verfügung gestellt.

105 Kanäle pro Station

Um die Übertragungskapazität optimal zu nutzen, soll im DIRC-Netz das digitale Modulationsverfahren COFDM (Coded Orthogonal Frequency Division Multiplex) eingesetzt werden. Diese Technik wurde ursprünglich für das digitale Radio (Digital Audio Broadcasting, DAB) entwickelt und gewährleistet bei vergleichsweise geringer Leistung eine Übertragungsrate von 2 Bit/s/Hz [1]. Gesendet werden soll in einem Frequenzbereich zwischen 690 und 790 MHz oder zwischen 2,3 und 2,4 GHz, wobei jede DIRC-Station bis zu 210 Duplexverbindungen gleichzeitig bearbeiten kann. Da für jeden Switching-Job zwei Duplexverbindungen erforderlich sind (für Empfang und Sendung), stehen als tatsächliche Übertragungskapazität je Station aber "nur" 105 Kanäle zur Verfügung.

Diese Zahl dürfte in der Regel ausreichen, um jeder Anforderung nach einer Verbindung nachkommen zu können. Kommt es doch einmal zu Engpässen, dann sucht sich die anrufende DIRC-Station einfach eine andere Box im Netz. Bei Bedarf lassen sich übrigens auch mehrere logische Kanäle bündeln, um die Übertragungskapazität von 40 kBit/s je Kanal zu vervielfachen. Zusätzliche Gebühren sollen dabei nicht anfallen, allerdings ist für solche Fälle auch ein Schutz der anderen Teilnehmer vor Dauerbelegungen vorgesehen. Überhaupt haben die DIRC-Nutzer als Teilnetzbetreiber auch Verpflichtungen einzuhalten. Dies bedeutet nicht nur, daß sie ihre monatlichen Gebühren zahlen, sondern auch, daß sie jederzeit für die Betriebsbereitschaft ihrer DIRC-Stationen sorgen. Kommt der Nutzer seinen Verpflichtungen nicht nach, kann er von der Zentrale aus dem Netz genommen werden.

Positionsbestimmung mit

GPS-Empfänger

Wie werden die DIRC-Stationen künftig aussehen? Noch sind keine Prototypen verfügbar. Doch folgender Grundaufbau ist wahrscheinlich: Geplant sind Geräte mit Schnittstellen für das analoge Telefonnetz, ISDN und Personalcomputer sowie mit einem Lesegerät für eine Smartcard. Darüber hinaus wird die DIRC-Box mit einer Antenne für den Kontakt mit anderen Stationen sowie mit einem GPS-Empfänger ausgestattet sein (Bild 2). Dadurch ist es möglich, die eigene DIRC-Station bei einem Umzug einfach mitzunehmen. Sobald die Station ans Stromnetz angeschlossen wird, teilt sie ihre neue Position der zentralen Datenbank mit, um sogleich wieder ins Netz integriert zu werden. Die persönlichen Daten und der Private Key jedes registrierten Nutzers sind auf einer Smartcard gespeichert. Gleich nach der Registrierung erhält der Nutzer eine PIN für die exklusive Nutzung seiner DIRC-Station.

Die Schnittstellen zum herkömmlichen Telefonnetz gewährleisten, daß jeder DIRC-Teilnehmer auch jeden Nutzer des öffentlichen Festnetzes (Public Switched Telehone Network - PSTN) zum Ortstarif erreichen kann. Die Anrufe werden dabei einfach an die DIRC-Station geleitet, die am nächsten beim gerufenen PSTN-Nutzer liegt. Diese Station dient dann als Gateway und leitet den Anruf entsprechend weiter. Umgekehrt benötigt ein PSTN-Nutzer eine von seiner Telefongesellschaft bereitgestellte Zugangsnummer, um sich ins DIRC-Netz einwählen zu können. Wie die Nutzung anderer Netze abgerechnet werden soll, ist allerdings noch nicht geklärt.

Nach der Errichtung läßt sich das DIRC-Netz auch leicht für die mobile Kommunikation nutzen. Künftige "DIRC-Handys" werden im Prinzip wie die DIRC-Stationen arbeiten, jedoch ohne Relay- und Gateway-Funktion. Wird ein solches Handy eingeschaltet, so sucht es nach der nächstgelegenen DIRC-Station, die eine Verbindung zur Heimstation herstellt. Allerdings ist die Mobilität eines solchen DIRC-Handys deutlich eingeschränkt: Fußgänger werden diesen Dienst nutzen können. Telefonate bei Auto- oder Bahnfahrten mit hoher Geschwindigkeit werden jedoch nicht mehr möglich sein.

Somit lassen sich mit DIRC praktisch alle denkbaren Telekommunikationsdienste kostengünstig realisieren. Doch wirft die Natur von DIRC als "soziales Netz" Fragen nach seiner Machbarkeit auf: Nur wenn sich von Anfang an möglichst viele Teilnehmer gewinnen lassen, kann DIRC mit anderen Netzen ernsthaft in Konkurrenz treten. Nur dann wird sich die Hardware in großen Stückzahlen und damit preiswert produzieren lassen. Deshalb ist geplant, kostenlose Internet-Zugänge bereitzustellen, um die Attraktivität des Netzes zu erhöhen.

Als Initialzündung denkt Hoseit auch daran, mit einem Schlag zwei Millionen DIRC-Stationen unters Volk zu bringen. Auf die Teilnehmer würden an Kosten lediglich die bereits erwähnten 50 Mark monatlich entfallen, gewissermaßen als Leasingrate. Wie er die hierfür erforderlichen Mittel aufbringen will, ist allerdings noch unklar. Für die Konkurrenten der Telekom wäre DIRC als drahtlose Zugangstechnik zum Endkunden (Wireless Local Loop) denkbar: Ohne teure und zeitraubende Investitionen könnten mit Hilfe von DIRC-Stationen in Ballungsgebieten rasch lokale TK-Netzwerke errichtet werden, die mit Glasfaserleitungen untereinander vernetzt sind.

Alternative für die Firmenkommunikation

Interessant wäre DIRC aber auch für Unternehmen, die über überregionale, dichte Filialnetze verfügen, wie beispielsweise Banken und Handelsketten. Die Kosten für die firmeninterne Kommunikation ließen sich nahezu auf Null senken, da mit DIRC fast alle TK-Anwendungen realisierbar sind. Außer Telefonie und Fax zählen auch EMail, Internet-Zugang, Telemetrie, Electronic Commerce, Navigation und Fernüberwachung zu den möglichen Add-On-Diensten im DIRC-Netz.

Es bleibt also zu hoffen, daß die ersten DIRC-Installationen bald in Angriff genommen werden können. Für den Raum Rhein-Ruhr-Wupper ist bereits eine Zulassung für den Probebetrieb beantragt und die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen soll schon ihre Unterstützung signalisiert haben. Ob und wann das erste Projekt in den Regelbetrieb gehen kann, ist derzeit aber noch völlig offen.

(gob)

Literatur

[1]

Ebbinghaus, Nikolaus: Multimedia via "Digital Radio"

Mehr als Musik; in Gateway 12/97, Seite 94 ff.; Verlag Heinz Heise; Hannover 1997